Beschreibung
"Der Automat hat immer Recht" ist eine sozialkritische aber auch ein wenig mit schwarzen Humor angelegte Geschichte über ein Paar das Flaschen sammelt und dabei einem sehr eigenwilligen Pfandautomat begegnet. Der hat keine Lust immer alte Flaschen zu schlucken, hält die Obdachlosen selbst für Flaschen und wirbt ständig für eine Partei in der Politik.
Der Automat hat immer Recht
„Wieder so ein kitschiger Wahlkampfslogan.“, rief Jens. „Fast alle Slogans und Mottos der Politiker wirken angeberisch und nichts sagend.“ Gisela meinte dagegen: „Es ist egal wie kitschig etwas klingt, wenn es dennoch wahr ist, dann darf es auch so ausgesprochen werden.“ Jens lachte. „Was ist denn die Wahrheit und wer bestimmt sie?“ Die beiden unterhielten sich über ein paar alte Wahlplakate die sie eben gesehen hatten.
Müde trottete Jens seiner Gisela hinterher. In beiden Händen hielt er eine Supermarkttüte voller Pfandflaschen. Die zwei waren obdachlos und sammelten Pfandflaschen um sich ein wenig Geld dazu zu verdienen. Das war ihr Beruf, das war ihre Branche und das war ihre Karriere. Für den heutigen Tag war Gisela zur Teamleiterin ernannt worden. Da musste dann Jens machen was sie bestimmte. Die beiden wechselten sich darin
jeden Tag ab. Wenn Jens die Tüten in der Hand hielt, dann hatte ihn seine Frau in der Hand. Auf dem Rücken trug der arme Kerl noch einen alten verdreckten Rucksack, natürlich mit noch mehr Flaschen drin. Gisela trug dagegen nur zwei Ausgaben der aktuellen Obdachlosen-Zeitschrift, die sie beide ebenfalls verkauften. Es war ihre einzige Investition. Ihn störte das alles, aber sie war dennoch stärker verärgert als er. „Du Flasche!“, glaubte er alle paar Schritte zu hören, wenn sie murmelnd ein Schluck Bier nahm. Sie erzählte ihm ausführlich was er wieder alles falsch gemacht hatte. Ihre Beziehung schien immer weniger zu funktionieren. Es war schwierig zu sagen woran es genau lag. Auf jeden Fall brachten die gemeinsamen Vorstellungen von Soll und Haben die beiden kräftig durcheinander.
Die Strecke zum Supermarkt war noch der einzige Weg den die beiden vereint beschritten.
Allerdings war das gemeinsame Ziel, der nächste Pfandautomat, weniger mit Störungen belastet, als ihr zusammen gegebenes Versprechen, es in guten wie in schlechten Zeiten miteinander auszuhalten. Vielleicht lag es auch daran das es nur schlechte Zeiten zu geben schien, aber das wusste keiner der beiden so genau.
„Schau mal da vorne!“, rief Gisela erstaunt. „Hm... der war gestern noch nicht hier. Aber das ist gut, dann brauchen wir nicht den weiten Weg bis zum Supermarkt laufen.“, entgegnete Jens. Irgendein Unternehmen hatte einen neuen Pfandautomat in einem kleinen überdachten Raum aufgestellt. Ähnlich wie die Banken ihre Geldautomaten. Dieser stand direkt neben einem schlecht besuchten Literatur-Cafe´ und einer immer vollen Fußball-Kneipe.
Solche großen Kästen, wie die Pfandauto- maten, sonderten ähnlich viel
Laserlicht ab wie eine Disco in den 70er Jahren und sie waren wahre NASA-Computer, aber dennoch hatten viele von ihnen Probleme selbst den Strichcode auf den Etiketten zu erkennen. Zahlreiche Automaten starben einen dramatischen Tod, nachdem sie ihren Mördern den Satz verkündeten: „Diese Flasche gehört nicht zu unserem Sortiment.“ Oft war der Behälter auch wieder voll und dann ging sowieso nichts mehr. Man musste Glück haben und das war nicht gerade das Spezialgebiet von Jens und Gisela. Er steckte eine Flasche hinein und forderte damit mutig sein Glück erneut heraus. Durch das Gummi-Laufband schluckte der Kasten seine Nahrung wie ein riesiges Wesen mit einer langen Zunge. Danach wurde es still. Plötzlich schepperte es dramatisch und eine mechanische Stimme ertönte. Für Gisela hörte es sich wie Techno an und aus Reflex wollte sie schon anfangen zu tanzen. Jens dagegen konnte die Geräusche
dieses Gerätes für einen Augenblick nicht von denen seiner Frau unterscheiden. Was erst wie ein aufdringlicher Hilfeschrei eines tollwütigen Tamagotchis klang, manifestierte sich in einem:
„Herzlich Willkommen lieber Benutzer. Ich bin der neue „Speed Trash 300 Kompressor“. Ich stehe zu ihren Diensten.“ Jens war beeindruckt. Er hatte zwar schon oft einen Pfandautomaten gesehen, der nicht funktionierte, aber noch nie einen der so höflich dabei war. Vielleicht war dieser Blechkasten damit seiner Frau doch überlegen.
