Der Alptraum
Wir laufen bis die Bäume die letzten Sonnenstrahlen schlucken und ich ohne Laves Führung wohl gegen einen Baum rennen würde, und selbst mit seiner Führung fast über meine eigenen Füße stolpere. Er bleibt schließlich wortlos stehen, lässt meine Hand los und hockt sich dann hin um mit einer Geschicklichkeit die nur auf lange Übung hindeuten kann ein Feuer zu entfachen.
Ich setze mich daneben, winkle die Beine an, schlinge meine Arme darum und lege meinen Kopf auf die Knie. Gedankenverloren betrachte ich das Feuer während Lave geschäftig unsere Umgebung nach irgendetwas absucht. „Das ist das erste Mal dass ich so weit draußen bin“, meine ich lese und beobachte ihn wie er, den Rücken zu mir, irgendetwas aus dem Boden ausgräbt.
„Was machst du da?“, frage ich als er nicht reagiert.
Dieses Mal antwortet Lave: „Ich grabe ein bisschen Essen aus. An dieser Stelle im Wald lagere ich oft und habe mir schon ein paar Vorräte angehäuft.“ Er zerrt einen toten Hasen aus dem ausgegrabenen Loch und wirft ihn über die Schulter vor meine Füße. Dann dreht er sich, mit irgendetwas in den Händen, gerade rechtzeitig um, um zu sehen wie ich angewidert das Gesicht verziehe. „Ich dachte du gehörst der oberen Adelsklasse an?“, fragt e misstrauisch.
Mit dem Fuß schiebe ich den Hasen, der meiner Meinung nach, obwohl er offensichtlich frisch ist, stinkt, von mir weg und meine: „Mein Vater ist ein Ekel, aber er hat mich trotzdem gut erzogen. Dieses Fleisch rühre ich ganz bestimmt nicht an!“
Lave zuckt mit den Achseln und wirft mir noch ein bisschen Brot, ein paar Beeren und einen Wasserschlauch vor die Füße. „Dann esse ich den Hasen halt alleine. Ich habe sowieso Hunger.“ Er hockt sich auch hin und zieht den Hasen zu sich während ich das Brot nehme. Dann nimmt er sein Messer und will das tote Tier offensichtlich so zerstückeln dass er es Essen kann. „Wenn du das hier machst…!“, schreie ich erschrocken. Lave sieht erst mich ein wenig genervt an, dann den Hasen, schließlich steht er auf und geht davon. Ich blicke ihm wütend hinterher, dann widme ich mich wieder meinem Brot, das meiner Meinung nach viel zu sehr nach totem Hasen schmeckt.
Lave bleibt selbst nachdem ich aufgegessen habe fort und ich beschließe die erste Gelegenheit die neu gewonnene Kontrolle über meinen Körper wirklich zu nutzen und mich ein wenig umzusehen. Gedankenverloren gehe ich zu einem Baum hin und streife mit der Hand darüber. Wie seltsam sich die Rinde doch anfühlt! So rau, aber gleichzeitig noch warm. Fast meine ich auch ein wenig Leben in dem Baum wahrnehmen zu können. Selbst in meiner halbwegs freien Zeit bei meiner Mutter habe ich keine Waldspaziere unternehmen und keine Bäume anfassen dürfen. Durch ihre verlorene Gerichtsverhandlung war sie verpflichtet mich die Zeit die ich bei ihr war im Haus zu behalten um meine Sicherheit zu garantieren. Jetzt, wo ich weiß was selbst in der Schule alles passieren kann verstehe ich langsam wieso.
Ich lächle in mich hinein und gehe weiter zu der Grube in der Lave das Essen vergraben hatte. Sie stinkt auch nach Tod und ich rümpfe die Nase. Einen Hasen essen! Wie kann man nur?!
