Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze)
Truzos saß auf einem abgehackten Baumstumpf, von wo aus er in den Wald starrte, während hinter ihm einige Männer aus Jarreds Trupp die drei Magier betrauerten, die im Kampf gegen Kelrayass‘ gefallen waren, bevor sich dieser in eine geisterhafte Gestalt seiner selbst verwandelt hatte und in den Wald entflohen war.
Zu acht waren sie gewesen, aber selbst in dieser Überzahl hatten sie dem Schwarzmagier nichts anheben können.
„Stattdessen hat er drei von uns getötet“, wurde Truzos klar, „Ich weiß nicht, was er ist, aber ein normaler Magier kann er kaum sein. Nicht einmal die mächtigsten Erzmagier würden gegen acht vollausgebildete Zauberer bestehen, auch nicht unter dem Einsatz von Schwarzmagie. Er hätte vollkommen erschöpft sein müssen, aber es schien mir eher, als gäbe es für ihn keine Erschöpfung, als hätte er endlos so weiter machen können. Und auch die Verderbnis betrifft ihn nicht, er…das habe ich schon einmal gehört…“, plötzlich fluteten Bilder von leichenhaften Gestalten in schwarzen Roben seinen Kopf, grausige Zeichnungen von ebenso widerwärtigen wie mächtigen Kreaturen.
„Nur der Tod heilt die Verderbnis“, murmelte er, während die Erkenntnis durch seinen Geist stach, dass Kelrayass für seine Macht den höchsten Preis gezahlt hatte, sein eigenes Leben.
„Alles, was er vor uns verbirgt, ist seine wahre Gestalt. Er ist ein Lich, ein untoter Magier“, wurde ihm klar, „Beim Herrn, es hat seit tausenden Jahren keinen mehr gegeben.“
„Truzos!“, ertönte Barajs Stimme hinter ihm, „Alle sammeln sich am Hafen. Du solltest mitkommen.“
„Ja, ich…bin gleich da“, sprach er langsam, wobei er einen letzten Blick durch die Reihen der Bäume warf, bevor er sich erhob, um Baraj zu den Schiffen zu folgen.
Er marschierte durch ein Leichenfeld aus Thanatoikern, bis er schließlich die Palisade erreichte und den Blick auf seine elf gefallenen Kameraden senkte, die man dort auf Kieselsteinen aufgebahrt hatte. Ein paar Serpendrianer sowie ein Mönch aus Jarreds Trupp standen andächtig daneben, während einige andere sich bereits daran machten, die Schiffe zu durchsuchen.
Zugleich schoben vier Soldaten der Xendor einen Karren voller Nahrungsmittel durch die Breche in das Lager, den sie, wie er später erfahren sollte, von den freundlich gesinnten, umliegenden Dörfern erhalten hatten.
„Scheiße, Alter“, rief Ilar, der augenscheinlich wieder bei Bewusstsein und sofort zu ihm herüber geeilt war, „Wir haben es geschafft, wir haben Janus, diesem Bastard, in den Arsch getreten, was? Verdammter Hurensohn.“
„Das würde ich so nicht sagen“, knurrte der Serpendrianer, „Er hat immerhin noch drei von uns getötet.“
„Ja, verschissen stark ist er“, fluchte der Skatrier, „Ich kann’s immer noch nicht fassen. Janus…elender Verräter!“
Damit wandte sich Truzos ab und trat stattdessen zu de Nord hinüber, der sich mit Jarred sowie einem nogronischen Offizier aus Dragans Trupp beriet.
„Ich hoffe, diese Delioner beeilen sich damit, herauszufinden, ob die Schiffe noch seetauglich sind“, knurrte der Nogroner, „Vielleicht kommt dieser Hexer ja zurück.“
„Das wird er sicher nicht“, lachte Jarred.
