3.
Benedict
Ich sah Mutter schon von weitem. Sie redete mit Michelle von Bergmannsthal, ihrer ehemaligen Chefin. Dann winkte sie zu mir und lächelte. Ich winkte zurück. Versuchte ein Lächeln. Ging auf sie zu.
„Hallo Mutter.“ Ich umarmte sie und küsste sie auf die Wange. „Hallo, mein Sohn“, lächelte sie. „Michelle von Bergmannsthal kennst du sicher noch, nicht wahr?“
„Allerdings. Guten Abend“, lächelte ich auch zu ihr und gab ihr einen Handkuss. „Freut mich, dass Sie auch gekommen sind.“
„Danke. Die Freude ist ganz meinerseits, Benedict. Meine Güte, das letzte Mal habe ich Sie sicher vor zehn Jahren gesehen.“
„Ja, das kann gut sein“, lächelte ich. „Entschuldigen Sie mich, Frau von Bergmannsthal? Wir sehen uns sicher später noch.“
„Natürlich. Bis später.“
Ich lächelte ihr noch ein letztes Mal zu und ging dann zum Eingang um meinen Vater zu finden, der gerade telefonierte und mir kurz zunickte.
Nein. Bitte nicht. Mach, dass das nicht wahr ist. Die Hohenstein, meine Ex. Muss die mir jetzt auch noch den Abend versauen?!
„Ach, Anja. Ja, freut mich, dass du da bist. Guten Abend“, sagte ich trocken, als sie mir auch noch entgegenkam.
„O ja. Und wie ich mich erstmal freue“, lächelte sie mit ihrem falschen Gesicht.
„Schön. Dann sind wir uns ja ausnahmsweise mal einig. Entschuldige mich.“
Ich ging Vater entgegen, der nun auch mir entgegenlief und mir die Hand reichte. „Schön, dass du da bist, Benedict. Bei dem ganzen Lernstress sicher nicht einfach für dich, nicht wahr?“
„Momentan geht’s. Aber danke der Nachfrage, Vater.“
„Mit dem Studium ist wirklich alles okay?“
Ich spürte, wie sich wieder Schweißperlen auf meinen Händen bildeten.
Ertappt. Am Arsch, Junge. Er weiß Bescheid. Dein Vater weiß bescheid, dass du kurz vorm Rausschmiss stehst. Die Kingscross will dich nicht mehr und das weiß er.
„Ja, doch“, nickte ich. Langsam. Aber nicht zu langsam. „Ach, ist Alexander eigentlich da?“
Ich wollte unbedingt das Thema ablenken. Auch, wenn mein Bruder nicht das geeigneteste war, worüber ich eigentlich sprechen wollte, probierte ich es mit Alexander.
„Alexander kommt später. Er sitzt derzeit noch in meinem Büro und koordiniert meine Termine. Nicht nur meine, viel mehr unsere. Ich bin sehr stolz auf ihn und vor allem auf seine Arbeit.“
Ich nickte wieder.
„Und es wird nicht mehr lange dauern, dann kommst auch du zu mir in die Firma, mein Sohn“, zwinkerte Vater. „Ich bin mir sicher, dass du deinem älteren Bruder hundertprozentig das Wasser reichen kannst. In allen Belangen, Benedict.“
Wieder nickte ich.
Ja, ja, der gute Alexander. Ich kann ihm das Wasser reichen. Das wollen wir mal sehen, wenn ich das Studium überlebe.
„Ich hoffe natürlich – ohne dir Druck machen zu wollen – dass du das Studium genauso gut abschließt wie Alexander“, lächelte Vater mit seinem Geschäftslächeln.
Aha. Super. Danke. Natürlich möchtest du mir keinen Druck machen. Es ist ja auch nur so, dass Alexander als Jahrgangsbester von Kingscross das Studium mit Master in BWL abgeschlossen hatte.
„Natürlich“, antwortete ich steif und mechanisch. „Ich tu mein Bestes.“
„Das weiß ich. Ãœbrigens wird die Erbgroßherzogin Katharina von Traubing in einer Stunde antreffen. Vielleicht solltest du dich ein wenig mit ihr unterhalten, mein Junge. Das kann nur von Vorteil für deinen nächsten Auslandsaufenthalt sein. Ich hätte es gerne, wenn du mindestens ein Praktikum in Hongkong machen würdest. Glaubst du, das lässt sich einrichten?“
„Natürlich“, wiederholte ich.
