Krimis & Thriller
Die Marionettenspieler - Gefangen im Netz

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"Die Marionettenspieler - Gefangen im Netz"
Veröffentlicht am 16. Oktober 2012, 210 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Über den Autor:

Hi!! ;) Ich bin Juliette und alle die mich kennen,nennen mich Julietta :-) Ich freue mich hier zu sein,um meine Bücher mit anderen zu teilen.Denn das Schreiben ist meine große Leidenschaft ...
Die Marionettenspieler - Gefangen im Netz

Die Marionettenspieler - Gefangen im Netz

Einleitung

Völlig undurchdacht und gedankenlos zieht die junge Pia nach Berlin. Sie ahnt jedoch erst viel zu spät,dass sie nur ein Teil einer geplanten und grausamen Machenschaft ist. Doch an wen kann sie sich hier in dieser fremden Großstadt wenden und wird sie dies noch rechtzeitig schaffen?

Für meine drei Schwestern Anne, Sophie und Emma.

Falsche Vorstellungen

 „Wow!“, waren die einzigen Worte, die Pia Kappe herausbrachte, als sie vom ICE auf den Bahnsteig des Berliner Hauptbahnhofes trat. Sie drehte sich einmal um die eigene Achse: So viele Züge, so viele Gleise und so viele Menschen. In dem Kaff, in dem sie aufgewachsen war, gab es gerade mal eine Bushaltestelle und das war schon die Ausnahme. Auch aus diesem Grund hatte es Pia in die Großstadt Berlin gezogen. Pia. Ein großes, hageres, aber durchaus hübsches Mädchen, das mit seinen kurzen braunen Haaren immer noch wie ein Teenager aussah, obwohl sie gerade 25 Jahre alt

geworden war. Pia schaute auf ihre Uhr. Noch zehn Minuten und ihre Internetfreundin Kim Müller wollte sie von hier abholen. Sie kannte Kim nur vom Schreiben und vom Foto, das Kim in den Chat gestellt hatte. Auf dem Bild sah Kim wirklich umwerfend aus, langes blondes Haar, einen großen Mund und tief dunkle Augen. Aber ihr Aussehen konnte sich bis jetzt natürlich schon wieder geändert haben. Um zu verhindern, dass beide wie Fremde, die sie ja auch eigentlich waren, aneinander vorbeilaufen und sich nicht erkennen würden, hatten sie den Bahnhofimbiss als Treffpunkt ausgewählt. Und auf den steuerte Pia jetzt zu. Ein gewöhnlicher Imbiss, mit gewöhnlichen Dingen, wie belegten Brötchen und anderen

Snacks. Pia kaufte sich zwei Käsecroissants, vielleicht wollte Kim ja auch eines haben. Unter dem entnervten Blick der fetten Imbissverkäuferin, stellte Pia sich an einen der vielen Standtische, um die restliche Zeit auf Kim zu warten. Schweifend fiel ihr Blick durch die Bahnhofshalle, aber von einer Frau, die Kim ähnelte, war nichts zu sehen. „Wie hektisch die Leute sind“, dachte Pia, als sie eine aufgebrachte Mutter mit ihren Kindern im Schlepptau an ihr vorbeieilen sah. Pia schüttelte den Kopf und fuhr heftig zusammen, als sich etwas auf ihre rechte Schulter legte. „Hi!“, sagte eine honigsüße Stimme. Pia wusste sofort, wer das war, Kim. Möglichst lässig, drehte Pia sich um, damit Kim ihr nicht ansah, wie sehr sie sich

erschrocken hatte. Pia wollte schließlich cool und lässig in Berlin auftreten. Doch dieses Vorhaben scheiterte deutlich, da sie nur ein krüppeliges „Hallo“ zu Stande brachte und verlegen zu Boden blickte. „Wie gefällt dir Berlin?“, fragte Kim total selbstverständlich. „Ist schön, hab ja noch nicht viel gesehen“, brachte Pia heraus und zwang sich zu einem halbwegs freundlichen Lächeln. Denn schon wieder war sie erschrocken: Kim sah genauso aus wie auf dem Foto aus dem Chat, so als würde es ihr jemand gerade vor die Nase halten. „Wo hast du denn geparkt?“, fragte Pia hastig. „Na auf dem Bahnhofsparkplatz“, antwortete Kim und deutete in die Richtung hinter ihnen. „Wir sollten uns auch beeilen, du willst doch

schließlich nicht zu spät bei Herrn Scharf erscheinen oder?“. Herr Scharf, der Vermieter der WG. Kim hatte ihr geschrieben, dass sie ein Zimmer für sie klarmachen würde. „Na, dann mal los!“, rief Pia. Jetzt schon wieder mit ihrer alten Stimme. Und schon machten sie die beiden inmitten der hektischen Menschenmeute auf den Weg zum Parkplatz. Auf dem Weg dahin sprachen beide nicht viel und auch auf dem Weg zur WG herrschte Schweigen zwischen ihnen. Kim fuhr einen grünen, alten, aber gemütlichen Golf, der sie sicher ans Ziel brachte: Ein etwas abgenutztes, rotes Backsteinhaus. Pia stieg aus und stolperte fast auf dem schotterigen Teerboden der alten Straße. In dieser Gegend würde sie

wohl hausen müssen. Ihre Eltern würden sich schämen, wenn sie das wüssten. Doch daran wollte Pia jetzt nicht denken. Neugierig reckte sie ihren Kopf in alle Richtungen. Überall standen solch abgenutzte Häuser. Keines war rot, und das freute Pia. Mit dem Klimpern des Wohnungsschlüssels machte Kim sie darauf aufmerksam, dass sie jetzt lieber rein gehen sollten. Ansonsten würde dieser Scharf wohl noch ärgerlich werden und Pia müsste sich eine neue Wohnung suchen. Schnell gingen sie durch das gewöhnliche Treppenhaus in den vierten Stock. Das Treppensteigen würde Pia auf Trapp halten und sie müsste nicht noch zusätzlich anderen Sport treiben. „Sport ist Mord“, dachte Pia mit einem Grinsen. Kim klingelte. Sie schien

irgendwie angespannt zu sein, aber ehe Pia sie darauf ansprechen konnte, wurde die Tür geöffnet. Im Türrahmen erschien ein ziemlich großer und sehr muskulöser Mann mit schwarzem, kurz rasiertem Haar, dass an den Spitzen anfing sich grau zu färben. Pia schätzte ihn auf Ende dreißig. Er erinnerte sie an ihren früheren Sportlehrer. „Hallo, Kim! Sie müssen Frau Kappe sein oder?“, fragte er mit einer tiefen, kratzigen Stimme, die wohl darauf hindeutet, dass er Raucher war. „Natürlich, ich bin Pia Kappe.“, stellte Pia sich vor. Kim nickte nur. „Sie können sich erst mal in Ruhe umsehen und mir dann Bescheid sagen. Ok?“, sagte Herr Scharf und verzog sich in den Raum neben der Eingangstür. „Der kann sich ja nicht mal vorstellen!“. Pia

schüttelte den Kopf und steuerte die Tür links von ihr an. In dem kleinen Flur gab es drei Türen und die Eingangstür. In der einen Tür war Herr Scharf verschwunden, an der anderen hing ein „Besetzt“-Schild, wahrscheinlich handelte es sich um das Klo. Jemand hatte wohl vergessen, das Schild wieder umzudrehen oder es gab noch einen Bewohner, der seine Zeit gerade dort verbrachte. Die Tür, die Pia jetzt öffnete, offenbarte einen hellen und recht großen Raum. Das Zimmer war leer, bis auf ein klappriges Eisenbett und einen schäbigen Wandschrank. „Das ist meins!“, schwärmte Pia und stellte sich ihr Zimmer liebevoll eingerichtet und in ihrer Lieblingsfarbe grün gestrichen vor. „Wohnst du eigentlich auch

hier in der WG?“, die Frage an Kim gewandt, drehte Pia sich zu ihr um. Doch da war niemand. „Seltsam, ich hatte mit Kim anders vorgestellt und irgendwie redelustiger“, sagte Pia in die Stille des Raumes. Im Chat hatte Kim so viel von ihrem Leben hier geschrieben, sodass es manchmal schon anfing zu nerven. Kaum war Pia online, kam auch schon ein aufdringliches „Hallo, wie geht’s und was machst du so?“. Die reale Kim sprach so gut wie kein Wort mit Pia. Sie, die sonst immer ein loses Mundwerk hatte und so ziemlich jeden voll quatschte, störte das und sie fühlte sich einsam. Zum ersten Mal bereute sie ihren Umzug nach Berlin. Sie fühlte sich verlassen, in einem völlig fremden Zimmer, in einer fremden Wohnung bei

fremden Menschen. Pia hörte Stimmen aus dem Raum, in den Herr Scharf gegangen war. Kim war wohl zu ihm gegangen. Vielleicht wollte sie noch etwas an der Miete drehen oder so. Der Preis war Pia eigentlich egal. Sie hatte lange auf ihren Umzug hin gespart und  auch ihre Eltern, ein Lehrerehepaar, hatten sie finanziell unterstützt. Eigenes Geld wollte sie dann als D-Jane verdienen. Irgendwann würde sie die Berliner Clubs unsicher machen, da würde ihr ihre Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte auch nichts nützen. Pias Gedanken wurden von dem Grummeln ihres Magens gestört. Den ganzen Tag hatte sie fast nichts zu sich genommen. Lediglich ein Toastbrot zum Frühstück und ein Müsliriegel während der

ICE-Fahrt hatte sie gegessen. Aber sie hatte ja noch ein Käsecroissant vom Bahnhofsimbiss. Richtig Hunger hatte sie darauf jedoch nicht. Pia folgte den Stimmen von Kim und diesem Scharf und ging zurück zu dem Raum, der wohl die Küche war. Tatsächlich waren hier drinnen eine stinknormale weiße Küchenzeile, ein Kühlschrank und ein Herd, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatten. Kim und Herr Scharf saßen an einem runden, mit Papieren überhäuften Küchentisch. Um den Tisch standen drei einfache Stühle aus Sperrholz. „Gefällt dir die Wohnung? Ich darf dich doch duzen oder? Ich bin übrigens Wolfgang“, Herr Scharf zeigte einladend auf den freien Stuhl. „Klar. Die Wohnung ist richtig

schnuckelig und genauso, wie ich sie mir vorgestellt habe“, antwortete Pia überrascht von Herrn Scharfs plötzlicher Freundlichkeit, während sie sich setzte. „Über die Miete reden wir morgen, dann bringe ich dir auch den Vertrag und alles mit. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend. Ciao“, rief Scharf, bevor er aus der Wohnung geeilt war. Pia schüttelte den Kopf und fragte sich, wie oft sie das heute schon gemacht hatte. Sie hatte sich das Ganze doch irgendwie anders vorgestellt.  

Ein neues Team

„Du verdammter Idiot! Kannst du nicht aufpassen!“, fluchte Nicolas Abendstern und schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad seines Oldtimers. Ein Erbstück seines Großonkels aus Maine, das mit seiner roten Farbe immer zwischen den anderen Autos hervorstach. Dieser hatte es damals immer scherzhaft „Christine“ genannt, angelehnt an einen gleichnamigen Horrorfilm. Manchmal schien es wirklich so, dass „Christine“ die Einzige war, die ihn gern hatte. So steckten Nicolas und Christine mitten im sechsspurigen Kreisverkehr im Herzen Berlins. Bei klirrender Kälte, schienen die Abgasdämpfe  der ganzen Autos in der Luft

zu gefrieren. Nicolas fühlte sich wie im Nebel gefangen. Er kniff seine blaugrauen Augen zusammen und fuhr sich mit der Hand durchs kurze blonde Struppelhaar. Er schlängelte sich gerade an einem langsamen Taxi vorbei als die Nachrichtensprecherin im Radio die Uhrzeit verkündete. 7:30. „Scheiße“, fluchte Nicolas und drückte das Gaspedal noch weiter nach unten. Eigentlich hätte er schon vor einer halben Stunde im Kommissariat aufkreuzen müssen. Es war sein erster Arbeitstag hier in Berlin, nachdem er aus Hamburg versetzt wurde. Nicolas ging gerade einmal auf die dreißig zu und hatte die Karriereleiter bei der Polizei schon bis zum Kommissar erklommen. Seine Eltern wären stolz gewesen. Wütend ließ er den Gedanken

fallen, der ihn immer bei der Autofahrt überkam. Im Alter von nur neun Jahren waren seine Eltern bei einem schweren Autounfall in den Alpen ums Leben gekommen. Es war Dezember gewesen, genau wie jetzt. Ihr Auto war in einer engen Kurve den Abhang hinuntergerutscht, als sein Vater versucht hatte einem liegengebliebenen Wagen auszuweichen. Er hasste den Winter. Endlich fand sich eine Lücke im Stau und Nicolas bog Richtung Berlin-Mitte ab. Seine Laune hellte sich etwas auf, als das Kommissariat in Sichtweite kam und es sogar vereinzelt Sonnenstrahlen schafften, durch die dichten Wolken zu brechen. Nicolas sprang aus seinem Auto, griff nach seiner schwarzen Aktentasche und

zupfte seine Krawatte zurecht. Mit einem letzten Blick in den linken Autospiegel, eilte er auf die Eingangstreppe zu. Das Kommissariat war in einem modernen Gebäudekomplex untergebracht. Er drückte die Glastür auf und trat in einen weiß gefliesten Eingangsbereich. Hier herrschte schon zu so früher Stunde reges Treiben. Nicolas fragte bei einer etwas pummeligen, aber hilfsbereiten Sekretärin nach, wo er sich hinbegeben sollte. Anschließend nahm er die Treppe nach oben. Über zwei Stufen gleichzeitig springend kam er etwas außer Atem oben an. Einmal rechts um die Ecke und das Ziel war erreicht. Doch als er fast um die Ecke war, stieß er mit einem großen, schlaksigen und grimmig dreinblickenden

Mann zusammen. „Hoppla, nicht so eilig!“, rief dieser, runzelte die Stirn und begutachtete Nicolas von seinen glänzenden Lackschuhen über seinem perfekt gebügelten Designeranzug zu seinen Struppelhaaren Ein spöttisches Lächeln erschloss sich um seine gekräuselten Lippen. „Der Neue ist auch endlich da!“, brüllte er, indem er sich zu einem schüchtern dreinblickenden Japaner umdrehte. „Michael Laumann, Hauptkommissar“; das „Haupt“ betonte er besonders. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“. „Wenn ich mich vorstellen darf: Nicolas Abendstern. Mir auch ein Vergnügen Sie kennenzulernen“, säuselte er ebenso unfreundlich. Das konnte noch eine großartige Zusammenarbeit werden. Beim

Namen Laumann hatte er sich einen ebenso kompetenten und gebildeten Mann vorgestellt, wie er selbst einer war. Stattdessen sah er einen schrägen Papagei vor sich. Braune Cordhosen und ein rotes Hawaiihemd, seine halb grau, halb schwarzen Haare klebten fettig an seiner Kopfhaut fest. Das war also der echte Hauptkommissar Laumann. Der Japaner hinter ihm schenkte Nicolas nur ein schüchternes Lächeln und hob etwas die Hand, was wohl einen Gruß darstellen sollte. „Nette Kollegen“, dachte Nicolas und marschierte an beiden vorbei in ein Großraumbüro. In der Ecke brummte eine Kaffeemaschine und füllte den Raum mit einem frischen Kaffeeduft. Das Büro war modern eingerichtet. Es gab vier

Schreibtische mit einer Glasplatte, die jeweils zu zweit hinter einander aufgestellt waren. Herrn Laumanns Schreibtisch erkannte er sofort. Völlig zugemüllt und mit kitschigen Plastikfiguren vollgestellt. Wie konnte man hier richtig arbeiten? Auf dem Schreibtisch herrschte Chaos wie im Dschungel. „Wie passend zu unserem Papagei“, Nicolas musste grinsen. Dahinter stand ein 0815 Schreibtisch, das musste der des Japaners sein. Dessen Namen er immer noch nicht wusste. Hier standen leider keine pompösen Namensschilder am Rande der Schreibtischplatte, wie es in Amerika so oft der Fall war. Auf der anderen Seite war der vordere Schreibtisch noch leer. „Meiner“, dachte Nicolas. Auf dem dahinter hatte es

sich schon ein Obstsalat auf der Platte gemütlich gemacht. Vielleicht der einer Frau, wer sonst aß so früh morgens schon Obst. Diese war hoffentlich sympathischer als der Papagei und sein Japaner. Er stellte seine Tasche an seinen Platz und ließ sich auf den bequemen Lederstuhl fallen. Endlich eine weiche Sitzgelegenheit und nicht so ein Plastikkram wie in Hamburg. „Ist der Neue schon angekommen? Oder hat er uns vergessen“, erklang eine honigsüße Stimme aus dem Flur. Einen Augenblick später beugte sich ein blonder Haarschopf um den Türrahmen. „Ach, sind wir auch endlich da?“, zwinkerte die Blondine ihm mit ihren blauen Augen zu. „Ich heiße übrigens Ellie Krone. Und zur Info ich bin auch neu, aber pünktlich.

Das erste was ich hier gelernt habe ist, das man sich duzt. Also verrätst du mir deinen Namen?“ Das hatte der Papagei ihm verschwiegen. Zu große Offenheit zwischen den Kollegen war zwar nicht unbedingt Nicolas Ding, aber da Ellie so natürlich und sympathisch wirkte, sprang er über seinen Schatten. „Nicolas Abendstern“, lächelnd streckte er seine Hand aus, die sie zugleich mit ihrer kühlen weichen Hand ergriff. „Eigentlich wollten wir dich hier noch groß herumführen, aber die Zeit läuft uns davon und wir müssen mit unser Arbeit anfangen“, antwortete Ellie. Wie auf Bestellung erschienen auch der Papagei und der Japaner im Büro und begaben sich auf ihre Plätze. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“,

sagte Nicolas und startete seinen PC. Er musste sich auch noch ein neues Passwort ausdenken. „Papagei vielleicht“, ging es ihm durch den Kopf. Schließlich entschied er sich für „Christine“. Er war gerade fertig als das Telefon des Papageis klingelte. „Hauptkommissar Laumann“, bellte er in den Hörer, wobei er das „Haupt“ ebenso betonte wie vorhin. Nach ein paar „ahas“, hms“ und „jas“, sagte er schließlich: „Wir sind unterwegs“. „Eine Tote in der U-Bahn-Station. U2, Potsdamer Platz“ berichtete er seinen wartenden Kollegen. „Ihr Neuen kommt mit mir und Hiroki du sorgst dafür, dass hier alles glattläuft“. Er bedeutete Ellie und Nicolas ihm zu folgen. „Das geht ja rasant los“, murmelte Nicolas Ellie zu. Diese nickte und beide

folgten schnellen Schrittes dem Papagei die Treppen hinunter auf den Parkplatz. „Wir teilen uns ein Auto. Ihr beide könnt hinten Platz nehmen“, dirigierte Hauptkommissar Laumann die beiden in den schwarzen Dienstwagen. Kaum hatten sie Platz genommen, drückte er sich das Blaulicht aufs Autodach und fädelte sich in den Berliner Stadtverkehr ein. Der Stau hatte sich nicht gelegt, stellte Nicolas fest. Sie kamen nur langsam voran, trotzdem bugsierte der Papagei den Wagen irgendwie an den Autoschlagen vorbei. Nach ein paar Minuten waren sie da. Das Trio sprang fast gleichzeitig aus dem Wagen. Vor dem U-Bahn-Eingang wartete schon ein Polizist auf sie und führte sie nach unten. Das

gesamte Gleis war abgesperrt, doch von einem Tatort war nichts zu sehen. In den dunklen Tunneln, erkannten sie die leuchtend weißen Anzüge der KTU-Kollegen und folgten ihnen. „Machen Sie sich auf einen unappetitlichen Anblick gefasst“, warnte einer von ihnen sie. Und tatsächlich drehte sich Nicolas fast der Magen um, als er das junge Mädchen sah. Sie hing wie eine Marionette von der U-Bahndecke hinab auf die Gleise. Ihr Kopf hing ihr schlaff auf die Brust, sie hatte die Augen geschlossen und sah fast friedlich aus in ihrem weißen Kleid. Wie ein toter Engel hing sie dort, doch wer hatte ihm seinen Frieden genommen? Beim genaueren Hinsehen bemerkte Nicolas eine weiße Lilie in den schwarzen Haaren der

Toten. „Lilien, Blumen des Todes“, stellte er fröstelnd fest. Ein Windzug zog durch den Tunnel und eine leicht verwelkte Blüte fiel schwebend vor Nicolas Füße.

