Humor & Satire
Von Kantinen

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"Von Kantinen"
Veröffentlicht am 05. November 2012, 10 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Von Kantinen

Von Kantinen

Beschreibung

PhanThomas platzt derzeit vor Kreativität. Ein großes Dankeschön dafür geht an seine persönliche Korrekturkönigin und Lieblingsromanautorin, die stets mit Rat, Frechheiten und Gebäck zur Stelle ist. Hier ein kurzer Abstecher von meinem aktuellen Romanprojekt, hin zu bekannten Gefilden: ein kurzer Text über, nun ja, Kantinen ... und was es dazu eben zu sagen gibt. (Cover: © Rainer Sturm / pixelio.de; www.pixelio.de)

Wenn es eine Welt innerhalb dieser Welt gibt, dann nennt sie sich Kantine. Kaum ein Ort ist gegensätzlicher zu seinem Außenweltpendant und gleichzeitig ein solcher Spiegel der Gesellschaft. Das fängt beim Betreten an: Hungrige Mäuler, die sich freiwillig eine halbe Ewigkeit lang in Schlangen anstellen, um von einer meist mürrischen Küchenhilfe (»Wat woll'n se? 'N bisschen zackig! Wenn alle so lange broch'n wie Sie, dann dürf'n se sich nich' wundern, wenn se bald nur noch von Praktikanten bedient werden. Is so!«) einen Teller mit zumindest optisch nicht immer identifizierbarem Allerlei aufs Tablett geknallt zu kriegen. Die Güte des Dargereichten legt oft eine Vermutung nahe: Hier wird hauptsächlich mit dem Pürierstab gearbeitet. Dem scheinen selbst Nudeln nicht zu entkommen: Keinem Normalsterblichen gelingt es in der Küche daheim, die Teigware so zuzubereiten, dass sie sich in eine breiige Masse verwandelt, sobald sie die Zunge berührt. Auch ich habe Nudeln schon zerkocht, doch diese Magie bleibt mir ein Rätsel. Al dente? Diese Begrifflichkeit kennt man in der herkömmlichen Kantine nicht.

Dennoch greift der hungrige Proband zu, worin oftmals der größte Gegensatz zu erkennen ist. Es sind dieselben Menschen, die abends gern auswärts chic am Hummerschwanz knabbern und zu wissen meinen, welcher Wein zum medium gebratenen Steak gehört, die sich nun wie zur Mast an elend lange Tischreihen hocken und im Akkord die aufgetischte Gaumenfeindlichkeit herunterschlingen. Flott flott, die Mittagspause ist begrenzt! Um dem eigenen Bewusstsein über die eigene Gegensätzlichkeit Ausdruck zu verleihen, wird wenigstens triftig über die im entfernen Sinne als Essen titulierbare Substanz auf dem schartigen Porzellan- oder Plastikteller geschimpft. »Die waren auch schon mal besser. Derzeit haben die hier echt einen Hänger«, hört man dann. Oder »Mann Mann Mann, hat der Koch schon mal was von Salz gehört?« Ich nehme an, das hat er. Der gewiefte Koch allerdings ist sich bewusst, dass Beschwerden über versalzenes Essen schlimmer sind als solche über faden Fraß und verweist daher auf die überall herumliegenden Salz- und Pfeffertütchen zum Selbstwürzen. Hier spielt auch wirtschaftliches Kalkül rein, denn der von Kantinen haufenweise angelockte schamlose Nachwürzer behauptet ohnehin, das Essen sei zu fad, ob nun vorgewürzt wurde oder nicht.