Der Waldboden fühlt sich mit jeden Schritt vertrauter unter meinen Füßen an, und diese Vertrautheit veranlasst mich dazu mich immer weiter vom Lager zu entfernen und auch das helle Feuer hinter mir zu lassen. Schon bald streife ich durch völlige Dunkelheit, aber das macht mir weniger aus als ich erwartet hätte, nein, es macht mir sogar Spaß nicht zu wissen wo ich hinsteige. Und obwohl ich nichts sehe scheint mein Körper doch ganz genau zu wissen wo ich nicht hindarf, denn ich strauchle kein einziges Mal und bekomme auch keine Äste oder so ins Gesicht. Doch eines kann mein Körper dann doch nicht: Mir den Weg zurück zeigen.
Erst mache ich mir auch darüber keine Sorgen, ich werde den Schein des Feuers schon wieder entdecken, doch als die Geräusche des Waldes um mich herum immer lauter werden, bekomme ich es schließlich doch mit der Angst zu tun. Irgendwo in meiner neue beginnt eine mir unbekannte Kreatur laut und schauerhaft zu heulen und ich zucke erschrocken zusammen und bleibe stehen. Ängstlich drehe ich den Kopf und versuche mit den Augen die Umgebung nach Gefahren abzutasten, doch in der Dunkelheit um mich kann ich nichts erkennen.
Oje.
„Lave?!“, schreie ich panisch. „Lave?! Bist du hier irgendwo?!“
In meiner Nähe knackt ein Ast, nur ganz leise, aber ich habe trotzdem das Gefühl als würde sich mir etwas Gewaltiges nähern. Wo ist Lave hin? Warum passt er nicht auf mich auf wie er es versprochen hat?
Ich mache ein paar tastende Schritte rückwärts, aber plötzlich ist mir der Waldboden, dieser elende Verräter, gar nicht mehr vertraut. Er ist rutschig, matschig und voller Wurzeln. Nach wenigen Schritten stolpere ich über irgendetwas und muss taumelnd um mein Gleichgewicht kämpfen. In meiner Nähe höre ich ein leises, gleichmäßiges Atmen. Jetzt bin ich mir ganz sicher: Da ist etwas!
„L…L…L…Lave…? Bist du das?“, wispere ich mit vor Angst zusammengepresster, schriller Stimme obwohl ich eigentlich weiß dass er es nicht ist. Im selben Moment blitzen zwei gelbe Augen knapp vor mir auf um im gleichen Moment wieder zu verschwinden. Ich schreie laut auf und mache einen Satz nach hinten der mich endgültig das Gleichgewicht verlieren lässt, kurz schwanke ich noch, dann falle ich auf den Allerwertesten. Meine Knie beginnen so heftig zu zittern dass ich einfach nicht mehr aufstehen kann und mit Schreckgeweihteten Augen sehe ich mich um und versuche alles im Blick zu halten. Ich kann hören wie etwas mit tapsigen Schritten um mich herum schleicht.
„Laveeee!“, schreie ich wie eine Sirene, aber er ist nicht da um mich zu beschützen. Dafür dringt ein Knurren aus der undurchdringlichen Dunkelheit vor mir.
Sofort versagt mich die Stimme und ich bringe keinen Laut mehr heraus. „Oh Gott“, denke ich nur noch während ich in verzweifelter Vergeblichkeit versuche auf die Beine zu kommen. „Oh mein Gott…“
Ja, auch wir Elfen glauben an einen Gott, genau wie die Menschen besonders dann wenn wir ihn gerade brauchen würden.
In diesem Moment ertönt ein Trommelfellzerreißendes Gebrüll dass meinen letzten Versuch aufzustehen zunichte macht und irgendetwas prallt mit so einer ungeheuren Macht gegen mich dass ich zur Seite gestoßen werde, hilflos weiterolle bis ich schließlich einen Abhang hinunter purzle und hilflos liegenbleibe. Das Gebrüll hört nicht auf und versetzt mich in Angst und Schrecken, doch nebenbei ruft eine leise Stimme meinen Namen.