Guten Morgen Berlin

Das Vibrieren ihres Handys riss Pia aus der Aufwachphase. Stöhnend drehte sie sich noch einmal um. Doch das Geräusch ließ sie nicht in Ruhe, so raffte sie sich doch noch dazu auf, sich hinzusetzen und den Wecker auszustellen. Mit zusammengekniffenen Augen guckte sie sich um. Ihr Blick fing einen schäbigen Wandschrank und kahle Wände ein. Sie hatte es wirklich getan und war nach Berlin gekommen. Untergekommen bei einer Internetbekanntschaft. „Ich bin verrückt“, dachte Pia und schüttelte ihre braunen zerzausten Haare. Schwerfällig und mühsam stand sie auf. Durch das Fenster konnte man das schon erwachte Berlin sehen. Ein Blick

nach unten zeigte ihr eine kleine grüne Rasenfläche. Wäscheleinen reihten sich hier hintereinander auf. Im Sommer würde sie wohl den Duft frisch gewaschener Wäsche einatmen können, wenn sie das Fenster öffnete. Ihr Handy zeigte, dass es 9:00 Uhr war. Zeit, sich unter die Dusche zu stellen und ein Frühstück einzunehmen. Pia schnappte sich Duschgel mit Kokosduft und Shampoo aus ihrer Reisetasche, die neben dem Eisenbett stand. Sie steuerte auf die Badezimmertür zu, wo immer noch das Besetzt-Schild hing. Anscheinend war sie wohl die Einzige in ihrer Wohnung. Nach zehn Minuten war sie in ein flauschiges Handtuch gewickelt und schnappte sich die Mascara, um ihre kurzen Wimpern zu

betonen. Die hatte sie von ihrer Mutter geerbt und beneidete alle, deren Wimpern klimpernd die Augenbrauen streiften. Pia schlüpfte in eine dunkle Röhrenjeans und streifte sich ein grünes Top über. Der nächste Weg führte in die Küche. Der weiße Kühlschrank, der ein lautes Brummen von sich gab offenbarte eine gähnende Leere. „Einkaufen muss man hier wohl selber“, nuschelte Pia und entdeckte einen weißen Zettel auf dem runden Küchentisch. „Bin was erledigen, findest dich schon zurecht. Liebe Grüße Kim.“ Pia musste wohl alleine los. Sie erinnerte sich an den Bäcker zwei Straßen weiter, an dem sie gestern vorbeigefahren waren. Das bunte Ladenschild „Berlins Beste Brötchen“ war in ihrem Gedächtnis hängen

geblieben. Pia zog sich ihren olivgrünen Parka über und trat in die braunen Boots, verließ die Wohnung, ging die Treppen runter, öffnete die Tür und atmete die kalte feuchte Morgenluft ein. „Der Winter steht wirklich vor der Tür“, lächelte sie. Der Advent war einfach die schönste Zeit des Jahres. Endlich nahmen die Menschen sich Zeit füreinander, kauften sich Geschenke in den leuchtend bunt geschmückten Geschäften und Lebkuchenduft füllte die Luft. Auf dem Weg zum Bäcker waren nur wenig andere Leute unterwegs. Nur auf den Straßen trafen sämtliche Berliner zusammen. Die bunte Ladenschrift stach ihr in die Augen und sie betrat die kleine Bäckerei. Das Angebot bestand aus ofenfrischen, belegten,

knusprigen und körnigen Brötchen, sowie einer großen Anzahl weiterer Backwaren. Pia reihte sich hinter eine zierliche, kleine, ältere Frau ein. Diese war gerade in ein Gespräch mit der Verkäuferin verwickelt. „Ham, se das auch gehört von de U-Bahn Potsdamer Platz. Da ham se ne Tote gefunden. Mehr wes ick och net.“ „Ja, die haben die ganze Strecke gesperrt, weil es irgendein technisches Problem mit den Gleisen gab. Das hat ein ganz schönes Chaos ausgelöst“. Im Gegensatz zur alten Dame, sprach die Verkäuferin nicht den typischen Berliner Akzent. Neugierig spitzte Pia die Ohren, doch die alte Dame gab ihre Bestellung ab. Fünf Brötchen und ein Laib Weißbrot. Dann verließ sie nach einem freundlichen „Ick

mach’n Abjang!“ die Bäckerei. Langsam wurden Pia die Berliner doch sympathisch. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte die Verkäuferin, indem sie durch ihre dicken Brillengläser einen Blick auf Pia warf. Diese bestellte sich einen Kaffee und ein belegtes Käsebrötchen mit frischen Gurkenscheiben. In einer bequemen Sitzecke fand Pia ein Plätzchen für ein erstes Berliner Frühstück. Anschließend trat sie wieder nach draußen in die eisige Kälte. Die Wolken hatten sich zugezogen und eine graue Decke drückte vom Himmel auf die Menschen hinab. Erste Schneeflocken begannen ihren Tanz nach unten und drehten eine Pirouette um ihre Stubsnase. Die Fußgängerzone war gefüllt von flauschigen Pelzen, Pudelmützen und

Wollschals. Ein Geruch von Glühwein und Zimt breitete sich aus. Der erste Stopp war ein kleiner Teeladen, der mit einem alten Messingschild, auf dem „Teeträume“ stand, einlud. Pia betrat den Laden und eine kleine Glocke kündigte ihren Besuch an. Der kleine Raum war schon festlich geschmückt und ein kleiner Tannenbaum kündigte bereits die Weihnachtszeit an. Es roch nach allen möglichen Gewürzen, Blütendüften und karamellisiertem Zucker. Der „Eistraum“ hatte es Pia angetan. Die Zutatenliste lockte mit schwarzem Tee, Apfelstücken, echten Ceylon Zimtstücken, Mandelstücken, echter Bourbon Vanille und Spekulatiusgeschmack. Zusätzlich landeten auf der Einkaufsliste noch drei Stangen Kandiszucker. Pia konnte

den Teeduft schon förmlich durch ihre Wohnung ziehen sehen. Da sie auch ihr Zimmer etwas aufpeppen wollte, war die nächste Station ein Dekorladen. Die Ausbeute: ein dunkelgrüner plüschiger Teppich, der Pia an eine saftige Sommerwiese erinnerte, ein Paar weiß-grün karierte Gardinen, ein Bild von New York, das die Freiheitsstatue zierte und zwei grüne Dekopflanzen in Terrakottatöpfen. Vollbepackt ging es neben dem Dekorgeschäft in einen kleinen Supermarkt. Da Pia keine große Köchin war, hielt sie es mit den essbaren Lebensmitteln einfach. Eine Dose Ravioli, Tiefkühlpizza, Toastbrot, Aufschnitt, Milch und ein Sixpack 0,5 Liter stilles Wasser. Zurück nahm sie die U-Bahn.

Die Linie Potsdamer Platz war immer noch gesperrt. „Was war da wohl passiert?“, fragte sich Pia. Station Weinmeisterstraße, wo sich ihr Wohnblock befand, war das Ende der Shoppingtour. Schweratmend kam sie wieder vor der Wohnungstür an. Sie schloss auf, betrat den Flur und pfefferte die Einkaufstüten auf das Sofa. In der Küche waren Schritte zu hören und die Tür öffnete sich. Eine schmale Person mit schulterlangen blonden Haaren, die mit einer Plastikhaarklammer aus dem Gesicht verbannt wurden, erschien. „Du musst Pia sein. Meine neue Mitbewohnerin. Ich bin Joana Wulff, aber nenn mich ruhig Jojo.“, sagte die junge Frau freundlich. „Ja ähm, stimmt ich bin Pia und wo warst du gestern?“,

Pia kam sich mal wieder als dämliches Landei vor. „Ich war zu Besuch bei meinem Bruder Andreas in Neukölln“ war die Antwort. „Hast du Hunger, ich habe gerade Curry-Hühnchen auf dem Herd stehen“. Pia wusste nicht, was sie sagen sollte und nickte einfach nur. Jojo verschwand indes wieder in der Küche und Geschirrgeklapper war zu hören. Wenig später saßen sich die beiden jeweils mit einer Portion Curry-Huhn mit Reis vor der Nase, gegenüber. „Sorry, dass ich nichts eingekauft habe. Aber Kim hat mir nicht Bescheid gesagt, dass du bereits diese Woche kommst“. Mampfend nickte Pia. „Warum kriege ich eigentlich meinen Mund nicht mehr auf?“, schoss es ihr ärgerlich durch den Kopf. Schweigend aßen die beiden ihr

Hühnchen auf, nur der Berliner Stadtlärm störte die Stille. „Möchtest du noch etwas?“ „Nein, danke“; und wieder konnte Pia nur den Kopf schütteln. Zusammen räumten sie den Tisch ab und erledigten den Abwasch. „Wollen wir es uns zusammen im Wohnzimmer gemütlich machen. Ich möchte mir noch meine neue Platte von „Club Sound“ anhören.“, an Pia gewandt, machte sich Jojo schon auf den Weg durch eine Tür neben dem Kühlschrank, die Pia vorher noch nie aufgefallen war. Jojo legte die CD in die Musikanlage und schon erfüllte ein Mix aus House und Dance den Raum. Das war Pias Musik und sie wippte mit dem rechten Fuß zu dem Beat. „Wo bekommst du solch tolle DJ-Musik her?“, fragte sie interessiert. „Ich

habe da meinen Stammladen. Kann dich ja irgendwann mal mitnehmen“, die beiden hatten ein Gesprächsthema gefunden und saßen noch über eine Stunde lang zusammen auf der schwarzen Ledercouch im Wohnzimmer. Ein Klingeln mischte sich in DJ Schocks „Out of Town“, welches gerade wiedergegeben wurde. Jojo stand auf und machte sich auf den Weg in den Flur. „Hi, Kim! Komm rein!“

Todesnachricht

Nachdem die KTU Spuren gesichert und Fotos genommen hatte, wurde die Leiche des Mädchens in einen Sarg verfrachtet und zur Rechtsmedizin gebracht. „Weiß man schon, wer sie gewesen ist?“, fragte Ellie den Polizisten, der sie am Eingang abgeholt hatte. „Wir haben ihre Kollegen benachrichtig, die die Vermisstenanzeigen durchgehen werden. Hinweise auf ihre Identität haben wir hier nicht gefunden. Kein Pass oder sonst irgendwas“, antwortete dieser. „Was hat man dir nur angetan? Wie bist  du in die Fänge deines Mörders gelangt und warum musstest du sterben?“, verzweifelt fuhr sich Kommissar Abendstern

über das Gesicht. Der Anblick des weißen Engels steckte ihm immer noch tief im Mark. Er trat über die Gleise und schaute sich um. Die abgerundeten, gelb gefliesten Tunnelwände engten ihn ein. Ein hässliches Graffiti brannte sich zusätzlich in sein Gedächtnis ein. Jemand hatte lustlos irgendwelche schwarzen Zeichen an die Wand gekritzelt und anschließend waren sie mit roten Herzen verziert worden. Der Mörder hatte kein Herz gehabt und sie mussten schnellstmöglich auf seine Spur kommen. Das Team begab sich wieder aus den Tunneln hinaus auf die Bahnsteige. Hier herrschte zwar auch künstliches Licht, es war aber deutlich erträglicher, als die engen, spärlich beleuchteten Tunnel. „Wer hat  die

Tote gefunden und was ist mit diesem technischen Problem? Eigentlich müsste die Tote doch schon längst am Fenster der U-Bahn kleben“, fragte Hauptkommissar Laumann rücksichtslos an seine Kollegen gewandt. „Tote. Wie er dieses Wort aussprach, als wäre es das alltäglichste auf dieser Welt.“ Der Papagei wurde Nicolas immer unsympathischer. Der junge Polizist meldete sich zu Wort: „Ein Tunnelarbeiter hat sie gefunden“, er deutete in die Richtung hinter ihnen. „Am frühen Morgen war eine Störmeldung eingegangen. Irgendetwas stimmte mit der Ausrichtung der Schienen nicht, weshalb auch keine U-Bahn auf dieser Linie losfahren konnte.“ Ellie und Nicolas steuerten den Bahnarbeiter an, der gerade

von zwei weiteren Kollegen versorgt und befragt wurde. Jegliche Farbe war aus dem kantigen Gesicht des Mannes gewichen. Dunkle Augenringe spiegelten seinen Schockzustand wieder. Beide Kommissare zückten ihre Dienstausweise und stellten sich vor. Dabei las Nicolas, dass Ellie mit vollem Namen Elisabet Krone hieß. Ein Name, auf den sie wohl nicht besonders stolz war und ihn lieber mit „Ellie“ abkürzte. „Da hing sie. Wollte nachsehen, was mit der Technik los war. Son junges Ding. Gefallen wie ein Engel. Hab nur noch geschrien und bin gerannt“, stammelte der Arbeiter ohne eine Pause zu machen. „Beruhigen Sie sich erst mal und setzten Sie sich hin“, behutsam tätschelte Ellie den Rücken des Mannes und geleitete

ihn, sich auf eine der Bänke entlang des Bahngleises zu setzen. Mehr als stotternde Wiederholungen seiner Schilderung  waren aus dem Mann nicht herauszubekommen. Schließlich nahmen sie noch seine Personalien auf und beschlossen sich bei weiteren Fragen zu melden. Etwas frustriert verließ das Trio die Berliner U-Bahnstation und machte sich auf den Heimweg zum Kommissariat. Im Büro trafen sie auf Hiroki, den Japaner. Er telefonierte gerade und bedeutet seine Kollegen mit einer Handbewegung leise zu sein. Kaum hatten sich diese gesetzt, beendete er das Telefonat und berichtete: „Wir wissen jetzt, wer das Opfer ist. Ihr Name war Hannah Pingel. Das Mädchen war gerade einmal neunzehn Jahre

alt. Gemeldet ist sie bei ihrem Freund Markus Steinhöfel. Ich hab die Adresse aufgeschrieben.“ Er streckte den Zettel in Richtung des Papageis, dieser nahm ihn entgegen und sagte: „Das erledigt ihr beide. Währenddessen  statte ich unserem Herrn Doktor Baumert einen kleinen Besuch ab. Todesnachrichten zu überbringen ist nämlich nicht mein Ding.“ Mit diesen Worten ließ er die Kollegen stehen und verließ das Büro. Hiroki widmete sich seufzend wieder seinem Aktenstapel zu und würdigte Ellie und Nicolas keines weiteren Blickes. Die beiden gingen wieder hinaus, besorgten sich einen Schlüssel für einen der Dienstwagen und machten sich auf den Weg zu Markus Steinhöfel. „Unser erster Tag und dann gleich

so etwas Schreckliches“, Ellie schüttelte fassungslos den Kopf indes Nicolas den Wagen gerade in die angegebene Adresse lenkte: Flensburger Straße, in nächster Nachbarschaft zum Park Bellevue. Hier wohnten die Reichsten der Stadt, dass hatte Nicolas bereits gehört. Hausnummer 115 war ihr Ziel. Eine alte Villa mit pompösen Marmorsäulen, schwarzen Gittern, die die Balkone einschlossen und einer roten Backsteinmauer, schob sich in ihr Blickfeld. Ellie pfiff beeindruckt durch die Zähne. „Wahnsinn, wer sich so etwas heute leisten kann, hat vieles erreicht.“ Nicolas nickte nur, war er doch selbst in so einer hoch betagten Gegend Stuttgarts aufgewachsen, ehe er auf ein Eliteinternat geschickt wurde. Beide

gingen nun auf die große einladende Eingangstür zu. Auf dem Klingelschild stand jeweils zweimal der Name Steinhöfel. Der obere gehörte zu Markus Steinhöfel. Nicolas drückte den Knopf und man hörte ein gedämpftes Läuten aus den Mauern dringen. Nach einigen Augenblicken erschien ein junger gutaussehender und sportlicher Mann an der Tür. „Ja bitte? Was kann ich für Sie tun?“ „Können wir uns drinnen unterhalten. Wir sind von der Kriminalpolizei. Elisabet Krone mein Name und das ist mein Kollege Nicolas Abendstern.“ „Ist irgendetwas passiert?“ fragte der junge Mann unsicher. „Das wollen wir nicht zwischen Tür und Angel mit Ihnen besprechen“, antwortete Nicolas. Der Mann deutete den Beiden an, ihm zu

folgen und führte sie aus einem kleinen Flur über eine dunkle Holztreppe in das Obergeschoss. „Schicke Wohnung“, dachte Nicolas anerkennend. Hinter der Eingangstür lag gleich das stilvoll eingerichtete Wohnzimmer. Hier hatte Mobiliar aus verschiedenen Epochen Einklang gefunden. Vor der gelb gestreiften Tapete stand ein weißes, klassisches Bücherregal. Daneben reihte sich ein weiß überzogenes modernes Sofa ein. Der Boden war mit dunklem Eichenparkett ausgelegt und in der Mitte lag ein Teppich, der mit Kuhflecken gesprenkelt war. „Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen. Setzen Sie sich doch“, riss Herr Steinhöfel Nicolas aus dessen Wohnungsanalyse. „Am besten Sie setzten sich hin“, sagte Ellie und 

fuhr in sanften Ton fort: „Wir haben eine sehr schreckliche Nachricht für Sie. Es geht um Ihre Freundin Hannah Pingel. Sie wurde heute Morgen tot auf den Gleisen der U2 gefunden.“ Markus Steinhöfel sackte in sich zusammen. Diese wenigen Worte hatten sein ganzes bisheriges Leben zerstört. „Das kann nicht wahr sein. Sie wollte doch für ein paar Tage zu ihren Eltern in den Grunewald fahren. Und ich habe mich schon gewundert, warum sie sich noch nicht gemeldet hat, habe mir aber nichts dabei gedacht. Wissen ihre Eltern schon Bescheid?“ Die Kommissare schüttelten den Kopf. Nach der Schockstarre traten nun  erste Tränen aus den blauen Augen des jungen Mannes und er fuhr sich immer wieder kopfschüttelnd

durch die dunkelblonden Haare. Die beiden Ermittler fragten, ob er irgendeine Unterstützung brauche. Er habe seine Eltern, die unter ihm wohnten. Dann fing er an zu schluchzen und alle Bände brachen. Nicolas Handy meldete sich zu Wort. Es war der Papagei. „Lagebesprechung, ich brauche Sie im Büro. Befehl von der Staatsanwaltschaft.“ „Ok, bin auf dem Weg“, antwortete Nicolas, informierte Ellie, die da blieb und verließ eilig die Villa der Steinhöfels. Draußen konnte er endlich freier atmen. Die Überbringung von Todesnachrichten ließ ihn immer an seine eigene Vergangenheit denken. Er setzte sich in den Dienstwagen und fuhr zum Kommissariat. Der Papagei und der Japaner warteten schon auf ihn. „Na endlich“,

begrüßte ihn Laumann. „Wir haben brisante Neuigkeiten. Unser Täter scheint ein Hochbegabter zu sein. Hiroki hat herausbekommen, dass er die Berliner U-Bahnarbeiter ganz schön dämlich dastehen lassen hat. Er hat einfach Stillbilder vor die Kameraöffnungen gehängt, sodass niemand etwas gesehen und bemerkt hat“. Hochbegabte Täter waren immer die Gefährlichsten von allen, weil ihnen alles egal war und ihnen einfach keine Fehler zu unterlaufen schienen. Doch dieser Fehler musste gefunden werden. „Mein Besuch in der Gerichtsmedizin war auch interessant“, fuhr der Papagei fort: „Dem Opfer wurde zweimal Gift zugefügt. Die zweite Dosis war tödlich und die Gleise waren nicht der Tatort.“

„Welches Gift war es?“, fragte Nicolas. „Aconitin“. „Blauer Eisenhut“.

