Lave
Die Monate rollen von jetzt an dahin, Talin habe ich tatsächlich nicht mehr wiedergesehen. Aber es hat überhaupt niemanden mehr überrascht als er nicht mehr aufgetaucht ist und mein Vater hat erfolgreich verhindert dass ich herausfinde was mit ihm passiert ist.
Weil er mich angesprochen und berührt hat.
Mein Vater gibt mir während der ganzen Zeit die Kontrolle über meinen Körper nicht mehr zurück, nicht einmal wenn ich schlafe. Einzig in meinen Träumen bin ich frei und kann meine Arme und Beine bewegen wie es mir beliebt. Umso ungemütlicher ist dann das Aufwachen wenn man steif daliegt, sich am liebstem umdrehen würde, aber es nicht kann.
So rinnt mein Leben dahin, vergeht einfach und ich kann nichts daran ändern dass ich… nun ja, nichts ändern kann.
Tag für Tag derselbe Ablauf, ich stehe auf, mache mich Schulfertig, gehe zu Fuß eine halbe Stunde in die Schule, sitze schweigend in der Schule während mein Vater meinen Körper mitschreiben lässt. Ich stehe nur in der Mittagspause auf um zur Schulcafeteria die einen mehr an ein Nobelrestaurant erinnert zu gehen und mich dort als einzige ganz alleine an einen Tisch zu setzen und mein Essen zu verdrücken. Ich blicke darauf hinab, grüner Salat – schon wieder.
Aber mein Vater nimmt darauf keine Rücksicht, lässt mich gnadenlos einen Bissen nach dem anderen essen. Und ich kaue, schlucke, kaue, schlucke, kaue, schlucke…
Das plötzliche Schaben eines Stuhls reißt mich aus meinen Gedanken. Mein Vater hebt meinen Kopf und ich kann erkennen dass sich jemand mir gegenüber hingesetzt hat. Es ist ein lässig angezogener junger Elf. Er erwidert meinen Blick gelassen aus grauen Augen.
Ich schlucke meinen Salat hinunter, dann hebe ich die Stimme und sage, obwohl ich das eigentlich nicht will, „tut mir leid, hier darfst du nicht sitzen.“
„Sagt wer?“, fragt er.
„Ich“, antwortet mein Vater.
„Und welches ich von den beiden die in dir stecken?“
Mein Vater lässt mich die Augen zusammenkneifen während ich mich beeindruckt frage woher er das wusste. Ich habe diesen Elf noch nie zuvor gesehen, wie kommt er hier überhaupt herein? Diese Schule ist für die Adel-Elite und dementsprechend gut gesichert. Wie haben echte Wächter an den Türen, und davon nicht wenige.
„Hör zu, du willst dir bestimmt keine Probleme einhandeln. Belass die Sache dabei und verschwinde.“ Ich weiß warum mein Vater sich noch beherrscht. Er mag es nicht wenn Jungen anfangen mit mir zu reden, aber er bestraft sie gewöhnlich erst wenn sie mich anfassen.
Wobei er für den hier bestimmt gerne eine Ausnahme machen würde.
„Nein“, der junge Elf schüttelt lächelnd den Kopf. „Das kann ich nicht.“ Er sieht mir fest in die Augen. „Und wenn ich ehrlich bin, bin ich gerade wirklich auf Probleme aus!“
Plötzlich hält er mir die Hand in. „Du kannst mich Lave nennen, Lave wie Lavendel.“ Blumennamen sind auch für männliche Elfen beliebte Vornamen, Lavendel, unsere Blume des Einklangs, besonders.
Am liebsten würde ich Laves Hand ergreifen, doch mein Vater lässt mich nicht. „Pass auf was du da tust!“, kommt seine Drohung aus meinem Mund.
„Das tue ich bereits“, lächelt Lave entspannt.
„Du hast es nicht anders gewollt!“ Wieder einmal springe ich schneller als ich es eigentlich können sollte auf die Beine, packe Laves ausgestreckten Arm und reiße so fest daran dass er eigentlich das Gleichgewicht verlieren sollte. Doch der junge Elf reagiert fast genauso schnell wie ich. Statt sich von mir aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen tritt er einfach ungehemmt einen Schritt auf mich zu, dann verdreht er seinen Arm den ich noch immer festhalte, so dass ich loslassen muss. Aber ich attackiere ihn sofort wieder mit einem heftigen Schlag in die Magengrube. Mir selbst wird beinahe schlecht wenn ich diese Bewegung nur beobachte, doch der Elf scheint sie überhaupt nicht zu spüren sondern greift statt einen Gegenschlag (oder statt sich zu krümmen wie ich es getan hätte) unvermittelt in meine Brusttasche. Was zum Teufel…
„Du Perversling!“, schreie ich erschrocken und schlage nach seiner Hand. Er reißt sie, irgendetwas weißes haltend, zurück und tut sogar einen Schritt zurück. Ich begreife jedoch erst jetzt was ich gerade getan habe und erstarre voller Ehrfurcht.
Lave legt den Kopf schief und grinst mich an. „Ich Perversling?“, fragt er, in der Hand meinen fröhlich flatternden VERTRAG.