Ich werde geschüttelt und irgendwelche starken Arme zerren mich schließlich auf die Beine, auch wenn mir ganz schwindelig ist. Eiskalte Panik sitzt mir im Nacken und verhindert dass ich meine Glieder bewege. Jemand schreit mir mitten ins Ohr, aber das alles wird von diesem schauerlichen Geheul übertönt.
Wer-auch-immer hört auf mich anzuschreien und ich werde weggezerrt, hilflos wie eine Puppe einfach demjenigen hinterher laufend der mich gerade festhält. Es ist so dunkel dass ich meinen Retter nicht einmal erkennen kann, aber ich bemerke sehr wohl dass das etwas uns heulend und kreischend wie ein wahr gewordener Alptraum verfolgt. Plötzlich werde ich wieder losgelassen und in meiner Nähe blitzt plötzlich eine Klinge auf.
Ich stehe schwankend und nichtstuend in der Dunkelheit und hör zu wie jemand einen leisen Schrei ausstößt, höre Füße auf dem Waldboden laufen und schließlich höre ich ein erschrockenes Schmerzgeheul. Mit diesem Geheul kehrt endlich wieder ein ganz klein wenig Leben in mich zurück und ich kann wahrnehmen wie jemand mir zuruft: „Zum Feuer! Lauf zum Feuer!“
Ich lasse alles liegen und stehen, nehme meine Beine in die Hand und renne in die Richtung die mir am richtigsten erscheint. Irgendwann taucht in meinem Blickfeld schließlich Licht. Erleichterung übermannt mich und das Adrenalin in meinen Adern lässt nach. Ich bleibe so erschöpft und geschockt zurück dass ich noch während dem Laufen an Ort und Stelle zusammenklappe und in Ohnmacht falle.
Als ich endlich wieder zu mir komme ist das erste was ich erkenne Lave der seelenruhig vor dem Feuer hockt und mit einem Stecken darin herumstochert. Er nimmt meine Bewegung natürlich sofort war, schenkt mit einen kurzen Blick und ein Lächeln, dann widmet er sich wieder dem Feuer.
„Solange es nicht ausgeht sind wir sicher“, erklärt er unaufgefordert. Das beantwortet aber nicht die Frage die ich mir eigentlich stelle. Müde setze ich mich auf und streiche mir mein total verfilztes schwarzes Haar aus dem Gesicht. „Was war das?“, frage ich viel zu leise und ein paar Oktaven zu hoch.
„Ein Alptraum“, meint Lave ohne mich anzusehen „im wahrsten Sinne des Wortes.“ Er seufzt, rückt vom Feuer ab und lehnt sich gegen einen nahe gelegenen Baumstamm, noch immer ohne mich anzusehen fährt er fort: „Es hat seine Gründe warum sich keine Sterblichen so tief in den Wald verirren dass sie unser Reich entdecken und warum jede Elfe in der Nacht ein Feuer brennen lässt. Wegen Alpträumen, jenen schrecklichen schwarzen Kreaturen die Nachts durch die Wälder streifen.“ Sein Blick verliert sich im Nichts. „Sie sind mehr geworden in den letzten Jahren, seit…“
„Seit was?“
„Ach… nichts… sie sind einfach mehr geworden. Und Aggressiver. Aber das ist bestimmt nur Zufall, eine Laune der Natur die bestimmt wieder vergeht.“ Vielleicht hätte Lave mich sogar überzeugen können, wäre er selbst ein wenig überzeugter gewesen.
Ich sehe ihn skeptisch an, aber seine Blicke machen unmissverständlich klar dass er darüber nicht mehr reden wird. „Das nächste Mal werde ich beim Feuer bleiben“, gebe ich klein bei. Er nickt.
Dann seufzt er.
„Ich rate dir dich jetzt hinzulegen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“ Ich nicke stumm und rolle mich unter seiner sorgfältigen Beobachtung zusammen um zu schlafen.