Johanna Niemeyers Träume von der vorgetäuschten Straftat und die Erklärung, warum religöse Schriften auf dem Index stehen. Titelbild: www.pixelio.de/©Gerd Altmann/PIXELIO
Noch ein paar Stunden vergingen mit fröhlicher Sportbetätigung. Dann trennten sich die Freundinnen und machten sich zu ihren Wohnungen auf.
Abgesehen von der sonst vollkommenen Durchplanung des Tages erlaubte man den Tagarbeitern, wie Johanna und Nora es waren, dass der Abend und die Nacht ihnen zur freien Verfügung stehen. Man hat sich aber auch hier gesellschaftsdienlich, also im Rahmen der Gesetze zu verhalten, wie es jede Gesellschaft zu Recht fordert. Doch hier konnte man in der Tat frei über sich und seine Zeit verfügen. Es war sozusagen der absolute Hort vollkommener Freiheit in einer planmäßigen Welt.
Johanna fuhr mit dem Fahrstuhl in den 20ten Stock und schloss ihre Wohnung auf. Das Apartment war großzügig mit Stoffen ausgelegt. Ein paar geschmackvolle Imitationen hingen an der Wand. Alles war auf absolute Funktionalität bedacht und gleichzeitig auf Ästhetik ausgerichtet.
Den Mantel hing sie in die Garderobe. Dann entledigte sie sich ihrer Absatzschuhe, indem sie sie einfach von den Füßen gleiten ließ, direkt auf den Boden. In der Küche schenkte sie sich ein Glas Rotwein ein und trat damit vor den Spiegel.
Sie drehte sich vor dem Spiegel mehrmals herum und betrachtete sich von allen Seiten. Was war denn? Sie sah besser und weiblicher aus als jemals zuvor. Die engen Kleider betonten ihre Kurven perfekt. Die schlanke Taille wippte bei jedem Schritt anziehend und ihr Blick versprach Abenteuer. War es aber eben gerade das? Das lange schwarze Haar, das so geheimnisvoll bläulich schimmerte und ihre stahlblauen Augen, die einen vollkommenen Kontrast dazu bildeten. Lud sie so nicht gerade zu nicht mehr ein als dem schnellen Vergnügen? Wieso bekam sie keinen Man, der sie um ihrer Selbstwillen liebte und achtete, mit dem sie mehr erleben konnte als Sex, der ihr mehr bieten konnte, der ihren Geist befriedigen konnte, nicht nur ihren Körper?!
Sie stellte das Glas auf ein Tischchen und warf sich auf das daneben platzierte Sofa.
Vor wenigen Tagen war ein Mann durch diese heiligen Hallen gewandert, der ihr alles hätte sein können, doch er hatte eine Andere und wollte nur mal eine Appetitanregung von woanders, wie er es nannte. In solchen Momenten kam sie sich billig vor.
Sie hatte einen Traum. Er war gegen die rigiden Regeln gerichtet. Sie träumte davon einen Freund zu haben, mit dem sie ungeschützten Geschlechtsverkehr haben würde. Und dann, nach Beendigung des Aktes, würde sie ins Bad verschwinden, heimlich die Pille nehmen und dem Herrn erklären, sie habe keine Lust zur Verhütung.
Auch hier muss man erklären. In Ihrer Zeit würden sie fragen, was da so schlimm dran sei, außer, dass sie vortäuschte schwanger zu werden. Das war zwar auch nicht erfreulich, wenn man kein Vater werden wollte, aber nicht ungesetzlich.
Im Jahre 2112 ticken die Uhren allerdings anders. Es wurde bereits angesprochen, dass die Bevölkerungszahl streng überwacht wird. Allerdings reicht es nicht aus allein zu beobachten was geboren wird, sondern auch, wann es beginnt. Nur so lassen sich exakte Zahlen ermitteln. Zudem können Straftaten vorgebeugt werden. Der ungeschützte Geschlechtsverkehr ohne Verhütung ist immer zu in der jeweiligen Meldestelle der Zentrale für Bevölkerungsentwick-lung zu melden, damit man weiß, dass entsprechend Kinder zu erwarten sind. So kann man ermitteln, wie viele Erdenbürger demnächst zu erwarten sind und ob man sie direkt einfrieren muss oder den Eltern zumindest ein Kind lässt. Die Ärzte sind auch verpflichtet, nach den Routineuntersuchungen die Ergebnisse sofort den zuständigen Behörden zu übermitteln. Sollten die werdenden Eltern die Schwangerschaft nicht angezeigt haben, was sich spätestens im Krankenhaus zeigt, sind sie strafrechtlich zu bestrafen.