„Ich bin wahnsinnig stolz auf dich, Benedict. Du wirst es in ein paar Jahren ordentlich zu etwas bringen, das spüre ich. Väterliche Intuition. Und darauf kannst du dich verlassen. So, wir sehen uns gleich beim Essen.“ Vater klopfte mir ein paar Mal auf die Schulter und ging dann in Richtung der Sanitäranlagen.
Eigentlich wollte ich mir eine Ruhezigarette gönnen, aber ich lief genau in die Arme von Manuel von Hohenstein.
„Hi“, sagte ich trocken.
„Hi“, kam es zurück. Manuel hatte gleich zwei Frauen im Arm, die wohl erst heute Mittag geupdatet wurden, denn die beiden Blondinen waren mir gänzlich unbekannt.
„Darf ich dir Cassandra Falkenheim und Lucy Sangmann vorstellen?“, lächelte er und zog dabei seine linke Augenbraue hoch.
„Angenehm“, lächelte ich zurück, genauso falsch wie ein Manuel Graf von Hohenstein und hauchte beiden attraktiven Damen einen Kuss auf die Hand.
„Deine Mätressen?“, lachte ich.
„Wenn du es so willst“, grinste Manuel und küsste beide Frauen nacheinander auf den Mund. „Bei dir sieht’s ja gerade noten- und frauentechnisch nicht toll aus, wie man hört und sieht, was?“
Oh mein Gott. Schlimmer geht’s immer. Typisch Hohenstein eben. Du meine Güte.
Ich bemühte mich, nicht die Augen zu verdrehen und ging wortlos an Manuel vorbei.
Wir hatten nicht nur einen Raum, nein, sondern gleich das komplette Nobelrestaurant gemietet und meine Eltern hatten es noch stilvoller als es von außen schon aussah her richten lassen. Das Dinner sollte scheinbar im größten Saal des Ladens stattfinden, der in der Mitte des Raumes mit einem riesigen Tisch bestückt war.
Ein kurzes „Danke“, als man mir Champagner anbot und ich setzte meinen Rundgang fort. Es war wohl Gottes Wille, dass mir eine weitere Ex an diesem Abend begegnete, die mir beim letzten Galadinner „aus Versehen“ ihren Champagner über mein weißes Hemd gekippt hatte. Gott sei Dank ignorierte sie mich aber oder sie erkannte mich nicht. Jedenfalls war ich selten so froh.
Selbst, als der Graf von Hohenstein senior selbst an mir vorbeilief und mich grüßte, blieb ich freundlich. Ich wusste, dass Vater mit ihm nicht gerade befreundet war, aber Gott sei Dank auch nicht befeindet. Ein kalter Krieg würde es wohl am ehesten beschreiben. Die Hohensteins als Feinde zu haben, konnte und durfte sich eigentlich niemand leisten. Zu einflussreich waren die Gräfin und der Graf selbst, zu mächtig, zu reich.
Sie konnten jeden vernichten, wenn sie nur wollten, waren eine der wenigen so genannten Global Player. Ich erwischte Vater sogar einmal dabei, als er uns, die Truchersheims, als Kreisliga denunzierte, was ja wohl gar nicht stimmte, wie ich damals dachte.
Im Laufe meiner nächsten Studiumszeit sollte ich allerdings eines besseren belehrt werden.
Kaum drehte ich mich wieder zum großen Haupteingang sah ich sofort Alexander, meinen älteren Bruder, im Arm mit seiner Freundin, der sich scheinbar galant mit einem Pressefuzzi unterhielt. Ich war erstaunt, denn Pressefuzzis waren zu unseren Galadinnern nie eingeladen; jedenfalls nicht, dass ich mal welche gesehen hätte.
Mittlerweile enterte eine Jazzband die kleine Bühne am Rand des Saals und gab ihre musikalischen Ergüsse zum Besten. Ich schaute auf meine Armbanduhr und war erstaunt, wie schnell die Zeit vorangeschritten war und ich ging ein letztes Mal vor dem großen Dinner in die Toiletten, um mich noch ein wenig frisch zu machen. Meine Augen schielten dabei regelmäßig nach links und rechts, konnten jedoch nicht die Erbgroßherzogin von Traubing entdecken, mit der ich mich laut meines Vaters ja unbedingt unterhalten sollte.
Das nächste Praktikum in Hongkong. Hatte mir gerade noch gefehlt. Am Arsch der Welt.
Wie willst du das überstehen, Benedict von Truchersheim, wenn dich schon Madrid an den Rande des Wahnsinns UND an den Rande des Burn Outs gebracht hat?!