Der Mensch hat's gern gemütlich, nimmt in trauter Gesellschaft im Sessel Platz, genießt Kaffee und Kuchen bei angenehmer Musik. Derselbe Schlag Mensch pfercht sich wochentags zur Mittagszeit freiwillig in die eng gestellten Tischreihen, um zu schaufeln, als müsste er Angst haben, nicht satt zu werden. Mit Suchscheinwerfern im Gesicht trägt er das Tablett durch die vollen Reihen, immer auf der Suche nach freien Plätzen, und empört sich, möglichst laut genug, um gehört zu werden, über die miesen Platzbesetzer. Diese Schwätzer, die schamlos vor ihren bereits leeren Tellern hocken und sich erdreisten, mit ihrem Gegenüber zu reden. Eine Unsitte, hier wird gefälligst nicht gequatscht, hier wird gelöffelt! Im siebten Kreis der Hölle sollen sie weiterlabern! Und dann das Gedränge und überall Gefahr: Auf dem Boden hängende Jacken und Schals werden beim Vorbeigehen zur potenziellen Rutschpartie, jederzeit drohen hastig zurückgeschobene Stühle und gehobene Köpfe. Wer einmal einen Mitspeisenden mit frisch zerkochten Nudeln dekoriert hat wie einen Weihnachtsbaum, weil der Idiot im falschen Moment aufstehen und mit der Birne gegen das über ihn hinweggehobene Tablett donnern musste, der weiß, dass tausend Blicke und absolute Stille im Saal nicht die Aufmerksamkeit bedeuten können, die Andy Warhol mit fünfzehn Minuten Ruhm meinte.

Überhaupt speist der Kantinengänger oftmals gern anonym. Wenn schon Möhren- und Kartoffelstückchen im Bart kleben bleiben, das weiße Hemd von Tomatensoßentorpedos getroffen wird oder die Krawatte in der Suppe baumelt, dann muss das schmunzelnde Gegenüber einen nicht auch noch persönlich kennen. Wer doch gern in Gesellschaft futtert, gibt zumeist viel über seine sozialen Präferenzen und Vorhaben preis, wo wir bei der gesellschaftlichen Komponente einer Kantine angekommen wären: Wer es zu was bringen möchte, sitzt neben dem Chef oder besser noch diesem gegenüber. Kaum etwas ist beruflich wertvoller für den Speichellecker mit Karriereambitionen, als ein erfrischender Smalltalk über Marktanalysen und Return-on-Investment-Rechnungen am Mittagstisch. Ein kühner Plan, hastig auf eine Serviette gekritzelt, kann da Wunder wirken. Wer was werden will, sortiert sich um das Zentrum dieser geballten Führungskompetenz. Alle anderen lassen es ruhiger angehen und können dafür auch mal laut schmatzen und Pfefferkörner aus den Zähnen popeln.

Die gesellschaftlichen Aspekte des Kantinengangs lassen sich nicht erst im Berufsleben beobachten, sondern in besonders ausgeprägtem Maße bereits in der Schulkantine. Loser- und Trendkinder wird man selten an einem Tisch finden und wenn doch, dann ist die blöde Aufsicht schuld. Wer Pausenhofgespräch werden will, setzt sich an den Tisch mit den hübschen Mädels, respektive coolen Jungs und plaudert locker aus dem Nähkästchen, was die Pubertät so hergibt. Spürt der Dreikäsehoch die Blicke der Umsitzenden erst auf sich, setzt er einen drauf und lümmelt erst so richtig auf seinem Stuhl herum. Früh übt sich eben, wer was vorhat im Leben.

Die Kantine, ein Spiegel gesellschaftlicher Verhaltensmuster, ein Instumentarium für berufliches Vorankommen, ein Schaukasten der Gegensätzlichkeiten oder einfach nur ein Mutmacher für Hobbyköche (»Also DAS krieg ich aber besser hin!«). Wie auch immer, hier ist für jeden was dabei, ob's schmeckt oder nicht.

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Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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PhanThomas Re: Ich sah die Kantinenesser ... -
Zitat: (Original von MarieLue am 12.11.2012 - 17:43 Uhr) ... direkt vor mir und roch den unverwechselbaren Kantinen"duft". Hast du wieder klasse geschrieben.

Herzliche Grüße
Marie Lue

Hallo Marie,

und vergiss das Tellergeklappere aus der Küche nicht. Und die lauten Unterhaltungen, das Stühlerücken, etc. pp.