Dazu die Strafzumessungen aus dem Internationalen Strafgesetzbuch:
Unangemeldete Empfängnis (15 J. für beide Geschlechter) ebenso wie Verschleierung der Geburt (25 J. für Mutter; auch für biologischen Vater, sollte er von Geburt gewusst haben, sonst nur 15 Jahre wegen unangemeldeter Empfängnisunterstützung) sind strafbar, wobei die Geburtsverschleierung als Qualifikation die unangemeldete Empfängnis konsumiert. Gegen eine Strafsummierung hatte sich bei den Kodifizierungen des Internationalen Strafgesetzbuches hatte sich eine Mehrheit gefunden. Es ist aber noch heute eine vertretene Mindermeinung die Summierung von Strafen zu fordern. Gerade in Nordamerika ist diese Meinung gar vorherrschend.
Doch was sollte das alles? Sie wünschte sich eine Straftat vorzutäuschen? Einen ganz gemeinen Scherz zu machen! Aber das würde sie sowieso niemals machen, stellte sie bitter fest. Sie war viel zu gesetzestreu, als dass sie auch nur so etwas tat. Abenteuer, das versprach ihr Blick, aber nicht für sie. Sie selbst war ein Wurm, in der Masse der Würmer, nichts anderes!
Weinend vergrub sie ihre Hände in der Lehne. Abenteuerlust hatte sie in der Realität nicht wirklich, jedenfalls verwirklichte sie diese nicht. Nur Träume blieben und Träume würden es bleiben, anders konnte es gar nicht sein. Diese Armseligkeit machte sie rasend vor Wut gegen sich selbst.
Nachdem sie eine ganze Weile so weinend dagelegen hatte blickte sie auf, erblickte das Glas mit Rotwein und kippte es in einem Zug hinunter. Das wärmte wenigstens und half ein wenig.
Sie erhob sich und betrachtete sich im Spiegel. Die ganze Schminke war verschmiert. Sie ähnelte nun Alice Cooper. Darüber geriet sie ins Lachen und begab sich beschwingt zu ihrem kleinen Wandtresor. Darin bewahrte sie einen ganz besonderen Schatz auf, der keinen Marktwert, aber einen ideellen Wert hatte, der unermesslich war.
In dem Tresor befand sich eine Bibel in deutscher Sprache. Nun werden Sie, geneigter Leser wieder stutzen und sich fragen, wieso dies so toll ist.
Primär geht es um das Religionsverbot. Auf der Weltkonferenz 2026 fragte man sich, was man mit den Religionen machen sollte. Schnell bildeten sich zwei Lager.
Die Einen glaubten, dass man an den Religionen weiterhin festhalten sollte. Man wollte die guten Gedanken und Aspekte der Religion bündeln und so eine eigenständige Religion schaffen, die den Menschen der neuen Weltordnung ein wahrer roter Faden zum Seelenheil sein konnte.
Die andere Seite war davon überzeugt, dass Religion für diesen Krieg ursächlich war. Man machte die Konflikte in der arabischen Welt mit dem Judentum dafür verantwortlich und führten die angeblichen Gotteskrieger an, sowie die Verfehlungen, die unter dem Namen Gottes durch die Jahrhunderte begangen worden sind.
All diese Argumente wurden gegeneinander abgewogen und schließlich setzten sich die Befürworter der Religionsabschaffung durch. Allerdings kam man der anderen Seite ein wenig näher, indem man selbst erkannte, dass man ganz ohne Religion nicht sein konnte und deshalb eine Quasireligion schuf, die aber die Werte der Weltordnung vertrat, den sogenannten Fortschrittlichen Utilitarismus. Wie sich dieser ausgeprägt hat wird der Leser zu einem späteren Zeitpunkt noch erleben dürfen.
