Die Wellen schlagen über mir zusammen. Die Tiefe streckt ihre eisigen Klauen nach mir aus. Ich sinke immer tiefer in die Dunkelheit. Meine Lunge füllt sich immer mehr mit dem eiskalten Wasser. Eigentlich ist das der Zeitpunkt, in dem ich in Panik geraten sollte, doch ich tue es nicht. Die Furcht will nicht nach meinem Herzen greifen.
Mit jedem weiteren Meter werde ich ruhiger. Der Schlag meines Herzens setzt aus.
Mein Geist löst sich von der menschlichen Hülle.
Langsam schwebe ich empor, über das Meer dem Himmel entgegen.
Als ich die Wolkendecke durchbreche,
stockt mir der Atem – den ich als Geist gar nicht mehr haben sollte…
Das grelle Licht nimmt mir schon nach kurzer Zeit die Sicht.
„Was tust du hier?“, ertönt hinter mir ein Sprechchor.
Ich versuche das mich umgebende Weiß zu durchdringen, doch kann ich beim besten Willen nichts erkennen.
„Ich… ich… weiß nicht!“, stottere ich perplex. Wieso werde ich das gefragt?
„Du musst dir doch irgendetwas hier versprechen, sonst wärst du nicht hier!“
Ich weiß, dass sie Recht haben, doch will ich es mir nicht eingestehen. Ich will Erlösung und Freiheit…
„Siehst du, du weißt, was du hier
möchtest! Aber das wirst du hier nicht finden. Hier wirst du nur glücklich werden, wenn du dich nicht selbst aufgibst!“
Aber ich habe mich schon aufgegeben.
„Dann hast du hier kein Glück zu erwarten.“
Die Helligkeit um mich herum lichtet sich, doch nichts sieht so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Hier hätte ich frei sein sollen…
Hier hätte ich Erlösung finden sollen…
Während ich mich umsehe, begreife ich langsam, was hier nicht stimmt. Ich passe nicht dazu. All diese Geister wirken glücklich und erlöst. Sie strahlen im hellsten Weiß, das ich je gesehen
habe.
Mich umgeben Schatten. Sie tanzen um mich herum und sorgen dafür, dass mich das Weiß nicht erreichen kann.
Ich gehöre hier nicht hin.
„Damit hast du Recht, aber wir werden dich trotzdem bleiben lassen, wenn du es wünschst!“
Ich blicke neben mich und betrachte die Sprecher. Es ist kein ganzer Chor, wie ich vermutete, sondern es sind nur zwei Kinder.
Das Mädchen strahlt, wie die Geister hier, im reinen Weiß. Der Junge dagegen wird, genau wie ich, von Schatten um wabert, aber die Helligkeit ist deshalb nicht von ihm abgetrennt. Dadurch dass
er die Hand des Mädchens hält, ist er mit der Helligkeit verbunden.
„Wer seid ihr?“
„Wir sind das Gleichgewicht.“ Sie betrachten mich eine Weile schweigend. „Das ist deine Angelegenheit.“, sagt das Mädchen und entzieht dem Jungen ihre Hand. Er nickt und bedeutet mir ihm zu folgen. Während wir gehen wird die Umgebung immer dunkler und düsterer.
„Du darfst hier bleiben, wenn du möchtest, aber dann bist du nicht mehr als ein Schatten! Bedenke das, wenn du nun wählst!“ Er war stehen geblieben. Ich blicke in die kleinen Augen und weiß plötzlich genau, dass ich hier nicht bleiben möchte.
Ich möchte kein Schatten meiner selbst sein…
„Gut, du hast mich verstanden. Es ist dein Weg und deine Entscheidung! Geh nun, wenn du gehen möchtest!“ Sein Gesicht hat einen aufmunternden Ausdruck angenommen, während er gesprochen hatte. Jetzt dreht er sich um und geht zu dem Mädchen zurück.
„Meiner Schwester.“, korrigiert er und blickt über die Schulter zu mir zurück.
Er nimmt die Hand seiner Schwester und während sie mir beide zuwinken, versinke ich langsam in den Wolken. Ich spüre wie meine Beine in der Luft baumeln, während mein Körper noch in den Wolken steckt.
Ich schließe die Augen und lasse meinen Geist treiben.
Ich öffne sie erste wieder, als ich bereits wieder von den Wellen verschluckt worden bin.
Vor mir sinkt meine leere Hülle immer mehr der Schwärze entgegen, doch ich habe mich entschieden. Ich will kein Schatten sein!
Mein Geist gleitet zurück in meinen Körper. Das Herz beginnt wieder zu schlagen. Das Wasser in meinen Lungen löst sich auf. Ich habe nicht mehr das Gefühl zu ersticken.
Dann breche ich durch die Wasseroberfläche und lasse mich von den Wellen zu neuen Ufern treiben.