Die Via wurden zurückgeworfen. Doch es scheint, als würden die Schwierigkeiten damit erst anfangen. Unruhen und Proteste erschüttern die Erde. Die Verhandlungen zwischen Menschen und Artheranern verlaufen ins Chaos... Und als wäre das nicht genug beginnt für den grade erst genesenen Rafail Coel ein Wettlauf mit der Zeit, dessen Ziel er nicht kennt, bis es fast zu spät ist. Bild : A Blue color design/ Fotolia.com
Coel warf die Tasche auf das Bett des kleinen heruntergekommenen Hotelzimmers
Einen Augenblick sah er lediglich der untergehenden Sonne zu. Das nun schon deutlich rostfarbene Licht schimmerte durch ein schmutziges Fenster nach rinnen. Ohne lange zu überlegen öffnete er es. Lediglich stickige Luft mit dem entfernten Geruch von Regen schlug ihm entgegen.
Der Flug war ruhig verlaufen und vor einer Stunde hatte das Shuttle auf einem Landeplatz außerhalb von Detroit aufgesetzt. Von dort aus hatte er im Regen ein Taxi zu einer Pension irgendwo an der Grenze zum Distrikt von New-Detroit genommen. In den Vorstädten gab es keine gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetze.
Und jetzt saß er hier und wartete auf den Sonnenuntergang. Coel wollte sich die Koordinaten bei Nacht ansehen und er vertrieb sich zumindest ein wenig Zeit damit, seine nähere Umgebung zu mustern.
Ein Fenster mit gesprungener Scheiber erlaubte einen Blick auf die Straße. Der Rinnstein war gefüllt mit Papierfetzen und Müll. Irgendwoher kam rauch. Vielleicht von einem Brand, oder weil jemand eine Mülltonne angesteckt hatte um sich daran zu Wärmen. Während der kurzen Fahrt hatte er mehr heruntergekommene Gebäude und verzweifelte Gesichter gesehen als sonst irgendwo.
Neben dem Fenster führte eine Tür in ein kleines Bad, das überraschend gut in Schuss war, wenn man den Rest des Zimmers betrachtete.
An mehreren Stellen schälte sich die vergilbte Tapete, die wohl irgendwann einmal ein jetzt nicht mehr identifizierbares Muster besessen hatte, von den Wänden. Die Oberfläche des kleinen Schreibtischs, der sich in einer Ecke befand war zerkratzt und stumpf und die einzige Lichtquelle im Raum stellte eine von der Decke hängende Glühbirne dar. Alles in allem stammte die Einrichtung wohl aus dem letzten wenn nicht sogar vorletzten Jahrhundert. Der heimliche Antiquar in Coel hätte das eigentlich zu schätzen gewusst. Aber bei dem Zustand….
Ein Detail jedoch brachte ihn fast zum Lachen. Auf einem ebenso heruntergekommenem Nachtisch neben dem Bett lag doch tatsächlich eine Bibel.
Die großen Religionen hatten spätestens seit der Entdeckung des ersten extraterrestrischen Lebens eine tiefe Krise durchgemacht. Beanspruchte nicht fast jede von ihnen, ob nun Judentum, Christentum oder Islam, den Menschen als Krone der Schöpfung? Damit war es nun mal aus. Und das es nicht nur anderswo leben gab, sondern sogar intelligentes, jedes davon mit ihren eigenen Religionen und Traditionen brachte auch den Anspruch auf ,, Wahrhaftigkeit“ oder ähnliches endgültig ins Wanken. Kurzum, hatten die Religionen vorher noch zumindest einen gewissen Einfluss gefasst, war dieser mittlerweile fast verschwunden. Einfach weil sie nicht mehr Zeitgemäß waren. Dafür hatten einige andere Religionen, wie Beispielsweise der Buddhismus einen deutlichen Zuwachs erhalten. Auch einige alte Kulte, vor allem Naturreligionen wie Beispielsweise der Neopaganismus hatten wieder einen gewissen Aufschwung erlebt.
Coel selbst jedoch war sicher nicht religiös. Mit einem gezielten Wurf beförderte er das Buch durch das Fenster nach draußen auf die Straße.
Mittlerweile war die Sonne fast vollständig untergegangen. Zeit sich auf den Weg zu machen.
