Kurzgeschichte
Höllisch

0
"Frühstücksvision"
Veröffentlicht am 05. November 2012, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Stuart Miles / FreeDigitalPhotos.net
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Frühstücksvision

Höllisch

Die Uhr behauptet, ich bin mal wieder viel zu spät dran. Der Körper mault dagegen, es ist wieder viel zu früh. Er hat natürlich recht. Egal, Frühstück muß jetzt sein.

   Ich bestreiche meinen Toast mit knallig roter Erdbeermarmelade, während im Fernsehen die aufgedrehte Moderatorin schwungvoll vom neuesten Anschlag in Ägypten berichtet. 100 Tote, na ja. Putzmunter geht es zur neuesten lokalen Messerstecherei, ein 15jähriger verblutete auf der Straße um die Ecke. Die Kaugeräusche ersparen mir Details. Schon erscheint wieder die fröhliche Frau, die immer bei meinem Frühstück blauen Curacao auf irgendwas

Hygienisches gießt, lecker. Ich schlürfe meinen Hagebuttentee. Dann werden Milchprodukte von der blödelnden dicken Brust angepriesen, deren Chef seine schwäbische Kommune absolutistisch regiert und jeden feuert, der Worte wie „Betriebsrat“ oder „Umweltschutz“ nur denkt.

   Ein gelungener Morgen wie immer.

   Doch wie ich so schluckend und dösend durch den Bildschirm hindurchsehe, dehnt sich dieser plötzlich in alle Richtungen aus, greift um mich herum, das Bild verschwimmt, und ich stehe mit klebrigen Fingern und den Socken von gestern in einer großen dunklen

Höhle.    Weit vor mir flackert Licht wie Wetterleuchten, und ich mache mich mangels anderer Ideen auf den Weg dahin. Ich gelange an den Tresen einer Rezeption, dessen elegantes Rattangeflecht sich beim Anklopfen als Knochenmaterial herausstellt. Das Regal hinterm Tresen faßt eine überwältigende Andenkensammlung: Schwerter und Gewehre jeder Art, inquisitorische Daumenschrauben, unendlich viele Abzeichen, braune Hemden, Uniformen von GIs, von Gulagbewachern, griechischen Obristen, mongolischen Fürsten ... Brandenburger Tor und Checkpoint Charlie sind dagegen ein

Scheiß. Sind sie sowieso.

   „Lieben Gruß!“, unterbricht mich ein faszinierendes Wesen, anscheinend nicht Mann, nicht Frau, halb Fee, halb Teufel − ein zarter Höllenengel, bei dem man gern länger bliebe. Sanft spricht er: „Willkommen zur Hades-Führung. Zuerst bekommst du diesen Armreif als Kennzeichen“. Der Schnabel eines fossilen Terrorvogels, so nennt er/sie/es das jedenfalls, umschließt klackend mein Handgelenk. „Die Exkursion beginnt in zehn Erdenminuten an der Kneipe ‚Zum Stinkenden Styx‘, bitte immer rechts halten.“    Ich gehe weiter auf das höllische Blitzlichtgewitter zu und bin nicht

überrascht, als Quelle eine Gruppe aufgeregter kleiner Männer zu finden, jeder mit etlichen Apparaten behangen, mit denen sie einander pausenlos fotografieren. Da dröhnt eine Stimme: „Heißen Gruß, verehrte Anwärter, willkommen zur Führung!“ Dieser dicke Teufel wäre furchterregend, wären da nicht die winzigen croissantfarbenen Hörner und das einsame Haarbüschel dazwischen. Beim Lachen stößt er kleine Stichflammen aus Mund und Augen aus. „Ich zeige euch nun ein paar typische Einrichtungen. Einfach immer meiner werten Quaste folgen!“    Ein Mann mit schriller Krawatte und riesigem Parteiabzeichen steht

ketterauchend in seiner Zelle und deklamiert Phrasen, an die er selbst noch immer nicht glaubt. Die Zellenwände sind bedeckt mit lebenden Porträts eines Herrn in Hut und Brille, der ihm handschwenkend genuschelte Reime souffliert: „... hält weder Ochs noch Esel auf. Liegt der Genossenschaftsbauer tot im Zimmer, planerfüllt er nimmer ...“ Der Insasse tritt dabei auf dem Porträt eines Vollbarts aus Trier herum. Seinem geschniegelten Zellennachbarn steht der Anzug entschieden besser. Auch er hält energische Endlosreden: „Unternehmerische Freiheit ... Shareholder ... Gesundschrumpfen ... Eigenverantwortung ... Weisheit des

