You are not alone, wie häufig habe ich diesen Satz in meinem bisherigen Leben doch schon gehört. Eingehalten haben ihn wenige. Immer nur reden, aber wirklich da, wenn ich jemanden gebraucht habe war keiner. Jeder hatte dann auf einmal etwas ganz dringendes zu erledigen, Fernsehgucken zum Beispiel oder Musik hören, oder er ging einfach nicht ans Telefon, obwohl ich genau wusste, dass er daneben saß. So musste ich es jedes Mal alleine schaffen, ohne irgendwen der mir zur Seite stand, ohne einen Freund an meiner Seite, ganz allein.
Eine Sternschnuppe schoss über den dunklen Oktoberhimmel und ich schaute ihr sehnsuchtsvoll hinterher. Wie gerne würde ich jetzt mitfliegen und irgendwo in den Weiten des Weltalls verglühen… Normalerweise hätte ich sofort einen Wunsch geäußert, doch heute zögerte ich. Viel zu viel war in den letzten Monaten passiert, als dass ich noch einen Wunsch frei hätte. Ich hatte gar keine Zeit mir Wünsche auszudenken, denn ich war mit viel zu vielen Sachen beschäftigt, die mich eigentlich nicht beschäftigen sollten. Mit meinem neuen Leben zum Beispiel, da meine Eltern es doch tatsächlich geschafft hatten mein altes Leben total auf den Kopf zu stellen. Aber nun der Reihe nach.
Begonnen hat das ganze Theater am 22. Oktober 2011, vor knapp einem Jahr, als meine Eltern nach ungefähr einem Jahr Zögern und ständiger Streiterei endlich ihre Trennung bekannt gaben und Mama ihre Sachen packte und mich und meinen ständig nervenden Bruder Mike aufforderte mitzukommen. Es waren Ferien und so konnten wir bei meiner Oma unterkommen, die in Frankfurt wohnte. Um sechs Uhr abends standen wir vor deren Tür, wurden aber genauso herzlich empfangen wie immer: „Wollt ihr was essen? Wir haben zwar schon um halb sechs gegessen, aber ich mache euch gerne noch etwas.“, dann noch zwei dicke Schmatzer auf beide Wangen und eine kindliche Umarmung meiner Tante und na ja, herzlich willkommen…
Um ehrlich zu sein waren das die schlimmsten Ferien meines Lebens gewesen, da ich mit meinem Bruder in einem Bett schlafen musste und jeden Morgen um halb sieben geweckt wurde, da mein Onkel zu dieser Zeit die Treppe runtergetrampelt kam, da er zur Arbeit musste. Ich muss zugeben, diese Ferien hatten auch ihre guten Seiten. Ich konnte endlich zwei ganze Wochen lang mit dem Hund meines Cousins Gassi gehen und ich hatte auch einen Platz gefunden, an dem ich ungestört war und zwar wirklich ungestört. Dennoch ging mir das ständige früh aufstehen, das frühe Mittag- und Abendessen und das langweilige Fernsehprogramm nach ungefähr drei Tagen ziemlich auf die Nerven. Hinzu kamen mein Bruder und mein Cousin, die unbedingt mit mir spielen wollten und wenn ich nicht nach deren Pfeife tanzte mich bis zum Umfallen genervt haben und meine Tante, die so was von keine Ahnung von Jugendlichen hat, dass man echt verzweifeln kann. Sie hat mehr oder minder alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Erst hat sie mir erzählt, wie groß ich doch geworden bin, dann fragte sie mich, ob wir nicht mal zusammen Memory spielen wollen, das habe ich doch früher so gerne gemacht und na ja allen Übel kam dann auch noch der dumme Kommentar, warum ich denn den ganzen Tag vor meinem Handy und Computer hinge, da das ja ganz ungesund sei. Als ob das ein vierzehn jähriges Mädchen hören möchte! Nach einer Stunde hatte sie dann endlich geschnallt, dass das chillen heißt und ich keinen Bock habe irgendetwas zu spielen oder zu unternehmen. Da könnte sie meinen Bruder und meinen Cousin fragen. Als sie dann etwas beleidigt abzog schüttelte ich nur verzweifelt den Kopf und steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren, damit ich auch ja jedem zeigen konnte, dass ich keinen Nerv mehr hatte. Am dritten Abend rief dann auch noch mein Vater an und wollte noch einmal mit Mama sprechen. Nach einer halben Stunde ständigen Anbrüllens, legte Mama endlich auf, um zwei Minuten später heulend auf dem Sofa zu liegen und sich von ihren beiden Schwestern, Oma und meinem Bruder trösten zu lassen. Ich musste mich sehr zurück halten, nicht gleich los zu kichern, so komisch sah es aus. Mittlerweile schlief ich schon auf dem Fußboden, da ich es nicht mehr aushielt mit Mike, der sich jede Nacht an mich kuschelte in einem Bett zu schlafen und zwischen der Heizung und ihm eingeklemmt zu werden. Immer öfter zog ich mich an meinen Geheimplatz zurück um endlich mal wieder meine Ruhe zu haben. Immer wieder nervte mich meine Mutter damit, dass ich Vokabeln lernen sollte und ganz nebenbei auch noch möglichst viel vorarbeiten sollte, damit ich in der Schule nicht abschmierte. Vokabeln lernte ich wirklich, aber nicht ganz so intensiv, wie Mama das gerne hätte. Viel lieber chattete ich mit meiner besten Freundin, die die Ferien auf Mallorca verbringen durfte. Jeden Tag schickte sie mir ein neues Bild und meinte immer wieder: Hei Süße, you are not alone. Die Eltern meiner Freundin lassen sich auch scheiden… Damals schmunzelte ich noch darüber, doch heute denke ich: Mädchen, du hast keine Ahnung!