Er überprüfte kurz seine, spärlich Ausrüstung : Den Revolver, den er in einem Hüfthalfter trug , die Pistole, die ihm Adams zugeschickt hatte und die zwei Klingen, die sich in dem Schienen an seinem Unterarm verbargen. Er hoffte nichts davon benutzen zu müssen, aber für den Fall der Fälle war er vorbereitet.
Und er würde sicher nicht zögern.
Das Zimmer selbst lag im ersten Stock. Coel trat aus der Tür auf einen mit einem abgewetzten Teppich belegten Flur, an dessen Ende ihn eine Treppe hinunter zur Rezeption führte.
Das heißt, wenn man das so nennen konnte. Nebenbei schien es sich dabei wohl auch um eine Art Bar zu handeln.
Ein mürrisch aussehender alter Mann stand hinter einem einfachen Holztisch, der als Tresen diente. An der Wand hinter ihm ein fast klischeehaftes Regal mit einigen Gläsern und dem billigsten Schnaps, den man überhaupt kaufen konnte. Vermutlich befand sich in einigen der Flaschen einfach nur destillierter Brennspiritus.
Einige Stehtische standen in der Halle verteilt, aber mehr als drei, vier Leute schienen sich noch nicht hierher verirrt zu haben.
Coel überlegte kurz, ob er es Riskieren konnte sich einen Drink zu erlauben. Sicher nicht die beste Idee… aber ihm war grade danach. Er würde sich das Gelände ja nur erst einmal ansehen.
,, Haben sie auch irgendwas Trinkbares ?“ , fragte er.
Der Alte sah langsam auf und deutete auf das Regal hinter sich.
,, Ich meine was, was mich nicht umbringt oder blind macht.“
,, Scheine ?“
Er verstand was der Mann meinte. Kurz kramte er in seiner Tasche und förderte dann einige Geldscheine zu Tage. Einen davon legte er auf den Tresen.
,, Ah.“ Der Mann verschwand kurz unter dem Tisch und kam dann mit einer Flasche wieder ins Sichtfeld. Der Inhalt war giftgrün.
,, Was zur Hölle ist das ?“ , fragte Coel während der Mann die Flasche auf den Tisch stellte.
,, Koloniebrand. Und zwar aus Sunbridge.“
Die Besiedlung von Lebensfreundlichen Planeten, die teilweise über ihre eigenes Tier und Pflanzenreich verfügten, hatte zur Entdeckung zahlreicher neuer Arzneimittel auf Basis dieser geführt. Aber nicht nur der medizinische Sektor hatte davon profitiert. Einige der neuen Pflanzen ließen sich auch als Rauschmittel verwenden. Bei Koloniebrand handelte es sich um einen in Alkohol gelösten Extrakt aus verschiedensten dieser neuen Drogen. Der Besitz und die Herstellung waren hochgradig illegal. Und der Konsum… unter den Soldaten des Parlaments erfreute sich Koloniebrand größter Beliebtheit. Er war nicht zu teuer und so gut wie überall auf den äußeren Welten zu bekommen, da dort kaum Kontrollen stattfanden. Auf der Erde hingegen konnte der Besitz einer einzigen Flasche zu einem mehrjährigen Aufenthalt hinter Gittern führen.
Coel selbst hatte sich nur einmal zu einem Glas überreden lassen. Am nächsten Morgen war er in einer Seitengasse aufgewacht, ohne sich überhaupt an etwas erinnern zu können.
Wiederholen würde er das ungern, noch dazu direkt vor einem Einsatz.
,, Ich frag erst gar nicht wie sie da ran gekommen sind. Und ich glaube ich verzichte lieber.“
,, Ihre Entscheidung.“ Der Mann lies die Flasche wieder verschwinden, gab ihm allerdings auch nicht das Geld zurück.
Coel war das egal.
Er drehte sich ohne ein weiteres Wort um und trat nach draußen auf die Straße.
Bei seiner Ankunft hier war der Himmel bewölkt gewesen und es hatte in Strömen geregnet. Jetzt jedoch war der Himmel soweit klar. Ein schwacher rötlicher Schein aus Richtung Horizont tauchte die überall stehenden Wasserpfützen in ein seltsames Licht. Auch der typische Regengeruch hing noch in der Luft, jetzt freilich vermischt mit dem Dunst der Straße. Alter Zigarettenqualm, Müll und ein leicht Übelkeit erregender Gestank nach Verwesung stiegen mit dem Wasserdampf vom Pflaster auf.