Marktes ...“. Mit Budapester Schuhen steppt er auf einem Edelteppich, der aus dem Boden des Grundgesetzes gefertigt wurde. Bescheidener, aber ebenso unruhig geht es in der nächsten Zelle zu: Eine Frau hackt vor kahlen Felswänden auf ihr Notebook ein, hält dann fluchend die Löschtaste gedrückt und hackt weiter. „Schreibt seit ihrer Einlieferung am NaNoWriMo. Was immer das sei.“    Am Ende verweilen wir an einem hüfthohen Lavasprudler. Hier ist es still genug für eine längere Ausführung. „Beim Aufbau dieses Ladens zerbrachen sich die Chefs die Köpfe. Der Vertrieb hatte schon damals viel zuviel

versprochen, eifernde Priester phantasierten dauernd von Höllenstrafen. Doch wie sollten die aussehen, und wer ist überhaupt zu strafen? Ein kleiner Katholik, der dauernd per Absolution sein Schuldkonto räumt − lächerlich. Ein Atheist schafft es nach Shutdown weder zu Himmel noch Hölle. Ein Hindu verschmäht unsere Dienste und sucht sich eine neue Hülle auf Erden. Und so weiter. Bleiben als relevante Fälle die Schleimer, Betrüger, Verbrecher und Diktatoren. Apropos, unsere VIP-Abteilung wird demnächst für die Highend-Führung geöffnet, ihr habt die Requisiten an der Rezeption gesehen. Die Besucher müssen sich da bißchen

den Bewohnern unterordnen, ein Höllenspaß.“ Wieder gehen wir vor den Lachflammen in Deckung.    „Und der Strafkatalog ... Wir reden hier von der Ewigkeit, nicht wahr. Schmerz und Leid nutzen sich schnell ab, wie Glück und Freude. Wir können nicht alle paar Jahrtausende neu investieren, wenn das lustige Glühen überm Gasbrenner nichts mehr bringt. Drum verfluchen wir jeden Delinquenten schlicht zur ewigen Wiederholung von Sachen, die er besonders gern tat. Bei dir“, wendet er sich exemplarisch an mich, „hieße das, ununterbrochen Nougattorte und Kaffee französisch. In Ewigkeit!“ Er grinst über meinen

enttäuschten Blick: „Ja das da, hähä ... das geht aus verständlichen Gründen nicht. Haben wir aber schon für Release 2.0 überlegt. Das Einschlafen dieser Geschichte ist ja für die meisten heutzutage heimlich sogar erlösend.“ Er blickt auf seinen Zettel. „Könnte sein, wir begrüßen Dich bald. Gib dir einfach Mühe.“ Mir wird schon mal schlecht.

   „Bis bald“, verabschiedet sich der Führungsteufel und lacht so herzlich, daß sein linkes Croissant anschmort.
   Reichlich verwirrt wache ich auf. Noch immer ist es viel zu spät, der Fernseher hat Normalgröße und sprudelt weiterhin großkotzige Laune.
   Ein Politikerkopf skandiert das

einzelne Wort „Kopfpauschale“ und verschwindet wieder. Gestern hatte ein anderer nur „Bürgerversicherung“ geschrien, der ist morgen wieder dran. Dann geht es um die Bande, die jahrelang ungestört raubte und mordete, denn sie waren ausreichend rechts, die Behörden. Die aufgedrehte Moderatorin leitet begeistert zum neuesten Lebensmittelskandal in Schleswig über.
Ja, den Atommüll im Bergwerk hatten wir heut noch nicht. Und das totgeröstete Kind, die lecke Ölplattform, die Waffenlieferungen. Die Schulden − immerhin etwas Großes, an dem ich direkt beteiligt werde. Danach der fröhliche neueste Promiklatsch: Was

matscht die Klofrau des Schlosses Bellevue in ihr Müsli? Hatte der energische Rennfahrer eine Liaison mit seinem Goldhamster? Darf ein Model popeln? Bohrende Fragen.

   Darauf einen abschließenden Mayonnaisetoast.
   Ein gelungener Morgen wie immer.
   Ein jeder tut dasselbe wie täglich.
   Was ist das für ein barbarischer Schmuck an meinem Handgelenk?

© 2012 Brubeckfan

 

Nachbemerkung vom April 2014

Das war ursprünglich ein Beitrag zu Storybattle 19 mit dem Thema Hölle. Seitdem haben wir wieder eine Menge Aufreger vergessen, nicht nur die hier angedeuteten. Issn das, Assad, Röslerwelle oder Wulffenberg? Bald werden wir Snowden für eine Sportart der Winterspiele von Sotschi halten. Wetten daß?