„Nun steh doch nicht so da.“, riss Gisela ihren Mann aus seinen Gedanken. „Sonst wechselt er vielleicht die Sprache in Englisch oder Japanisch.“ Ihr Mann nickte kurz und murmelte: „Tach.“ Der Automat wirkte etwas wie ein Beamter, der in seinem Wortschatz nur Vorlagen kannte, als er sagte: „Behälter ungültig.“ Jens versuchte es erneut. Wieder bekam er die gleichen Wörter zu hören. Er
steckte die Flasche von allen Seiten hinein und auch bei einer anderen Flasche funktionierte es nicht besser. „Sei doch etwas gefühlvoller dabei.“ , warf ihm seine Frau vor.
„Soll ich ihm ein romantisches Gedicht vorlesen, bevor er meinen Müll annimmt?“, rief Jens empört, „Was glaubt er wer er ist?“
„Ich bin der neue „Speed Trash 300 Kompressor“. Ich stehe zu ihren Diensten.“, schallte es aus dem Blechkasten. „Bitte Frage korrekt eingeben.“ Nun waren die beiden verblüfft. Was hatte das zu bedeuten? Gisela wusste es nicht, war aber genervt davon, das Jens es auch nicht wusste. Aus Spaß fragte ihr Mann: „Nun gut, dann sag mir mal was eins plus eins ist?“ Die Antwort kam nach einem kurzen Scheppern: „Positiv – 2.“ Gisela und Jens konnten es kaum glauben. Dies schien kein gewöhnlicher Pfandautomat zu sein. Gisela kam nun auch auf dem Geschmack. „Wie ist das Wetter morgen?“ Auch sie bekam
Antwort: „Positiv – Wolkig bis Regnerisch bei einer Temperatur bis zu 16 Grad Celsius.“ Sie war geschockt. Wer Fragen stellte musste automatisch mit Antworten rechnen und dies war nun mal ein Automat. Jens kam kurz in den Sinn, das sie wieder die Obdachlosen-Unterkunft aufsuchen müssten, wenn es tatsächlich so kalt werden würde. Aber nun hatte er lieber Lust diese Ansammlung von Schaltkreisen und Kabeln herauszufordern. „Welche Partei regiert gerade unser Land?“ Der Pfandautomat wusste auch darauf eine Antwort: „Na jedenfalls keine gute.“
Gisela und Jens waren sprachlos. Die Antwort war vollkommen korrekt. Plötzlich ertönte die Automatenstimme wieder, diesmal ungefragt.
„Sehen Sie, die Opposition ist da viel besser. Das ist nicht so ein Neoliberalistischer Trauerspiel sondern eine Partei für das Volk. Eine Partei die ihre Wähler ernst nimmt.“ Dann
piepte der Automat einmal und an der Tür, von dem Raum in den sich alle befanden, klackte das Schloss kurz.
Gisela wollte schreien, aber der Automat lenkte ab. „Äh... die Wähler dieser größten Oppositionspartei sind frei und können demokratisch wählen. Die Partei von der ich da rede heißt: CDUSPD, eine Partei mit Programm, eine Partei mit Zukunft.“
„Was?“ , fragte Jens, „Mich interessiert das alles gar nicht! Wir müssen sehen wo wir heute Nacht übernachten können oder wie wir unser Essen heute bezahlen können. Da interessiert mich weder die eine Partei noch die andere Partei. Keine Partei ist eine geeignete Partie.“
Der Automat machte beleidigte Geräusche. Gisela war aber angetan von den kulturellen Automaten.