Angekommen

Kim hatte den Mietvertrag dabei, den Pia in ihrem Zimmer abgelegt hatte. Bei der Gelegenheit fanden auch die neuen Sachen Einzug in den Raum. In der Mitte wurde der Teppich ausgelegt und die Blumentöpfe fanden Platz auf dem weißen Marmorfensterbrett. Mit der Hilfe von Kim und Jojo wurden die karierten Gardinen angebracht und das Zimmer erschien jetzt schon etwas wohnlicher. „Nur noch die Wände und die neuen Möbel fehlen“, dachte Pia zufrieden. Doch dafür fehlte das benötigte Kleingeld. Pias zweiter Tag in Berlin fand ein zufriedenstellendes Ende. Am nächsten Nachmittag schleppte Jojo sie in

ihren Lieblings-Plattenladen. Dieser trug den Namen „Helliun“. Es war ein ebenso kleiner Raum wie der Teeladen und nur echt eingesessene Stammkunden fanden ihren Weg hier her. Der Boden war mit hellem Laminat ausgelegt und die Wand war tapeziert mit allen möglichen Plattencovern. Pias eigener Plattenspieler war zu Hause geblieben und drang schmerzlich in ihr Gedächtnis, als sie die edlen Einzelstücke im Laden entdeckte. In der WG besaß Jojo neben der Musikanlage aber auch noch einen alten Plattenspieler, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte. „Besser als gar keiner“, ging es Pia durch den Kopf, auf einen Neuen musste erst einmal hin gespart werden. Der Verkäufer, ein guter Bekannter

von Jojo, der sich als DJ AAron vorstellte, gesellte sich zu den beiden Kunden. „Wie kann ich euch zwei Hübschen behilflich sein? Jojo, lange nicht gesehen. Schön das du auch mal wieder Zeit für mich findest“, scherzte der junge Mann und kniff seine braunen Augen zusammen, wobei seine zwei goldenen Augenbrauen-Piercings besonders hervorstachen. „Das neue Album von DJ Schock ist gerade als Platte rausgekommen. „ Den hat Jojo mir auch schon vorgestellt, hat echt was drauf. Und House und Dance ist sowieso meine Musik. Also Jojo wollen wir uns das gute Stück nicht zulegen?“ Jojo war einverstanden und wenig später bezahlten die beiden an der Kasse. „Aaron, weißt du vielleicht ob irgendwelche guten Clubs zur

Zeit eine Aushilfs-DJane suchen?“, fragte Pia. „So spontan fällt mir keiner ein, aber ich könnte mich ja mal in der Szene umhören. Da ist bestimmt was zu machen“, ermunterte er die jobsuchende DJane. Die beiden jungen Frauen verließen den Plattenladen und mit dem Schließen der Eingangstür war nur noch ein leiser Klang eines Rockbeats wahrzunehmen.  Zur Stärkung holten sich die beiden einen Coffe To Go und einen Gemüsewrap. Da Pia auch eine leidenschaftliche Shoppingqueen war, klapperten sie noch etliche Klamottenläden ab. In einem Outlet hatte es Pia ein dunkelblaues Cocktailkleid aus Samt angetan. Der Stoff fiel fließend um ihre langen Beine. Der Preis war gerade noch

drinnen und so ging es anschließend zurück in die Weinmeiserstraße. Kim hatte die Dosen-Ravioli warm gemacht und erwartete die Musikfans bereits. Wenig später schaufelten sie sich die Ravioli in den Mund. Nach der Küchenarbeit wurde das neue Album von DJ Schock eingeweiht. „Ich verzieh mich dann mal wieder. War ein netter Abend mit euch. Herr Scharf kommt morgen und will den unterschriebenen Mietvertrag und die anderen Formalien mitnehmen, Pia. Also nicht vergessen. Man sieht sich. Schönen Abend euch zwei!“, mit diesen Worten verabschiedete sich Kim schon zu früher Abendstunde. „Im Chat war sie irgendwie anders“, an Jojo gewandt, strich sich Pia ihre Jeans glatt. Dabei fiel ihr auf,

dass die Fingernägel dringend mal einen neuen Anstrich brauchten. „Kims Launen wechseln ständig. So war sie schon immer und ich habe mich daran gewöhnt, dass sie manchmal plötzlich weg muss. Sie hat es zu Hause nicht leicht und ist oft knapp bei Kasse.“ Pia erfuhr einige interessante Information über Kim Müller an diesem Abend. Kim hatte die Schule abgebrochen und sich die ganze Zeit mit Nebenjobs rumgeschlagen. Welche das waren, wollte oder konnte Jojo nicht sagen. Außerdem waren sie und dieser Scharf Cousins und Cousinen zweiten Grades, also verwandt. Dennoch nannte Kim ihn nur Herrn Scharf, wenn sie mit Pia über ihn sprach. Pia nahm sich vor, in nächster Zeit auch etwas mit Kim

zu unternehmen, sofern diese Lust hatte. Ihr war es schließlich zu verdanken, dass sie so günstig ein Dach über dem Kopf hatte. Gegen zwölf erloschen die Lichter der WG. Jojo musste morgen früh raus in den Supermarkt, wo sie das Geld für ihr zukünftiges Musikstudium zusammenkratzte. Die nächsten Tage vergingen wie im Flug und Pia war endlich in Berlin angekommen. Sie unternahm viele Erkundungstouren mit Jojo und einmal war sogar Kim dabei. In einem Club rockte sie begeistert zur Musik eines Nachwuchs-DJs ab und weihte zugleich ihr neues Kleid ein. Einen Aushilfsjob suchten die Leute dort jedoch nicht und Aaron hatte sich bisher auch noch nicht gemeldet. Solange hieß es sparen und auf

das Geld zu achten. Einmal rang sie sich sogar durch zu Hause anzurufen. Ihren Eltern war deutlich die Erleichterung anzumerken, dass sie sich gut eingelebt hatte. Ihr Vater war jedoch immer noch nicht hundertprozentig von ihrer Idee überzeugt und erwartete sie bald wieder in Brandenburg. Doch so schnell wollte Pia nicht aufgeben, war sie nun doch endlich für sich selbst verantwortlich und vertraglich an die WG gebunden. Jojo war inzwischen zu einer guten Freundin geworden, die immer einen Rat geben konnte und auch sonst immer mit viel Spaß und Freude bei der Sache war. Sechs Tage nach ihrem Besuch im Plattenladen, meldete sich Aaron endlich. „Hi, Pia. Lust Platten aufzulegen? Ein Kumpel

von mir sucht gerade jemanden für den 22:00 Uhr Act und da habe ich sofort an dich gedacht. Morgen kannst du dich bei ihm Vorstellen und zur Probe auflegen. Viel Spaß. Namen und Adresse schick ich dir nachher per SMS“. Da die einzige große Sehenswürdigkeit, die Jojo noch nicht gezeigt hatte, der Fernsehturm war, machte sich Pia auf den Weg dorthin. Jojo selbst konnte leider nicht mitkommen, weil sie mal wieder eine Frühschicht schieben musste und bei Kim war nur die Mailbox erreichbar. Der Winter war in den letzten Tagen endgültig in Berlin eingezogen und der Frost hatte die Stadt fest im Griff. Auf den Bürgersteigen lag eine dünne Schicht aus Puderzuckerschnee, der aufgewirbelt wurde, als Pia darauf entlang

ging. Die Sonnenstrahlen brachten die Eiskristalle zum Glitzern. Pia war guter Laune und hatte noch viel vor an diesem traumhaften Wintertag. Nach dem Besuch am Alex wollte sie Geschenke kaufen gehen. Ein bisschen Geld hatte ihr der Geldautomat doch noch ausgespuckt. Der Eingang zur U-Bahnstation Weinmeisterstraße kam in Sicht. Der Weg zur Kreuzstelle Alexanderplatz war nur sehr kurz. Die Türen öffneten sich und zusammen mit einer großen Menschenmasse stieg sie hinaus auf den Bahnsteig. In der Halle herrschte eine angespannte Stimmung. Rufe waren zu hören und Menschen rannten hin und her. Vor den Gleisen der Linie U5 Hönow-Alexanderplatz hatte sich eine Traube aus

Menschen gebildet. Pia reckte interessiert den Kopf und trat näher. Auf dem Schild über ihr stand: „Zug fällt auf Grund technischer Probleme aus. Wir bitten dies zu entschuldigen und eine andere Linie zu fahren. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“ Die roten Buchstaben brannten sich auf Pias Netzhaut ein und sie musste schwer schlucken. Irgendwas stimmte hier nicht. Bahnarbeiter traten aus den Tunneln und schwärmten wie Ameisen über die Bahnsteige. Ein schriller Aufschrei war zu hören und der Wind trug die Worte „Nicht schon wieder!“ zu Pia herüber. „Jemand muss die Polizei verständigen hallte es durch die Halle. Der Marionettenspieler hat wieder zugeschlagen“. Pia trafen diese Worte wie ein

Schock. Ein zweiter Mord innerhalb von nur einer Woche und der Mörder lief immer noch frei herum. Wie in Zeitlupe bewegte sich Pia davon ehe sie losrannte, die Treppen hochhechtete und völlig atemlos, die Hände auf die Oberschenkel stützend, vor der grauen Silhouette des Fernsehturmes zum Stehen kam. Ein beklemmendes Gefühl der Angst bereitete sich in ihr aus. „Du bist doch verrückt Pia, was soll der Mörder von dir wollen?“ schimpfte sie und beschloss die nächste U-Bahnstation aufzusuchen. Sie nahm den langen Umweg zur Station Warschauer Straße und fuhr bis Kurfürstendamm. Die ganze Zeit über fühlte sie sich beobachtet, als würde der Marionettenspieler schon sein Netz nach ihr

ausspannen.

Der zweite Engel

Auch auf dem Polizeipräsidium waren einige Tage vergangen. Die Kommissare steckten noch tief in den Ermittlungen. Man hatte Hannah Pingels Bekanntenkreis durchleuchtet, war in ihrem Zimmer gewesen und hatte etliche Verhöre mit ihren Freunden geführt. Der Schock saß immer noch tief. Weitergebracht hatte das Ganze die Ermittler jedoch nicht. Hannah war sehr beliebt gewesen und niemand konnte sich vorstellen, warum dieses junge Mädchen sterben musste. Den unangenehmen Besuch bei den Eltern hatten sich mal wieder Nicolas und Ellie vorgenommen. Danach war die alte Villa im Grunewald auch nur noch ein

Gefängnis, das seine Trauernden nicht mehr nach draußen lassen wollte. Sabine und Robert Pingel hatten ihre einzige Tochter über alles geliebt und sie von einen Tag auf den anderen für immer verloren. Zwei Tage später stand die Beerdigung an. Neben dem großen Bekanntenkreis, waren auch zahlreiche Presseleute erschienen. Die Presse ließ auf Grund der wenigen Fortschritte bei den Ermittlungen, kein gutes Haar an der Kripo. Hunderte Menschen hatten sich auf dem St. Elisabeth-Friedhof versammelt. Die Anteilnahme war riesig. Für die Kollegen von der Polizei waren es beklemmende Stunden, vor allem vor dem Hintergrund, dass sie noch immer keine Spur und kaum Hinweise von dem Mörder hatten.

Eines Morgens suchte Doktor Baumert das Kommissariat auf. In seiner direkten bayerischen Art verkündete er seine Ergebnisse: Hannah wurde zweimal Gift zugeführt. Die erste Menge war jedoch nicht tödlich. Die tödliche Dosis von 4mg Aconitin wurde intravenös verabreicht. Wo sie umgebracht wurde, konnte er nicht feststellen, nur die Gleise konnten als Tatort ausgeschlossen werden. Die KTU hatte bis auf die Fingerabdrücke der Bahnarbeiter auch nichts gefunden. Dementsprechend frustriert machten sich die Kommissare auf den Weg zu einer kleinen Mittagspause, um endlich mal den Kopf frei zu kriegen. Da Ellies Geländewagen in der Autowerkstatt festgehalten wurde, bot Nicolas an, sie zu

fahren. Die beiden hatten es sich in dem alten Oldtimer gemütlich gemacht. „Christine, was für ein komischer Name für ein Auto“, stellte Ellie belustigt fest, nachdem Nicolas sie miteinander bekannt gemacht hatte. „Ein Erbstück meines Onkels und der hatte immer eine blühende…“ Seine Worte wurden von Ellies Klingelton unterbrochen. Die Melodie von „Good Time“ erfüllte den Wagen. Von wegen Good Time, sollte sich wenig später herausstellen. Der späte Anrufer war der Papagei. „Ja?“, meldete sich Ellie genervt. Doch ihre Miene verfinsterte sich sofort und sie schaute Nicolas ernst an. Nervös kaute sie an ihrer Unterlippe, wo bereits nur noch die letzten Farbreste ihres pinken Lipgloss zu sehen waren. „Ok. Wir machen uns auf den

Weg“, beendete Ellie das Gespräch. „Aus unserer Mittagspause wird nichts. Es gab eine zweite Tote in der U5.“ Sie hatten es anscheinend mit einem Serientäter zu tun. Langsam kroch Christine im Berliner Stadtverkehr zurück nach Mitte. Wenig später lenkte Nicolas den Wagen auf den vollbesetzten Parkplatz nahe der U-Bahnstation. Am Eingang wartete wieder ein Polizist auf sie. Es war der gleiche von damals. Und das war nicht das Einzige, was an den ersten Fund erinnerte. Den Ermittlern bot sich ein genauso schreckliches Bild von einer Marionette. Die junge, schwarzhaarige Frau hatte eine beängstigende Ähnlichkeit mit Hannah Pingel. Ellie beugte sich vor die Leiche. Auch ihr Kopf hing ihr schwer auf die

Schulter, die Augen waren geschlossen und ihre Haut war bleich, wie die von Schneewittchen. Nicolas musste gar nicht nach oben sehen, um zu wissen, was er sehen würde. In dem pechschwarzen Haar war eine weiße Lilie befestigt. Der süße, intensive Duft der Blume erschwerte das Atmen in dem U-Bahntunnel. Er unterdrückte jegliche frische Winterluft. Während Ellie sich mit den Leuten von der KTU und dem Polizisten unterhielt, wanderte Nicolas durch den Tunnel. Er schaute an den gefliesten Wänden nach oben. Wie nicht anders zu erwarten, waren auch hier die Kameras mit einem Foto der Bahnstrecke zugeklebt worden. Und seit Stunden hatte keine einzige Bahn die Linie U5 passiert. „Verflucht!“,

schimpfte Nicolas und trat eine durchweichte Zigarettenpackung beiseite, die es irgendwie in die Tiefen des Tunnels geschafft hatte. „Alles in Ordnung mit dir?“, mit einem sorgenvollen Blick kam Ellie auf ihn zu. „Nein, nichts ist in Ordnung! Wir haben es mit einem Serientäter zu tun! Wenn wir nicht schleunigst auf seine Spur kommen, wird es weitere Tote geben.“ „Ich weiß, es ist zum Verzweifeln, wenn man einfach nichts tun kann und im Dunkeln tappt, aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir dieses  Schwein finden. Zusammen schaffen wir das“, Ellies Worte lösten bei Nicolas wieder etwas mehr Optimismus aus. Nach einem kurzen Gespräch mit den Bahnarbeitern, die die junge Frau gefunden hatten, was aber

keine neuen Hinweise einbrachte, verließ das Duo den Tatort. Gleichzeitig trat der gefallene Engel seinen Weg zu Doktor Baumert an. Auf der Fahrt zum Kommissariat fing es leicht an zu schneien, doch im Auto herrschte eisiges Schweigen. Die friedliche Atmosphäre kam Nicolas völlig falsch vor. Nach Stunden am Tatort und im anschließenden Stau, kamen sie endlich an. Im Büro trafen sie auf den Japaner, dem man den anstrengenden Arbeitstag auch schon deutlich ansehen konnte. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen Schlitzaugen festgesetzt, er sah müde und erschöpft aus. „Als ihr am Tatort wart, ist hier eine Vermisstenanzeige eingegangen. Die Beschreibung passt zu den Fotos der KTU. Beim Opfer handelt es sich um

Kassandra Horn, 21 Jahre und Kunststudentin.“ „Wunderschöner Name“, murmelte Ellie, während Nicolas mit der Faust auf den Tisch schlug: „Ich hasse solche Ungerechtigkeit, dass diese Frauen nicht die Chance hatten, ein erfülltes Leben zu bekommen. Und der, der es ihnen genommen hat, läuft immer noch frei herum.“ Ellie nahm den Umschlag mit den Fotos, die ein Kollege der KTU vor wenigen Augenblicken vorbeigebracht hatte. Sie machte zwei Schritte auf die Korkpinnwand, die in einen Kiefernrahmen eingelassen war, zu. Die linke Hälfte war bereits mit Hannahs Fall ausgefüllt. Nicolas warf einen verächtlichen Blick auf den leeren Schreibtischstuhl des Papageis. Während der

seinen Feierabend genoss und keinen einzigen Gedanken an den gesuchten Mörder verschwendete, würde es für ihn und Ellie wohl eine lange Nacht werden. Er schaute sich die Fotos an. Die große Ähnlichkeit der beiden Opfer war kaum zu übersehen. Ellie gab ein leises Gähnen von sich. „Was hast du vor? Wieso sind alle deine Opfer schwarzhaarig, in ein weißes Kleid gehüllt und wie eine Marionette zur Schau gestellt?“, ging es Nicolas durch den Kopf. Ellie erkundigte sich bei Hiroki nach den Namen der Angehörigen und Bekannten von Kassandra. Währenddessen starrte Nicolas weiterhin auf die Pinnwand. Er seufzte und merkte, dass auch er ziemlich am Ende seiner Kräfte war. Zu dieser späten Stunde,

hatte sich bereits der Schlaf in das Berliner Kommissariat eingenistet. Er wollte unbedingt noch ein Täterprofil auf dem Computer erstellen. Ellie setzte sich an den Schreibtisch hinter ihm. „Ich schreibe jetzt noch den Bericht vom Tatort und dann muss ich auch nach Hause. Keine Sorge, ich nehme mir ein Taxi.“ „Ich werde mich jetzt auch aus dem Staub machen“, kam es von der anderen Seite. Der Japaner hatte bereits seine Schreibtischlampe ausgemacht und knöpfte sich die Metallknöpfe seines grauen Wintermantels zu. „Bis morgen“. „Wiedersehen“, kam es wie aus einem Munde von der anderen Seite. Nicolas hatte das Schreibprogramm geöffnet und begann seine Arbeit. Sie hatten es mit einem

intelligenten Täter zu tun, der anscheinend immer das gleiche Muster verfolgte. Skrupellos und grausam, jegliche Weichheit war ihm fremd. Um halb zwei verließ dann auch Ellie das Büro. Alleine zurückgeblieben hockte Nicolas weiter vor seinem Monitor. Doch schon bald fiel ihm nichts mehr ein, wie er den Täter beschreiben konnte. Es gab einfach nichts. Sie jagten einem Phantom hinterher. „Nicht mal das ist richtig, da wir gar kein Phantombild haben“, dachte er bitter. Die Minuten verstrichen und seine Augen wurden schwerer und schwerer. Irgendwann konnte er sich nicht mehr auf das grelle Licht des Bildschirms vor ihm konzentrieren. Er konnte sich nicht mehr wach halten und der Schlaf schien ihn zu holen. Erst das Brummen

der Kaffeemaschine und gedämmte Stimmen, ließen ihn am nächsten Morgen hochschrecken.