Coel beschleunigte seine Schritte durch die dunkler werdenden Straßen in Richtung der Koordinaten, die Adams ihm gegeben hatte. Aus eingeworfenen Fenstern und Seitengassen verfolgten ihn misstrauische oder ängstliche Augenpaare. Eine Gruppe Halbstarker die auf einer verfallenen Treppe vor einem Haus gesessen hatten stand auf und verschwand in der Tür.
Coel verstand wieso. Er passte nicht in diese Gegend. Diese Leute lebten ihr leben mehr oder weniger mit eingezogenen Kopf. Vor Angst vor einander, vor irgendwelchen Gangs, oder vor der Polizei. Sie dümpelten einfach vor sich hin. Ohne Ziel ohne Ambitionen oder echte Hoffnung.
Er hingegen lief zielgerichtet durch die Straßen. Ihm war klar, wonach er suchte und wohin er musste. Und das verunsicherte die Leute hier wohl zutiefst. Auch wenn er keine sichtbaren Waffen trug, so musste einfach jedem klar sein, dass er Ärger bedeuten konnte.
Irgendwie gefiel ihm das. Nicht dass die Leute Angst vor ihm hatten, es gab nichts schlimmeres, aber das er sie hier zumindest kurz aus ihrer Lethargie riss.
Ihnen zeigte, dass die glitzernde Welt der Stadtkerne wirklich existierte. Und das sie vielleicht doch eine Zukunft hatten, die nicht von staatlicher Förderung oder ihren Gelegenheitsjobs abhing.
Es war vollkommen Dunkel geworden, als er sich den Koordinaten näherte. Die verschwommene Aufnahme, die er von Adams hatte, zeigten eine Ansammlung von Gebäuden, die zusammen einen größeren Komplex zu bilden schienen.
Und ein solcher lag jetzt einigen hundert Meter auf einem Hügel vor ihm. Die Koordinaten stimmten.
Mittlerweile hatte er die Straßen von New-Detroit etwas hinter sich gelassen und befand sich etwas außerhalb der eigentlichen Stadt. Hinter ihm konnte er die Lichter derselben erkennen. Und vor sich die Beleuchtung des Komplexes.
Umgeben war das Gelände von einem Drahtzaun, der es einmal vollständig umlief, wie es aussah.
Weiter den Weg entlang, den er gekommen war führte einen Auffahrt an ein geschlossenes Tor.
Coel sah keinen Weg über das Hindernis zu gelangen, außer zu klettern, aber dass stellte für ihn nicht wirklich ein Hindernis da.
Als er bereits einen Fuß in der Luft hatte, fiel ihm jedoch etwas auf. An einer Stelle etwa fünfzig Meter von seiner momentanen Position entfernt hatte der Zaun ein Loch. Es hätte von einem Tier stammen können, aber als er sich die Lücke näher besah entdeckte er mehrere Abgeschnittene Drahtstücke auf dem Boden. Wer immer hier gewesen war hatte den Draht mit einer Zange oder einem Messer sauber durchtrennt.
Für Coel jedoch war die Lücken nicht groß genug. Wer immer hier gewesen war, musste einen guten Kopf kleiner sein als er. Vielleicht nur ein streunendes Kind oder ein unglücklicher Landstreicher, der sich vielleicht schon vor Tagen durch den Zaun geschlichen hatte. Aber irgendwie glaubte er selbst nicht daran.
Mit einem Schwung war er endlich über den Zaun und landete im Gras dahinter. Zwischen Zaun und Gebäude gab es eine gut Zweihundert Meter Breite freie Fläche ohne jede Deckung. Nur Rasen ohne Büsche oder Bäume. Allerdings konnte Coel auch keine Posten oder ähnliches entdecken. Und er wusste immer noch nicht, welchen Zweck der Komplex eigentlich erfüllte, außer, dass sich der Sender dort irgendwo befinden musste. Seltsam, das Adams das nicht hatte herausfinden können. Was konnte sich selbst vor der GTDF abschirmen wenn es wollte ?
Langsam und geduckt schlich er sich näher an die Anlage heran.
Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken und sich hinter eine Wand ducken. Mittlerweile hatte er den Komplex erreicht. Insgesamt gab es fünf Bauten, mit zwei oder mehr Stockwerken. Eine größere Halle, befand sich gegenüber dem Hang, den er grade herauf gekommen war.