„Lass ihn doch reden, er ist viel gebildeter als du.“ Jens konnte es nicht glauben. „Aber deswegen ist er nicht gleich schlauer als ich. Auch wenn er
redet wie ein Politiker, hat er dieses Gerät dennoch eine Schraube locker.“
„Ach du bist ja nur neidisch auf ihn.“
„Gisela, das Ding da ist ein Automat!“
„Na und? Wir Frauen schauen nicht so auf das Äußere.“
Der Pfandautomat machte jedoch unbeirrt weiter. „Die CDUSPD ist viel besser als die SPDCDU. Sie hat Recht und hat vor dem Senat durchsetzen können das viel mehr Kinderspielplätze in Mc Donalds Filialen entstehen sollen. Und das Eltern in ihren Waffenschränken nur deutsche Waffen stehen haben dürfen. Auch sollen die entwürdigenden Aufnahmerituale bei der Bundeswehr und einige Fehlentscheidungen im Kampfeinsatz mehr dem internationalen Standard von Fehlent-scheidungen im Kampfeinsatz angepasst werden.“
Jens fragte: „Du weißt angeblich ziemlich viel, aber weißt du auch, dass du nur ein einfacher Pfandautomat bist? Was redest du da von
Partei, Senat und irgendwelchen Programmen. Sag mir lieber die Lotto-Zahlen von nächster Woche.“
Gisela, die aktuelle Teamleiterin, schlug ihren Untergebenen mit der Supermarkt-Tüte. „Also ich finde ihn sympathisch. Er ist so konsequent und er weiß bestimmt was das richtige ist. Du weißt ja nicht mal das Freud die Freude entdeckt hat.“
Der Automat unterbrach die beiden mit einer fröhlichen, aber sehr aufdringlichen Melodie. Als er die Aufmerksamkeit wieder hatte, fuhr er unbeirrt fort. „Ihr seid bestimmt Hauptschüler mit Migrationshintergrund, aber ich zeige euch gern die Hintergründe auf warum die CDUSPD keine arrogante Partei ist und so beliebt beim Volk ist. Also beim Volk das in der Bank arbeitet. Und beim Volk das viel Geld verdienen will. Die Zielgruppe sozusagen. Natürlich will die Partei alle erreichen... die etwas erreicht haben.“
„Also mir ist es wichtiger einen warmen Schlafplatz zu haben als mich für irgendeine Partei zu interessieren, deren Akteure einen viel höheren Lebensstandart haben als ich.“, rief Jens empört. „Aber deine Ansichten, Meinungen und Eindrücke müssen doch auch einen warmen Platz zum schlafen haben. Sonst werden sie noch wach und laut. Und da können sie in unserer Partei wunderbar einschlafen.“ , argumentierte der Automat.
„Kannst du beim voll quatschen nicht wenigstens unsere Flaschen annehmen?“, meinte Jens. Mismutig nahm der Blechkasten nun jede Flasche an. Damit hielt er seine Zuhörer erst einmal vor Ort.
„Euch interessiert nur immer das Geld.“ , rief der Automat. „Und eine Partei hat sich für das Volk zu interessieren, egal was das Volk will.“ , rief Jens. Dann steckte er verärgert eine Flasche nach der anderen in die Öffnung. Er
schob die Flaschen eilig in den großen Kasten. Er wollte so schnell wie möglich wieder weg. „Bitte mit der Flaschenöffnung zuletzt einschieben“, stand auf ein Schild am Automaten. Die Anzeige des Gerätes blinkte bunt, untermalt von seltsamen Lauten. Mit einer angehobenen Stimme, fuhr der Kasten fort: „Ihr habt nicht mal Abitur oder? Einfache Leute leben sicher einfacher und schwierige Menschen eben schwieriger. Wir müssen uns auch unserer Verantwortung in der Weltpolitik und innerhalb von Europa bewusst werden. Da gibt es offensichtlich nichts endgültiges.“
„Endgültig ist, dass mich das alles gar nicht interessiert.“, motzte Jens. „Es steckt soviel Leben und Realität in den Worten des Automaten.“, schwärmte Gisela. „Habt ihr mal eine Kippe?“, fragte der Pfandautomat plötzlich. „Auf öffentlichen Plätzen ist das Rauchen verboten, hat deine Partei durch gesetzt.“, lachte Jens. Aber Gisela gab ihm eine Zigarette
und steckte sie angezündet in die Bon Öffnung des Gerätes. „Merci.“ , bekam sie dann von dem qualmenden Kasten zu hören. „Schau mal, er kann auch spanisch!“ , begeisterte sich Gisela.
