Das Päckchen und der Bettelstab 7
Â
Nanitunas Regenbogenlächeln
Â
Der Tag, an dem ich dieses Gerät, dass mein Herz überprüfen sollte, trug, er war nach dem aufregenden Ereignis auf dem Flur noch nicht beendet.
Â
Noch einmal griff heute eine eiskalte Hand nach meinem Herzen und wieder schien es, als könne ihm keine noch so schreckliche Geschichte etwas antun. Es tat seine Arbeit, völlig ruhig und ausgeglichen, laut der Aufzeichnungen. Habe ich etwa ein zweites, unsichtbares Herz, das da vor Aufregung fast zerspringt und klopft und hüpft, als wolle es aus meiner Brust?
Â
Es muss wohl so sein und es hat diese besondere Beziehung zu meiner Seele. Beide weinten nach Trines Erzählung, ihr verzweifeltes Schluchzen hielt mich in dieser Nacht vom Schlafen ab und beschäftigte mich noch lange, lange Zeit später.
Â
Als der Hase nach dem aufregenden Erlebnis nach Hause fuhr, kam ich völlig fertig ins Zimmer zurück. Trine meinte, ich solle mich lieber hinlegen, bevor ich aus den Latschen kippte. Darüber lachte ich, erst ein wenig, dann aber aus vollem Hals. „Aus den Latschen kippen“, das war gut, weil es ja genau eben passiert war, nur mir nicht. So erzählte ich nach meinem hysterischen Lachanfall meiner Zimmergenossin vom Geschehen.
Â
Es war rührend, als sie aufstand und mich in den Arm nahm. Das hatte sie schon einmal getan, als sie merkte, wie traurig ich war, dass mein Sohn sich in drei Wochen noch nicht einmal gemeldet hatte. Diesmal stand sie neben mir und streichelte sanft meinen Kopf. „Oh, mein Gott, was für ein Schock! Wie schnell du reagiert hast!“ Immer mehr sprudelte aus ihr heraus. Sie lobte mich und fragte natürlich, was mit dem Patienten sei und hinterfragte jedes Detail.
Â
Auch wenn wir uns so intensiv darüber unterhielten, es lenkte mich ab und ich begann, wirklich ruhiger zu werden. Ãœber Tonis tollen Spruch konnte Trine sich gar nicht genug aufregen. „Hoffen wir mal, dass hier niemand in eine lebensbedrohliche Situation kommt, wo jede Sekunde zählt. Der arbeitet doch mit dem Sensenmann zusammen, hab ich das Gefühl.“
Â
Ich lächelte. Nee, Toni war selbst dem Tod zu langsam, da war ich mir sicher! Eine Zeit lang erzählten wir über ganz normale Dinge, bis ich dann nach ihrer Familie fragte. Da wir über die komplizierte Ehe und ihren absolut süßen Sohn Schippi bereits gesprochen hatten, wusste sie, dass ich wissen wollte, woher sie eigentlich kam. Ihre Familie kam ursprünglich aus Angola, das heißt davor, Generationen davor –ki kongo-, also aus dem Kongo. Makela hieß die Stadt, in der sie geboren wurde.
Â
Sie erzählte von der Sprache, die aus dem Kongo stammt und eigentlich eine Stammessprache ist. Lingala ist eine sehr einfach zu lernende Sprache. Viele Worte haben die gleiche Bedeutung und wenn Trine Lingala sprach, hörte sich das schön an. Ich dachte eigentlich die Hauptsprache Angolas wäre Französisch, aber da irrte ich mich. „Bei uns herrschten die Portugiesen und dann der weiße Mann!“, erzählte Trine. „Das ist bis heute so und wird sich wohl nicht ändern. Zudem fallen die Chinesen in unser schon gebeuteltes Land ein. Sie stehen am Straßenrand und verkaufen Wasser, aber eigentlich haben sie ihre Hände überall drin!“
Â
Ich wollte nicht unhöflich sein und sie unterbrechen. Es interessierte mich, ob sie mit Chinesen, wirklich Chinesen meinte, aber diese Frage blieb ungefragt. Dann kam sie umständlich auf das eigentliche Thema.