Als die Ferien zu Ende gingen fuhren wir wieder nach Hause. Mama hatte eine Wohnung angemietet in die wir einziehen konnten, doch nach der Besichtigung meinte ich zu ihr: „Sry ey, aber ich bleibe bei Papa. In so ´nem Loch möchte ich nicht hausen.“ So zog ich wieder in unser Haus ein und Mike und Mama lebten in der kleinen Wohnung. Papa und ich hatten eigentlich täglich Streit, aber das machte mir reichlich wenig aus. In der Schule kassierte ich dafür eine Eins nach der anderen, da ich den ganzen Nachmittag nichts zu tun hatte und somit fast täglich lernte. Das war das geringste Übel. Damals war noch alles super… Na ja, zumindest fast.
Doch als am 06.Dezember 2011 mein Opa starb, änderte sich mein Leben schon wieder. Meine Oma, die Krebs hatte, besuchte ich nun täglich und kümmerte mich um sie. In der Schule schmierte ich ab, da ich keine Zeit mehr zum Lernen hatte und mich auch kaum konzentrieren konnte. Mit Mike und Mama hatte ich nur sehr selten Kontakt. Mike sah ich zwar täglich in der Schule, hatte aber keine Lust mich länger mit ihm zu unterhalten. Meinen Freunden erzählte ich von all dem nichts. Es ging sie auch nichts an. Sie hätten mich ja doch nicht verstanden.
Der 3. Wandel begann am 20.Februar 2012 als meine Oma ihrem Krebs erlag. Nach drei Monaten täglicher Pflege und Zuwendung, war es ein harter Schlag für mich. Tagelang schloss ich mich in meinem Zimmer ein, aß und trank kaum etwas und wollte niemanden sehen. Ich ging auch nicht zur Schule, nur zu Omas Beerdigung kam ich aus meinem Zimmer, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Nach einer Woche ging ich wieder in die Schule. Ich wurde von allen aus meiner Klasse fragend betrachtet, alle bemerkten meinen Wandel. Ich war nicht mehr die kleine, zurückgezogene, schüchterne Emely sondern war erwachsen geworden. Viel schneller als mir lieb war. Aus meiner heilen Welt wurde ich hinaus gerissen und in ein ganz neues Leben hineingesetzt. Keiner hatte mich vorher gefragt, ob ich bereit sei, ob ich wolle. Es geschah einfach. Mein Schminkstil hatte sich geändert und mein Kleidungsstil ebenfalls. Ich schminkte meine Augen nun dunkel und trug viel Schwarz. Nach und nach veränderte sich nicht nur mein äußeres Erscheinungsbild sondern auch mein Inneres. Ich wurde frecher, draufgängerischer. Vielleicht lag es daran, dass ich nun merkte, wie schnell das Leben vorbei sein konnte. Von einen auf den anderen Tag. Vielleicht lag es auch daran, was ich in den letzten Monaten so alles erlebt hatte.
Am 03.April 2012 ließen sich meine Eltern schließlich scheiden und ich lebte ab nun bei meinem Vater, Mike bei Mama. Das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir hatte sich zwar nicht geändert, aber ich fühlte mich bei ihm wohler als bei meiner Mutter, die wollte, dass ich Leistung brachte und mich tagtäglich anspornte noch mehr für die Schule zu machen, als ich sowieso schon tat. Mein Notendurchschnitt lag mittlerweile bei 1.6 und er verbesserte sich täglich. Ich spielte fast täglich Gitarre und begann auch wieder mit dem Tanzen. Nach einigen Wochen nach der Scheidung begann ich mit dem Rauchen. Ich weiß bis heute nicht warum.
