Romane & Erzählungen
Das Goldene Zeitalter - Kapitel 6

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"Das Goldene Zeitalter - Kapitel 6"
Veröffentlicht am 08. November 2012, 4 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Das Goldene Zeitalter - Kapitel 6

Das Goldene Zeitalter - Kapitel 6

Einleitung

Lernen sie die andere Seite des Grenzzaunes - die Proletarier - kennen. Titelbild: www.pixelio.de/©Gerd Altmann/PIXELIO

Bisher haben wir primär die Seite der Nichtindustrieproletarier betrachtet. Das soll sich nun ändern.

Frederik Delon steht an einem Fließband  auf dem langsam Autoteile an ihm vorbeifahren. Er hat viel Zeit, denn die Produktion geht nicht allzu schnell voran, wieso auch? Man sollte ja nicht zu viel herstellen, sonst muss man zu viel wieder einstampfen, um einen stabilen Marktpreis zu haben.

Er nahm eine der Autotüren, welche er montieren sollte. Schnell hatte er dies erledigt. Danach noch die andere, die auch nach wenigen Sekunden, dank geübter Handgriffe, montiert war. Aller zwei Stunden wechselte Delon seinen Standpunkt und wurde an eine andere Stelle beordert, wo er andere Arbeiten vornahm. Leute wie er konnten ein Auto praktisch allein zusammen und auseinander bauen.

Aus Ihrer Sicht, geneigter Leser, würde jetzt wohl die Frage resultieren, was im Leben von Frederick Delon schief gelaufen sein muss, dass er am Fließband landete und, trotz jahrelanger Berufserfahrung noch nicht groß aufgestiegen war.

Nun, dafür muss man sich das bereits Erfahrene wieder vergegenwärtigen und auf diesen Fall anwenden.

Delon hatte eine ebenso gute Ausbildung genossen, wie die Forscher auf der anderen Seite des Grenzzaunes, bis zur Universität. Die in den Proletarierteilen der Städte angebotenen universitären Ausbildungen unterschieden sich von denen der anderen Seite dadurch, dass man hier einen viel größeren Wert auf die Praxis legte und nicht allzu viel abstrakt Wissenschaftliches lernte. Trotzdem stand jeden dieser Weg offen, denn mit Uniabschluss stieg man höher ein in sein Berufsfeld ein und mit einem ein wenig höheren Lohn als die niederen Einsteiger. Am Ende unterschieden sich die Gehälter aber nur gering untereinander. Und die großen Firmenbosse saßen sowieso auf der anderen Seite des Grenzzaunes, genauso wie die Ingenieure, die dann aber auch ein höheres Gehalt bezogen, das sich innerhalb ihrer Ordnung selbst nicht groß unterschied, so konnte kein Kampf innerhalb der Klasse ausbrechen und auch keiner zwischen den Klassen, denn man wusste einfach zu wenig voneinander.

Natürlich wäre Delon fähig größere Aufgaben wahr zu nehmen, aber die Proletarier bekamen immer eingeimpft, dass es Grenzen gab. Kein Streben konnte infinit sein, auch wenn es das ja war. Doch man setzte dem eine Grenze, nämlich die der Klasse. Und das hätte eigentlich zu einer gewaltigen Kontoverse führen müssen, doch dem war nicht so, wie man bereits lesen konnte.

Man hielt die Proletarier nicht für dumm und man hielt sie auch nicht dumm, denn das wäre der Gesellschaft nicht dienlich gewesen, denn nur eine denkende Gesellschaft war eine gute Gesellschaft, denn sie konnte sich immer weiter verbessern und entfalten. Dumme Fachkräfte konnte man nicht gebrauchen, was Delon natürlich wusste, genau wie seine Arbeitskollegen.

Die Sirene ertönte, was eine 15 minütige Pause bedeutete und dass man seine Position in der Fertigungsstraße wechselte. Delon betrachtete zufrieden die Anzeigetafel, die ihm verkündete, dass er zusammen mit seinem Freund Hagen Dietrich beim Einbau der Motoren arbeiten würde. Gemächlich begab er sich zu der ihm zugewiesenen Position, wo dieser bereits auf ihn wartete.

