Wenn Engel reisen
Eigentlich sind sie keine Engel – Der Pfalzgraf und seine Kurpfälzerin. Doch wenn sie sich in fremden Landen befinden benehmen sie sich stets engelsgleich.
In das flache Land des Meeres, des Käses und der Wohnwagen – nach Holland - wollten sie; Ihren Körpers, Seelen und vor allem ihren Hunden Labsal gönnen. Nur für wenige Tage.
Die Kurpfälzerin hatte alles akribisch geplant: Ein nettes Hotel gebucht. Die Reiseroute errechnet, nachdem sie der weiblichen Stimme eines Navigationssystems stets misstraut, und ein Köfferchen gepackt: Anfang Oktober ist alles möglich. Es könnte sommerlich warm, wie auch winterlich kalt sein. Also dicke und dünne Kleidung eingepackt. Legere Kleidung für den Strand, etwas Gehobeneres zum Abendessen, Abendkleidung, falls man sich kurzentschlossen für einen Opernbesuch entschließen sollte. Verschiedene Hundeleinen für den Strand und natürlich die Elchlederleine für feierliche Anlässe.
Der Kofferraum des kleinen Peugeot war wohl gefüllt.
Die Fahrt verlief ohne Vorkommnisse. Der Pfalzgraf fuhr, die Augen anstelle auf den Tachometer, stets auf seine Beifahrerin gerichtet. Die wahre Geschwindigkeitskontrolle lag im Blick der Kurpfälzerin begründet.
Sie erreichten ihr Ziel am frühen Nachmittag und erkannten ihr gebuchtes Hotel bereits von Weitem. Eine wahrhaft noble Herberge hatte die Frau ausgewählt und der Pfalzgraf war stolz auf den guten Geschmack seiner Herzensdame. Zum Einchecken ließen sie die Hunde und das Gepäck vorerst im Fahrzeug und machten sich auf den Weg zum Eingang. Gutgelaunt mit federndem Schritt legten sie den Weg zurück. Doch plötzlich war da:
Der Schmerz! Völlig unerwartet schien dem Pfalzgrafen jemand ein Messer ins Knie zu stoßen.
Taumelnd blieb er stehen und versuchte zu begreifen was hier geschah. Wo war der feige Messerstecher? Doch er sah niemanden außer seiner Kurpfälzerin. Sie war keine Attentäterin. Sie hätte nicht den Weg ins Ausland wählen müssen, sondern ihn zu Hause vergiften können. Er schaute an sich hinab und war bald überzeugt, dass ihm sein eigener alter Körper wohl einen Streich gespielt hatte. Sein bereits seit längerer Zeit angeschlagener Meniskus hatte sich wohl endgültig verabschiedet. Dies störte ihn zwar weniger, aber hätte diese Verabschiedung nicht zu hause und in weniger schmerzhafter Art erfolgen können?
Er konnte nicht mehr gehen. Jeder Versuch den linken Fuß aufzusetzen ließ den Messerstecher wieder aktiv werden. So überredete er sein rechts Bein den Dienst allein zu versehen und humpelte zum Einchecken. Dort erblickte er einen Regenschirm, welcher die nächsten Tage sein Krückstock und somit bester Begleiter werden sollte.
Der Urlaub schien eine Erholung der schmerzhaften Art zu werden.
Der Tag neigte sich dem Ende. Die Schmerzen ließen nicht nach, aber der Hunger unserer Reisenden nahm zu. Sie setzten sich in die Hotelbar und genossen ein Bier, worauf der Pfalzgraf stets achtete, sein Bein ausgestreckt zu halten. Sie wollten es vermeiden, eine längere Wegstrecke in ein fremdes Restaurant auf sich zu nehmen und beschlossen daher im Hotel zu speisen, auch wenn sie befürchteten, dass dies in einem 4-Sterne-Haus nicht unbedingt preiswert sei.
Die Speisekarte bestätigte diese Befürchtung. Doch der Hunger siegte über das Grauen, welches im Angesicht der Preise herauf schlich. So beschlossen sie sich über ein feudales hochklassiges Menue zu freuen.
Die Vorspeise kam, gefolgt von einem Kellner, welcher beinahe über das ausgestreckte Bein des Pfalzgrafen gestürzt war. Geschätzte 20 Gramm Leberpastete mit 3 Feigen garniert. Zumindest ein Anfang. Aufgrund des Preis-Leistungsverhältnisses beschlossen unsere Helden auf Wein zu verzichten und spülten die Speisen mit üblem holländischen Bier hinab. Die Hauptspeise sollte die Gaumen mit einem Kalbssteak erfreuen. Nach dessen Genuss wussten die Essenden endlich, wie ein Kalbssteak schmeckt, wenn es einem fetten, alten Tier entstammt und sich der Verbindung mit Gewürzen jeglicher Art erfolgreich erwehrt hatte. Die Nachspeise – eine Cremespeise – kann man eigentlich für 39 Cent in jedem Lidl-Markt erwerben.
So resummierten unsere Helden, dass es tatsächlich möglich war ein Leberwurstbrot, ein ungewürztes fettes Steak und einen Lidl-Pudding für den Preis einer Hotel-Übernachtung zu erwerben.
Am nächsten Tag wollte man trotz des körperlichen Mankos den Strand besuchen, wobei sich hier die Regenschirm-Gehhilfe des Pfalzgrafen im lockeren Sand nur als mäßig hilfreich erwies. Zwei Hunde und deren Frauchen stürmten vor und das Herrchen hinkte auf einem Bein hinterher, wobei er mit diesem Bein auch noch im nassen Sand einsank. Ein wahres Strandvergnügen schaut anders aus. So stand er da auf einem Bein. Mitten im Sand. Hätte man ihm eine Lampe auf den Kopf gesetzt, hätte er – allein aufgrund seiner Größe – einen guten Leuchtturm abgegeben.
Danach setzte man sich wieder ausgestreckten Beines in eine Kneipe um den Frust mit holländischen Bier hinunter zu spülen. Der Urlaub war eigentlich anders geplant.
So beschlossen die Reisenden nach nur einem Tag den Pfalzgrafen in das Auto zu packen und den Heimweg anzutreten. Die Kurpfälzerin war nun genötigt zu fahren, was deren Laune nicht unbedingt verbesserte, da sie Autobahnen hasst. So beschloss sie die Strecke auf der Landstraße zu bewältigen. Nach über 3 Stunden Fahrt hatten sie auf diese Art immerhin fast 70 Kilometer zurückgelegt, was noch doch den zuvor getroffenen Entschluss wieder zunichte machte. Auf zur nächsten Autobahnauffahrt.
Sie wollten den schnellsten Weg nehmen, worauf sich nun ein erheblicher „Zickenkrieg“ zwischen der Fahrerin und der Dame aus dem Navigationssystem entfachte, in welchen sich der Beifahrer nicht einmischen mochte. Er ahnte wie dieser Streit ausgehen würde: Er wäre schuld und beide Damen – sowohl die echte, wie auch die elektronische – würden Recht behalten.
Irgendwann erreichten sie die Heimat und beschlossen diesen Urlaub irgendwann nachzuholen. Aber sie dürften nicht lange warten. Die Anatomie des Pfalzgrafen wird nicht jünger.