„Marquis“, wandte sich Truzos an de Nord, „Ihr habt uns gerettet, ich danke Euch im Namen aller.“
„Ich tat nur, was meine Pflicht war“, gab Lucian zurück, „Ich bin erfreut, zu sehen, dass doch so viele meines Trupps den Hinterhalt im Orklager überlebten. Renault schaffte es nicht?“
„Er hat tapfer gekämpft, mein Herr“, berichtete der Magier, „Er war der letzte, der aufrecht stand und ein Schwert führte. Bei Iurion, ich glaube, er hat in dieser Schlacht zwölf Orks getötet.“
„Ewiger Ruhm sei ihm gewiss. Möge man auch in dieser Welt nie seinen Namen vergessen“, sprach de Nord mit einem leichten Anflug von Bitterkeit, bevor er sich von Truzos auch den Rest der Ereignisse berichten ließ, die seinem ehemaligen Trupp wiederfahren waren.
Im Austausch erfuhr der Magier, wie es den anderen ergangen war und dass sie wesentlich weniger Schwierigkeiten gehabt hatten als die Streiter um Ferren. So war zwar auch Dragans Trupp ein Hinterhalt gestellt wurden, jedoch hatte man diesen vorzeitig erkannt und vermieden.
Dem Skatrier war daraufhin klar geworden, dass man sie verraten hatte, weshalb er seine eigentlichen Pläne verworfen und sich gen Norden gewandt hatte. Dort war er irgendwann in der Nähe von Aurevil auf Jarreds Trupp getroffen, der jener Schneise der Vernichtung gefolgt war, die die Assassinen durch das Land und die Reihen der Orks geschlagen hatten.
Danach hatten sich beide Trupps zusammengeschlossen und waren nach Aurevil gezogen, weil sie glaubten, dort aufgrund der Gerüchte um untote Paladine auf nur geringen Widerstand zu treffen.
De Nord hingegen hatte in einigen Dörfern von den beiden Trupps und ihrer Marschrichtung erfahren und diese mit seinem Pferd schließlich eingeholt.
Bald war ihnen aufgefallen, dass sich Ferrens Trupp ebenfalls in Aurevil aufhielt, und waren sie ihren Spuren bis zum Hafen gefolgt.
Das Gespräch zwischen Truzos und de Nord endete erst, als die Delioner zurückkehrten, die man mit der Durchsuchung der Schiffe beauftragt hatte. Zur Freude aller und unter großem Jubel verkündete ihr Vorsteher:
„Die Schiffe sind allesamt seetauglich. Ich würde sagen, wir sind in ein paar Monaten wieder in Kalatar.“
Kalatar, das Wort schallte wie das Klirren von Münzen, wie der sanfteste Klang einer Harfe in ihre Ohren.
Vor ihren inneren Augen erstreckten sich weite, freie Landschaften, grüne Wiesen, mächtige Wälder, prächtige Städte, vor deren Toren keine Schädel aufgespießt waren, Straßen, auf denen keine Orks patrouillierten.
„Bier und Huren bis zum Umfallen!“, schrie Ilar, bevor de Nord seine Worte übertönte:
„Brüder, dort liegen unsere gefallenen Gefährten, deren Namen in die Ewigkeit hallen sollen und die unsere Trauer mehr verdienen, als jeder Mensch, der je vor ihnen starb. Und ja, es mag die Zeit kommen, da wir dieser Trauer gewahr werden, doch dies ist sie nicht! Wischt eure Tränen hinfort, Brüder, denn es ist Zeit, zu lächeln! Heute treten auch wir in die Ewigkeit, noch in Äonen werden die Barden Lieder von uns singen, noch in Äonen werden Großväter ihren Enkeln unsere Geschichte erzählen, eine Geschichte von Helden, die triumphierten, wo man nur Versagen erwartet hatte, die dem Tod ins Gesicht blickten und doch überlebten.
Heute stechen wir in See, heute setzten wir Segel gen Galor und niemand wir uns mehr aufhalten, denn, was rechtschaffen ist, wird niemals, niemals fallen!
Wir kehren nach Galor zurück und retten die Leben derer, für die wir all das auf uns nahmen, für die unsere Brüder starben! Für Galor!“
„Für Galor!“, schallte es aus den Kehlen der verbliebenden fünfundzwanzig Kämpfer zurück, wobei Fäuste in die Luft stießen und laute Siegesrufe die Möwen aufflattern ließen.