„Wär schön wenn du mal spanisch reden könntest.“ , meinte Jens.
„Aber Jens, du kannst doch kein Spanisch?“
„Eben, darum... dann wüsste ich wenigstens warum ich dich nicht verstehe.“
Jens war sauer das er schon ein Haufen Flaschen reingesteckt hatte, aber trotz mehrfachen Drückens des entsprechenden Knopfes, keinen Pfandbon bekommen hatte. War der Automat defekt?
Es klackte an der Tür. Ein Kind wollte auch herein und zwei Cola Dosen abgeben. Jens ließ dem kleinen Mädchen den Vortritt. Er hatte noch viele Flaschen reinzustecken. Das Mädchen bedankte sich und steckte rasch die Dosen in die große Öffnung. Sie bekam den
Pfand Bon sofort, der politisch interessierte Automat schenkte ihr dazu noch ein Button, einen Kugelschreiber und ein Schlüsselband von der Jung-CDUSPD, der Jugendorganisation der CDUSPD. Sie war überrascht und erfreut. Auch wenn sie noch ein Haufen Flyer und Prospekte dazu bekommen hatte. Aber das störte sie nicht. Gut gelaunt ging sie aus dem Häuschen heraus und bedankte sich noch vorher beim Automaten.
„Ihr habt nur Müll im Kopf.“, lachte der Blechkasten. „Und der lässt sich jeden Tag wunderbar recyceln.“
„Ein Glück das Automaten bei uns nicht wählen dürfen.“, konterte Jens.
„Aber wir dürfen regieren.“, amüsierte sich der Pfandautomat.
„Gib mir mein Geld für meine Flaschen und rede kein Unsinn.“, brüllte Jens. Der Automat nahm zwar die Flaschen an, aber spuckte keinen Bon heraus. Dabei handelte es sich um
ein beträchtliches Vermögen für Gisela und Jens. Zornig und verzweifelt trat Jens gegen den großen Kasten. Mit voller Wucht traf er ihn dabei. Dieser schepperte wieder und plötzlich fielen die Außenwände klappernd zu Boden. Zum Vorschein kam ein kleiner Mann, der wohl die ganze Zeit da drin gesessen hatte.
„Äh... Hallo …. Darf ich mich vorstellen?“ , sagte er verlegen. „Mein Name ist Fabian Krawinkel ich bin Außerparlamentarischer Beauftragter der CDSPD, Zuständig für Presse, Aufklärung und Wahlkampf. Na alles klar Leute?“
„Sie waren das die ganze Zeit? Was machen sie in diesem Kasten?“, rief Gisela schockiert. Auch ihr Ehemann war erschrocken. „Naja unsere Partei braucht mehr Öffentlichkeit und die ist eben schwierig zu bekommen. Deswegen mussten wir unkonventionelle Wege suchen, um ein Publikum zu erreichen. Das ist alles
nicht so leicht, wie es mal war, muss ich Ihnen sagen.“
„Tja..“, entgegnete Jens, „ich kann mir vorstellen das es in der heutigen Gesellschaft, der Politik so schwer geht, weil es überall Armut gibt. Inmitten eines reichen Landes. Am besten wird die Politik akzeptiert, wenn die Gesellschaft sozialer wird. Aus diesen Nährboden kann dann wahre Politik, also eine Vertretung für die Masse, entstehen. Politik ist nicht ein System mit einem einzelnen Ego, sondern eine Sache von uns allen.“
„Naja die Opposition wirbt in Getränke-Automaten. Wir dachten mit einem Pfand- automat bekommen wir mehr Sympathi- santen.“, sagte der Politiker kleinlaut.
„Automaten sind wie Politiker. Würden wir uns als Volk einig sein und diese Automaten einfach nicht benutzen, dann würde sich mehr verändern. Man kann ein kaputtes Bauteil reparieren oder es gar austauschen, aber
letztendlich passiert immer wieder das gleiche erneut. Automaten gehen immer wieder kaputt.“
Ende.
Copyright Sven Bremer 2011