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"Oh mein König! Habt Gnade mit uns Unwürdigen" gellte ein Ruf in spitzer fast schon kindlicher Tonlage durch die Hallen.
Mit sich fast überschlagender Stimme kam noch "Wir haben Sie! Wir haben sie! Sie versteckten sich auf dem Dach" hinterher, bevor ein nervenerschütternder Schrei durch die Hallen gellte.
"Sind sie sicher?", fragte mich der Totengräber.
"Ja, bin mir Sicher" antwortete ich knapp.
"Die Kinderchen sind bei den beiden Bränden 1914 und 1943 gestorben und man soll die Toten ruhen lassen! Außerdem warum interessiert sich die Staatsanwaltschaft plötzlich für den alten Friedhof?"
"Sie verdienen mit Toten ihr Geld! Also machen sie sich an die Arbeit oder soll sich die Staatsanwältin an einen anderen Totengräber in Salzbachen wenden?"
Ohne eine Antwort abzuwarten fügte ich ein "Sehen Sie! Wir verstehen uns" im klarsten Hochdeutsch an.
Dieser grässliche Ort-spezifische Dialekt in dem der Totengräber sprach, den man fast nur besoffen richtig verstehen konnte und sprechen sowieso erst ab 12 Atü auf dem Kessel.
Warum um alles in der Welt lies ich mich von Hannover ausgerechnet ins tiefste Bayern versetzen? Und dann noch in so ein 10 000 Seelen Drecksnest wie Salzbachen?
Meinen Gedanken nachhängend beobachtete ich den Totengräber der mit einigen Kollegen zugange war die verrotteten ehemals weiß lackierten Holzkreuze zu entfernen und einen Bagger heran schaffte.
„Kaffee?“ riss mich eine vertraute Stimme aus meiner Gedankenwelt zurück in die Realität.
„Ja! Gerne!“ antwortete ich meiner Kollegin Julia.
Julia Kraft, die noch Recht Jung war und so gar nicht zum Bild einer Polizeikommissarin passen wollte. Lange rote Haare die irgendwo knapp über dem Becken endeten und in einem Zopf gebändigt waren.
Warum eine Frau wie sie Single war erschloss sich mir nicht, ich konnte es mir nicht erklären so sehr ich es auch versuchte.
Eine offen und herzliche Art nannte sie ebenso ihr eigen wie eine Traumhafte vielleicht etwas zu magere Figur, jedoch an den entsprechenden Stellen wohl proportioniert.
Bevor ich schwach wurde etwas zu versuchen das am Arbeitsplatz nur zu Komplikationen führte fragte ich schnell wo den wohl die Gerichtsmedizin bliebe.
„Keine Ahnung, ist doch noch nicht so weit oder?“ antwortete sie und drehte sich mit suchenden Blick zum gerade noch zu erahnenden Friedhofstor um.
„Na die Jungs graben doch schon,“ stellte ich nüchtern fest „wenn die nicht bald hier sind können wir die Leute zur Mittagspause schicken! Toll, bei dem scheiß Wetter hier herum stehen und auf die Herrschaften von der Forensik warten.“
„Na nun reg Dich ab, ist doch besser den Tag hier herum zu bringen als wieder sinnlos Zeugen zu befragen nur um zu klären das der ältere Herr wirklich ohne Fremdverschulden die Treppe herunter stürzte und sich unglücklich das Genick brach“
„Ja stimmt“ gab ich Julia Recht.
Andererseits konnte ich ihr wohl kaum sagen nicht unerheblich enttäuscht zu sein das ausgerechnet wir diesen „Cold-Case“ bearbeiten mussten?
Beschuldigungen eines 97-Jährigen, Ereignisse betreffend die schon etliche Jahre zurück liegen!
Was zur Folge hatte tagelang in staubigen Archiven herum wühlen zu müssen um festzustellen das die meisten Zeitzeugen bereits tot sind und heraus finden wo und ob überhaupt noch jemand etwas dazu sagen konnte!
Schließlich entschied die Staatsanwältin obendrein den Anschuldigungen nachzugehen und ordnete die Öffnung der Gräber an.
Und wem gibt man den Fall? Dem verhassten Saupreußen, wie mich meine Kollegen scherzhaft nannten, zumindest hoffte ich das es nur Spaß war, und seiner hübschen Püppi.