Ablenkung

Am Kurfürstendamm angekommen, zog sich Pia ihren braun-rot karierten Wollschal noch tiefer ins Gesicht, als wollte sie sich dahinter verstecken. „Ich muss irgendetwas tun, bevor ich noch gänzlich durchdrehe“, wie ein Rettungsring erschien das Café Kranzler vor ihren Augen. Die helle Beleuchtung in den Schaufenstern und die grünen Buchsbaumkränze an der Tür luden förmlich zu einem Besuch ein. Pia ging die kleine Steintreppe nach oben und wurde von den wärmenden Kerzenflammen herzlich willkommen geheißen. Sie suchte sich einen Tisch in der hinteren Ecke, legte ihre Wintergaderobe ab und nahm Platz. Überall

an den Wänden hingen Bilder von tanzenden Ballerinas, die die Geschichte von Klara und ihrem Nussknacker erzählten. Auf dem alten Holztisch lag ein Kranz aus Tannenzweigen, dessen holziger Duft Pia in die Nase stieg. Geschmückt war er mit roten Weihnachtskugeln und verschiedenen Arten von Nüssen. Ein nett aussehender und höflicher Kellner nahm ihre Bestellung entgegen: Einen Früchtetee Apfelzimt und dazu einen Blaubeermuffin. Das Angebot reichte zwar von Haselnuss-Karamell-Torte über Lebkuchenmäuse bis hin zu Pfefferkuchensoldaten, aber Pia war nicht nach Märchenstimmung. Mit einem beruhigten Magen verließ sie das Café. Auf der Straße sang ein Kinderchor. Die Melodie

von „Leise rieselt der Schnee“ erfüllte die Fußgängerzone. „Leise rieselt der Schnee, still und starr ruht der See“, summte Pia schon etwas weihnachtlicher gestimmt vor sich hin. Denn es waren schließlich nur noch zwei Wochen bis Heilig Abend. Die restliche Zeit des Nachmittags verbrachte Pia mit dem Einkauf von Weihnachtsgeschenken. Für ihren Vater gab es dieses Jahr neben einer Flasche fruchtigen Bordeaux, ein Buch über die englische Königsfamilie, für die er sich sehr interessierte. Für ihre Mutter Olivia kaufte sie in einer Parfümerie „Code Luna“, ein Duft, der einem Nachthimmel nachempfunden war. Für die Geschenke an Jojo und Kim hatte sie noch keine Idee und auch kein Geld. In einer Boutique kaufte sie

sich eine runtergesetzte Fransenlederweste und Hotpants, um für den Job als DJane richtig ausgerüstet zu sein. Die Stunden vergingen wie Minuten und der Marionettenspieler verschwand langsam aus ihrem Bewusstsein. Fröhlich pfeifend erreichte sie die WG. Unter der Tür waberte der süße Geruch nach Zimt und Lebkuchen hervor. Pia entdeckte Jojo in der Küche, die mit ihren Puderzucker bestäubten Wangen einem Schneemann glich, sie musste lauthals lachen. Ihre Freundin war gerade dabei, Lebkuchenhäuser  zusammenzubauen. „Möchtest du mir beim Dekorieren helfen? Ich kann jede Hilfe gebrauchen“, fragte Jojo indem sie sich mit der rechten Hand über die Stirn strich und dabei einen weiteren

Puderzuckerstreifen hinterließ. Wenig später waren die beiden mit voller Konzentration bei der Arbeit und verwandelten die Häuser mithilfe von Zuckerguss und Konfekt in wahre Prachtbauten. Die Stunden in der Küche waren ganz schön anstrengend und so gönnte sich Pia zum Ende des Tages noch ein Entspannungsbad. Sie tauchte in eine Mischung aus Meersalz, Milchpulver, Mandarinenöl, Vanillearoma und Honig ein. Am nächsten Tag hatte Jojo frei und das war gleichzeitig ihr Fitnesstag, also zögerte sie nicht lange und schleppte Pia mit zu „Fit for Berlin“, einem Fitnessstudio ganz in der Nähe der WG. Nach anstrengenden Programmen auf dem Laufband und dem Crosstrainer, schöpften die beiden neue Energie bei einer

Runde Yoga. Pia musste schließlich fit für ihren Auftritt am Abend sein. Zum Abendessen ganz zu dem Motto des Tages passend, gab es einen frischen grünen Salat. Chic gemacht, wollten sie sich gerade auf den Weg zur U-Bahnstation machen, als das Telefon klingelte. Kim war am Apparat, sie wollte für morgen Mittag einen gemeinsamen Brunch in der WG organisieren. Jojo und Pia waren einverstanden und etwas verwundert über Kims plötzliche Unternehmungslust. Gegen 21:00 Uhr kamen die zwei Freundinnen bei einem der angesagtesten Clubs Berlins an, dem Schlag-Zeug, wie das protzige Eingangsschild verkündete. Aaron pflegte anscheinend gute Beziehungen in die

DJ-Szene. „Du musst die Neue sein. Aaron hat dich empfohlen“, hieß der Clubbesitzer Pia willkommen und streckte ihr eine volltätowierte Hand aus. Es war irgendein Mix aus schwarzen Schriftzeichen und Glaubenssymbolen. „Ich bin der Jörg“, interessiert musterte er sie durch seine große schwarze Streberbrille. Mit der violetten Kappe sah er aus wie ein amerikanischer Teenager, nur der Sakko und die Seidenkrawatte machten ihn wieder zu einem erwachsenen Mann. „Ich habe schon eine Liste an Musik zusammengestellt, die ich auflegen könnte“, schlug Pia vor und versuchte so profimäßig wie möglich rüberzukommen. Das Schlag-Zeug war eine zweistöckige Disco, dessen Musik durch die

Wände nach draußen dröhnte. Die jungen Männer und Frauen auf der Tanzfläche wurden durch das bunte Licht in einen funkelnden Regenbogen verwandelt. „In Ordnung, geht klar. Mach wie du es möchtest. Ich bin ganz offen für neue Ideen in der Szene“, kam als Antwort von Jörg, der sie angrinste. Pias Arbeitsplatz war ein Hightech-DJ-Pult, das unter zwei schwebenden Leuchtkugeln Platz gefunden hatte. Um 22:00 Uhr wurde Pia etwas nervös, doch sie sprach sich selbst Mut zu, nahm ihre mitgebrachten Platten und legte sie auf das Pult. Sie setzte die Kopfhörer auf und löste eine Welle der Begeisterung aus. Der ganze Club groovte nach ihrem Beat. Einmal konnte sie Jojo in dem Nebel erkennen, die ihr

anerkennend zunickte und sogleich in ihrem goldenen Paillettenkleid mit einer tanzenden Drehung wieder verschwand. In der Pause brachte sie Pia einen Screwdriver aus Wodka und Orangensaft mit. Völlig benommen von den vielen Lichtern und dem Lärm schlürfte Pia ihren Cocktail. Zudem musste sie sich einige derbe Anmachsprüche gefallen lassen, die sie aber gekonnt abwehrte. Jojo sah sie den restlichen Abend an der Seite eines gut aussehenden Barkeepers kleben. Im Vorbeigehen lallte sie ihr schon etwas betrunken zu: „Der iss so ssüüß!“. Pia musste schmunzeln und geriet daraufhin in die Arme eines hartnäckigen Typen, der ihr irgendwelche bunten Pillen andrehen wollte. Wahrscheinlich Ecstasy. Sie schlüpfte unter

seinem Arm hindurch und versteckte sich im tanzenden Mob. Nach einer zweiten Runde, der die Menge ebenso begeisterte und die Tanzfläche in ein schrilles Märchenland aus neon-pink,- blau und grün tauchte, war ihr Job erledigt. „Du bist der Wahnsinn, die sind einfach nur abgegangen. Wenn du willst kannst du hier ruhig öfter auflegen“, sagte Jörg ihr nach dem Auftritt und gab ihr sogleich die Bezahlung bar in die Hand. Einen Vertrag füllte sie anschließend aus. Nie hätte sie gedacht, dass der Tag noch ein so tolles Ende nehmen würde. In den frühen Morgenstunden, packte sie Jojo am Arm, die sich gar nicht von dem Barkeeper lösen wollte. Triumphierend hielt sie Pia den Unterarm hin, den eine verschmierte

Handynummer zierte. Sie bestellte ein Taxi, dass die zwei gackernden und torkelten Frauen sicher nach Hause brachte. Irgendwie schafften sie es noch in die WG und in ihre Betten. Die grellen Strahlen der Sonne, die von dem gefallenen Neuschnee noch zusätzlich reflektiert wurden, stachen Pia in die Augen, als sie Stunden später aufwachte. Langsam kroch sie aus ihrem Zimmer in die Küche und holte sich erst mal eine Kopfschmerztablette gegen ihren brummenden Schädel. Jojo hatte den Abend anscheinend besser weggesteckt, denn sie werkelte schon fleißig herum. Auf dem Tisch standen eine lecker aussehende Gemüsequiche, gebeizter Lachs und frisch gepresster Orangensaft. Auf dem alten

Gasherd brutzelten bereits Spiegeleier. Jojo war einfach eine Meisterin in der Küche. Nur die Brötchen fehlten noch, die Kim mitbringen wollte. „Beeil dich im Badezimmer, Kim steht gleich vor der Tür“, scheuchte sie Jojo wieder aus der Küche. Pia absolvierte eine Katzenwäsche und versuchte sich die dunklen Augenringe über zu schminken, die noch an die letzte Nacht erinnerten. Schnell zog sie einen pinken Kapuzenpullover über und schlüpfte in eine braune Leggins. Sie hatte es also noch rechtzeitig geschafft und setzte sich zu Jojo an den gedeckten Tisch. Doch Kim ließ auf sich warten. „Wo bleibt die nur? Ich habe einen Bärenhunger“, schimpfte Jojo und nippte an ihrem Glas Orangensaft. „Wenn sie in zehn Minuten nicht da ist,

fangen wir ohne sie an“, fügte sie hinzu. Doch Kim kam auch in den nächsten zwanzig Minuten nicht. Die beiden wurden langsam sauer und begannen mit dem Essen. Inzwischen waren die Spiegeleier und die Quiche schon halb kalt. Doch auch nachdem sie mit dem Essen fertig waren, erschien Kim nicht.

Eine böse Überraschung

Müde hob Nicolas seinen schweren Kopf und öffnete die Augen. Er hatte die Nacht im Büro verbracht, ohne es zu merken, war er wohl gestern oder war es heute Morgen, eingeschlafen. Die Stimmen draußen im Flur konnte er dem Japaner und dem Papagei zuordnen. Neugierig spitzte er die Ohren. „Pennt einfach so im Büro ein. Der lebt wohl für seine Arbeit. Wie ich solche Wichtigtuer hasse“, die Stimme des Papageis drang durch die Tür in das Büro und verbreitete sich dort vor Nicolas. „Mhm“, das war der Japaner, der seinem Chef wohl nicht widersprechen wollte. „Hat erst in Stuttgart

angefangen, sich dann in Hamburg eingenistet und nun geht er uns hier in Berlin auf die Nerven. Es ist hoffentlich nur eine Frage der Zeit, bis dieser Möchtegernchef endlich von hier verschwindet“, in der Stimme des Papageis schwang eine große Spur Neid mit. Er war wohl noch nicht so viel herumgekommen. „Da muss sich wohl einer seinen Frust von der Seele reden“, stellte Nicolas belustigt fest und begutachtete seine wirren Haare im Computermonitor, der wohl schon seit Stunden in den Bildschirmschoner übergegangen war. Er fuhr sich mit der Hand durch die blonde Mähne, konnte sie jedoch nicht wirklich bändigen. Man sah ihm an, wo er die Nacht über gewesen war. Schlafend auf einer Glasplatte im Polizeipräsidium. Die

Stimmen auf dem Flur waren verstummt, doch das Büro betrat niemand. Mit einem letzten Zischen und einem kräftigen Blubbern war der Kaffee durchgelaufen. „Genau den brauche ich jetzt“, sagte Nicolas in die morgendliche Stille. Ellie war noch nicht auf der Arbeit erschienen. „Wahrscheinlich muss sie auch erst einmal ein paar Stunden Schlaf nachholen“, dachte er und konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. Er schwang sich aus seinem Stuhl und griff nach einer Kaffeetasse mit kleinen Schneemännern, die im Regal über der Kaffeemaschine untergebracht war. Diese wurde sogleich mit einer tief schwarzen und dünnen Plärre gefüllt. „Dem Papagei sei Dank“, würgend nahm Nicolas den ersten Schluck und setzte

sich wieder. Er klickte mit der Maus, sodass der Bildschirmschoner verschwand und seine unvollendete Täterbeschreibung vor seinen Augen erschien. „Irgendwann wirst du einen Fehler machen und ich werde der erste sein der dich findet“, wütend knallte Nicolas die Kaffeetasse auf den Schreibtisch und die Glasplatte bedankte sich mit einem lauten Klirren. Für den Tag standen noch die Besichtigung von Kassandra Horns Studentenbude sowie die Befragung an der Künstlerakademie an. Vorher wollte Doktor Baumert noch hereinschneien. „Wie passend“, dachte Nicolas, als er einen Blick aus dem Fenster warf. Auf den Dächern Berlins hatte sich eine dicke weiße Schicht Neuschnee angesammelt. Zur gleichen Zeit in

der Nähe des Wannsees: Völlig übermüdet war Elisabeth Krone auf dem Weg zur Haustür. Mit einem Schnurren machte sie ihre Katze darauf aufmerksam, dass sie etwas vergessen hatte. „Die Adventskalender“, ging es ihr durch den Kopf. Für Emily, eine weiß, braun und schwarzgestreifte Maine Coon-Katze, gab es eine Maus aus Trockenfutter. Hinter der Tür verbarg sich der Spruch: „Für blinde Seelen sind Katzen ähnlich. Für Katzenliebhaber ist jede Katze, von Anbeginn an, absolut einzigartig.“ „Das stimmt“, liebevoll kraulte sie Emily am Bauch, während sie ihr den Spruch vorlas. „Jetzt bin ich dran“, Ellie öffnete das elfte Türchen und holte einen Schokoladenengel heraus. „Was für ein blöder Zufall“, ärgerte sich Ellie und

klappte die Papiertür um. Dort befand sich ebenfalls eine kleine Weisheit: „Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Und wer beschützte die Engel dann? Ellie schob sich den Schokoladenengel in den Mund, verabschiedete sich von Emily und eilte aus der Wohnung. Da ihr Wagen immer noch Gast in der Werkstatt war, musste sie zur S-Bahnstation. Draußen zeigte das Thermometer eisige Minusgrade und ein kalter Wind heulte durch die Zweige der kahlen Bäume. Ellie zog sich den Reißverschluss ihrer blauen Daunenwinterjacke bis unter das Kinn hoch. Ihre blonden Haare verschwanden unter einer buntgestreiften Pudelmütze. Gerade

rechtzeitig erreichte sie die Gleise der S1 und ergatterte noch einen freien Sitzplatz in der Bahn. Sie musste bis Friedrichstraße fahren und dann in die U-Bahn wechseln. Sie nahm die kurze Strecke Richtung Hauptbahnhof, in dessen Nähe sich das Kommissariat befand. Während der Fahrt beobachtete Ellie die Leute, wie sie nach jedem Einsteigen in die Bahn winzige Schneeflocken auf dem Boden hinterließen, die sich nach einiger Zeit in riesige Pfützen verwandelten. Sie war gerade in die Schlagzeilen der Tageszeitung ihres Sitznachbarn vertieft, als der Zug plötzlich stark abbremste und in dem dunklen Tunnel abrupt zum Stehen kam. „Was ist hier schon wieder los?!“, rief einer der Mitfahrenden und

erntete viel Zustimmung von den anderen. Ein ungutes Gefühl bereitete sich in Ellie aus, sie stand auf und zwängte sich an den Massen vorbei in das Abteil des Lokführers. „Was wollen Sie hier? Die Fahrgäste sollen draußen bleiben. Wir informieren sie per Durchsage“, fuhr ein rundlicher Mann mit gestutztem Schnurrbart sie an. Doch Ellie hielt ihm nur ihren Dienstausweis hin, worauf er ein entschuldigendes Murmeln von sich gab und klein auf seinem Stuhl zusammensank. Ellie wandte den Blick von ihm ab und schaute durch die große Scheibe in Richtung des Tunnels. Sie kniff ihre Augen zusammen, die Bahnarbeiter hatten es noch nicht geschafft den Tunnel zu beleuchten. In kurzer Entfernung konnte sie etwas Helles

erkennen, das von der Decke zu hängen schien. „Ich muss hier raus“, völlig perplex öffnete der Lockführer die Tür und gewährte ihr Eintritt ins Freie. Sie musste aufpassen, dass sie nicht über die Bahnschienen stolperte, die in der Dunkelheit kaum zu erkennen waren. Vorsichtig an den Wänden tastend arbeitete sie sich Schritt für Schritt voran. Eine böse Vorahnung überkam sie, je näher die weiße Gestalt in Sicht kam. Der rostige Geruch von Blut stieg Ellie in die Nase. Etwas über ihr knisterte und die spärlichen Lampen ließen den Tunnel in einem unwirklichen Licht erscheinen. Neben dem weißen Kleid, das mit Bluttropfen übersät war, konnte man jetzt auch den Rest der jungen Frau erkennen. Es war ein

grausamer Anblick. Die goldblonden, langen Haare bedeckten das Gesicht. Ellie zog sich ihre Gummihandschuhe an, die sie immer dabei hatte und schob vorsichtig eine Strähne beiseite. Sie zuckte zusammen. Von der Stirn über den linken Wangenknochen bis zum Kinn waren dicke tiefviolette Blutergüsse zu sehen, am Kopf quoll Blut aus einer Platzwunde, inzwischen war das Blut aber schon etwas verkrustet. „Dies war kein geplanter Mord“, stellte Ellie fest und schauderte. Hinter ihr waren Schritte zu hören. Der Lokführer und ein paar Bahnarbeiter hatten sich hinausgewagt und bereuten dies sofort bei dem grausamen Anblick, der sich ihnen bot. „Ich ruf die Bullen“, rief einer. „Nicht nötigt, die sind

bereits hier“, mit einem Kopfnicken deutete der Lokführer auf Ellie. Diese ließ ihren Blick immer wieder fassungslos über die junge Frau streifen. Der Mörder war von seinem Muster abgekommen, dieses Opfer war blond und mit einer solchen Wut und Brutalität umgebracht worden, wie sie Ellie selten gesehen hatte. Noch ein weiteres Detail war anders, im Haar verbarg sich keine weiße Lilie. „Du musst den Täter gekannt haben und irgendetwas hat ihn veranlasst dir das anzutun. Du wusstest zu viel und das war dein Verhängnis“, stellte Ellie fest und Tränen brannten in ihren Augen. Das konnte alles nicht wahr sein, der Täter mordete fleißig weiter und sie standen mit leeren Händen da und konnten immer nur sein vollendetes Werk

betrachten, das er hinterlassen hatte. Sie gab einem Bahnarbeiter Nicolas Nummer, damit er diesen benachrichtigen konnte. Ihr Blick ging zu den Kameras, wieder klebten Fotos davor. Doch irgendetwas stimmte nicht, sie schaute sich die Kamera über ihr genauer an. Das Foto hatte sich an der oberen linken Ecke gelöst und war bis zur Hälfte heruntergerutscht. Ein wenig Hoffnung keimte in Ellie auf, als sie einen Bahnarbeiter losschickte, um die Videobänder zu überprüfen. „Vielleicht hast du dieses Mal einen Fehler gemacht“, dachte sie und bemerkte, dass sie schon wie Nicolas anfing, den Täter direkt anzusprechen, aber vielleicht half das ja.