„Na, Frederik, wie schaut’s aus?“, fragte ein Freund mit einem fröhlichen Lächeln. Beide trugen Blaumänner, die vorschriftsmäßige Arbeitskleidung ebenso wie Schuhe mit Stahlsohlen, die verhinderten, dass sie sich verletzen, wenn mal ein teil herabfallen würde, was aber bisher nicht vorgekommen war, denn die älteren und verdienteren Arbeiter wurden automatisch zu Sicherheitskontrolleuren ernannt. Sie inspizierten jeden Tag permanent alles was es an Maschinen gab. Durch ihre große eigene Erfahrung erkannten sie sofort Mängel, die auszubessern waren. Wie man hieran sah stieg jeder irgendwann auf, was davon abhing, ob der Betreffende sich nicht zu blöd angestellt hatte und entsprechend lange gearbeitet hatte. Man musste also nicht nach Höherem ernsthaft streben, denn wenn man ordentlich arbeitet wurde man automatisch belohnt, weshalb der natürliche Aufstiegstrieb so vollkommen befriedigt wurde. Und da man wichtige praktische Aufgaben bis zu seinem 60. Lebensjahr, bei den Männern und bis zum 58. bei den Frauen wahrnahm gab es auch keine Lust in die Richtung, dass man Vorstand oder so werden wollte.

„Wie immer, weißt du doch. Unsere Gesellschaft schafft es nicht gerade uns besonders abwechslungsreich zu erhalten.“

„Ja, ja. Beständigkeit ist alles!“, lachte Dietrich strahlend. „Noch eine Schicht, dann ist Schluss für heute was die offizielle Arbeit angeht.“

Frederik nickte, als die Sirene wieder laut ertönte und sich das Fließband vor ihnen wieder in Bewegung setzte.

„Du sagtest doch, dass du dir von deinen Wertmarken ein neues Bücherregal kaufen wolltest, hast du das gemacht?“, fragte Frederik seinen Freund.

„Wollte ich eigentlich, aber bevor ich 2 Wertmarken dafür einsetze habe ich lieber 1 ½ Wertmarken für einen neuen Präzisionswerkzeugkoffer ausgegeben.“

Frederik musste lachen. „Hagen, Mensch! Hast du eigentlich auch mal was anderes im Kopf, als deine Spielereien und Basteleien zu Hause?“

In der Tat schien es nicht anders zu sein, denn bei Hagen Dietrich hatten technische Gerätschaften immer Vorrang vor anderen Sachen. Gut, Kochtöpfe und wichtige Haushaltsgegenstände mussten sein, sonst hätte ihn seine Frau schon lange erschlagen, die er bereits mit 18 Jahren geheiratet hatte, was sehr ungewöhnlich war, denn normalerweise heiratete man erst mit über 26 Jahren, wenn man eine Beziehung mindestens ein Jahr musste aufrecht erhalten und dann wahrlich feststellte, ob man zum Anderen passte. Delon war noch jünger und hatte nur eine Freundin, mit der er aber nun auch schon eine 2 jährige Beziehung führte, wobei beide nicht an Heirat dachten.

Delon hatte keine so große Affinität für Technik außerhalb seiner Arbeit. Er empfand es nicht als entspannend, wenn man, genau wie Hergen, dann auch noch nach Arbeitsschluss Dinge tat, die in gewisser Weise mit der Arbeit zu tun hatten. Deshalb gab er sich einer anderen Passion hin, nämlich dem Schreiben von Geschichten und Gedichten. Delon war ein verkappter Poet, der sich selbst immer als zu schlecht ansah um selbst öffentlich schreiberisch tätig zu werden. Zudem sollten Proletarier dies eigentlich nicht groß tun und wenn, dann erhielten sie sofort Besuch von einschlägigen Behörden, die überprüften, was man schrieb und wie man schrieb. Manchmal geschah es dann, dass man, sollte man tatsächlich erfolgreich sein, von seiner normalen Arbeit befreit wurde und dann, unter Aufsicht einer Kamera, jeden Tag schreiben musste. Diese Praxis berichtete man offiziell, wobei sie den wahren Grund hatte, dann niemand Schreiber im öffentlichen Sinne werden wollte, denn sich so zu versklaven und jeden Tag zwanghaft zu schreiben, dass wollte sich kein ernsthafter Poet jemals antun. Demnach blieb auch Delon lieber bei seiner Freizeitlyrik und Prosa.

Was man hier noch erwähnen sollte ist das noch nicht vollkommen erklärte Verhältnis des Lohns und der Wertmarken.

