Kurzgeschichte
Stundenlang

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"Stundenlang"
Veröffentlicht am 19. Oktober 2012, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Stundenlang

Stundenlang

Beschreibung

Ich bin ein ungeduldiger Mensch

Man(n) sitzt im Auto und wartet, - und die Zeit will nicht vergehen. Eine Minute dauert dann nicht nur sechzig Sekunden, sondern mindestens eine halbe Stunde.

Ich sitze also in unserer alten Familienkutsche, diese steht auf einem Parkplatz, der Parkplatz liegt neben dem Krankenhaus und im Krankenhaus liegt meine Schwiegermutter. Und in dem Zimmer, in dem meine Schwiegermutter liegt, befindet sich wohl auch seit genau zweiundvierzig Minuten meine Ehefrau.

Ich hasse Krankenhäuser und Krankenbesuche und heute auch meine Frau, weil sie gesagt hat, dass ich wohl zwei bis drei Stunden auf sie warten müsste. Warten liegt mir zwar auch nicht, ich bin kein geduldiger Mensch, aber es war für mich das kleinere Übel und ich hatte mich dementsprechend vorbereitet: zwei kleine Flaschen Mineralwasser, drei kalte Frikadellen (Marke Eigenbau), zwei Rumkugeln vom Bäcker und eine Tüte Gummibärchen. Wie sagt man doch: die Mischung machts.

Zwischenzeitlich habe ich auch bereits meine Umwelt inspiziert. Links von mir steht ein alter Ford-Transit mit bunten Vorhängen an den hinteren Seitenscheiben, rechts ein Porsche in silbergrau und vor meinem Wagen eine Weißdornhecke, in der, wie auf dem Parkplatz, ein reger Verkehr herrscht (es naht die Brutzeit).

Draußen sollen es laut Wetterbericht 27 Grad Celsius im Schatten sein, im Auto sind es mindestens 37 Grad. Von den 0,66 Litern Mineralwasser schwitze ich so nach und nach 0,6 Liter wieder aus, und der Kriminalroman ist so spannend, dass ich unter Berücksichtigung der fünfunddreißig überschlagenen Seiten bereits auf Seite 63 angelangt bin.

Man glaubt es kaum, aber inzwischen ist viel passiert: Ich habe zwei der drei Frikadellen verspeist, eine Rumkugel angebissen und dabei an meine Frau gedacht, eine elegant gekleidete Dame (Konfektionsgröße 48 bis 52) hat innerhalb von nur wenigen Minuten unter nahezu akrobatischen Verrenkungen den Porsche geentert - und der Lieferwagen links von mir schaukelt leicht im Sommerwind, obwohl es absolut windstill ist.

Ich lege den Kriminalroman beiseite. Die Wartezeit auf dem Parkplatz scheint spannender zu werden als vorher angenommen. Vor lauter Aufregung esse ich die letzte Frikadelle zusammen mit einer Handvoll Gummibärchen.

Als die Tüte mit den Gummibärchen fast leer, der Lieferwagen immer noch in Bewegung und meine Neugierde noch keineswegs befriedigt ist, wende ich mich zwecks Senkung meines sowieso schon zu hohen Blutdruckes wieder dem Kriminalroman zu. Auch hatte ich zwischenzeitlich erwogen, mich und mein Auto woanders zu parken; doch, ich erwähnte es bereits, es war Besuchszeit im Krankenhaus und kein anderer Parkplatz mehr frei.

Ich entnehme der Tüte noch eine Rumkugel und verfolge gespannt die Bemühungen eines dicken Fahrers und seiner dünnen Beifahrerin, die verzweifelt und auch schwitzend versuchen, die durch den Porsche entstandene Parklücke mit einem Wohnmobil zu füllen. Dann blicke ich erneut nach links auf den Ford-Transit ... und direkt in ein riesengroßes Hundegesicht. Der Hund blickt seinerseits äußerst gierig auf meine angebissene Rumkugel - und selbige fällt mir vor Schreck zuerst aus der Hand, dann in den Schoß und schließlich unter den Beifahrersitz. Ich steige aus, umrunde - trotz der Hitze - mein Auto, öffne die Beifahrertür und bücke mich. Der Fahrer des Wohnmobils hupt mich laut von hinten an, seine Beifahrerin keift irgendwo irgendwas am anderen Ende. Meine linke Hand ergreift diverse Gegenstände unter dem Beifahrersitz; u.a. Bonbonpapiere, Zigarettenstummel, einen klebrigen Restlolly ... und die jetzt leicht fusselige Rumkugel.

Hinter mir steht inzwischen der Fahrer des Wohnmobils höchstpersönlich (er muss wohl ausgestiegen sein), er schreit und schimpft wie ein Rohrspatz und verscheucht damit die anderen Vögel in der Hecke.

Dann überstürzen sich die Ereignisse.

Der Hund fährt mit dem Lieferwagen davon, oder umgekehrt, und der Fahrer des Wohnmobils sinkt, sichtlich ermattet und in Ermangelung eines Stuhles, in die inzwischen geräumte Weißdornhecke. Ich sehe meine Frau kommen, sie macht winkewinke und ich mache winkewinke. Ich freue mich und setze mich, ... und zwar direkt auf die Rumkugel.

 

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