Die sieben Todsünden
Mein Name ist Benno Herbig. Ich bin deutscher Botschafter in Ägypten, Kairo. Alle zwei Jahre fahre ich raus, in die Nähe von Gizeh, um dort erneut an der 'Schlacht bei den Pyramiden' teilzunehmen. Es ist jedes Mal ein Spektakel. Fünfhundert Freizeitsoldaten in chicen Uniformen verkörpern die französische Orientarmee und achthundert Mann in entsprechenden Gewändern geben sich als Mamluken.
Ich kämpfe wie in allen Schlachten bei den Franzosen.
Es herrschen 45 Grad im Schatten. Weit und breit nur Wüstensand.
Zusammen mit Achat, ein treuer Freund seit über 30 Jahren, sitze ich im Zelt und warte auf den Beginn der Schlacht.
Wir tauschen gerade unsere Erlebnisse vom vergangenen Jahr aus, da wird es still im Lager, zu still. Neugierig stehe ich auf und hebe die Plane vom Eingang zur Seite.
Unsere Augen treffen wie auch die Augen all der anderen Teilnehmer auf etwas sehr Ungewöhnliches.
"Was ist das?", fragt Achat erstaunt.
"Wenn ich es nicht besser wüsste, dann meinte ich, es wäre ein Wetterleuchten. Doch kann das nicht sein, nicht an diesem Ort", gebe ich zurück.
Ein helles Licht rast auf mich zu und durchdringt meinen Kopf. Ich verliere wohl das Bewusstsein, denn um mich herum verschwindet alles...
..."Hey! Tut mir Leid! Der Fahrstuhl ist kaputt. Ich musste dich so runterholen."
Langsam öffnen sich die schweren Lider meiner Augen und ich blicke in das Gesicht eines Mannes, den ich anfangs für einen der Schauspieler meiner Gruppe halte. Allerdings trägt er eine mir unbekannte Uniform.
"Was ist gerade passiert?"
"Oh, entschuldige! Du bist nun unter der Schlacht, wenn man so will. Ich bin Hades. Jedenfalls nennt man mich hier und dort so. Ich bevorzuge ja meinen
wahren Namen. Aber den verrate ich dir nicht", kichert der seltsame Kerl und schüttelt meine Hand. Im selben Moment hilft er mir auf die Beine, die noch immer etwas wackelig sind.
"Unter der Schlacht? Was reden Sie da? Wer sind Sie?"
"Hörst du nicht zu? Ich bin Hades" schnauft die Gestalt mit dem merkwürdigen Hut.
Ich winke ab und suche nach einer Richtung, in die ich gehen kann. Ich muss wohl die Orientierung verloren haben. Es ist Stockdunkel.
"Ich weiss nicht, was passiert ist. Oder wie ich herkam. Doch der Trick ist fabelhaft."
"Das ist kein Trick, Benno. Warte! Ich beweise es dir."
Hades läuft ein paar Meter in die Dunkelheit und zeigt dann zehn Schritte neben sich.
Ich erkenne eine Art Fluss. Doch für Genaueres ist es zu finster.
"Siehst du! Das ist der Styx. Und dort, oh warte! Ich mach etwas Licht. Ich vergesse immer, dass ihr Erdlinge hier unten so blind wie Fledermäuse seid. Dort, siehst du, sind meine Lieblinge", zeigt er in euphorischer Freude.
"Sind das...?"
"Ja, meine lieben Sackres. Du dürftest sie besser als Terrorvögel kennen. Sind
sie nicht Herzallerliebst? Du hast nicht zufällig etwas Mayonnaise dabei? Sie fahren total auf das Zeug ab."
"Nein."
"Naja, auch gut. Dann nehmen wir den Gasbrenner, um sie zu verscheuchen. So drollig sie sind, aber sie haben allesamt einen Dickschädel. Lassen keinen vorbei. Wer den das beigebracht hat", schüttelt Hades beinah verzweifelt den Kopf mit dem merkwürdigen Hut.
"Also ich verstehe gar nichts mehr. Warum bin ich hier? Verdammt!", fordere ich energisch eine Antwort.
"Hast du eben geflucht? Ist ja wundervoll. Nein im Ernst. Du bist natürlich wegen der sieben Todsünden
hier."
"Todsünden? Ich?"
"Hat dich denn niemand informiert? Ich schickte doch die Peegel aus. Ach, diese Taugenichtse. Haben sich sicher wieder im 'ElPharaons' vergnügt und den Auftrag verpennt. Typisch!"
"Peegel? Ihr nehmt mich auf den Arm. Wo ist die Kamera?"
Völlig die Irritation des Botschafters ignorierend, zeigt Hades mit seinen geschmeidigen Händen an sich herunter:"Und wie findest du mein neues Outfit? Ich habe es bei der letzten UndergroundMesse erstanden. Ich finde, es passt gut zu euch Freizeitsoldaten. Allerdings ist diese Uniform echt. Sie
gehörte einst keinem Geringerem als Napolèon Bonaparte."
"Rosa Knöpfe und dieser merkwürdige Hut", stelle ich amüsiert fest.
"Ja, die Mode war dieser Zeit etwas feminin, zugegeben."
"Okay, zurück zum Thema. Was soll ich hier?"
"Ich ärgere mich nun seit hunderten von Jahren über euch da oben. Einst verfasste ich die sieben Todsünden."
"Ihr?", unterbrach ich.
"Ja wohl! Ich verfasste sie. Glaubt es oder nicht. Darum geht es nicht. Vielmehr was ihr daraus gemacht habt. Ich möchte, dass du die Menschen wieder auf den rechten Weg führst. Hier
unten geht sowieso schon alles drunter und drüber. Da muss wenigsten oben Ordnung herrschen."