Bisher war er niemanden begegnet, auch wenn in vielen Fenstern Licht brannte.
Die Gebäude waren alle um einen großen Innenhof angeordnet zu sein und aus dieser Richtung hörte er jetzt Stimmen. Coel tastete nach seiner Waffe, dann schlich er sich langsam näher.
Eine kleine Mauer, die ein Beet zwischen zwei Gebäuden abgrenzte bot ihm etwas Deckung.
Vorsichtig spähte er über den Rand hin weg und sah sich auf dem Innenhof um.
Die Zugänge zu den Gebäuden führten alle auf den Hof hinauf. Und auch das Tor der Halle, die er gesehen hatte lag in Richtung desselben. Ein Zufahrtsweg führte zwischen dem Halbkreis der Gebäude heraus und in dessen Mitte befand sich etwas. Eine Statue ?
Zwei der tausende von Puzzleteilen in seinem Kopf passte plötzlich zusammen. Der Artheraner hatte ein Pharmaunternehmen angegriffen.
Und in der Mitte des Innenhofs befand sich eine Tafel mit vier Buchstaben. Innerhalb eines Globus. CEHO. Ohne den Hof aus den Augen zu lassen und auf weitere Stimmen lauschend stellte er eine Funk-Verbindung zu Adams her.
Dieser antwortete sofort.
,, Coel ? Ich hatte nicht erwartet so schnell von ihnen zu hören. Alles in Ordnung bei ihnen ?“
,, Adams, ich befinde mich auf einem CEHO-Gelände. Ihre Koordinaten sind direkt hier.“
,, Was zum.. Das ergibt keinen Sinn…“
,, Der Artheraner bei dem ich den Chip fand hatte es auf die Fabrikhallen eines Pharmaunternehmens abgesehen.“ , erwiderte Coel.
,, Und sie glauben…. Moment wurde nicht erst kürzlich der Generaldirektor der Colonial-Health ermordet ? Conor Smith wenn ich mich richtig erinnere.“
,, Vor zwei Tagen.“ , bestätigte ihm Coel.
,,Was hat das zu bedeuten ?
Coel antwortete nicht. Erneut hörte er Stimmen. Diesmal näher.
,, Ich wies es nicht. Noch nicht. Ich melde wieder mich wenn ich den Sender habe.“
,, Passen sie…“
Er unterbrach die Verbindung.
Die Glastür des ihm gegenüberliegenden Gebäudes glitt auf. Eine Gruppe von vielleicht vier Personen trat heraus. Er konnte nur Silhouetten erkennen, aber etwas störte ihn daran.
,, Wir sind mit dem Fortschritt nicht zufrieden.“ , meinte eine Stimme mit einem seltsamen Akzent, den Coel glaubte von irgendwoher zu kennen. Das S schien der Fremde mit einem beinahe Grillenartigen Laut zu begleiten.
,,Wir tuen was wir können, das versichere ich euch.“ , versicherte ein anderer Schatten.
,, Das hoffe ich um euren Willen. Smith… hatte nicht die Nerven.“
,, Keine Sorge nach unserer kleinen Demonstration auf ihrem Produktionsgelände sind jetzt auch die letzten bereit mitzuspielen.“
,, Sehr gut. Zu Schade das wie hieß er noch gleich… Keru nicht überlebt hat mich hätte interessiert…“
Die Stimme wurde zu leise, als das Coel die Worte noch hätte verstehen können.
,, Jedenfalls wissen wir jetzt, das es funktioniert.“ , antwortete wieder die Stimme, die Coel von irgendwo her kannte. Und in diesem Moment wurde ihm auch klar woher.
Die Gruppe der vier passierte soeben den Lichtstrahl eines Scheinwerfers, die im Abstand von ein paar Metern an den Wänden der Gebäude befestigt waren. Nur drei waren Menschen.
Ein grauer Panzer glitzerte kurz im Licht auf.
Die vierte Gestalt war ein Taride. Arbeiteten die etwa für die Via ? Und wenn ja, was hatten sie davon.. . Ihr Einflussgebiet war mindestens genau so groß wie das der Menschen und damit doch ebenfalls ein Ziel für die Unity-Abtrünnigen.
Eine Frage beantwortet und ein halbes Dutzend neue dazu bekommen. Coel verschwand hinter der Mauer und in den Schatten. Zeit ein paar mehr davon zu beantworten.