Â
„Weißt du?!“, sagte sie, Ich habe diese Krankheit seit 13 Jahren, vielleicht sogar schon länger und durch die vielen Medikamente, naja, man hat mir abgeraten Kinder zu bekommen. Aber das ging doch nicht, sie wären doch umsonst gestorben!“ Mit einem Lächeln, indem sich Tränen in ihren wunderschönen Augen bildeten, sah sie mich an. Ich nannte sowas immer ein Regenbogenlächeln. Wenn die Sonne scheint und es zuvor regnete, oder dabei, dann kann man danach oft einen wunderschönen Regenbogen sehen.
Â
Es war ein so anrührendes Lächeln, dieses Regenbogenlächeln. „So leben sie doch weiter in meinem kleinen Schippi. Meine Eltern leben durch ihn im Geist. Sie wurden im in den Unruhen des Bürgerkrieges getötet, als ich eben so alt war, wie Schippi heute. Ich weiß nicht, was mit meinen Geschwistern passierte, doch eine weiße Frau, die mit einem meiner Cousins verheiratet war, kam zurück, hier nach Deutschland. Das war Anfang der neunziger Jahre und sie nahmen meine Cousine und mich mit. Für sie, die Geld hatte, kein Problem, Papiere wurden gekauft.
Â
Man sollte meinen, es wäre uns hier besser gegangen, aber die Frau, sie hatte eigene Kinder, Mischlinge und weiße. Als mein Cousin sie verließ, da wurden wir zu ihrem Spielball. Sie hatte eine eigene Reinigungsfirma und wir, wir wurden ihre Sklaven. Wir schufteten die ganze Nacht in Großraumbüros, während sie danebensaß, und eine Zigarette, nach der anderen rauchte und Kaffee trank und auch Alkohol.
Â
Danach ging es in die Schule, in der ich ständig einschlief. Ich hasse die Lehrer, sie hätten es dem Jugendamt melden müssen, genau, wie die Nachbarn in unserm Haus. Sie konnten unserer Schreie nicht überhören, wenn die Frau uns schlug, mit allem, was ihr zwischen die Hände kam. Alle haben es gewusst, aber niemand hat geholfen. Zu Ärzten ging sie nicht mit uns, wegen der Narben und wenn doch, war alles nur, weil wir so wild waren. Selbst die Ärzte haben ihren Blick abgewandt.
Â
Ich konnte niemanden etwas erzählen, sie hatte gedroht, meine Cousine umzubringen. Ich war mir sicher, das war keine leere Drohung. In der Schule und auf dem Heimweg wurden wir meistens dann noch gejagt. Sie haben uns wegen unserer Hautfarbe gehasst und weil wir so ärmlich bekleidet waren. Wir waren zu müde zum Spielen und immer hungrig und eines Tages, da hatte Gott ein Einsehen. Ich fiel einfach um, so krank wurde ich und mein geschwächter Körper, naja, er legte sich schlafen!“ Trine beschrieb das Koma, in das ihr so kleiner und geschundener Körper und ihr so misshandelter Geist fielen.
Â
Da musste plötzlich gehandelt werden, vor allem, weil sie sich weigerte, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Immer wenn es hieß, sie komme am nächsten Tag raus, bekam Trine Fieber. Die Ursachen, naja, ein Kinderpsychologe hat da mal richtig hingehört und so ergab eins, das andere. Die Mädchen kamen in ein Kinderheim, genau in das, das unserer Station etwa drei Häuser weit gegenüberliegt.
Â
Aus Trine wurde plötzlich wieder Nanituna. Dies ist ihr eigentlicher Name und das Kind wurde neu geboren. Die Narben auf der Seele sind aber bis heute nicht verheilt. Sie hasst die Frau, die dummerweise meinen Namen, also Simone, trägt. „Ich wollte dich allein dafür hassen, weil du heißt, wie sie und auch, weil du blond bist, wie sie. Aber ich kann nicht, ich kann dich nicht hassen, du bist so ein lieber Mensch!“ flüsterte sie mir ins Ohr.
Â
Wir hatten uns bei den Händen gehalten, während sie mir alles erzählte. Sie erzählte, wie grausam die Weißen mit ihren Landsleuten umsprangen. Sie erzählte, wie grausam Armut macht und ihre eigenen Leute, anderen das wenige nahmen, was sie hatten. Es musste sich nur eine Gelegenheit bieten. „Wenn dich jemand stört, dir einfach nicht gefällt, wie er dich ansieht, dann brauchst du nur ein wenig Geld bezahlen und es gibt morgen diesen jemand nicht mehr. Erwähne das Wort Voodoo und du bist geächtet, aber auch gefürchtet. Aberglaube ist das, was das Volk am meisten fürchtet.
