Als es zur Pause gongte atmete Mira erleichtert auf. Keine Minute länger hätte sie es im Unterricht ausgehalten.
Ohne auf Nami zu warten, die noch dabei war ihre Notizen abzuheften, stand sie auf und verließ den Raum, nur mit dem Samtbeutel in der Jackentasche.
Sie mischte sich unter das Gedränge auf dem Gang, um zum Schulteich gelangen zu können, ohne dass ihr jemand, wie zum Beispiel Nami, folgen konnte, und es ihr so unmöglich machen könnte, in aller Ruhe darüber nachzudenken. Was dieser Schlüssel zu bedeuten hatte, versteht sich.
An der Glastür des Schulgebäudes nach draußen kapselte sie sich von der Menge ab und eilte zum Teich, als sie entdeckte, dass Nami bereits auf der Suche nach ihr war, woraufhin sie noch ein wenig an Tempo zulegte.
Als sie dann endlich sicher war, dass Nami sie nicht finden würde entspannte sie sich und ging gemütlicher weiter, bis sie schließlich ankam und sich auf der dunklen Holzbank davor niederließ.
Vorsichtig kramte sie in der Tasche nach dem Schlüssel und als sie ihn in den Fingern hielt holte sie ihn heraus und legte ihn auf ihre andere Handfläche.
Dann betrachtete sie ihn wie zuvor am Morgen ganz genau.
Pandora… Was für ein ausgemachter Quatsch! Was für ein Quatsch…Das hatte eh nichts zu bedeuten, bestimmt hatte Mace dieses Ding irgendwo auf einem Flohmarkt gekauft, ohne zu wissen, was er ihr da eigentlich genau schenkte. Ebenso wie jedes Mal davor also.
Wäre auch zu schön gewesen, wenn er ihr nur ein einziges Mal etwas geschenkt hätte, bei dem er sich genauere Gedanken darüber gemacht hatte, was er ihr da schenken wollte.
„Du solltest nicht so über ihn denken.“
Erschrocken schnappte Mira nach Luft. Wo kam diese Stimme plötzlich her? Und noch viel wichtiger: Woher wusste sie von ihren Gedanken? Sie war sich absolut sicher, nicht laut gedacht zu haben!
„Mach dir keine Sorgen, das hast du nicht.“
Da war sie schon wieder, diese Stimme! Hektisch blickte sich Mira um, bis sie seufzte und zu sich selbst sagte, dass sie sich das bloß eingebildet hatte.
„Hast du nicht.“
Mira zuckte zusammen und blickte links neben sich, nur um noch mehr zu erschrecken.
Urplötzlich saß irgendein Typ in dunkelgrauen Klamotten - bestehend aus einem Hut, einem langen Mantel, einer Stoffhose und Schuhen, die so elegant wie der Rest waren - neben ihr und sah scheinbar einfach nur gerade aus.
Sie hatte keine Chance, sein Gesicht auch nur annähernd erkennen zu können. Lediglich seine Haarfarbe ließ sich feststellen: Rotblond.
Und seine Haare waren kurz.
Was war das bloß für ein Typ? Gut, es war Winter, aber trotzdem! Welcher Typ trug heutzutage noch lange Mäntel?
„Gute Frage eigentlich.“
Wieder zuckte Mira. So ganz hatte sie sich noch nicht an seine Anwesenheit gewöhnt.
„Wer… Wer sind Sie überhaupt?!“
„Na, na, nicht so förmlich. Du kannst mich ruhig duzen… Mira.“
„Woher kennen Sie… kennst du meinen Namen?!“
„Unwichtig. Meinen Namen zu wissen, das ist wichtig.“
Eine lange Pause folgte, bis er murmelte: „Daray.“
„Wie?“
„Daray. Mein Name.“
„Oh… Okay. Aber ich verstehe nicht, wozu ich ihn wissen…“
„Du wirst ihn brauchen, glaub mir. Merk ihn dir einfach. Wenn du ihn brauchst, wirst du es schon merken.“
Leise hörte man Daray lachen.
„Aber…“
„Warst du nicht beschäftigt, als ich aufgetaucht bin?“
Ein guter Einwurf, den er da gemacht hatte, fand Mira. Kurz grübelte sie, was sie nun tun sollte und starrte gerade aus.
„Trotzdem!“, rief sie aus. Sie drehte ihren Kopf wieder in die Richtung, in der er saß.
Oder zumindest gesessen hatte, denn genauso schnell, wie er da gewesen war, war er wieder weg.
Verwirrt sah Mira sich um. Doch nirgends eine Spur von ihm.
Ob ihr das etwas Bestimmtes sagen sollte?