Kalte Augen

Enttäuscht und angefressen, weil Kim auch nach einer ganzen Stunde nicht aufgetaucht war, räumten Pia und Jojo den Tisch ab, warfen die Reste in den Abfalleimer und machten sich an den Abwasch. „Ich habe es eben auf dem Handy versucht, aber nur die Mailbox war dran. Sie hätte uns wenigstens Bescheid sagen können und ich hätte nicht alles umsonst gemacht“, Jojo ließ ihrem Ärger freien Lauf. Nachdem die letzen Reste, die noch an den missglückten Brunch erinnerten, entfernt waren, versuchte es Pia noch einmal auf Kims Handy. Doch wieder sprach sie mit der Mailboxstimme von Kim, die ihr „Du hast also meine Nummer

bekommen? Wie du hörst war sie richtig. Und nun hast du 25 Minuten Zeit, mich davon zu überzeugen, dich zurückzurufen!“ sagte. Pia drückte weg und langsam begann sie sich Sorgen zu machen. Das Ganze war doch Kims Idee gewesen und nun hatte sie nicht einmal abgesagt. „Hast du sie erreicht?“, als Pia den Kopf schüttelte, fuhr Jojo fort: „Kim mag zwar ab und zu etwas unzuverlässig und seltsam sein, aber ihre Freunde würde sie nicht einfach so versetzen.“ Pia beschlich wieder dieses ungute Gefühl, dass sie an der U5 schon einmal eingeholt hatte. Sie fing an zu frösteln. Und wenn Kim etwas zugestoßen war oder der Mörder sie…“Nein, Pia stopp, so etwas darfst du nicht denken. Nicht Kim“, ermahnte sie sich selbst. Jojo schien ihre

Gedanken gelesen zu haben. Mit sorgenvoller Miene schaute sie Pia an: „Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen.“ „Ach Kim doch nicht“, versuchte Pia sie ohne Erfolg zu überzeugen. Die Angst blieb in ihrem Bewusstsein haften. „Ich muss jetzt irgendwas tun, sonst machen mich meine Gedanken noch wahnsinnig. Ich glaube der Wohnzimmerschrank könnte mal wieder von einer Staubschicht befreit werden und unterm Sofa haben es sich bestimmt schon einige Staubknäul gemütlich gemacht“, mit einem Zopfgummi, das sie immer um ihr Handgelenk trug, band sie sich die Haare zusammen, holte Staubtuch und Besen und verschwand im Wohnzimmer. Unschlüssig blieb Pia in der Küche zurück. Auch sie

musste etwas tun. Dieser unbekannte Marionettenspieler würde ihr Leben nicht beeinflussen. Die Plattensammlung fiel ihr ein, die dringend mal wieder geordnet werden musste. Nach stundenlangem Sortieren, machte es sich ein Stapel, der von den 50ern bis heute reichte, in ihrem kargen Wandschrank bequem. Dabei fiel ihr Blick auf das Bild von der Freiheitsstatue, das noch keinen Platz an der kahlen Wand gefunden hatte. Ein neuer Anstrich musste her und so schlüpfte Pia in ihren Parka, holte das neu verdiente Geld und machte sich auf den Weg zum nächsten Baumarkt. Jojo hatte ihr gesagt, dass sie dafür noch nicht einmal die U-Bahn nehmen musste. Irgendwie beruhigte Pia diese Tatsache. Im Baumarkt

angekommen, stand sie vor einem meterlangen und prallgefülltem Regal und konnte sich nicht zwischen den grünen Farbtönen entscheiden. „Soll ich Cooking Apple Green oder doch lieber Arsenic nehmen? Churlish Green ist auch nicht schlecht“, immer wieder stellte Pia sich die Farben an ihrer Zimmerwand vor und entschied sich schließlich für den hellsten Ton, den Cooking Apple Green. Zusätzlich landeten im Wagen noch einige Farbrollen, Abdeckfolie und zwei blaue Farbwannen. Wieder zu Hause, war Jojo mit dem Wohnungsputz fertig und bot ihre Hilfe beim Streichen an. Zuerst wurde das Zimmer so gut es ging leergeräumt und abgedeckt. Mit Papierhütchen auf den Köpfen und löchrigen,

alten T-Shirts ging es an den neuen Anstrich. Pia kümmerte sich um die linke Zimmerseite, Jojo übernahm die rechte. Schneller als erwartet waren beide fertig, verließen das Zimmer zum Trocknen und schrubbten sich die letzten Farbreste von den Fingern. „Das war ganz schön anstrengend. Ich glaub, ich muss diese Woche gar nicht mehr ins Fitnesscenter“, stellte Jojo fest und grinste Pia an. „Ich kann auch gut und gerne verzichten“, Pia deutete mit einem fragenden Blick auf die Packung Eistraum, den sie noch gar nicht probiert hatte und bekam ein Nicken als Antwort. Solange der Tee zog, warteten die beiden mit einer Packung Salzstangen im Wohnzimmer. „Der duftet ja fantastisch, total nach Weihnachten. Mhm.“,

schwärmte Jojo wenig später, als sie nach einem kräftigen Pusten den ersten Schluck nahm. Pia ging es genauso, den kleinen Teeladen würde sie in Zukunft wohl öfter aufsuchen. „Du, ich habe morgen wieder einen Auftritt im Schlag-Zeug, hast du vielleicht Lust mich zu begleiten. Dein Barkeeper wird wahrscheinlich schon sehnsüchtig auf dich warten. Jojos Augen leuchteten und ihre Wangen bekamen einen rosigen Ton: „Natürlich komme ich mit und nicht nur wegen Jakob, wie „mein Barkeeper“ in Wirklichkeit heißt.“ DJ Schocks Album lief noch eine Runde auf dem alten Plattenspieler und Pia stellte fest, dass der Klang gar nicht so schlecht war. Jojo verabschiedete sich, sie musste für eine

krankgewordene Kollegin einspringen. Pias Magen meldete sich zu Wort und sie tapste mit ihren braun-grau gepunkteten Wollsocken auf die kalten Fliesen der Küche. Die Kälte konnte ihr jedoch nichts anhaben. Da sie noch immer so begeistert von Jojos Kochkünsten war, schaute sie in eines der vielen Rezeptbücher. Sie zauberte sich ein Brot mit Pfifferlingen, die noch in der hintersten Schrankecke zu finden waren und Rührei, das ihr aber nicht so wirklich gut gelang und nach dem Braten ein paar schwarze Stellen am Rand aufwies. Dennoch war das Ergebnis ein wahrer Gaumenschmaus. Anschließend saß sie in eine Wolldecke gehüllt auf der schwarzen Ledercouch und schaute sich eine

Weihnachtskomödie an. Der Film war aus den 80er Jahren, aber dennoch ein Klassiker, den sie jedes Jahr zu dieser Zeit guckte. Als der eine Mann im Film, Eddie war sein Name, seinen Abfall in einen Gully laufen ließ, fielen  ihr die Müllberge aus Farbeimern, Abdeckfolie und Klebeband ein, die noch in ihrem Zimmer standen. Schnell wurde alles in einen Plastiksack gestopft, die Wohnungstür geöffnet und der Müll fand seinen Weg durchs Treppenhaus zu den großen Müllcontainern im Hinterhof. Pia, die sich nur schnell ihre Hausschuhe und eine Strickjacke übergezogen hatte, begann in der eisigen Luft allmählich zu einem Eiszapfen zu gefrieren. Der Himmel war sternenklar und Rauchwolken zogen in

Zeitlupengeschwindigkeit aus den Schornsteinen. Pia hörte ein schaben vor den Müllcontainern und lugte an dem riesigen Stahlklotz vorbei. Sie erkannte Herrn Scharf, der gerade dabei war einen riesigen Berg Schnee aufzuschütten. Sofort kam ihr in den Sinn, ihn nach Kim zu fragen. „Herr“, doch das Wort blieb ihr in der Kehle stecken. Schockiert musste sie mit ansehen, wie sich aus der Dunkelheit eine Gestalt heranschlich. Sie hielt etwas langes, schweres in der Hand, das im Schein der Straßenlaterne, die über eine Steinmauer in den Hof strahlte, kurz aufblitze. Ein ekliges Knacken und Knirschen war zu hören, als die Eisenstange auf Herrn Scharfs Hinterkopf traf. Stöhnend sackte er zu Boden und Pia

musste einen Aufschrei unterdrücken, ihr Herz begann zu rasen. Noch ein paar Mal sauste die Metallstange auf den am Boden liegenden Körper. Hinter dem Schwung lag eine unglaubliche Welle an Hass und Wut. Pia versuchte sich nicht zu bewegen, um unerkannt zu bleiben. Schweißperlen bildeten sich in ihrem Nacken und ihr war gar nicht mehr kalt. Die Gestalt beugte sich zu Herrn Scharf hinunter und trat mit einem lauten Stoß in dessen Magengrube. Ein schrilles, wahnsinniges Lachen war zu hören und jagte Pia eine Gänsehaut ein. Sie richtete sich wieder auf und blickte sich um. Die Zeit schien wie eingefroren und Pia bekam Todesangst. Sie musste sich ganz hinter dem Müllcontainer verstecken. Mit der

einen Hand im Schnee abstützend wollte sie eine Bewegung zur Seite machen, doch in diesem Moment stach ihr Blick in die eisgrauen, kalten Augen des Angreifers, der sein restliches Gesicht unter einer Skimaske versteckt hatte. Eine elektrisierende Stille bereitet sich zwischen ihnen aus. Pia wagte nicht zu atmen. Mit einem Fluchen drehte sich die Gestalt um und verschwand genauso plötzlich, wie sie gekommen war. Zurück blieben der reglose Herr Scharf und Pia, die sich noch immer nicht von der Stelle gerührt hatte.

Die erste Spur

„Griàs God“, riss Doktor Baumert Nicolas aus seiner noch unfertigen Arbeit an der Täterbeschreibung. Eine schwarze Kastenbrille und ein breites Grinsen tauchten über seinem Bildschirmrand auf. „Die Bayern sind wohl immer gut gelaunt, selbst in aller Frühe bei diesem Schneechaos“, dachte Nicolas grimmig. „Ich habe gestern eine Zusatzschicht eingeschoben“, fuhr Baumert, wieder im Hochdeutschen angekommen, fort. „Euer zweites Opfer ist auch durch eine Überdosis Aconitin, ebenfalls intravenös eingeführt, umgekommen. Bei der Obduktion ist mir noch etwas aufgefallen, als ich den Magen ausgepumpt und mir den Inhalt

genauer unter die Lupe genommen habe. Nicolas Magen gab ein komisches Grummeln von sich, gegessen hatte er heute noch nicht viel. „Die zweite Tote hatte ebenfalls den gleichen Fehler wie Schneewittchen gemacht und einen Apfel gegessen“, ein tiefes Lachen erfüllte den Raum. Nicolas konnte über diesen Scherz nicht wirklich lachen: „Die Opfer haben also beide ein Stück von einem vergifteten Apfel genommen und sind aber erst durch eine weitere Dosis gestorben, wenn ich das richtig verstehe?“, fragte Nicolas etwas genervt. „Gwis, jetzt müsst ihr nur noch die Hexe finden“, mit einem Augenzwinkern legte er den Bericht auf Nicolas Schreibtisch und verschwand aus der Bürotür, durch die gleichzeitig der Papagei

und der Japaner kamen. Das wurde ja immer besser. „Wo bleibt nur Ellie?“, fragte sich Nicolas. Der Besuch in Kassandra Horns Wohnung stand an und das wollte er gerne mit ihr machen. Doch seine Wünsche wurden nicht berücksichtigt. „Herr Abendstern, Sie fahren mit Hiroki zu der Wohnung der zweiten Toten. Ich sehe mich indessen im Umfeld der Opfer noch einmal etwas genauer um“, Herr Laumann machte auf dem Absatz kehrt und ließ den schüchtern dreinblickenden Japaner zurück. „Dann mal an die Arbeit“, schon machten sich die zwei auf in die Künstlerregion Berlins. Die Altbau Wohnung lag zu Füßen des Spreeufers. Gleich nach dem Eintreten durch die robuste Eichentür, konnte man einen herzlichen und behaglichen

Einrichtungsstil erkennen. Die Kunst durfte hier nicht fehlen, die Wände waren mit Ölgemälden bestückt und auf den Regalbrettern thronten edle Porzellanfiguren. Auf dem Flügel im Wohnbereich stapelten sich Notenblätter sämtlicher Komponisten. „Sie lebte wohl für die Kunst“, das waren die ersten Worte, die Hiroki von sich gab, seit sie aus dem Büro aufgebrochen waren. Von Nicolas war nur ein zustimmendes „Mhm“ zu hören, er blätterte gerade in dem Terminkalender der Toten, den sie wohl hier auf ihrem Rattanbett vergessen hatte. Über dem Bett stand der Spruch „Tagsüber ideenreich. Nachts traumhaft!“, der ganz in vanillegelben Lettern geschrieben war. Diesem Gedankengang würde Kassandra

wohl nie wieder folgen können. „Prof. Renate von Marnitz, den Namen hat sie ganz oft aufgeschrieben und immer doppelt unterstrichen, scheint wichtig zu sein“, sagte Nicolas an Hiroki genannt. Vielleicht konnte diese Frau ihnen weiterhelfen. Die Telefonnummer war auch in dem Kalender zu finden und so wählte er schließlich die Nummer. Eine raue, aber warmherzige Stimme meldete sich mit den Worten: „Von Marnitz, wer spricht da?“ Nicolas stellte sich und sein Anliegen vor. Im ersten Moment war Renate von Marnitz geschockt, aber sie hatte sich schnell gefasst. Seit vier Tagen war Kassandra nicht mehr in der Künstlerakademie erschienen, was zu der ehrgeizigen Studentin gar nicht zu passen

schien. „Was soll ich nur mit den Monet-Bildern machen, an denen sie noch letze Woche wie besessen gearbeitet hatte?“, brüchig gelang die Stimme der Professorin an Nicolas Ohr. „Wir werden uns darum kümmern“, beendete er das Gespräch. „Beide waren ehrgeizig und beliebt und auf dem Weg zum großen Erfolg. Vielleicht hat das dem Täter nicht gepasst?“, warf der Japaner ein. „Hiroki ist gar nicht so schlimm wie gedacht und scheint echt was drauf zu haben“, dachte Nicolas und gedachte seinem Kollegen die Rückreise anzutreten. Als die beiden wieder im Kommissariat ankamen, winkte die pummelige Sekretärin energisch mit der rechten Hand. „Was gibt es denn so dringendes?“, Nicolas bereute seinen

forschen Ton sofort, als er ihr ernstes Gesicht sah, auf dem sich schon vereinzelt Schweißperlen gebildet hatten. „Es geht um ihre Kollegin Frau Krone. Ein Bahnarbeiter hat angerufen und ausgerichtet, dass es eine weitere Tote an der U9 Kreuzstelle Friedrichstraße gegeben hat. Frau Krone sitzt bereits mit der Polizeipsychologin in einem Büro im zweiten Stock“, fügte die Sekretärin mitfühlend hinzu. „Vielleicht sollten sie mal nach ihr sehen“. Schneller gesagt als getan. Nicolas hechtete die Treppen hinauf und kam mit seinen schwarzen Lederschuhen schlitternd vor der richtigen Tür zum Stehen. Auf einem hellen Polstersofa mit farbigen Kissen, sah er Ellie, deren Gesichtsfarbe inzwischen so weiß war

wie der Neuschnee, der auf der Fensterbank thronte. „Nicolas, endlich!“, Ellie blickte auf und ein kleines Lächeln der Erleichterung umspielte ihre Lippen. Nicolas setzte sich zu ihr und die nette Psychologin, die die Mitte der Vierziger schon hinter sich gelassen hatte, erzählte ihm alles. „Herr Laumann ist gerade bei den Eltern der Toten. Kim Müller ist ihr Name“, berichtete die Psychologin, als sie von Ellie unterbrochen wurde: „ Sie ist, nein war blond, keine Lilie. Es gibt eine erste Spur von Mann auf Video. Brutal und voller Hass, nicht geplant“. Die Worte sprudelten nur so aus Ellie heraus und landeten ungeordnet vor Nicolas. „Du solltest dich ein paar Tage zu Hause ausruhen. In diesem Zustand kannst du nicht weiter arbeiten“,

tröstend legte Nicolas Ellie eine Hand aufs Knie. Sie gab ein Schniefen von sich und stimmte ihm zu: „Es ist wohl das Beste, um das ganze erst mal zu verarbeiten.“ Nicolas verabschiedete sich von ihr und der Psychologin und beschloss ebenfalls nach Hause zu fahren. Am nächsten Tag begrüßte ihn Hiroki im Büro: „Laumann hat gerade angerufen, wir sollen uns mal in dem Bekanntenkreis von Kim Müller umhören. Er hat mir eine Adresse in der Weinmeisterstraße gegeben, wo eine Joana Wulff gemeldet ist. Scheint eine Freundin von ihr gewesen zu sein. Außerdem hat er mir eine Phantomzeichnung von dem Mann auf dem Video gegeben, vielleicht weiß sie da was. Wie geht es Ellie?“ „Ellie ruht sich ein

paar Tage aus und wir werden in die Weinmeisterstraße aufbrechen“, forderte Nicolas seinen Kollegen auf. „Was für eine karge Wohngegend“, stellte Nicolas fest, als er aus seinem Dienstwagen stieg und sein Blick auf ein rotes Backsteinhaus fiel, das sich irgendwie zwischen die grauen Plattenbauten gemischt hatte. Die beiden klingelten und eine gut aussehende, blondhaarige Frau öffnete die Tür. Aus der Wohnung war gedämpfte Musik zu hören. „Sind sie Frau Wulff?“, fragte Nicolas die etwas verwirrt dreinblickende junge Frau. „Wir sind von der Mordkommission. Abendstern mein Name und das ist mein Kollege Herr Yahiro“. „Es geht um Kim oder?“, fassungslos legte sich Joana Wulff die

Hand vor den Mund, als die beiden Kommissare nickten. „Kommen Sie doch herein“, sie öffnete die Tür noch ein Stückchen weiter und die beiden folgten ihr in die Küche. „Wer ist denn da?“, fragte eine Frau mit kurzen braunen Haaren und erschien ebenfalls in der Küche. „Kim ist tot“, antwortet die andere und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die Kommissare ließen den beiden einige Zeit wieder Fassung zu bekommen, um dann mit den unangenehmen Fragen weiter in den Wunden zu stochern. „Frau Müller, wurde wie zwei andere Frauen vor ihr tot im Berliner U-Bahnnetz gefunden. Sie wurde vergiftet und hatte im Gegensatz zu den ersten beiden Opern deutliche Spuren von Gewalt in

ihrem Gesicht.“ „Der Marionettenspieler“, flüsterte die braunhaarige, die sich als Pia Kappe vorgestellt hatte. Die beiden Frauen berichteten vom Nichterscheinen ihrer Freundin beim geplanten Brunch. Sie versuchten den Kommissaren alles über Kim zu erzählen, was allerdings nicht besonders viel war. Nicolas und Hiroki wollten sich schon zum Gehen abwenden, als Letzterer die Phantomzeichnung aus seiner Jackentasche hervorkramte und diese auf den runden Küchentisch legte. „Herr Scharf!“, kam es gleichzeitig aus den Mündern der jungen Frauen. „Sie kennen ihn?“, stutzte Nicolas. „Ja er ist der Vermieter und wurde gestern Abend von einem Unbekannten brutal zusammengeschlagen. Aber das habe ich der

Polizei schon alles zu Protokoll gegeben. Was ist mit ihm?“, wollte die Brünette wissen. „Das werden wir noch sehen. Wissen Sie zufällig  in welches Krankenhaus er gebracht wurde?“. „Ja, sie haben ihn in die DRK Kliniken gebracht“. Hiroki und Nicolas verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg zu ihrer ersten richtigen Spur.