Ich krempelte mir die Hemdsärmel hoch und ließ mir eiskaltes Wasser über die Pulsadern laufen. Für einen Moment stoppten meine Kopfschmerzen und ich fühlte mich wohl.
„Sie und Ihre Familie haben ja wirklich sehr prunkvoll auftischen lassen, Benedict, muss man sagen“, ertönte es plötzlich neben mir. Ich kannte die Stimme, vor allem aus den Nachrichten. Sie gehörte Richard von Huchting, der mit dem irren…
„Oh, Herr von Huchting.“ Ich wollte überrascht tun, aber erkannte, dass das wohl zwecklos war. „Schön, Sie zu treffen.“
„Danke, die Freude ist auch meinerseits“, lächelte er, nachdem er sein Jackett wieder übergezogen hatte. Ich schätzte ihn auf Mitte 50, jedenfalls sah der Baulöwe deutlich jünger aus, als er es scheinbar war. Attraktiv war er, ohne Zweifel – so weit man das als Mann beurteilen konnte. Anja jedenfalls, meine Ex, wäre ihm wohl um den Hals gefallen. Ein leichter Clooney-Verschnitt, dachte ich in diesem Moment und musste schmunzeln. Wäre da nur nicht die Geschichte mit seinem irren Sohn…
Dann sahen wir beide, wie die Leute immer mehr gen großen Tisch in der Mitte des Saales strömten. Vater musste zu Tisch gebeten haben und ich lächelte.
„Na dann, nach Ihnen, Herr von Huchting“, sagte ich freundlich, aber bestimmt und ging mit dem reichsten Manne Deutschlands zu Tisch, der – Gott sei Dank – aber nicht neben mir saß, wie ich einige Momente später fröhlich bemerkte.  Â
Nicht mal irgendeiner der Hohensteins nahm neben mir Platz, denn die Familie saß quasi am anderen Ende des Tisches.
Erleichterung.
„Na, Brüderchen?“, grinste Alexander zu mir und setzte sich mit seiner Begleitung neben mich. „Alles gut?“
„Könnte nicht besser sein“, log ich. „Und bei dir?“
„Auch. Was machen die Klausuren?“
„Denen geht’s gut. Denke ich.“
„Ganz schöner Witzbold, heute, wie?“ Alexander gab mir lachend einen Hieb in die Seite.
Ich bedankte mich, als mir die Vorspeise angereicht wurde und lächelte zu meinem Bruder. Ich wusste nämlich nicht, wie ich mich sonst verhalten sollte.
Ich hatte mich für den Spargelsalat mit Avocado und Cocktailtomaten umlegt mit Parmaschinken entschieden und wusste ja gar nicht, wie sehr ich das bei dem Geruch schon bereuen sollte.
Auf Alexanders Platz thronte hingegen die gewohnte Tomaten-Basilikum-Suppe des „Velvet“.
„Du meine Güte, Benedict, wie siehst du überhaupt aus? Du wirst doch nicht etwa kränkeln? Und jetzt auch noch so kurz vor der Klausurenphase, wenn ich mich recht erinnere? Herrje, herrje…“
„Du machst dir wirklich immer Sorgen um mich, wenn es am Unangebrachtesten ist, weißt du, Alex?“, antwortete ich. „Und nein, mir geht’s gut. Danke der Nachfrage.“
Wieder beobachtete ich, dass sich kleine Schweißperlen auf meinem Handrücken bildeten. Ich war nervös und Alexander wusste das. Woher ich wusste, dass er es wusste? Ich kannte ihn. Gut genug. Jahrelang. Ich kannte ihn wohl besser als er mich.
„Na, da ist mein kleiner Bruder aber ziemlich gestresst, kann das sein?“, fragte er, nachdem unser Vater die Begrüßungsrede beendet hatte und der sich unter Beifall wieder gesetzt hatte.
„Das Ãœbliche, Alex“, meinte ich, leicht genervt. „Du kannst doch von der Kingscross und ihren Vor- und Nachteilen ein Lied singen, oder etwa nicht?“
„Allerdings. Jetzt lass es dir aber schmecken.“
„Danke. Du dir auch. Ihr euch auch.“ Ich verbesserte mich schnell, als seine blonde Begleitung mich anlächelte.
„Und nach dem Essen machst du mich mal bekannt mit meiner neuen Schwägerin, oder was?“, fragte ich leise und musste kichern.
„Beizeiten“, antwortete Alexander nickend. „Beizeiten.“