Während die Toten verbrannt wurden, umarmten sich die Lebenden mit tränenden Augen, hin und her gerissen zwischen gellender Freude und bitterer Trauer.
Nachdem ihre gefallenen Kameraden dem Feuer überstellt worden waren, gab de Nord den Befehl, die Schiffe zu bemannen, worauf Jarred zunächst die Gruppen neu einteilte. Dann verteilten sie sich auf die primitiven, aber gewaltigen Seegefährte, und während die Sonne dem Ozean entgegensank, wurden die Segel gesetzt.
Unter schweren Anstrengungen von Muskeln und Magie liefen die drei riesigen Frachtschiffe aus und setzten Kurs gen Galor.
Die Waffenknechte betätigten beinahe synchron die Abzüge, wie Schlangen zischten die Sehnen, als sie die Bolzen aus den Halterungen schossen, in deren silbernen Spitzen sich blutrot die Abenddämmerung spiegelte.
Im nächsten Augenblick brachen sie in Zyloks Brust, zerfetzten seine Robe, zerrissen seine Organe, ließen seinen leblosen Körper zu Boden sinken und auf dem Schafott ausbluten.
Die Meute auf dem Platz vor der ledrianischen Botschaft jubelte, während die Waffenknechte den Leichnam davon schleiften.
„Es ist doch immer wieder schön“, schwärmte Kaito, der das Schauspiel zusammen mit Toulessé, Taena und Asbel von einer Stuhlreihe, direkt unterhalb des Blutgerüsts, aus betrachtet hatte.
„Es wäre schöner, wenn das nicht mehr notwendig wäre“, entgegnete der General.
„Oh ja“, stimmte Asbel zu, wobei er sich die Hand vor den Mund hielt, „All das Blut.“
„Er hat es verdient“, sagte Taena, „Ich meine, was er getan hat…“
„Dass er es verdienet hat, ist nicht zu bestreiten“, erklärte Toulessé, „dennoch haben wir auch weiterhin viel vor uns. Die erste Durchsuchung der Botschaft war augenscheinlich manipuliert und der Herzog wird sich kaum selbst vergiftet haben. Wir mögen dem Tiger die Zähne gezogen haben, aber er besitzt immer noch Klauen.“
„Sie sagen, es sei Schwarzsaft“, murmelte Taena, „Damit hat man den Herzog vergiftet.“
„Das ist ja schlimm“, seufzte der Chevalier, „Gibt es ein Gegenmittel?“
„Nein“, dementierte die Magierin, „Ich meine, man kann es verlangsamen, aber dieses Gift säht die Verderbnis in ihr Opfer und…“
„Die Verderbnis heilt nur der Tod“, vollendete Toulessé.
„Genau.“
„Beim Herrn, diese Welt ist schlimm“, klagte Asbel, „Nehmt es mir nicht übel, aber ich werde zum Stadtpalast zurückkehren.“
„Ich muss mich ebenfalls verabschieden. Ich werde noch nach dem Herzog sehen müssen“, erklärte Taena, worauf sie sich zusammen mit dem Chevalier entfernte.
Während der General ihnen noch hinterherblickte, wandte sich Kaito erneut an ihn:
„Erlaubst du mir eine Frage?“
„Natürlich.“
„Der heutige Kampf, da hast du Eisenstangen benutzt. Ich habe dich nicht mehr Ziehen sehen, seit du dieses neue Schwert mit dir herumträgst. Wieso hast du es nicht eingesetzt?“
„Diese Klinge“, begann Toulessé, wobei er auf die Schiavona deutete, welche in der prunkvollen Scheide ruhte, „ist kompliziert. Man sagt, einmal gezogen, passe sie nicht wieder in die Scheide, bevor sie ein Leben genommen hat. Wer sie zieht, der entscheidet sich, damit auch zu töten. Diesen Entschluss habe ich nicht mehr gefasst, seit ich sie führe.“
„Verstehe…“, murmelte der Hauptmann, „Aber wozu das Ganze?“
„Das wirst du sehen, wenn ich sie doch einmal ziehen sollte“, erklärte der General.