Abschied nehmen

Der erste Schock war etwas abgeklungen, aber die Ungläubigkeit darüber, dass Kim niemals wieder kommen würde, war immer noch unter ihnen. Der Besuch der beiden Kommissare lag jetzt ein paar Tage zurück und heute war der Tag gekommen, um Abschied von Kim zu nehmen. Kim sollte auf dem Domfriedhof ihre letzte Ruhe finden. Die Beerdigung sollte im engsten Familienkreis stattfinden, die Trauerfeier war für 11:00 Uhr geplant. In der WG des roten Backsteinhauses herrschte eine getrübte Stimmung. Jojo legte sich gerade ein dem Anlass entsprechendes Make-up im Badezimmer auf. Sie trug ein schwarzes

Spitzenkleid und schwarze Sandaletten. Die Haare hatte sie offen und leichte Föhnwellen fielen auf ihre Schultern. „Schwarz, schwarz, schwarz!“, ging es Pia durch den Kopf. Sie hatte sich ein Satinkleid von Jojo geliehen, was allerdings tief dunkelblau war, worüber sie insgeheim froh war. Angezogen und geschminkt tranken sie noch eine Tasse Kaffee, der ihnen aber nicht sonderlich schmeckte. Viel zu bitter und schwarz, passend zu diesem Tag. Gestern hatte Jojo einen Kranz beim Blumenhändler an ihrer Straßenecke bestellt. Die beiden machten sich auf den Weg zu dem kleinen Laden. Die Verkäuferin warf ihnen einen mitfühlenden Blick zu, als sie den bestellten Kranz aus weißen Rosen, Gerbera und kleinen

Callablüten in Papier wickelte. „Der Kranz heißt „Für immer im Herzen““, sagte die kleine, schwarzhaarige zu ihnen. Pia schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Kim würde für immer in ihren Herzen bleiben. Schweren Schrittes gingen die beiden durch die weiße Glastür nach draußen. Sofort wurden sie von einer eisigen Kälte umhüllt. Das Thermometer war in den letzten Tagen noch tiefer gefallen. Man konnte den Atem der Menschen in der Luft schweben sehen, als sie schnellen Schrittes über den Bürgersteig liefen, nur um schnell wieder ins Warme zu kommen. Die Schneewolken hatten sich verzogen und der Himmel begrüßte sie in einem strahlenden Hellblau. Die Sonne kroch langsam über den

Hausdächern hervor und spendete eine tröstende Wärme. Jojo hatte ein Taxi bestellt, das sie pünktlich vor den Eingang der Kirche brachte. Es waren schon einige Leute erschienen. Ihre schwarze Kleidung wirkte wie ein undurchdringlicher Schatten, der alle Helligkeit verschlang. Pia hakte sich bei Jojo unter und zusammen suchten sie sich einen Platz auf den harten Holzbänken der kleinen Kirche. Pia begann zu frieren und die dunklen Glockenschläge verursachten eine zusätzliche Gänsehaut. In der ersten Reihe hatte Kims Familie Platz genommen. Ihre Mutter hatte sich bei ihrem Mann abgestützt und hielt ein zerknülltes weißes Taschentuch zwischen den Fingern. Ein schwarzer Netzschleier verdeckte ihr trauerndes

Gesicht. Ihrem Mann ging es nicht besser. Man konnte Tränen in seinen Augen aufblitzen sehen. Pia hatte großes Mitgefühl mit den beiden, die sich heute von ihrer Tochter für immer verabschieden mussten. Und dieser Abschied würde nicht leicht werden. Pia musste ein Schluchzen unterdrückten und spürte wie Jojo ihre Hand fest drückte. Der Pastor begann mit seiner Ansprache. Der kleine Mann, dessen Gesicht von einem grauen Schnurrbart geziert wurde, wählte seine Worte mit Bedacht. Geschickt ließ er Kims kurzes Leben noch einmal in die Gedächtnisse der Trauernden einfließen. Zwischendurch machte er immer wieder Pausen und nickte den Anwesenden mitfühlend zu. Pia entdeckte Herrn

Abendstern in den hintersten Reihen, neben ihm stand sein japanischer Kollege. Auch sie hatten sich in eine schwarze Robe geworfen und ihre Mienen waren versteinert. „Wann findet ihr endlich dieses Schwein und sperrt ihn weg?“, als hätte Herr Abendstern diese Worte gehört, drehte er seinen Kopf in Pias Richtung und schaute sie an. Ertappt senkte sie den Kopf und drehte sich wieder nach vorne um. Jojo hatte Kims Eltern versprochen den Part der Trauerrede zu übernehmen, da sie doch viel mehr Anteil an dem Leben ihrer Tochter gehabt hatte, als die beiden, deren Geldsorgen immer im Vordergrund gestanden hatten. Sie ließ Pias Hand los und ging mit wackeligen Schritten nach vorne. Sie stellte sich neben den Pastor und begann: „

Wir sind unsagbar traurig. Du fehlst uns sehr! Nichts mehr wird sein wie früher. Da wird immer eine Lücke sein, die du bisher ausfülltest. Mit dir sind wir wunderbare Wege gegangen. Wir haben gelacht, gefeiert, gehofft“, Jojos Stimme begann zu zittern und sie zwang sich mit einem Räuspern fortzufahren. „Wir weinen um dich. Du wirst ewig in unseren Gedanken, in unseren Erinnerungen und in unseren Herzen sein. Da hast du deinen Platz. Wir werden dich nie vergessen, denn wir sind dankbar, dass wir dich bei uns hatten.“ Tränen kullerten über Jojos Wangen und ein schwarzer Make-up-Film bildete sich um ihre roten Augen. Auch Pias Wangen waren von den Tränen ganz nass. Anschließend sagten noch

ein paar weitere Bekannte etwas. Zur Beisetzung ging nur der engste Familienkreis, einschließlich Jojo. Also machte sich Pia alleine auf den Rückweg. Auch in den nächsten Tagen wollte der Alltag nicht wirklich einkehren. Die Trauer um Kim war immer noch allgegenwärtig. Nachts wurde Pia von Albträumen geplagt. Kalte Augen beugten sich zu ihr hinab und ließen sie in Todesangst zurück. „Die Augen eines Mörders“, Pia wusste es. Eines Morgens meldete sich Jörg bei ihr: „Hey Pia! Wie geht es dir? Ich habe das alles auch mitbekommen und es tut mir unendlich leid. Vielleicht kannst du ein bisschen Ablenkung gebrauchen. Heute Abend um 10 im Schlagzeug wär noch etwas frei für dich.“ Pia

überlegte lange, aber schließlich sagte sie zu. Kim hätte auch nicht gewollt, dass sie den ganzen Tag über in der Wohnung die Stunden zählte. Sie konnte etwas Sinnvolleres tun und die Trauer für einige Stunden vergessen. Sie fragte Jojo, ob diese sie begleiten wollte und auch sie war der gleichen Meinung. Das Schlag-Zeug war wieder gut besucht und Jörg wartete schon. „Das ist großartig, dass du gekommen bist. Die Leute freuen sich schon, dich nachher zu sehen“, rief er ihnen entgegen, als sie sich durch den Einlass schleusten. „Und das freut mich“, antwortete Pia und musste lachen, es war richtig gewesen hierherzukommen. „Ich habe eine Zusammenstellung aus House und Dubstep gemacht. Viel Spaß“, Jörg drehte

sich wieder um und verschwand im bunten Lichterchaos. Pia und Jojo tauchten in der tanzenden Menge unter. Fließend bewegten und drehten sie sich zu der Musik. Plötzlich wurde Pia von hinten angerempelt. „Pass doch auf!“, zischte eine zickige Blondine, die sich in eine deutlich zu enge Lederimitat Hose gequetscht hatte. Dazu trug sie ein kitschiges pinkes Top und Plastikcreolen baumelten in ihren wasserstoffblonden Haaren herum. „Kim, kommst du“, rief eine ebenfalls blondhaarige Zicke und zog die andere von der Tanzfläche. „Ausgerechnet dieses Miststück muss den Namen Kim tragen“, dachte Pia, als sie sich auf den Weg zum DJ-Pult machte. Jojo war indessen zu Bar gestürmt und ganz in ihren Barkeeper

versunken. Pia legte die erste Platte auf und beobachtete vergnügt, wie sich die Meute zum Dubstepmix von „Get right“ bewegte. Die Arbeit machte unheimlich Spaß und die  Zeit verging wieder wie im Flug. Als sie mühsam vom Podest kletterte hörte sie eine Stimme neben sich. „Du bist gut. Gut genug, dass wir dir eine Zusammenarbeit anbieten würden. Einen Plattenvertrag, der dich ganz nach oben an die Spitze des Erfolgs bringen wird.“ Pias Augen spiegelten sich in einer großen dunklen Sonnenbrille wieder und eine Hand streckte sich vor ihr aus. Sie war kalt, hatte aber einen festen Händedruck. „Matthias Carlson mein Name und ich bin von der Plattenfirma LP-Music, die auf der Suche nach neuen Talenten ist. Leider muss ich

gestehen, dass ich Kettenraucher bin und würde, wenn es dir nichts ausmacht, alles weitere draußen besprechen. „Hier kann man sich ja sowieso nicht unterhalten“, Pia war fasziniert von diesem lässigen und zuvorkommenden Mann und folgte ihm nach draußen. „Er griff in seine Jackentasche und holte Zigaretten und Feuerzeug heraus. „Willst du auch eine, Pia?“, sie schüttelte den Kopf. Woher wusste er, wie sie hieß? „Wahrscheinlich von Jörg“, beruhigte sie sich. Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander, immer mehr Leute gingen wieder in den Club oder verstreuten sich auf dem Weg nach Hause. Zurückblieben Pia und der Mann mit der Sonnenbrille. „Pia, wärst du gerne erfolgreich und im

Rampenlicht?“, fragte er. Sie nickte und nahm eine Bewegung aus ihrem Augenwinkel war. Der Mann hatte ein weißes Tuch hervorgeholt. Er drehte sich langsam zu ihr und trat einen Schritt näher, zu schnell um zu reagieren, presste er ihr das Tuch vor den Mund. Sie merkte wie sie langsam müde, schwächer wurde und einfach nur schlafen wollte. Bevor sie die Augen schloss blickte sie noch einmal nach oben. Der Mann hatte die Sonnenbrille abgenommen und erwiderte ihren Blick aus seinen tiefgrauen Augen. Den Augen eines Mörders.

Schneewittchens Schuld

Der Besuch bei Herrn Scharf in den DRK Kliniken stand an. Der Dienstwagen  kam mit quietschenden Reifen auf dem mit Streusand übersäten Krankenhausparkplatz zum Stehen. Die Türen öffneten sich und die Kommissare eilten durch die große Glasschiebetür. Ein Geruch von Desinfektionsmitteln füllte die Luft und eilig umher rennende Gestalten in weißen Kitteln schoben sich in ihr Blickfeld. Nicolas musste schlucken und kramte einen Pfefferminzbonbon aus seiner linken Jackentasche, der würde seinen Besuch hier ein wenig erträglicher machen. Sofort spürte

er einen Pfefferminzstich in Nase und Rachen. Schnell erkundigten sie sich nach der Zimmernummer und eine hilfsbereite, junge Krankenschwester führte sie in das Zimmer mit der Nummer 124. Ein karger, weißer Anblick bot sich ihnen. Herr Scharf war in ein Einzelzimmer gelegt worden. Auf dem beigen Gummiboden stand ein blauer Sessel, daneben gab es einen Kiefernschrank. In der Mitte des Raumes befand sich Herr Scharf. Sein mit dicken Verbänden umhüllter Kopf ragte aus dem schneeweißen Berg aus Bettdecke und Kissen hervor. Die Spuren des Angriffs waren noch deutlich in seinem Gesicht zuerkennen. Als die Kommissare eintraten war Herr Scharf gerade in ein Kreuzworträtsel vertieft. Auf

dem Nachtisch stand eine übriggebliebene Portion Möhreneintopf, die er anscheinend nicht angerührt hatte. Die einzigen Farbtupfer spendete ein billiger Supermarkt-Blumenstrauß, der dringend Wasser benötigte. Nicolas stellte sich und seinen Kollegen vor. „Hallo, ich glaube, ich weiß weshalb Sie gekommen sind“, krächzte der Patient. „Es geht um die Marionettenspieler oder?“. Verwundert über diese zuvorkommende Geste nickten die beiden Besucher. „Ich bin auf dem Video zu sehen“, fuhr Scharf fort. „Ich war immer knapp bei Kasse und dann kam dieser Postbote und gab mir diesen Brief, indem sie versprachen, ich würde aus den Schulden rauskommen. Es stand alles haargenau drin was ich

machen sollte. U-Bahnlinie, Zeitpunkt, wo sich die Technik befand und was ich zu tun hatte“. „Warum sind Sie nach dem ersten Mord nicht ausgestiegen?“, fragte Nicolas. Hiroki machte sich eifrig Notizen. Herr Scharf klappte seine Rätselzeitschrift zu und schaute den Kommissar direkt an. „Ich wollte, aber ich konnte nicht. Ich bekam wieder einen Brief für den Mord von dieser Kassandra und nebenbei noch eine Morddrohung, wenn ich es nicht machen sollte. Ich war verzweifelt, was hätte ich tun sollen, ich…“.  „Beruhigen Sie sich erst einmal, jetzt stehen Sie hier unter Polizeischutz und Ihnen kann nichts passieren. Können Sie uns vielleicht den Postboten beschreiben?“ „Er war ein

Durchschnittsmensch und trägt immer die Post in der Gegend um die Weinmeisterstraße aus, wo ich mein Mietshaus habe und selber in der Nähe wohne. Vielleicht müssen Sie sich einfach mal dort umhören“. „Vielen Dank, ich glaube Sie haben uns einige Schritte weitergeholfen und das wird sich positiv für Sie auswirken. Wiedersehen und gute Genesung“. Die Kommissare machten Anstalten zu gehen. „Das mit Kim habe ich nicht gewollt, sie wollte doch nur etwas Geld von mir und sie ist mir auf die Schliche gekommen und wollte mich verraten. Das haben die Marionettenspieler irgendwie mitbekommen und erst sie umgebracht und dann wollten sie mich aus dem Weg räumen“, flüsterte Herr Scharf den

Kommissaren zu. „Wieso sagen Sie sie? Handelt es sich um mehrere?“, wollte Nicolas wissen und Wolfgang Scharf nickte. Er hob langsam seinen eingegipsten Arm, aus dem die Hand noch frei herausragte und zeigte ihnen eine Zwei. Die nächsten Tage waren mit der Beerdigung von Kim Müller und der Befragung des Postboten, den sie als Norbert Scheele identifiziert hatten, gefüllt. Letzterer konnte ihnen nicht wirklich weiterhelfen. Er beschrieb seinen Auftraggeber als einen ca. 1,80 Meter großen Mann mit Sonnenbrille und gefärbten blonden Haaren. Ellie erschien wieder im Büro und erkundigte sich nach den neuesten Ermittlungständen, die noch nicht viel weitergekommen waren. Herr Laumann übte

Druck aus und forderte endlich einen Erfolg. Gerade saß Ellie an der Schreibtischkante von Nicolas Tisch und lugte ihm über die Schulter auf den Bildschirm. Da klingelte sein Telefon. „Mordkommission Berlin-Mitte. Abendstern am Apparat.“ „Hallo, hier ist Renate von Marnitz, die Professorin aus der Akademie.“ Nicolas konnte sich noch an die raue Stimme erinnern. „Danke, dass sie die Bilder von einer unserer Studentinnen abholen lassen haben. Vielleicht helfen sie ja bei der Suche nach dem Täter.“ „Wir haben niemanden geschickt und auch keinen Auftrag dafür erteilt, dass die Monet-Bilder abgeholt werden sollten.“ Nicolas spürte, dass sie auf dem richtigen Weg waren, etwas Entscheidendes herauszufinden. „Nicht, aber

Mathilda hatte mir doch genau das gesagt, als sie die Bilder mitnahm. Warum sollte sie mich anlügen?“ „Das wüssten wir auch gerne. Könnten Sie uns ihren vollständigen Namen geben und uns sagen,  wo sie wohnt?“ „Mit dem Namen kann ich dienen: Mathilda von Buschkowski. Aber wo sie wohnt weiß ich nicht, jedenfalls nicht im Studentenheim.“ Ellie, die das Telefonat mitgehört hatte, checkte den Namen und konnte auch nur den Kopf schütteln. Für Mathilda Buschkowski gab es keinerlei Einträge, sie war nirgendwo gemeldet. „Trotzdem danke für Ihren Anruf“. „Gerne und….Ach da fällt mir ein,  Mathildas Mutter ist in einem Pflegeheim im Grunewald untergekommen, nachdem man bei ihr