In der Weltfinanzzentrale fließen alle regulären Informationen über Preise und Werte zusammen, die man schließlich umwandeln kann in die Wertmarken, wobei man hierdurch auch seinen Lohn erhält. Was dabei entscheidend ist, ist, dass man kaum selbst berechnen kann, welchen Lohn man erhält. Dass man mal später mehr erhält als früher, als man noch nicht so hoch auf der Karriereleiter nach oben befördert worden war lag auch daran, dass man sehen konnte, dass man mehr Wertmarken bekam, denn Wertmarken hatten immer einen exakten Wert, den die normalen Adressaten jedoch nicht kannten. Für sie hatten die Wertmarken selbst einen Wert, also war etwas eine Wertmarke z.B. wert, wie Sie, geneigter Leser es gewohnt sind in Euro zu denken, oder in Dollar oder Pfund. Man hatte sich übrigens auf den Dollar als Weltwährung geeinigt. Es gab keine anderen Währungen, nur den Dollar, in dem man alles berechnete, zumindest in der Weltfinanzzentrale, was eine besondere Ausbildung der Arbeiter erforderte, die wieder lernen mussten mit entsprechenden Werten zu rechen, die ihnen eigentlich unbekannt waren.

Entscheidend war für den Nutzer von Wertmarken vor allem, dass er sich mit ihnen die wichtigen zusätzlichen Güter kaufen konnte und darüber hinaus auch Luxusgüter. Jeder hatte ein angenehmes zu Hause, denn die Mieten waren sehr gering, überall. Man hatte immer viel zu essen und konnte sich viele zusätzliche Dinge leisten. Man war also rundum zufrieden.

Das war eigentlich auch Delon, der nicht davon träumte dem System zu entkommen. Auch wenn sie sich immer mal wieder darüber beschwerten, dass alles so perfekt war, denn auch in dieser Zeit neigt der Mensch dazu zu kritisieren, was gut ist. Und doch erkannten alle, dass es so gut war, denn aus dem Geschichtsunterricht kannten sie auch die anderen Zeiten, als es nicht so war.

Dies erklärt vollkommen, warum Delon im Speziellen, aber die Proletarier im Besonderen, genau wie die Nichtproletarier, so zufrieden waren und sich weder untereinander noch gegenseitig beneideten. Man war zufrieden und wenn man zufrieden war fügte man sich in die gegebene Ordnung eben ein und das bedeutete exakt, dass die Gesellschaft als Solche nur beständig und ordentlich funktionieren konnte, weil man sich auch nicht gezwungen sah nicht an die Spielregeln zu halten, denn wenn man so gut umsorgt wurde, dann biss man doch nicht in die Hand, die einen fütterte.

Die beiden unterhielten sich und montierten manchen Motor in die noch nicht fertigen Automobile, bis erneut das Signal ertönte und man sich zu den Duschen begab um dann seiner nachdienstlichen Verpflichtung für die Gemeinschaft nachzugehen.

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RogerWright
Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.

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DoktorSeltsam Re: Re: I like it, Brother! -
Zitat: (Original von RogerWright am 09.11.2012 - 23:45 Uhr)
Zitat: (Original von DoktorSeltsam am 09.11.2012 - 23:33 Uhr) Vielleicht liegt es daran, dass es mich an "Le Samourai" und Bachs "Goldbergvariationen" erinnert. Warum? Ja, woher soll ich das denn wissen?

Liebe Grüße

Dok


Ich bin verwirrt, welche Assoziationen ich auslöse. Aber natürlich freue ich mich besonders, dass es dem anspruchsvollen Leser gefällt. Ich verspreche für den morgigen Tag 2 Kapitel, es darf sich also schon gefreut werden!


Ick freu mir, Roger. Also, nur, das du nicht denkst, ich sei komplett...also, verrückt: Delon, der spielt die Hauptrolle in Melvilles Kinoklassiker "Le Samourai" - und Bach, ja, den zieh ick mir momentan in die Eustachische Röhre! "Goldbergvariationen", Bruder, das ist Genie pur! Rock on, Roger.

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RogerWright Re: I like it, Brother! -
Zitat: (Original von DoktorSeltsam am 09.11.2012 - 23:33 Uhr) Vielleicht liegt es daran, dass es mich an "Le Samourai" und Bachs "Goldbergvariationen" erinnert. Warum? Ja, woher soll ich das denn wissen?

Liebe Grüße

Dok


Ich bin verwirrt, welche Assoziationen ich auslöse. Aber natürlich freue ich mich besonders, dass es dem anspruchsvollen Leser gefällt. Ich verspreche für den morgigen Tag 2 Kapitel, es darf sich also schon gefreut werden!
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DoktorSeltsam I like it, Brother! - Vielleicht liegt es daran, dass es mich an "Le Samourai" und Bachs "Goldbergvariationen" erinnert. Warum? Ja, woher soll ich das denn wissen?

Liebe Grüße

Dok
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