Liebe Grüße & vielen Dank
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Da sind wir schon Drei... -
Zitat: (Original von MysticRose am 11.11.2012 - 15:40 Uhr) Marion, du, und ich. Ich geh auch nie allein in der Kantine essen :-D Ich finde das einfach total uncool.
DAS schlimmste Kantinenessen schlechthin: Grünkohl mit Kartoffeln. Ürghs! :-/

Hallo Rosilein,

was hast du denn gegen Grünkohl mit Kartoffeln? Tze! Aber ich bin eh ein Allesfresser. Mein Kollege ekelt sich immer, wenn ich Blutwurst (die hier Topfwurst und bei mir in der Heimat Pluntwurst heißt) esse, hihi.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: -
Zitat: (Original von shirley am 11.11.2012 - 07:52 Uhr) Ich hab es geschafft...an/in einem Stück gelesen.
Der Text ist sehr 'al dente', wenn ich das mal so sagen darf.
Kantinenessen kenne ich gut. War bei der MITROPA. Man hatte nicht viel Auswahl. Tagesmenue ( Eintopf) oder Schnitzel mit Kartoffelsalat. Danach war ein Stehplatz in der U-Bahn für alle ein Vergnügen. Besonders für die eigenen Innereien, die punkto Einstieg in den übervollen Wagen ein Eigenleben zu entwickeln schien. So mancher Tage 'Aua'...und ein Schwur: Never Schnitzel mit Kartoffelsalat -pfui!

lg Shirley


Hallo Shirley,

du liebe Güte, das klingt ja nach Gefängniskantine. Da wäre ich dann aber nicht essen gegangen. Zur Ehrenrettung der Kantine hier muss ich sagen, dass das Essen meist ganz gut ist und zudem auch noch unschlagbar günstig. Aber in Berlin ist mal halt arm. Gilt vor allem für die Sozialwissenschaftler, die da hauptsächlich essen gehen, nehme ich an. ;-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
MarieLue Ich sah die Kantinenesser ... - ... direkt vor mir und roch den unverwechselbaren Kantinen"duft". Hast du wieder klasse geschrieben.

Herzliche Grüße
Marie Lue
Vor langer Zeit - Antworten
MysticRose Da sind wir schon Drei... - Marion, du, und ich. Ich geh auch nie allein in der Kantine essen :-D Ich finde das einfach total uncool.
DAS schlimmste Kantinenessen schlechthin: Grünkohl mit Kartoffeln. Ürghs! :-/
Vor langer Zeit - Antworten
shirley Ich hab es geschafft...an/in einem Stück gelesen.
Der Text ist sehr 'al dente', wenn ich das mal so sagen darf.
Kantinenessen kenne ich gut. War bei der MITROPA. Man hatte nicht viel Auswahl. Tagesmenue ( Eintopf) oder Schnitzel mit Kartoffelsalat. Danach war ein Stehplatz in der U-Bahn für alle ein Vergnügen. Besonders für die eigenen Innereien, die punkto Einstieg in den übervollen Wagen ein Eigenleben zu entwickeln schien. So mancher Tage 'Aua'...und ein Schwur: Never Schnitzel mit Kartoffelsalat -pfui!

lg Shirley

Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: -
Zitat: (Original von shirley am 10.11.2012 - 08:02 Uhr) sorry, ich komm wieder, versprochen.

Huch? Äh, ja. :-D

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
shirley sorry, ich komm wieder, versprochen.
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Re: Re: d'accor in allen Punkten -
Zitat: (Original von Brubeckfan am 07.11.2012 - 19:02 Uhr) Nein, ich meinte keine andere Bezeichnung, sondern die Nichtexistenz ("Firmen verkneifen sich das"). Was dann individuelle Lösungen erfordert.

Und für Firmen gilt anscheinend: Je größer, desto Sozialismus.

Ach so! Jetzt habe ich das gerafft. Da hatte ich wohl 'nen ziemlichen Knoten in den Gedankengängen. Ja, das stimmt. Unsere Firma verkneift sich das auch, deswegen gehen wir rüber zu den Sozialwissenschaftlern. Immer wieder ein Abenteuer, sag ich dir.
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Brubeckfan Re: Re: d'accor in allen Punkten - Nein, ich meinte keine andere Bezeichnung, sondern die Nichtexistenz ("Firmen verkneifen sich das"). Was dann individuelle Lösungen erfordert.

Und für Firmen gilt anscheinend: Je größer, desto Sozialismus.
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