Demenz festgestellt hatte. Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht kann sie Ihnen irgendwie weiterhelfen. Das Heim hieß irgendwas mit Dahlem, mehr weiß ich nicht. Viel Erfolg und auf Wiedersehen“. Ellie suchte nach dem Pflegeheim und bekam sofort einen Treffer. Wenig später waren sie unterwegs zu der Residenz Dahlem am Grunewald. Eine feine Adresse für seine pflegebedürftigen Bewohner. Unter einer weißen Haube zeigte sich das Domizil von einer wohlhabenden Seite. „Den Bewohnern kann es doch egal sein, wo sie ihre letzte Zeit verbringen. Was interessiert es die, wenn sie an einem Tisch aus feinstem Eichenholz essen und dabei auf teuren Polsterstühlen sitzen“, kommentierte Ellie, als sie durch die

blaue Friesentür gingen und nasse Streifen auf dem weißen Marmorboden hinterließen. „Das was sie hier verschmähen, ist für unsere Bewohner von großer Bedeutung“, wies sie eine piepsige Stimme zurecht. Die Leiterin des Pflegeheims stellte sich angebunden vor und teilte ihnen widerwillig das Zimmer von Ruth von Buschkowski mit. Nicolas und Ellie entfernten sich und klopften an eine dunkle, schwere Holztür. „Mathilda? Bist du das? Komm doch herein.“ Eine leise Stimme drang aus dem Zimmer nach außen zu ihnen. Nicolas öffnete vorsichtig die Tür und sie traten ein. Ruth von Buschkowski saß in einem weiß-geblümten Sessel vor einem knisternden Kaminfeuer. Sie hatte lange graue Haare, die früher wohl einmal tief

schwarz gewesen waren und musste ca. Ende Fünfzig sein. Eine grüne Fleecedecke wärmte ihre Beine. Auf dem Tisch neben dem Sessel stand eine silberne Teekanne und dahinter ein Strauß weißer Lilien. Hier waren sie richtig. „Nein wir sind nicht Mathilda, sondern von der Polizei. Wir suchen ihre Tochter Frau Buschkowski“, sagte Ellie behutsam. „Die Polizei?“, als hätte sie die Anwesenheit der Kommissare vergessen, starrte sie auf die Wand. Mit einer strengen und lauten Stimme sprach sie weiter: „Mathilda, Alexander! Kommt sofort zu mir! Ich will euch Schneewittchen vorlesen, euer Lieblingsmärchen und keine Verweigerung, sonst gibt es was hinter die Löffel!“ Erschrocken verfolgten die Ermittler den

Wutausbruch der alten Dame. „Erfolgreich müsst ihr sein, erfolgreicher als alle anderen. Etwas anderes dulde ich nicht!“. Als hätte sie alles zuvor Gesagte vergessen, nahm sie sich die Teekanne und goss sich eine Tasse ein. „Möchten Sie auch einen? Was kann ich für Sie tun?“. „Nein danke, wir wollen sie auch nicht länger stören, genießen Sie ihren Tee. Wir waren gar nicht da“, Nicolas drehte sich um und Ellie folgte ihm aus dem warmen Zimmer. „Was war das denn?“, fragte diese. „Eine Zurechtweisung an ihre Kinder. Deshalb hassen sie schwarzhaarige erfolgreiche Frauen. Frauen, wie ihre Mutter eine gewesen ist.“ „Und das mit dem Apfel haben sie von Schneewittchen. Ganz schön krank“, fügte Ellie hinzu. „Wir müssen die

beiden unbedingt finden, bevor noch etwas passiert. Es muss irgendjemanden geben, der uns etwas sagen kann. Die Heimleiterin gehörte nicht dazu, sie beschrieb Mathilda von Buschkowski als durchschnittlich und blondhaarig, allerdings gefärbt. Sie kam einmal in der Woche und brachte ihrer Mutter deren Lieblingsblumen, weiße Lilien. Aufgeregt verließen die beiden das Altenheim. Für heute wollten sie erst einmal Feierabend machen. So fuhr Nicolas zusammen mit Christine in seine Altbauwohnung. Den ganzen Abend verbrachte er vor seinem Laptop, um die neu erbrachten Kenntnisse in einen Zusammenhang zu bringen. Es war schon nach Mitternacht, als sein Diensthandy anfing

zu klingeln. „Abendstern“. „Joana Wulff, Sie müssen mir helfen. Meine Freundin Pia Kappe ist verschwunden.“ „Die Marionettenspieler hatten ihr viertes Opfer“, dachte Nicolas. Doch diesmal mussten sie rechtzeitig sein.  

In den Fängen

Pias Kopf dröhnte, aber die Erinnerung an das, was passiert war, kam schlagartig zurück. Sie war in die Fänge des Marionettenspielers geraten. Sie befand sich in einem dunklen Loch und konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen, geschweige denn sich irgendwie bewegen. Das Surren eines Motors war zu hören und Pia wusste, wo sie sich befand: In dem Kofferraum eines Autos auf dem Weg in den Tod. Vor Verzweiflung stiegen ihr die Tränen in die Augen. Warum war sie nur nach Berlin gekommen, sie könnte jetzt ganz normal vor ihrem Schreibtisch in der Stadtverwaltung sitzen und nachher zum Essen zu ihren Eltern

fahren. Wahrscheinlich würde sie diese nie wieder sehen. Pia hatte jegliches Zeitgefühl verloren und spürte wie der Wagen stetig langsamer wurde. Sie versuchte ihre Finger zu bewegen. Vergeblich. Sie waren mit einfachem Juteband zusammengebunden. „Was willst du von mir!? Lass mich gehen!“, schrie sie so laut sie konnte, obwohl sie wusste, dass der Marionettenspieler sie nie erhören würde. Wenigstens konnte sie sprechen und er hatte sie nicht zusätzlich noch geknebelt. „Hören kann mich trotzdem keiner“, stellte Pia fest und merkte, wie der Wagen einen kleinen Ruck machte und schließlich zum Stehen kam. Für kurze Zeit war es ganz still. Dann wurde die Kofferraumtür aufgerissen und sie blickte

wieder in diese Augen und war unfähig überhaupt etwas zu tun. „Na du Kleine? Schöne Fahrt gehabt?“, ohne auf eine Antwort zu warten, packte der Mann sie unter den Achseln und hievte sie aus dem Wagen. Sie spürte Kieselsteine unter ihren Schuhen und guckte sich um. Überall waren Bäume, sie musste irgendwo im Wald sein. Meilenweit entfernt von der Zivilisation oder doch nicht? Als sie ein paar Meter weiter geschleift wurde, konnte sie eine alte, schon etwas heruntergekommene  Villa mit weißen Sprossenfenstern und einem roten Giebeldach erkennen. Hinter den Fenstern brannte Licht. „Wo bringst du mich hin?“, wollte Pia wissen und versuchte sich mit einer wilden Drehbewegung aus dem festen Griff zu

befreien. Doch aus dem gab es kein Entkommen und er wurde nur umso fester. Sie erreichten die Stufen einer gigantischen Steintreppe. „Wie in einem Märchen. Der Prinz steht unten und blickt zu seiner Prinzessin hinauf“, dachte Pia. Nur war das hier kein Märchen, sondern bitterer Ernst. Sie war keine Prinzessin, sondern eine Entführte und der Prinz war ein Mörder. Die Tür öffnete sich und eine Frau erschien. Elegante Kleidung schmiegte sich um ihre schlanke Figur und sie trug einen großen, roten Hut. Darunter ragte eine Partie blonder Haare hervor. „Willkommen Pia. Fühl dich ganz wie zu Hause, solange du noch unter den Lebenden verweilst“, schwungvoll trat sie einen Schritt zurück und ließ den Mann

zusammen mit Pia eintreten. Dabei konnte Pia erkennen, dass sie vom Gesicht her eine ziemlich große Ähnlichkeit mit dem Entführer hatte. Sie war also in die Fänge von zwei Psychopaten geraten und würde nie wieder entkommen können. Ihr Weg führte sie durch eine lange, dunkle Eingangshalle in einen hell erleuchteten Raum. Eine lange Festtafel, in Gold und Rot getaucht, strahlte eine fast friedliche Atmosphäre aus. „Setz dich doch und genieße deine letzte Mahlzeit mit uns“, sagte die Frau und offenbarte eine exakt gerade Zahnreihe hinter ihrem breiten Lächeln. „Ich habe extra noch Plätzchen gebacken“. Pia wurde auf einen der alten Holzstühle, die mit einem edlen Stoff bezogen waren, gedrückt und spürte, wie sich eine

weitere Fessel um ihre Oberarme schnürte. „Damit kommt ihr nicht durch, irgendjemand wird merken, was sich hinter diesen Fenstern abspielt“, zischte Pia. „Ach, wie wir diese Hoffnung doch enttäuschen müssen, Alex. Die nächsten Nachbarn wohnen fünfhundert Meter entfernt und denken hier wohnt noch die liebenswerte alte Frau Heimann. Wirklich schade. Alex und ich hoffe, du hast dieses Mal ordentlicher gearbeitet.“, ein schrilles Lachen kam über ihre Lippen und sie knallte mit der Gabel auf den alten Holztisch und schaute den Mann, der immer noch hinter Pia stand, aus funkelnd grauen Augen an. „Die beiden sind Geschwister“, erkannte Pia. „Es ist alles so gelaufen, wie du es mir befohlen hast, Thilda.“ „Das hoffe ich, nicht

dass du wieder so versagst wie bei diesem Scharf, der eigentlich tot sein sollte“. „Es ist nichts schiefgegangen, Schwester. Ich werde es nicht wagen, dich noch einmal zu enttäuschen“. „Nun geh und richte das Reich der Träume für unseren netten Gast ein“. Schritte waren zu hören und Alex verschwand. „Wir beide, wollen vorher aber noch eine Kleinigkeit zu uns nehmen. Nicht wahr?“. Thilda stand auf und verließ den Raum. Pia atmete zum ersten Mal richtig aus und spürte wie ihr die Glieder schmerzten. Würde im Reich der Träume der Tod auf sie warten? Ein Klacken von Absätzen war zu hören und Thilda erschien mit einem Silbertablett, auf dem elegant ein einziger Apfel thronte. Sie kam näher und stellte sich

neben Pia. Ihr Atem war zu hören und Pia durchlief ein tiefer Schauer. Sie nahm sich eines der ebenfalls silbernen Messer vom Tisch und schnitt den Apfel auf. Geschickt teilte sie ihn in viele kleine Stücke. „So meine Liebe. Dein Magen knurrt ja schon vor Hunger“, ihre Hand schob sich vor Pias Augen und öffnete sich. „Ich esse das nicht, der ist vergiftet oder?“, fragte Pia. „Schneewittchen. So kann man dich eigentlich gar nicht nennen, denn deine Haare sind nicht pechschwarz und keine Engelshaare. Alex hat mal wieder nicht gut gearbeitet. Trotzdem wird es dir genauso wie deinen beiden Vorgängerinnen ergehen“. „Drei, Kim habt ihr doch auch umgebracht!“. „Ups, wie konnte ich diese kleine Schlange

vergessen? Wollte nur Geld und erfolgreich sein, wie alle anderen auch!“, Thildas Stimme bekam einen gefährlichen Unterton. Eine kalte Hand griff um Pias Kiefer und sie spürte, wie die langen spitzen Fingernägel sich in ihre Haut drückten. Pia konnte sich nicht wehren, ihr Mund wurde geöffnet und ein erstes Stück Apfel landete darin. Sie zappelte mit den Beinen und zwang sich nicht zu schlucken. Doch zu spät, ein fester Griff um ihren Hals und der Apfel war unterwegs in den Magen. Sie wusste nicht, wie oft das noch passierte, als erneut Schritte zu hören waren. „Unser Schneewittchen kann jetzt ihren Schönheitsschlaf machen.“ „Sehr gut, binde sie los und folge mir!“ An Pia gewandt fügte sie boshaft hinzu: „Wer sich vom Mahl

des Schicksals nährt, fürchtet nicht den Schlaf zu kosten.“ Die beiden lachten und Panik stieg in Pia auf, als sie hochgerissen wurde. Alex nahm sie huckepack und folgte seiner Schwester die Treppen hinauf. Ihre Augenlieder wurden merklich schwerer, das Gift begann langsam zu wirken. Sie erkannte durch ihre zusammengekniffenen Augen einen großen hellen Raum, bestückt mit Barockmöbeln, deren goldene Note im flackernden Kerzenlicht leuchtete. „Alex, die nächste Dosis gebe ich ihr auf dem Weg zu den Schienen. Du kannst jetzt losfahren und alles mit der Technik klarmachen. Ruf mich an und versau es nicht wieder, sonst bist du der Nächste, der von der Decke baumelt!“, mit einem wortlosen Nicken legte er Pia sanft

auf das weiche Bett und verließ den Raum. Pias Hoffnung, das Ganze hier zu überleben war gleich null. Innerlich verabschiedete sie sich schon von allen, die ihr wichtig waren. Sie konnte es nicht verhindern, dass die Tränen ihren Lauf fanden. „Du bist genauso schwach wie die anderen, die haben auch die ganze Zeit geheult. Dabei solltest du froh sein, dass es bald vorbei ist und die Welt dich los ist!“ Pia wurde an Beinen und Armen ans Bett gefesselt. Sie suchte den kalten Blick von Thilda und flüsterte: „Wie viele Unschuldige wollt ihr denn noch umbringen, was habt ihr davon?“ Thilda richtet sich auf und strich ihren roten Rock glatt. „Erfolg haben wir davon. Und ich werde jetzt auch gehen und dir eine schöne, weiße Lilie

besorgen. Bis später“. Das Licht wurde ausgeschaltet und Pia blieb in der Dunkelheit zurück, angebunden und zu keiner Zeit in der Lage, sich zu befreien. Sie war verloren, niemand würde sie so schnell finden und retten können. Das Netz der Marionettenspieler war einfach zu eng.

Die Zeit läuft

Wenig später saß Nicolas am Steuer von Christine, neben sich Ellie auf dem Beifahrersitz und fuhr ohne Beachtung der Geschwindigkeit und Straßenschilder zu der angegebenen Adresse. Verstärkung war ebenfalls alarmiert worden. Joana Wulff erwartete sie bereits vor dem Schlag-Zeug. Angst zeichnete sich unter ihren Augen ab und ein junger Mann hatte tröstend einen Arm um sie gelegt. „Hallo Frau Wulff, wir sind so schnell gekommen, wie es uns möglich war“, sagte Ellie während sie von Müdigkeit gezeichnet aus dem Wagen stieg. Es war bereits ein Uhr morgens. „Danke, aber was versprechen Sie sich davon, hier nach Pia zu

suchen? Er hat sie mitgenommen und wahrscheinlich ist sie schon…“, die Stimme der jungen Frau brach ab und verlor sich in dem Krach, der immer noch aus der Diskothek kam. Scheinwerferlicht war aus der Ferne zu sehen und wenig später gesellten sich die Leute von der KTU zu ihnen. Viel Erfolg versprach sich Nicolas von der ganzen Sache jedoch nicht. Sie mussten Frau Kappe bald finden, ansonsten würden die Mörder einer weiteren Person das Leben nehmen. Skrupel waren ihnen, die unter einer solchen Härte von ihrer Mutter erzogen worden waren, völlig fremd. „Können Sie uns irgendetwas sagen, dass Ihnen aufgefallen ist, Frau Wulff“, fuhr Ellie mit der Befragung fort. „Pia hatte um 22:00 Uhr ihren Auftritt und

danach habe ich sie mit irgendjemandem rausgehen sehen. Er schien nett zu sein, ich konnte doch nicht ahnen, wer das ist.“ „Nein, das konnten Sie nicht. Können Sie uns den Mann irgendwie beschreiben?“, fragte Nicolas, während Ellie mit weiteren Kollegen sprach, die die anderen Partygäste befragt hatten. „Er hatte eine Sonnenbrille auf und ich glaube die Haare waren blond. Er war normal groß. An die Kleidung kann ich mich nicht erinnern, es ging alles so schnell und sehen kann man bei den vielen Lichtern auch nicht viel“, ein Schluchzen durchfuhr sie und der Mann, der sich als Jakob Dannenberg vorgestellt hatte, drückte sie noch fester und ergänzte: „Der Mann war auf jeden Fall neu hier. Ich habe ihn jedenfalls nie

zuvor hier gesehen“. Sie mussten die von Buschkowskis finden, sie waren der Schlüssel zu allem, die Marionettenspieler, die der Polizei immer einen Schritt voraus waren. Neue und wichtige Tatsachen brachte die ganze Befragung nicht hervor und die Kommissare beschlossen auf das Präsidium zu fahren. Zu dieser Zeit waren fast alle Fenster dunkel, nur die der Mordkommission erhellten das Dunkle der kalten Dezembernacht. Fröstelnd rannten die beiden nach oben. Hiroki saß an seinem Schreibtisch, während Herr Laumann in ein ernstes Telefonat vertieft war. „Wir haben eine Fahndung nach Mathilda und Alexander von Buschkowski ausgeschrieben. Hinweise gab es bis jetzt noch keine.“ So warteten die

Kommissare die ganzen frühen Morgenstunden lang. Nicolas arbeitete an seinem Täterprofil weiter, Ellie kümmerte sich um die Auswertungen aus dem Club und Hiroki suchte nach möglichen Bekannten, die die von Buschkowskis kannten und ihnen sagen konnten, wo sie lebten. Nur Herr Laumann, der ein blau-rot gestreiftes Hemd trug auf dem graue Mäuse an ihrem Käse knabberten, schien nicht sonderlich bemüht den Fall zu lösen. Nicolas war gerade zur Kaffeemaschine getrottet, um sich seine inzwischen fünfte Tasse Kaffee zu holen, als sein Telefon klingelte. Er machte einen Sprung und riss den Hörer von der Gabel. „Abendstern“, meldete er sich ohne große Umschweife. „Eva Ludwig von der Residenz

Dahlem. Sie waren gestern wegen Ruth von Buschkowski hier. Ich habe heute Nachtschicht und da tauchte ihre Tochter hier bei uns auf und wollte etwas ganz wichtiges mitnehmen, was sie bei ihrem letzten Besuch vergessen hatte.“ „Wann war Mathilda von Buschkowski bei Ihnen“, fragte Nicolas und drehte nervös einen Kugelschreiber zwischen seinen Fingern. „Das muss vor ca. einer Stunde gewesen sein und als ich Mathilda in den Nachrichten gesehen habe, dachte ich mir, dass ich Ihnen Bescheid geben sollte“. „Danke, das war sehr nett von Ihnen.“ „Und da war noch etwas. Ich bin erst einmal in das Zimmer von der Frau von Buschkowski gegangen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Sie schien total verwirrt zu sein

und faselte etwas von: „Schneewittchen muss im Grunewald sterben“. „Sagte Sie wirklich Grunewald?“ „Ja, sie meinte unseren Grunewald, da haben die von Buschkowskis früher gewohnt, waren eine sehr wohlhabende Familie mit sehr viel Geld auf den Konten“. „Danke, für Ihren Anruf. Sie haben uns wirklich weitergeholfen“, Nicolas wollte das Telefonat beenden, als ihm noch etwas einfiel: „Wissen Sie, was Mathilda von Buschkowski mit sich genommen  hat?“ „Nichts Besonderes, muss etwas Kleines gewesen sein. Gewundert habe ich mich nur über die weiße Lilie in ihrer Hand.“ Nicolas beendete das Telefonat. Die Zeit lief ihnen davon. Er wies Hiroko an, sich nach der alten Adresse der Familie zu erkundigen.

