Das Geschenk
Ich bog mit meinem nagelneuen Jaguar XJ gerade in die Tiefgarage des Hotel Carlton in Cannes ein. Die Person auf dem Beifahrersitz war weiblich und mindestens 30 Jahre jünger als ich. Ihr strohblondes Haar wehte im Wind der geöffneten Fenster.
Ich drehte meinen Kopf langsam und bedächtig nach rechts. Eine wahre Schönheit offenbarte mir ihre prallen Brüste aus einem viel zu knappen Dekolette. Stolz berührte mich. Immerhin darf ich bereits auf 60 Lebensjahre zurückblicken. Wie kam sie eigentlich in mein Auto?
Ich erinnerte mich:
Ich stand an der Ampel unmittelbar vor dem Casino in Monaco. Ungefragt öffnete sie die Beifahrertür und stieg ein. „Wohin fährst Du, schöner Mann?“ eröffnete sie das Gespräch.
Ich – etwas perplex – antwortete lapidar: „In mein Hotel in Cannes“. „Darf ich mitkommen?“
Wie sollte ich diese Bitte verneinen? Immerhin war ich ledig, gut aussehend und mit Reichtum gesegnet. Die Frau war bildschön und etwas Unterhaltung konnte nicht schaden.
Die Fahrt verlief nahezu wortlos. Was wollte diese Frau von mir? So genoss ich die Gesellschaft der
unbekannten und wortkargen Dame bis ich meinen Parkplatz in der Tiefgarage erreicht hatte.
„Darf ich Dich auf einen Drink in mein Zimmer einladen?“ Ein Versuch war es sicherlich wert. Vielleicht sagt sie sogar ja. Wie eine geheimnisvolle Madonna lächelte sie mich an und folgte wortlos meinen Schritten.
„Ich gehe kurz etwas einkaufen“ vernahm ich ihre Stimme, als ich den Weg zum Fahrstuhl suchte.
Ich wusste mit diesem Satz nun nicht viel anzufangen und beschloss in geflissentlich zu überhören.
„Ich gehe einkaufen“. Diesmal erklang die Stimme lauter und auch der Tonfall war weniger säuselnd. „Du kannst ja noch im Bett liegenbleiben“. Ich drehte mich herum und wurde nahezu zeitgleich auf die Nase geküsst. Doch ich schaute nicht in die Augen einer Blondine, sondern in das Gesicht meiner Labradorhündin, welche mein Erwachen bereits sehnlichst erwartet hatte.
„Ich bin jetzt weg“. Dies war das letzte, was ich von meiner Lebensgefährtin hörte, bevor diese die Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Ein weiterer Hundekuss auf meine Nase versetzte mich unmittelbar von meinem Traum in die Realität.
Ich erhob mich und ging langsam und bedächtig ins Bad. Der Spiegel offenbarte mir mein Desaster:
Nur eines war in meinem Traum war: Mein Alter. Alles andere: Wunschträume. Ich war nicht reich und mein Jaguar XJ entpuppte sich als Peugeot 207. Das Carlton schrumpfte zu einer kleinen Wohnung in der Kurpfalz, wo ich und meine Kurpfälzerin unser Dasein fristeten.
Nach einer Tasse Kaffee sah die Welt sogleich wieder anders aus: Unsere Wohnung war gemütlich, in meine Kurpfälzerin war ich nach wie vor verliebt und unsere Hunde waren unsere Kinder. Was will ein älterer Herr noch mehr? Wozu braucht man wortlose Blondinen?
Nach kurzer Zeit öffnete sich die Wohnungstür.
„Liebling hast Du ausgeschlafen?“ vernahm ich die Stimme meiner Liebsten. Und ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten: „Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht“. Ein Geschenk! Ich liebe Geschenke. Was mochte es wohl sein? Einen Ring für meine Finger? Eine CD mit göttlicher Musik? Ein Kleidungsstück, welches meinen Körper aufwertet?
Spannung baute sich auf.
„Es ist etwas schwarzes. Schwarz ist doch Deine Lieblingsfarbe“. Also doch ein Kleidungsstück. Sicher ein neuer Gehrock. Nach einem solchen Utensil war ich schon länger auf der Suche.
Schon wollte ich die Frau vor Glück küssen, als mein Auge das Paket gewahr.
Etwa einen halben Meter lang und auch ebenso hoch. Kein Bekleidungshaus verpackt einen Gehrock in einen solchen Karton.
Langsam beugte ich mich hinab und entdeckte den Firmennamen „AEG“. Nachdem diese Firma keinen elektrischen Gehröcke herstellte, konnte es sich nur um ein Elektrogerät handeln. Ein schwarzes Elektrogerät für mich als Geschenk. Die Spannung wuchs ins Unermessliche.
Meine Kurpfälzerin schritt nun zur Tat und öffnete die Kartonage. Zum Vorschein kam ein Staubsauger der Marke AEG. Wie versprochen in schwarz.
„Damit Du es am Samstag leichter beim Staubsaugen hast“ war die Erklärung, im Angesicht meines verblüfften Gesichtsausdruckes.
In der folgenden Nacht träumte ich, wie ich mein Hotelzimmer im Carlton mit einem schwarzen Staubsauger der Marke AEG reinigte.