Wenn ich jetzt im Frühjahr die vielen Blumen blühen sehe, fallen mir zwangsläufig auch einige Geschichten mit Blumen ein, die natürlich auch wieder mit meinen Kindern zusammenhängen. Ich weiß nicht, ob ich schon erwähnte, dass der Vater meiner Kinder zu unserem Garten ein besonderes Verhältnis hatte, zumindest ein anderes als ich. So konnte er es beispielsweise absolut nicht leiden, wenn im Garten Blumen gepflückt wurden, um sie im Haus in eine Vase zu stellen. Er war der Meinung, dass die Natur das so nicht vorgesehen habe und es von daher völlig unnütz sei, die Blumen zu töten. Habe ich schon erwähnt, dass dieser Mann heute Jäger ist? Ich werde nie verstehen, warum er ein besseres Verhältnis zu Pflanzen als zu Tieren hat, aber das ist wohl ein anderes Thema.
Auf alle Fälle erinnere ich mich noch lebhaft daran, wie mein dreijähriger Sohn Benjamin im frühen Frühjahr stolz vor mir stand, in seinen kleinen Händen die abgepflückten Krokusse aus unserem Vorgarten mit anstrahlte und dabei sagte: „Für dich, Mama.“ „Oh Benjamin“, seufzte ich: „Dein Vater, das gibt Ärger. Komm, wir retten, was zu retten ist.“ Ich nahm meinen Sohn an die Hand, ging mit ihm in den Vorgarten und suchte nach Krokusblättern. Überall dort, wo wir Blätter entdeckten, stopften wir so gut es ging eine Blüte zurück in die Erde. Wie erwartet, machte der Hausherr noch am gleichen Tag eine Runde durch den Vorgarten und bestaunte all die erblühten Krokusse. Später einmal gestanden wir ihm diese Geschichte. „Ach“, meinte er: „Und ich habe mich gewundert, weshalb ausgerechnet in diesem Jahr die Krokusse so schnell verblühten.“
Die Jahre gingen ins Land. Mittlerweile hatte ich schon zwei Söhne. Als ich von der Arbeit kam, stand auf dem Küchentisch eine Vase mit herrlichen Osterglocken. Ich erschrak, freute mich aber zugleich. Auf meine Frage: „Wo kommen denn die Blumen her.“ Hörte ich hinter mir die Stimme meines Sohnes Dirk: „Von mir, für dich Mama.“ Mir kam das doch irgendwie bekannt vor. Wieder einmal ließ ich den bekannten Satz ab: „Aber du weißt doch, wie Papa mit den Blumen ist.“ „Das weiß ich, die sind ja auch nicht aus unserem Garten.“ Ich ahnte Böses: „Woher sind die dann?“ Von Onkel Claus. Besagter Onkel Claus war unser Nachbar, Landwirt, Jäger und Besitzer einer Kieskuhle, in der feinster Kies abgebaut wurde. „Aber Dirk“, mahnte ich: „Du kannst doch nicht in fremden Gärten Blumen pflücken.“ „Hab ich ja auch nicht, die sind von dem Stein von Onkel Claus.“ Dazu muss ich an dieser Stelle erklären, dass in der Kieskuhle vor Jahren ein recht großer Findling auftauchte. Dieser Stein zierte fortan den Eingang unseres Dorfes und wurde auch mit dem Schriftzug Welmbüttel versehen. Dieser Platz wurde von Gemeindemitgliedern gepflegt und verziert, so dass er manch einem Vorgarten Konkurrenz machte. Hier standen – meistens jedenfalls – Osterglocken. Strafend sah ich meinen Sohn an: „Aber Dirk, da kannst du doch keine Blumen pflücken, die gehören doch der Gemeinde.“ Von ihm kam nun mit tränenerstickter Stimme: „Und wenn ich doch nicht weiß, wo der Herr Gemeinde wohnt.“
Wieder ein paar Jahre später hatte sich meine Kinderzahl auf drei erhöht. Kann sich jemand vorstellen, was das heißt? Drei Kinder unterschiedlichen Alters, die alle ihrer Mutter mit selbstgepflückten Blumen eine Freude machen wollen? Nur wurden diese Blumen nun nicht mehr in unserem Garten gepflückt, dafür aber an den Straßenrändern und wo immer man Löwenzahn fand. Ihr Vater hatte nichts dagegen, denn diese Blumen waren für ihn Unkraut, also wertlos wie Tiere.
Kann sich irgendjemand vorstellen, wie viele Löwenzahnpflanzen es gibt und dass diese immer wieder nachwachsen? Überall im Haus leuchtete es gelb und klebte vom Löwenzahn ganz fürchterlich, weil fast täglich ein Kind vor mir stand, einen Strauß Löwenzahn in den kleinen schmutzigen klebrigen Händen mit Engelsblick und dieser sanften, mutterliebenden Stimme: „Für dich Mama, hab ich ganz allein gepflückt.“ Was macht eine Mutter in diesem Moment? Sie nimmt das Kind in den Arm, drückt es herzlich an sich mit dem Ergebnis, dass etwas von der klebrigen Masse auf sie übergeht. Gleichzeitig überlegt sie fieberhaft, in welches Gefäß sie den was weiß denn ich, den wievielten Strauß stellen sollte und wohin, es war kein Platz mehr. Aber irgendwie fand sich doch immer wieder ein Plätzchen. Dieses Spiel wiederholte sich Tag für Tag, weil die Kinder meinten, ihrer Mutter damit eine große Freude zu machen, ich es aber nicht über das Herz brachte zu sagen: „Es reicht, bitte keine Löwenzahnsträuße mehr.“
Heute denke ich mit ein wenig Wehmut daran zurück und wünschte mir noch einmal einen Strauß aus kleinen Kinderhänden mit diesen so ehrlich gemeinten Worten: „Für dich, Mama, habe ich alleine gepflückt. Ich hab dich lieb.“