Inzwischen sprintete er mit Ellie auf Christine zu, einen Dienstwagen in Anspruch zu nehmen, würde zu viel Zeit kosten. Zeit, die sie nicht hatten. Angekommen bei der noblen Adresse, klingelten sie die neuen Bewohner, eine vierköpfige Familie, aus dem Bett. Keine Spur von den Tätern war hier zu finden. „Ich weiß, dass sie hier in der Nähe des Grunewalds sind“, schrie Nicolas verzweifelt und haute mit der Faust auf das Autodach seines Oldtimers. Sein Handy klingelte. Es war Hiroki. „Mir ist noch die Idee gekommen, dass sich die Mörder vielleicht in einer der leer stehenden Villen einquartiert haben. Ich habe einige Adressen rausgesucht und ein paar Kollegen losgeschickt. Vielleicht könntet ihr euch um die restlichen kümmern“. Hiroki

gab ihm drei Adressen. Sie machten sich sofort auf den Weg. Doch vor keinem der Häuser gab es einen Hinweis auf unbefugte Bewohner. „Wir werden es nicht schaffen. Wir haben zwar auch an den U-Bahnstationen Kollegen postiert, aber selbst wenn sie dort eintreffen würden, wäre es für Pia Kappe zu spät“, sagte Nicolas und senkte resigniert den Kopf. „Noch ist nichts verloren“, gerade als Ellie das sagte kam ihnen ein Auto mit verdächtig hoher Geschwindigkeit entgegen. Am Steuer war zwar nur eine dunkle Gestalt erkennen, aber Ellie war sich trotzdem sicher, dass gerade einer der Mörder an ihnen vorbeigefahren war. Nicolas wendete seinen Wagen und sie nahmen die Verfolgung auf. Die Rücklichter des Vorrausfahrenden waren

nur noch kleine Lichtpunkte in der aufkommenden Dämmerung. Sie fuhren direkt auf den Wald zu und bogen rechts in einen kleinen Waldweg ein. Die Zweige der Tannen kratzten an den Autoscheiben und hinterließen nasse Tropfen. In einer verlassenen Hofeinfahrt kam der Wagen vor ihnen zum Stehen. Die Kommissare blieben im Dickicht der Tannen und stellten ebenfalls den Wagen ab. Nicolas holte seine Dienstwaffe, eine  „SIG Sauer P225“, aus dem Handschuhfach, öffnete vorsichtig die Autotür und stieg auf den mit Schnee bedeckten Waldboden. Sie würden Spuren hinterlassen, aber das war derzeit unwichtig. Ellie folgte ihm und so leise wie möglich betraten sie das Grundstück. Nur das

Knirschen des Schnees und ihre gleichmäßige Atmung waren zu hören. Die Fenster der alten Villa waren hell erleuchtet und die Haustür stand offen. Geduckt hinter den Büschen, die sich neben der Einfahrt aneinander reihten, arbeiteten sie sich vorwärts. „Alex, endlich! Wie lange hat das denn gedauert? Unsere Kleine ist wieder wach geworden und ich musst sie noch einmal betäuben“. „Es tut mir leid, aber als ich alles fertig hatte, kamen plötzlich die Bullen in Massen an und ich musste einen Umweg durch die dunklen Tunnel nehmen“. „Hol sie her und dann verpassen wir ihr im Wagen die letzte Dosis, die sie umbringen wird“, im Licht der Außenlampe, konnte man den Wahnsinn in den Augen von Mathilda von

Buschkowski aufblitzen sehen. Ihr Bruder verschwand im Inneren des Hauses. Nicolas deutete Ellie, näher an die Hauswand zu kommen. Dabei trat sie aus Versehen auf einen knorrigen Zweig und ein Knacken durchdrang die Stille. „Was war das?“, flüsterte die junge Frau und kam auf das Versteck der Kommissare zu. Dabei durchsuchten ihre eisgrauen Augen jeden Winkel und blieben im Gesicht von Nicolas haften. „Verflucht“, dachte dieser und festigte seinen Griff um die Waffe. „Wen haben wir denn da? Doch nicht etwa den Kommissar?“, ein schauriges Lachen war zu hören, das zugleich unterbrochen wurde, als der Lauf einer Pistole sich an ihre Schläfe legte. Ellie hatte sich von hinten angeschlichen. „Alex,

bring Schneewittchen zu mir!“, befahl sie und tat als wäre nichts geschehen. Sie schlug ihren Ellenbogen zurück und traf Ellie, die stöhnend zu Boden ging, mitten im Gesicht. Sie nahm die Waffe und rannte die Treppe hinauf zu ihrem Bruder. „Sie lassen uns gehen oder es wird ein weiteres Opfer geben. Das wollen Sie doch nicht oder?“, zischte sie und ihr Blick bohrte sich tief in die Augen von Nicolas. Sie hob die Waffe und hielt den Lauf direkt unter die Kehle der bewusstlosen Pia.

Unvollendet

Pia spürte etwas Kaltes unter ihrem Kinn. Es musste aus Metall sein, doch sie wagte es nicht ihre Augen weiter zu öffnen. Ihr Kopf war schwer wie Blei und sie musste ein Stöhnen unterdrücken. Ein Arm hatte sich um ihre Taille gelegt und verhinderte jegliche Fluchtmöglichkeiten. „Legen Sie die Waffe nieder oder ich drücke ab!“, schrie eine schrille Stimme neben ihr. Und mit einem Mal war alles wieder da, die Entführung vor dem Club und das anschließende Gefangensein bei dieser wahnsinnigen Frau und ihrem Bruder. „Das hat doch alles keinen Sinn mehr. Es ist sowieso alles zu spät für Sie, machen Sie es nicht noch schlimmer“. „Die

Stimme des Kommissars“, dachte Pia und überlegte wie sein Name lautete. „Es war irgendetwas mit Stern hinten“, Erleichterung und Optimismus durchfluteten Pia, vielleicht hatte alles jetzt ein Ende gefunden. „Ich beweise Ihnen, dass es für mich kein zu spät gibt und Sie mich endlich ernst nehmen“. „Thilda, wir haben verloren. Der Kommissar hat recht“, jammerte eine Stimme dicht an Pias Ohr. Die Kälte des metallischen Etwas verschwand von Pias Unterkiefer und ein lauter Knall war zu hören. Der feste Griff um ihre Taille lockerte sich und Pia spürte wie sie zu Boden ging und auf einem weichen Untergrund landete. Der Geruch von Blut bereitete sich in ihrer Nase aus. „Sehen Sie, ich lüge nie und jetzt legen Sie die Waffe

nieder und lassen Sie mich zusammen mit meinem kleinen Schneewittchen verschwinden“. „Ok. Ich lasse Sie gehen, aber nur wenn Sie mir versprechen Schneewittchen am Leben zu lassen. Ansonsten mache ich bei Ihrem Deal nicht mit.“ „Schneewittchen? Damit bin ich gemeint“, durchfuhr es Pia und sie bemerkte wieder diese spitzen Fingernägel, die sich in ihre Haut bohrten. Sie wurde hochgezogen und spürte dieses Mal etwas Kaltes neben ihrer Schläfe. „Der Lauf einer Waffe, mit der sie ihren Bruder getötet hat“, ging es Pia durch den Kopf und Panik stieg in ihr auf. Trotz ihrer zierlichen Gestalt, hatte Mathilda von Buschkowski einen festen Griff und die Kraft, Pia mit sich zu schleifen. In der Nähe

war das Geräusch von Sirenen zu hören, die auf sie zu zukommen schienen. „Rettung, nur leider zu spät“, Pia öffnete ihre schweren Augenlider und erkannte, dass sie in die Richtung eines dunklen Autos geschleift wurde. Ihre Schuhe strichen über den Schnee und allmählich begannen ihre Socken nass zu werden. In Zeitlupengeschwindigkeit erreichten sie die Autotür. Pia versuchte sich zu bewegen, doch sie war zu schwach um irgendetwas zu erreichen. Die Betäubung und der vergiftete Apfel hatten ihr jede Kraft gestohlen. Doch so schnell wollte sie nicht aufgeben und nahm all ihre Kräfte für ihre Stimme zusammen, auch der Name des Kommissars fiel ihr wieder ein. „Herr Abendstern, das

können Sie nicht machen. Sie wird mich umbringen, dass wissen Sie genau!“ Irgendwo in der Dunkelheit bewegte sich etwas, doch ehe Pia erkennen konnte was es war, wurde die Autotür geöffnet und sie auf die Rückbank gestoßen. Ein Lachen war zu hören. „Oh doch, Schneewittchen. Der Kommissar wird dich jetzt ganz alleine lassen und zusammen mit mir machst du dich auf den Weg in die Hölle.“ Mathildas Gesicht war im Schein eines dumpfen Lichtes zu erkennen und ihre Mundwinkel zogen sich zu einer Grimasse zusammen. Die Autotür wurde zugeschlagen und Pia befand sich in absoluter Dunkelheit. Ihr Kopf lag auf etwas weichem, eine Wolldecke vielleicht. Doch auch die konnte sie nicht mehr wärmen und

schützen vor dem was sie in den nächsten Minuten erwartete. Die Vordertür wurde aufgerissen und das Licht des Innenraumes ging an. Mathilda von Buschkowski trug immer noch ihren roten Hut und drehte sich zu Pia um: „Wir werden jetzt losfahren, also mach es dir dort hinten bequem. Ich weiß nicht wie lange unsere Reise zur U-Bahn dauern wird.“ „Zur U-Bahn? Da ist alles voller Polizisten“, kam es von hinten. „Ach die Polizei. Du hast doch gesehen wozu die fähig sind, zu nichts“, mit einem Lächeln drehte sie sich wieder nach vorne. Ihre linke Hand legte sich an das Lenkrad, während die andere die Handbremse löste und den ersten Gang einschaltete. Das Auto bewegte sich. Sie fuhren die lange Einfahrt hinunter und direkt

auf das kleine Waldstück zu. „Soll ich uns Musik anmachen? Diese Stille ist ja nicht zu ertragen. Wie wär es mit Klassik? Beethovens Neunte passt doch perfekt zu diesem Anlass. Die letzte vor seinem Tod und bald auch vor deinem“. Pia konnte sich nicht mehr bewegen, es sollte endlich alles vorbei sein. Sie hatte abgeschlossen. Wer sollte sie jetzt noch retten können? Ein lauter Knall war zu hören. „Das ist jetzt wohl der Tod“, dachte Pia ehe sie in tiefe, schwarze Dunkelheit versank. Doch aus der wachte sie wieder auf. Ihr fehlte jegliches Zeitgefühl, als sie wieder ihre Augen öffnete und in das verweinte Gesicht ihrer Mutter guckte. „Bin ich im Himmel?“, fragte Pia kratzend und verwundert ihre eigene Stimme zu hören.

„Nein, mein Schatz. Du bist hier bei uns. Der Himmel lässt noch auf sich warten“, sanft strich Olivia Kappe ihr über die Stirn. „Es ist alles gut, du brauchst nur ein wenig Zeit dich auszuruhen, um alles zu verarbeiten. Wir werden dich dabei unterstützen, so viel du willst.“ Hinter dem Kopf ihrer Mutter, tauchte nun auch der ihres Vaters auf. Er lächelte sie an und gab ein leises Schniefen von sich, als er seine Tochter sah. „Pa, seit wann weinst du denn? Das kenne ich ja gar nicht“, Pia versuchte ein Lächeln zu Stande zu bringen, was ihr jedoch nur halbwegs gelang und sie letztendlich weinend in den Armen ihrer Eltern lag. In den nächsten Tagen bekam sie Besuch von Jojo, die ihr den Weihnachtstee mitbrachte. „Welchen Tag haben wir heute?“,

fragte Pia und überlegte wie lange sie schon im Krankenhaus war. „Morgen ist Heiligabend und du darfst heute Abend mit nach Hause kommen. Wer will schon Weihnachten im Krankenhaus feiern?“. Es klopfte an der Tür und zwei blonde Haarschöpfe lugten hervor. „Dürfen wir reinkommen“, fragte die Kommissarin. Jojo und Pia nickten. Kommissar Abendstern erzählte ihnen von dem Unfall. Mathildas Fluchtwagen war in das versteckte Auto des Kommissars gerast. Mathilda selbst lag im künstlichen Koma und die Ärzte hatten wenig Hoffnung, dass sie je wieder aufwachen würde oder wollte, um ihre gerechte Strafe zu bekommen. Pia selbst hatte unglaubliches Glück gehabt und überwiegend leichte Verletzungen

davongetragen. Die Wolldecke hatte doch noch etwas Gutes getan. Am 24.12 saß Pia zusammen mit ihren Eltern, Jojo und dessen Bruder Andreas, der einen sehr netten Eindruck machte, zusammengeengt an dem kleinen runden Küchentisch. Jojo hatte ein wahres Festmahl gezaubert. Es gab knusprige Gänsekeulen mit Klößen und Grünkohl. Als Dessert servierte sie Mangocreme  mit Karamellkruste. Gut gesättigt nahmen sie im Wohnzimmer Platz. Andreas hatte einen großen Tannenbaum besorgt, den er zusammen mit Pias Eltern festlich geschmückt hatte. Rote Kugeln und silbernes Lametta strahlten im Schein der Lichterkette, die sich um den grünen Baum wand. Überall waren Schleifen und kleine

Figürchen aufgehängt worden. Pia vergaß zum ersten Mal die dunklen Erinnerungen und fühlte sich inmitten ihrer Freunde und ihrer Familie geborgen. Sie hatte beschlossen hier zu bleiben und ihren Traum weiterzuleben. In den Fenstern der Nachbarschaft strahlte der weihnachtliche Glanz ebenfalls in den Nachthimmel von Berlin. Nur ein Fenster war dunkel. Nicolas saß wie jedes Jahr zusammen mit einer Rotweinflasche auf seinem edlen Chesterfieldsofa und starrte Löcher in die Wand. Sein erster Fall war abgeschlossen und hatte ihn unglaubliche Kraft und seine Christine gekostet. Der Wagen war ein Totalschaden und konnte nicht mehr gerettet werden. Dafür hatte Christine ein Leben

gerettet und der Marionettenspielerin die Fäden aus der Hand genommen. Draußen war Gelächter zu hören und es fing wieder an zu schneien. Weiße Weihnachten in Berlin und Nicolas wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es Frühling werden würde.   

Ende

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Über den Autor

Julietta
Hi!! ;)
Ich bin Juliette und alle die mich kennen,nennen mich Julietta :-) Ich freue mich hier zu sein,um meine Bücher mit anderen zu teilen.Denn das Schreiben ist meine große Leidenschaft ...

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Gast Ein guter Krimi und Dank dir habe ich jetzt echten Gefallen am Winter gefunden!
lg
Vor langer Zeit - Antworten
Julietta Es freut mich, dass du dich hierher verirrt hast und in meinen Krimi geschaut hast.
Lg Julietta ;))
Vor langer Zeit - Antworten
Rainabas Nach unendlich langer Zeit schaue ich auch mal wieder vorbei und dachte, dass ich mal bei dir reinlesen sollte. In die Marionettenspieler beweist du deine Kreativität und dein Talent beim Schreiben. Die beiden Hauptcharaktere sind mir sehr sympatisch
lg Rainabas
Vor langer Zeit - Antworten
Julietta Danke Dir für die tollen Worte
Lg Julietta ;))
Vor langer Zeit - Antworten
Julietta Re: Eine Geschichte, -
Zitat: (Original von Enya2853 am 18.03.2013 - 16:52 Uhr) die sich leicht lesen lässt und spannend ist sie auch.
Die einzelnen kapitel sind gut aufgebaut - die beiden Parallelstränge auch. So bleibt die Spannung erhalten, da du immer genau in dem Augenblick aufhörst, wenn man wissen möchte, wie es weiter geht.
Du schreibst sehr detailliert - zeichnest Umgebung, Atmosphäre und Charakteres so genau, dass man sich alles sehr gut vorstellen kann.
Das gefällt mir einerseits sehr gut. manchmal - denke ich - hätte es etwas kürzer sein können für den Fortgang der Geschichte. Durch deine interessante Schreibweise wirkt es aber nicht langweilig.
Vielleicht könntest du ein wenig darauf achten, wo sehr detaillierte Beschreibungen notwendig sind für die story und wo man vielleicht verzichten könnte.

Insgesamt aber eine durchaus tolle Geschichte, die ich gern gelesen habe.
lg
Enya


vielen lieben Dank für deinen ausführlichen Kommentar.Das mit dem Beschreiben wurde mir schön öfters gesagt und ich arbeite Buch für Buch daran,dass es nicht zu viel wird ;)

Lg Julietta
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Eine Geschichte, - die sich leicht lesen lässt und spannend ist sie auch.
Die einzelnen kapitel sind gut aufgebaut - die beiden Parallelstränge auch. So bleibt die Spannung erhalten, da du immer genau in dem Augenblick aufhörst, wenn man wissen möchte, wie es weiter geht.
Du schreibst sehr detailliert - zeichnest Umgebung, Atmosphäre und Charakteres so genau, dass man sich alles sehr gut vorstellen kann.
Das gefällt mir einerseits sehr gut. manchmal - denke ich - hätte es etwas kürzer sein können für den Fortgang der Geschichte. Durch deine interessante Schreibweise wirkt es aber nicht langweilig.
Vielleicht könntest du ein wenig darauf achten, wo sehr detaillierte Beschreibungen notwendig sind für die story und wo man vielleicht verzichten könnte.

Insgesamt aber eine durchaus tolle Geschichte, die ich gern gelesen habe.
lg
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Julietta Re: Gutes Buch - vielen Dank für deinen aufschlussreichen Kommentar und es tut mir leid,dass ich mich erst jetzt melde :)) Ich arbeite gerade an meinem neuen Buch und war lange nicht mehr hier unter den Autoren.
Du hast recht,die Details sind so mein Problemen und ich arbeite hart daran,nicht mehr alles ganz genau zu beschreiben,um dem Leser seine eigene Fantasie zu belassen ;)
Lg Julietta


Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Re: Re: Tja, ich habe mal in dein Buch reingelesen, -
Zitat: (Original von Julietta am 08.11.2012 - 15:19 Uhr)
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 06.11.2012 - 23:56 Uhr) insgesamt ist es mir am Stück ein bisschen zu lang(atmig). Du beschreibst alles sehr detailliert, sogar die einzelnen Kleidungsstücke in ihren Farben ... ist es nicht egal, ob ihr T-Shirt zu den Röhrenjeans grün oder pink war oder die Schuhe zum grünen Parka braun oder taupe?
Ist nur meine bescheidene Meinung, andere mögen das gern anders sehen.
Doch insgesamt finde ich es schon recht gut und spannend geschrieben
:-)) Liebe Grüße fleur

Ebenfalls danke für deinen Kommentar...
Das war schon immer meine Art zu schreiben, vielleicht nimm ich es manchmal etwas zu genau. Aber ich möchte erreichen, dass die Leute das sehen, was ich ihnen mit meinen Worten sagen will. Da fällt es mir schwer, Dinge wegzulassen.
lg Julietta ;)


Kann ich gut verstehen, so ähnlich ging es mir bei meinen ersten Schreibversuchen ... Doch lichtest du ja so in erster Linie äußere Erscheinungsbilder ab. Nach meiner Ansicht genügt es, sich hier auf ein paar charakteristische Merkmale zu beschränken, dem Leser ruhig etwas Raum für die eigene Fantasie zu lassen, und sich mehr den inneren Zusammenhängen zu widmen, was den Texten entsprechende Tiefschichtigkeit gibt ...
Bitte fühle dich nicht kritisiert, wer bin ich schon ... ;-)) LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Julietta Re: Tja, ich habe mal in dein Buch reingelesen, -
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 06.11.2012 - 23:56 Uhr) insgesamt ist es mir am Stück ein bisschen zu lang(atmig). Du beschreibst alles sehr detailliert, sogar die einzelnen Kleidungsstücke in ihren Farben ... ist es nicht egal, ob ihr T-Shirt zu den Röhrenjeans grün oder pink war oder die Schuhe zum grünen Parka braun oder taupe?
Ist nur meine bescheidene Meinung, andere mögen das gern anders sehen.
Doch insgesamt finde ich es schon recht gut und spannend geschrieben
:-)) Liebe Grüße fleur

Ebenfalls danke für deinen Kommentar...
Das war schon immer meine Art zu schreiben, vielleicht nimm ich es manchmal etwas zu genau. Aber ich möchte erreichen, dass die Leute das sehen, was ich ihnen mit meinen Worten sagen will. Da fällt es mir schwer, Dinge wegzulassen.
lg Julietta ;)
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