Was, woher, wofür, wohin - Mein Kassenbuchbeginn
Mit 12 Jahren übernahm ich von meinem Bruder den Job, beim Bäcker in der Nachbarschaft zu helfen.
Vier Jahre, bis zum Ende der zehnten Klasse, dauerte das Hilfsarbeitsverhältnis ohne Vertrag bei Lina und ihrem Neffen, dem Bäckermeister Siegfried. Linas Mann, der ehemalige Meister, war aus dem WKII nicht heimgekehrt und so hatte man Jung-Siegfried aus dem Vogtland einbestellt und anfangs war sogar der alte Chef, Walters Vater Wilhelm noch im Geschäft.
Meine Hauptaufgabe war Putzen. Wände, Böden und den Schragen.
Immer am Sonnabend, wenn das letzte Brot verkauft war, wirbelten ich und zwei weitere Hilfsmädchen durch alle Räume und machten sauber.
Der Brotschragen wurde auf den Hof gestellt und mit einem Eimer heißen Wasser, etwas IMI und ner Wurzelbürste musste ich unter einer schwarzen Schicht das helle Holz hervorbürsten. Oder Holzkloben hacken. Dabei konnte ich die ganze Wut auf meinen Alten kompensieren. Und Muskeln gab’s kostenlos dazu.
Meine Entlohnung war aus heutiger Sicht gering. Für den ganzen Samstagnachmittag gab es zu Beginn 5,-- Mark und am Ende waren es 20.
Es war mehr als ein simples Taschengeld und ich weiß heute nicht einmal zu sagen, ob es so etwas kontinuierlich gab. Mein Vater war extrem sparsam, eher schon geizig. Hatten wir eine „Eins“ heimgebracht gab es eine Mark, eine „Zwei“ war OK und ne „Drei“ musste Mutti unterschreiben.
Mit Auftauchen meines neuen Reichtums entwickelte der Alte eine typisch buchhalterische Idee – ein Kassenbuch.
„Ich schreibe dir oben folgende Spalten auf: Tag, was woher wofür wohin, Eingang, Ausgang und Bestand“ dozierte mein Erzeuger und ich war sauer. Wieso verwaltet er mein Geld?
Ich sollte den Umgang mit Geld lernen.
Teil der Übung war ein Rapportsystem. Vater Rudi lies mich antreten. Wie meine Mutter musste ich an seinem heimischen Schreibtisch antreten und mein Kassenbuch vorlegen. Die Angaben wurden akribisch geprüft. Dazu kam der aktuelle Bestand meiner Geldbörse. Manko war sehr schlecht und selbst wenn ein oder zwei Pfennige (so hieß das früher) zuviel waren erklärte er sachkundig: „Überschuss ist genauso schlimm, wie Manko“ und schrieb handschriftlich am Rand den Zugang mit dem Datum der Kontrolle und seinem Kurzzeichen.
Dann kam der Höhepunkt, denn bei einem Bestand über 10 Märkern wurde ich per Ukas verpflichtet, diese auf’s Sparbuch einzuzahlen.
Dennoch hatte ich dann die Freiheit, mir etwas anzuschaffen, was meinem Geschmack entsprach. Hintergrund war 2 Jahre später die Jugendweihe, zu der er mir einen Anzug mit Goldknöpfen andockterte, weil der preisgesenkt war.
Ein Jahr später kaufte ich mir vom eigenen Geld ein Sakko nach meinen Vorstellungen und Schuhe nach meinem Geschmack – so schmeckt Freiheit.
Was waren die Spätfolgen des Kassenbuches? Ich lernte die Preise auswendig und wenn ich Kippen kaufte, schrieb ich einfach mehrere Vita Kola oder Süßkram auf. Außerdem wurde ich sparsam bis geizig und schnorrte Zigaretten.
Jahre später fiel das mir auf die Füße, wenn mich die Kumpels fragten, wo meine „Rauchwaren“ sind. Damit war ich gekennzeichnet und ich versuchte noch lange danach einen kleinen Vorteil aus einem Handel zu ziehen. Ein Beispiel war der Weiterverkauf von Heizlüftern und Petroleumlampennachbildungen aus der VR Polen. Bei dem Deal habe ich stets 10 – 15 Mark gut gemacht, leider war die Zahl der Verkäufe gering und das Ende absehbar.
In den ersten Tagen unserer Ehe habe ich auch angefangen, die Kosten minutiös zu erfassen, nach wenigen Wochen gab ich es auf.
Mein Vater hingegen hat sein Leben lang jede Einnahme und Ausgabe verwaltet und hat am Schluss noch nicht einmal die Erkenntnis der Sinnlosigkeit seines Tun gewonnen.
2012-11-03 jfw