Â
Schippi wird diese Welt kennen lernen müssen, damit er weiß, was er hier hat. Ich liebe ihn, doch seine Wurzeln, die muss er kennen!“ Ich hatte ihren süßen kleinen Sohn kennengelernt. Ein zauberhafter Wildfang, der sich einmal in meine Arme warf und nicht mehr gehen wollte. Er nannte mich „Omi“, nicht wegen des Alters, sondern weil die Betreuerin von Trine aus dem Kinderheim, seine „Omi“ war. Es war also eine Auszeichnung für mich. Das betonte Trine den ganzen Abend. Trines Betreuerin, also ihre einzig wahre Mom hier, habe ich auch kennengelernt und das Verhältnis der beiden hat mich gerührt.
Â
Ich denke, sie hat ihr mit ihrer liebevollen Art gezeigt, dass es anderes gibt als Hass, Tod und Schläge und Trine wurde deshalb auch ein wenig aufgefangen. Wenn wir miteinander reden, dann höre ich raus, wie „rassistisch“ sie oft ist und wenn sie meinen Blick auffängt, naja, dann entschuldigt sie sich. Doch wofür? Sie erlebt diesen Fremdenhass täglich, wie kann ich ihr verübeln, dass sie sich wehrt?
Â
Wir sprachen über Gott, der ihr wichtig ist. Wir sprachen über religiöse Beschneidung und ich machte sie fast wütend, weil ich nicht einsehen wollte, dass man als Mom seinem Kind das doch nicht ohne Betäubung antun kann. Es war alles so voller Gefühl an diesem Abend und ich begann diese kleine Frau, mit dem großen Paket, was sie zu schleppen hatte, in mein Herz zu schließen. Es war nicht unser letztes Gespräch. Dann als ich entlassen wurde, naja, sie weinte, wie ich auch, aber unter dem Regenbogenlächeln versprach ich ihr, ich würde mich oft melden.
Â
Instinktiv hatte ich angerufen, weil ich das Gefühl hatte, sie brauchte mich. Ihr Handy hat geläutet und geläutet, doch Trine, sie konnte nicht antworten. Sie lag, ohne Besinnung im anderen Teil des Krankenhauses, auf der Intensivstation. Die starken neuen Medikamente hatte sie nicht vertragen.
Doch Trine kämpft immer. Als ich endlich mit ihr reden konnte, sagte sie: „Wenn sowas nun schon passieren muss, dann ist es doch gut, dass es hier passiert und nicht bei Schippi zu Hause.“ Trine findet in allem auch etwas Gutes.
Â
Ihr Schicksal ist ein besonders berührendes. Sie hat das große Pech, dass die Männer um sie herum, also auch ihrer, diese Krankheit nicht akzeptieren. Selbst einige Frauen reden hinter ihrem Rücken und auf Arbeit, als Altenpflegerin, da hat sie es doppelt schwer. Ihr Päcklein wird irgendwie schneller groß, als bei anderen und den Bettelstab um an Türen zu klopfen, immer und immer wieder, den braucht sie besonders.
Â
Ich werde sie bestimmt noch ein wenig begleiten, zumindest, solange sie will. Gut, dass sie so viele Freundinnen hat, sie sind immer für sie da.
Â
Also Nanituna, nalinga kaju! Tikala malamu! (Ich hoffe, es ist kein Kauderwelsch, wenn ja, ein guter Grund, sie anzurufen, um ihre so herrliche Lache zu hören. Ich habe auf Lingala versucht zu sagen, dass ich sie liebhabe und ein Wiedersehen versprochen!
Â
Â
Mein größter Wunsch ist es, dass sie und all ihre Landsleute hier respektiert werden, dass sie keine Angst mehr haben müssen im Dunkeln auf die Straße zu gehen, dass sie die Chance haben dürfen sich in unsere Gesellschaft zu integrieren und dabei jedoch niemals ihre Wurzeln verleugnen müssen. Ich wünschte sie wären glücklich!
Â
Â
© Simone Scheuing 2012
Â
Â
 Â
 Â
Â
Â