0

Hörbuch

Über den Autor

Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

Leser-Statistik
62

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
KaraList Es hat schon einen Grund, dass morgens bei mir weder der Fernseher noch das Radio läuft ... Bin ich ein Morgenmuffel? :-)
Ganz herrlich geschrieben, Du Nougattortenesser.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan ... wenn Du diesen Kommentar heute früh geschrieben hast, bist Du jedenfalls keiner.
Fernsehen plus Essen geht bei mir zu keiner Zeit, da bin ich nicht multiplex genug. Aber ein nüchterner Radiosender wie Inforadio, das geht -- abgesehen davon, daß die mich garantiert als erstes mit Fußball nerven, egal wann ich einschalte.
Danke Dir für alles und wünsch Dir ein friedliches "Hallo Wien"!
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Schön, dass du noch mal den Staub abgepustet hast, ist noch immer sehr aktuell und unglaublich amüsant geschrieben!
Aber von Majonäsetoast solltest du dich nicht mehr ernähren. Insekten sind jetzt in, Mehlwürmer ...

Na dann - auf Halloween!
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Von mir, da noch Neuling, erstmals gelesen. Super-, Sonder-, Megalob! Da bin ich ja mal froh, dass ich zumindest keine Croissants mag. Einfach klasse Satire, ja und diese Früstückssendungen/Nachmittagssendungen sind in den letzten 2 Jahren, glaub ich, noch hohler geworden. Da ich es nur von Erzählen höre, kann ich mir auch nur ein mäßiges Urteil erlauben. LG Christine
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Liebe Christine, ich freue mich, daß es Dir gefällt!
Ja und die Fernsehgebühren müssen wir halt zahlen, aber trotzdem nicht abgelten, nicht. Hach und was haben früher die da rechts unten für Kopfstände gemacht, um spätabends mal den Feindsender zu kriegen; wozu?
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Gerne noch mal eingetaucht - in den Hades ...
Geistreich, witzig, gekonnt!

Schönen Sonntag!
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Den wünsche ich Dir auch, liebe Fleur.
Tja das Konvertieren des Buchformats gibt guten Anlaß oder Vorwand, von den Sachen im Archiv den Staub zu pusten.
Vielen Dank und viele Grüße,
Willy-Gerd Schwabe
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Re: Teuflisch gute Satire... -
Zitat: (Original von roxanneworks am 10.11.2012 - 21:20 Uhr) gekonnt flüssig in Szene gesetzt, lieber Gerd...
man muss schon jenseits jeglicher Empfindung zu Hause sein, wenn man, während man sich einen Marmeladentoast in den Mund schiebt, die Nachrichten oder schlimmer noch, irgendein Konsumentenverblödungs-konzept in der Glotze ansieht...das ist die Hölle...
Ich weiß natürlich, das es ein Mittel zum Zweck war und genau diese banale Realität macht es so erschreckend...
Deine Hardes-Führung - einfach große Klasse!

ganz liebe Grüße
roxanne

Oh, ganz zartrosa Dank... (Nee, Übertreibung, bin ja noch ne Weile sommerbraun).
Das ist ehrlich gesagt in meinen Augen wieder ein typischer Battletext von mir, er hätte noch eine Woche Liegezeit vertragen und dann hier etwas Kürzen, da bißchen Würzen... Die Croissanthörnchen gehören z.B. anfangs schon auf den Teller. Ohne Battle hätte ich das Thema gar nicht erst angefaßt, aber das ist ja gerade der Spaß. Schön, daß es dir auch so schon gefiel.
Meine Einstellung zur Presse hab ich unten schon skizziert. Ich bin ein bekennender Banause, so. Und noch so erzogen, daß beim Essen nicht gelesen, herumgelaufen oder anderes wird.

Sanften Wochenstart wünscht Dir
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Re: Höllisch gut aufgespießt ... -
Zitat: (Original von Rattenfaenger am 07.11.2012 - 20:44 Uhr) ... zum Mitempfinden, hast Du, lieber Gerd, die Führung in unsere Zukunft ... *lächel* ... und ... Schmerz und Leid nutzen sich schnell ab, wie Glück und Freude. Nicht einmal die Hölle tröstet für die Ewigkeit*****
Lg
Karl-Heinz

Vielen Dank!
Bei Dir habe ich inzwischen mehr geschmunzelt...
Doch stören wir die Jury nicht, sie denkt noch.
Tschüs,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
roxanneworks Teuflisch gute Satire... - gekonnt flüssig in Szene gesetzt, lieber Gerd...
man muss schon jenseits jeglicher Empfindung zu Hause sein, wenn man, während man sich einen Marmeladentoast in den Mund schiebt, die Nachrichten oder schlimmer noch, irgendein Konsumentenverblödungs-konzept in der Glotze ansieht...das ist die Hölle...
Ich weiß natürlich, das es ein Mittel zum Zweck war und genau diese banale Realität macht es so erschreckend...
Deine Hardes-Führung - einfach große Klasse!

ganz liebe Grüße
roxanne
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
23
0
Senden

80246
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung