Der Vertrag
Am Abend nach der Schule wandere ich mit strammen Schritten nach Hause, ein zuhause dass unserer Schule ganz ähnlich sieht und denke über Talin nach. Trotz der lässigen Art mit der er mir gegenüber getreten ist kommt er mir unheimlich jung und verletzbar vor. Ich will gar nicht wissen was mein Vater heute noch tun wird. Ich erreiche schließlich ein Haus das, genau wie meine Schule, aus schwarzem Stein erbaut ist und von einer riesigen Parkanlage umgeben ist. Ich „beobachte“ mich selbst dabei wie ich mit zielsicheren Bewegungen die große Haustür aufschließe, die Eingangshalle betrete und ohne zu zögern unseren Speisesaal wo mein Vater schon auf mich wartet.
Er sitzt reglos vor dem gedeckten Tisch und beobachtet mich während ich mich setze. Obwohl er mein Vater ist und schon ein paar tausend Jahre länger lebt als ich, sieht er so aus als wäre er gerademal 10 Jahre älter als ich, so um die 27 herum. Und dank seines reinblütigen Elfenerbes wird das wohl auch bis in alle Ewigkeit so bleiben, es sei denn, er entscheidet sich eines Tages für den Freitod. Ich sitze ihm genau gegenüber, eine gute Gelegenheit ihn zu betrachten, besonders wenn er mich den Blick sowieso nicht von sich abwenden lässt. Genau wie ich hat mein Vater dunkles Haar dass ihm in einem altmodischen Schnitt lockig bis zum Kinn fällt. Er hat einen kräftigen, großen Körper der in einem dunkelroten Hemd steckt. Natürlich sitzt er aufrecht und gerade da, so aufrecht und gerade wie ich schätze ich. Seine Augen sind leuchtend grün, ebenfalls Elfenerbe. Er mustert mich mit diesem seltsamen Ausdruck mit dem er mich immer ansieht: Voller Hoffnung und gleichzeitig voller Resignation und Bitterkeit.
Ich weiß warum er mich so betrachtet. Vor mir hatte er schon tausende andere Frauen, tausende andere Söhne und Töchter, doch er hat sie alle überlebt, hat sie alle zu Grabe tragen müssen. Meine Mutter hat mir erzählt dass ich anscheinend genug seines Blutes in mir habe um vielleicht auch unsterblich zu werden. Deswegen diese Sache mit dem Vertrag der erst in dreiunddreißig Jahren ausläuft, das Alter in dem eine normale Elfe erwachsen wird, und eine mit dem reinen Erbe unsterblich. So gering die Chance dass ich tatsächlich so unsterblich wie er werde auch ist, er will mich auf jeden Fall so lange beschützen bis es festgestellt ist. Seine anderen Kinder hat er nicht so kontrollier, gegen seine anderen Frauen musste er keinen jahrelangen Prozess führen wer das „Besitzrecht“ auf ihre einzige Tochter hat. Seinen anderen Frauen musste er nicht ihre Töchter wegnehmen und seinen anderen Töchtern nicht die Freiheit stehlen. Nur mir.
Nur mir.
Plötzlich fühle ich wie seine Kontrolle die er über mich hat langsam nachlässt und ich mich plötzlich so bewegen kann wie ich es will. Ich blicke mit gerunzelter Stirn auf meine Hände während ich sie zu Fäusten balle. „Wieso?“, frage ich leise.
„Ich möchte mich Mal wieder mit dir unterhalten“, antwortet mein Vater gelassen. Er hat eine volle, tiefe Stimme die einen, wenn er laut spricht, am ganzen Körper vibrieren lässt. „Über diesen Jungen. Du riechst noch immer nach seiner Berührung.“
Ich wage es nicht ihn anzusehen obwohl ich an nichts von dem was passiert ist schuld bin. „Was wirst du ihm antun?“, frage ich traurig. „Wird er den heutigen Tag überhaupt überleben?“
Mein Vater tätschelt mir die Hand, eine seltene Berührung unter der ich unbewusst zusammenzucke. Er bemerkt es, zieht seine Hand weg und fängt mit regloser Miene an zu Essen. Es gibt irgendeinen Salat-Mix. Obwohl wir im Gegensatz zu allen anderen Elfen der unteren Schichten nicht dazu verpflichtet sind nur Grünzeug zu essen vermeiden wir trotzdem Fleisch. Ich nehme das schweigend hin, mir fehlt nicht wenn ich kein Fleisch bekomme. Mir fehlen ganz andere. Zum Beispiel das Wissen dass dich niemand beobachtet während du aufs Klo gehst.
„Wird er den heutigen Tag überleben?“, wiederhole ich meine Frage etwas nachdrücklicher. Darauf will ich jetzt eine Antwort, wenn er sagt dass…
Mein Vater bedeutet mir bloß mit einer Geste zu schweigen, dann ruft er laut „Dredd!“
Dredd ist der persönliche Diener meines Vaters, er kümmert sich um alles Anfällige. Auch darum etwaige Verehrer von mir von der Bildfläche verschwinden zu lassen.
Dredd betritt innerhalb der nächsten zwei Sekunden den Raum als hätte er schon die ganze Zeit vor der Tür gewartet. Sein ferra-Schwert, ein Schwert dessen bloße Berührung alles durchtrennen kann, hält er locker in der rechten Hand.
Er bietet fast das genaue Gegenteil zu meinem Vater: statt groß und breit ist er eher kleinwüchsig und von schmaler Statur, dafür weiß ich dass er nie ermüdet und seine dünnen, aber sehnigen Muskeln niemals aufgeben. Seine hellen Haare trägt Dredd kurz geschoren, das würde ihn weniger stören, meint er. Außerdem gibt es den Blick auf seine ungewöhnlich langen Elfenohren von denen eines eingerissen ist frei. Und sein Gesicht geht genau wie sein Körper in die breite, statt in die Länge und ist von zahllosen kleinen Narben übersät. Zufällig weiß ich dass sein ganzer Körper so aussieht, bloß dass sie nur größer werden.
Trotzdem ist Dredd auf seine eigene, gefährliche Art an die Dad niemals heranreichen wird attraktiv.
Er schenkt mit ein Lächeln in dem ich nur durch jahrelange Übung und einen Tipp meiner Mutter die Abfälligkeit die er eigentlich für mich empfindet erkennen kann und wendet sich meinem Vater zu. „Was kann ich tun?“
Mein Vater wedelt mit der Hand in der Luft herum „Riech Mal an Leilina, nimmst du einen bestimmten Geruch wahr?“ Hemmungslos beugte Dredd sich vor bis sein Gesicht knapp neben meinem schwebt, er ist wohl der einzige Mann der mir so nahe kommen darf ohne bestraft zu werden, dann schnüffelt er. „Junge“, stellt er schließlich bloß fest, ohne sein hämisches Gesicht wegzunehmen. „Ziemlich jung, ziemlich naiv. Den hätte unsere Lina sogar ohne Hilfe fertig machen können.“ Sein Atem streift beim reden meinen Hals. Schließlich wird es mir zu viel und ich lege ihm eine Hand auf die Brust und schubse ihn weg. Obwohl Dredd mich hundertmal in einer Sekunde auf hundert verschiedene Arten töten könnte lässt er es einfach zu und tut einen Schritt zurück, jedoch ohne von seinem abfälligen Grinsen abzulassen.
„Ich möchte das du ihn bestrafst“, meint mein Vater gelassen. „So wie es dir angemessen scheint.“
Na toll.
Dredd sieht kurz zu mir hin, ich schüttle stumm den Kopf, doch das scheint ihn nur noch mehr zu belustigen. Er nickt und entfernt sich schließlich schweigend aus dem Raum.
Ich senke den Blick und starre den Vertrag in meiner Brusttasche an. „Ich werde ihn nie wieder sehen, oder?“, frage ich resigniert.
Mein Vater weiß sofort von wem ich spreche.
Er schüttelt den Kopf: „Nein.“
Und dann nimmt er mir wieder die Kontrolle über meinen Körper.