Am 22.Mai 2012 wurde ich Fünfzehn und mir wurde endlich gesagt, dass ich ein Auslandsjahr machen darf. Nach Irland sollte es gehen, jedoch erst nach der zehnten Klasse.
Passend zum Ferienbeginn und der Zeugnissvergabe erfuhr ich, dass mein Vater eine Neue hatte und sie zu uns ziehen wird. Es war eine reiche Tusse, die gerade einmal 35 Jahre alt war. Noch dazu hatte sie blondgefärbte Haare und Oberweite bis zum Mars. Ich fand sie potthässlich und mega unsympathisch, aber davon wollte mein Vater nichts wissen. In den Ferien fuhr ich für drei Wochen in ein Sprachcamp nach England und für die anderen drei Wochen mit einer Jugendgruppe nach Cuxhaven, da Papas Neue fand, dass ich störte. In Cuxhaven konnte ich endlich Marco wiedersehen, den ich nun seit ungefähr drei Jahren nicht mehr gesehen hatte. So wurden die Ferien doch noch ganz schön, auch wenn ich sie nicht mit meiner Familie verbringen konnte. Aber was war meine Familie im Moment überhaupt? Die Tusse und Papa, Mike und Mama, oder so wie früher auch Mama, Papa und Mike?! Ich wusste es schon lange nicht mehr.
Am 20.September 2012 passierte dann das Unglaubliche. Ich traf durch Zufall in der Stadt auf die Filmcrew vom Niedersachsen Tatort wie sie gerade einen neuen Tatort drehten und bekam auch prompt eine kleine Nebenrolle. Ich fühlte mich pudelwohl am Dreh und seit diesem Tag ging mein Leben steil aufwärts. Mein Stil änderte sich wieder, ich trug wieder unauffällige Schminke und zog auch wieder bunte Klamotten an. Auch mit dem Rauchen hatte ich aufgehört. Es war eigentlich noch nie meine Art gewesen. Ich bekam Angebote für Rollen in Filmen und Serien und fast jedes Wochenende war ich unterwegs. In der Schule war ich dennoch immer noch gut. Schrieb Einsen und Zweien und meldete mich fast durchgehend. Ich wurde nicht mehr komisch angeguckt und durfte auch in die ‘ In Clique‘, was ich jedoch dankend ablehnte. Ich wollte nicht zu den Zicken mitdazugehören, die einen so sehr verändern, dass man sich später nicht mehr wiedererkennt.
Und nun sitze ich hier unter dem Sternenhimmel und denke über mein Leben nach. So vieles hatte sich in dem letzten Jahr geändert, so vieles hatte sich verbessert, aber so vieles auch verschlechtert. Das Schlimmste jedoch war, dass ich mich geändert hatte. Ich war ein ganz anderer Mensch geworden. Zumindest für kurze Zeit. Nun überlegte ich, wer ich wirklich bin. Was mein wahres Ich ist. Innerlich habe ich mich schon längst entschieden, aber passt das auch wirklich noch zu mir?! Morgen fängt der Dreh zu meinem ersten Film an, ich bin zwar mega gespannt, wie das so wird, aber ich mache mir auch Sorgen. Sorgen, dass ich den Anforderungen nicht gerecht werde, Sorgen, dass ich versage. Ich habe Angst vor dieser neuen Herausforderung und vor der Verantwortung, die ich nun übernehme. Dennoch war es schon immer mein Traum, die Schauspielerei. Schon immer wollte ich vor der Kamera stehen, schon immer wollte ich in die Rolle eines anderen schlüpfen. Nun ist es so weit. Nun bin ich bereit und bin es doch nicht. Aber ist man das je? Man sollte es einfach ausprobieren, es einfach wagen.
Und schon wieder bin ich allein. Das Gras ist feucht und die Nachtluft kalt. Die Entscheidung kann mir niemand abnehmen. Das muss ich ganz allein wissen.
Ich schaue hinauf in den Oktoberhimmel und eine Sternschnuppe fliegt vorbei. Nun weiß ich, was ich mir wünsche und meine Lippen formen die Worte, die schon die ganze Zeit in meinem Kopf herumgeistern...
You are not alone und wenn du glaubst du bist es, dann schau hinauf in den Sternenhimmel und eine Sternschnuppe fliegt vorbei. In diesem Moment denkt jemand ganz fest an dich und pflückt dir die Sterne vom Himmel.