Auf dieser Grundlage erging das Urteil, dass die alten Religionen nur Hass in die Welt bringen, weshalb man ihre Schriften verbannte und vernichtete. Die Verbreitung solcher Ideen ist unter Strafe verboten. Die Freiheitsstrafe dafür beträgt 20 Jahre.
Doch Johanna hatte verbotenerweise noch eine solche Schrift bei sich. Und auch ein paar andere solcher Bücher hatten die Säuberungsaktionen überstanden. Doch die Religionsforscher des Goldenen Zeitalters waren schwer damit beschäftigt aus den alten Schriften jedes kleine Fitzelchen herzunehmen und daraus negative Wirkungen und schlimme geschichtliche Beispiele konstruiert, denen man schwerlich widersprechen konnte, da man keinen Vergleich hatte. Doch diese Bibel hatte überlebt, weil ihr Großvater sie auf dem Dachboden unter einer Bodendiele versteckt hatte, wo die Beamten der Geheimen Staatspolizei nicht nachgesehen hatten. Und so hatten sich solche und ähnliche Schätze dem Zugriff der Vernichtung entziehen können, wobei dieser hier zufälliger Natur war. Natürlich bemühten sich die Behörden jede Verbreitung zu unter binden und Bewahrer solcher Schriften unschädlich zu machen und die noch vorhandenen Bestände zu vernichten, doch das war nicht so einfach möglich, denn niemand wagte es damit laut zu prahlen.
Ein dagegen unproblematisches Deutsch-Englisch Wörterbuch hatte ihr ebenfalls der Großvater überlassen.
Und auch dies bedarf der Erklärung. Die wichtigsten Sprachen wurde zu den allgemeinen Sprachen erklärt. Das sind Englisch, Mandarin, Russisch, Hindi und Spanisch. Diese Sprachen werden in den jeweiligen Verwaltungseinheiten einheitlich gesprochen, so in Europa Englisch, zu dem auch Berlin gehört. Diese Praxis hat sich immer mehr eingebürgert, denn man will so wenige Sprachen wie möglich haben um schließlich im Laufe der Zeit eine einzige Sprache zu haben, mit der sich alle Erdenbürger verständigen. Die Entscheidung dürfte bereits heute für Englisch gefallen sein, denn in den großen Weltzentralen nutzt man zur überregionalen Verständigung Englisch.
Dadurch gerieten die anderen Sprachen immer mehr in Vergessenheit. Aber ein paar wenige bewahrten diese und gaben ihr Wissen darüber weiter.
Das Ziel von Johannas Anstrengungen war es eine Übersetzung des Alten Testamentes in Englisch zu vollbringen um dann zu überprüfen, ob die Aussagen der Religionswissenschaft-ler so stimmten, ob diese die Schrift auch richtig interpretierten. Denn denen standen, legal, aber unter strenger Bewachung, ein paar der konfiszierten Exemplare zur Verfügung, da man erkannt hatte, dass man die Bürgern das Interesse vor allem dadurch nehmen konnte, wenn man offen über die geschriebenen Worte diskutierte und sie als Schund abtat. Und darin waren ein paar der berühmtesten Forscher wahre Meister. So hatte einer von ihnen Jesus Christus zu einem zu Recht hingerichteten wahnsinnigen Irren abgestempelt.
So verbrachte sie noch ein paar Stunden mit ihrer Ãœbersetzung, bis sie schließlich, müde geworden, die Bibel und das Wörterbuch wieder wegschloss, sich auszog, kurz wusch und dann ins Bett begab, wo sie wieder von Regelübertretungen träumen konnte, die sie niemals in die Realität würde umsetzen, doch das war ihr egal, denn ihre Träume konnte man ihr weder kontrollieren noch nehmen.     Â
RogerWright Re: - Danke für die Blumen. Vielleicht schaust du mal bei den anderen sehr guten Beiträgen zum NaNoWriMo nach, wie bei dem von MysticRose "Zion". Und evtl. siehst du dir auch die vorherigen und späteren Veröffentlichungen an um dir ein umfassendes Bild zu machen. Viele Grüße und willkommen auf der Seite, RogerWright |
AlexAndra97 Ich finds gut;) |