Ich schüttel den Kopf. Die Luft ist unerträglich heiss, schlimmer als in der Wüste über mir. Sofern sie über mir ist.
"Möchtest du einen Schluck Wasser, Benno?", fragt mich Hades und bietet mir einen Becher.
Gierig nehme ich das Gefäss, wo immer er es her hat und schlucke alles herunter.
"Kein Schluck für mich?", schaut Hades enttäuscht und lächelt dann aber.
"Tut mir Leid!"
"Völlerei, Wollust, Hochmut, Geiz, Zorn, Neid und die Faulheit."
"Sie sind mir bekannt."
"Ja, sie kennt wohl jeder. Aber was macht der Mensch mit meinen Regeln? Ihr habt alles verdreht. Wieso glauben eigentlich so viele von euch, dass Masturbation in die Hölle führt?
Wozu glaubst du, haben der da oben und ich uns den ganzen Geschlechterkram ausgedacht? Zur reinen Fortpflanzung nicht. Das ginge viel einfacher. Spaß! Und Trost in einsamer Stunde! Wärme", schwärmt Hades.
"Da bin ich aber erleichtert", ist das Einzige, was mir dazu einfällt.
"Woodstock war mein letzter Versuch, euch den rechten Weg zu Weisen. Hat
allerdings nur kurz gefruchtet. Ihr seid so verklemmt, wenn es um die schönen Dinge geht. Und skrupellos in echten Sünden."
"Ich dachte, Woodstock kam aus Mr Michael Langs Köpfchen."
"Das Festival, aber nicht der Gedanke, den versprühte meine Wenigkeit."
"Nun gut. Aber was soll ich nun hier?"
"Hier! Ich habe eine neue Liste gemacht. Etwas detaillierter. Bring sie unter die Leute!"
"Ich?"
"Ja, du! Ich hab es satt, dass ständig Leute vor meinem Tore stehen und um Vergebung betteln, wo sie hier gar nichts verloren haben. Hast du eine
Ahnung, was das für jährliche Kosten sind, diese Irrlichter mit dem Shuttle wieder auf den rechten Weg zu weisen?"
"Oh, das kann doch nur ein schlechter Traum sein", huste ich in die Dunkelheit.
"Schau! Da vorn!"
"Der Kerl dort? Sieht aus wie..."
"Ja, der gute, alte Adolf. Tausend Peegel waren nötig, ihn hierher zu schaffen. Er gehört wahrhaftig hier her. Verdammt in alle Ewigkeit."
"Verdammt. Also wenn ich schon einmal hier bin, dann erlaubt mir die Frage: Wie sieht denn so eine Verdammnis bis in alle Ewigkeit aus?"
"Oh, das ist ganz einfach. Jeder, der hier her kommt, wiederholt bis in alle
Ewigkeit und in Einsamkeit seine Todsünde."
"Wirklich für immer?"
"Naja, nach dreihundert Jahren kann man in Berufung gehen. Mit ein bisschen Glück geht es dann nochmal zurück auf die Erde. Kam aber erst neunhundertdreiundvierzig Mal vor."
"Wer ist das dort?", zeige ich auf einen dicken Mann, der gekrümmt in einer Kuhle liegt und beschämend an seinem Daumen lutscht.
"Ha, einer meiner Lieblinge. Ein Vergewaltiger, wie er im Buche steht. Konnte es einfach nicht sein lassen. Dank mir und meiner 'Verdammt in alle Ewigkeit' - Klausel hat er seit nun mehr
50 Jahren eine Dauererektion. Glaub mir, das ist für ihn kein wenig komisch."
"Und was ist mit Hitler?", frage ich jetzt neugierig.
"Das war echt schwierig.Viele Todsünden. Mit Völlerei angefangen, gefolgt von Neid, Hochmut, na das volle Programm. Ich fand etwas sehr Nettes. Alle dreißig Minuten muss er dort diesen Gashahn aufdrehen und sich so praktisch selbst vergasen. Dann klappt er kurz zusammen, nur um dann erneut den Hahn aufzudrehen. Das geht nun Tag ein, Tag aus so. Langweilig. Ich überlege schon, das zu ändern. Er ist so abgestumpft. Da muss was Neues her.
Vorschläge?"
Hades nimmt den Gasbrenner und verscheucht erneut die Sackres, wie er sie nennt. Dann nimmt er meine Hand und schaut mich mit fast traurigem Blick an:"Machst du, was ich dir aufgetragen habe? Ich hatte schon zweiundfünzig Mal 'Burnout'. Ich weiss nicht, ob ich das noch ein weiteres Mal durchstehe."
Ich versuche, durchzuatmen. Fast unmöglich bei dieser Luft.
"Ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen soll, aber ich werde mein Bestes tun", nicke ich ihm zu.
Er lächelt und zielt dann mit seiner enormen Faust in mein Gesicht. Das
letzte, woran ich mich erinnern kann, ist wie er sagt: "Entschuldige! Aber der Fahrstuhl ist kaputt."
An dem Tag gewann unsere Armee, wie immer.
Das war das letzte Mal, dass ich als Freizeitsoldat loszog. Ich hängte meinen Job an den Nagel, studierte Theologie, wurde geschieden und pilgerte neun Jahre durch alle Welt.
Am 13. Januar 2011 verstarb ich nach einer Lungenentzündung und kam direkt in die Hölle...als rechte Hand von Hades oder wie er wirklich heisst.
(c) Shirley
11/2012
picture by Janusz Klosowski