Die Via wurden zurückgeworfen. Doch es scheint, als würden die Schwierigkeiten damit erst anfangen. Unruhen und Proteste erschüttern die Erde. Die Verhandlungen zwischen Menschen und Artheranern verlaufen ins Chaos... Und als wäre das nicht genug beginnt für den grade erst genesenen Rafail Coel ein Wettlauf mit der Zeit, dessen Ziel er nicht kennt, bis es fast zu spät ist. Bild : A Blue color design/ Fotolia.com
Das kleine Restaurant am Rande der Parlamentsviertel war fast leer.
Rafail Coel war als erster vor Ort. Kein Wunder. Seit er seine Wohnung fast fluchtartig verlassen hatte, war keine halbe Stunde vergangen und er folglich viel zu früh.
Er war früher oft hier gewesen, erinnerte er sich. Noch vor Artherium, während seiner Grundausbildung.
Es schien ein Leben lang her zu sein. Dabei lagen zwischen damals und heute grade einmal zwölf Jahre.
Zwölf Jahre.
Zehn davon hatte er auf der Flucht vor der GTDF verbracht. Oder zumindest hatte er das gedacht.
In Wahrheit hatten sie wohl fast die ganze Zeit gewusst wo er sich aufhielt. Und nur eine Drohung, die Drohung seines Wissens über Artherium, hatte ihn am Leben erhalten. Das Wissen darüber, dass die Nova-Waffen ohne vorherige Genehmigung durch das Parlament eingesetzt wurden.
Etwas, das nicht nur dem gesamten Oberkommando der GTDF den Kopf kosten konnte sondern auch jeden Politiker, der auch nur irgendwie davon gewusst haben könnte. Und Henry Wilkonson, der Parlamentsvorsitzende stand ganz oben auf der Liste.
Trotzdem war es die GTDF gewesen, die sich vor drei Monaten bei ihm gemeldet hatte und ausgerechnet ihn um Hilfe gebeten hatte. Er bereute den Entschluss nicht mehr, sich darauf eingelassen zu haben. Letztlich war zumindest das die richtige Entscheidung gewesen. Und was sonst geschehen wäre… das stand in den Sternen.
Coel suchte sich einen Tisch, am anderen Ende des kleinen Gastraumes, der bis auf ihn und einen alten Mann, der eine Tasse Kaffee trank, vollkommen leer war. Ein Fernsehbildschirm befand sich über der Tür, auf dem Stumm die Nachrichten liefen.
Ein Großes Fenster, das eine Seite des Raumes einnahm, erlaubte einem Blick nach draußen auf die Straße. Es schien sich tatsächlich fast nichts verändert zu haben.
Er sah aus dem Fenster und ließ die Gedanken schweifen.
Während man in den entlegeneren Vierteln der Städte mit Leichtigkeit Spuren von Verfall entdeckte, hier ein verlassenes Haus, dort eine fast zerfallene Ruine, oder abbröckelnder Putz an einer Wand, gab es hier nichts dergleichen. Die Stadtteile in der Nähe des Parlaments waren gepflegt, die Straßen blitzsauber und wenn er sich umsah, brauchte er vielleicht fünf Minuten um drei oder mehr Polizisten zu entdecken, die an Straßenecken wache hielten. Das konnte allerdings auch mit den angekündigten Demonstrationen im Laufe des Abends zu tun haben.
Coel hoffte, dass sich das Restaurant noch weit genug vom Parlament entfernt befand, dass sie davon nichts mitbekommen würden.
Der Mann am anderen Tisch hatte seinen Kaffee ausgetrunken und trat nach draußen auf die Straße.
Über die Straße direkt gegenüber erhob sich ein hoher Turm, dessen Fassade fast vollständig aus Glas zu bestehen schien. Auf einigen Stockwerken brannte noch Licht, aber der Großteil der Fassade lag im Dunkeln.
Die Lichter der umgebenden Straßenbeleuchtung brachen sich in den dunklen Glasflächen, als würde es sich bei dem Gebäude um ein gigantisches Prisma handeln.
,, Kann ich ihnen irgendetwas bringen?“ , die freundliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
Coel sah auf. ,, Nein danke, ich warte noch auf ein paar Bekannte.“
,, Verstehe.“ Die Bedienung entfernte sich wieder.
Aber etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Tür des Restaurants schwang auf und Helen Mabel trat hindurch. Sie sah sich kurz um, schien ihn aber nicht zu entdecken.
,, Hier drüben.“ , rief er.
Sie sah auf und lief durch die ansonsten leeren Tischreihen zu ihm herüber.
,, Ist sonst noch keiner da ?“ , fragte sie, als sie sich setzte.
,, Die tauchen schon noch auf.“ , erwiderte Coel.
,, Na hoffentlich. Sonst muss ich davon ausgehen, dass sie das alles eingefädelt haben nur um einen Vorwand zu haben mich einzuladen.“
Er lachte. Ein mittlerweile fast schon ungewohntes Geräusch. ,, Volltreffer.“ , meinte er.
,, Wie geht es ihnen ?“ , ihre Stimme wurde ernst.
,, Wie bitte ?“
,, Coel, ich habe eine Psychologische Ausbildung. Ein solches Trauma wie sie es erlitten haben, das würde jedem zu schaffen machen.“
,, Mir geht es gut.“ , erwiderte er.
,, Ganz sicher ? Rafail, sie können so was nicht einfach wegstecken. Niemand kann das.“
Sein Vorname klang in seinen eigenen Ohren schon seltsam.
,, Vielleicht nicht. Aber ich…“ Er suchte nach Worten. Wie beschrieb man die Angst vor sich selbst… der Leere… Eine seiner Hände ballte sich zur Faust. Er spürte die eigene Kälte…
Alles nur Fassaden. Wie die Außenwand des Gebäudes über die Straße. Was darunter lag… blieb besser in der Dunkelheit. Brodelnde Finsternis, geboren aus seinen eigenen Gedanken schien ihn ersticken zu wollen.
,, Lassen sie sich Zeit.“
,, Ich will nicht darüber reden. Und das werde ich auch nicht.“ , erklärte er ruhig.
Die Dunkelheit kehrte zurück dorthin wo sie gehörte. In den hintersten, verbotensten Winkel seines Verstandes.
Bevor Helen etwas erwidern konnte, durchbrach eine dritte Stimme die Stille.
,, Schön sie wiederzusehen“
Coel sah zum Eingang und entdeckte Martin und Ägir, die grade hereinkamen.
Er grüßte zurück. ,, Ebenso.“
Ägir trug wie gewohnt eine Pfeife im Mundwinkel, die er jedoch ausmachte, während er und Martin sich einen Weg durch die Tischreihen suchten.
Martin wiederum trug einen silbernen Metallkoffer in einer Hand.
,, Und wie geht es ihnen ?“, wollte Coel wissen, nachdem Ägir sich gesetzt hatte. Martin holte sich einen Stuhl von einem anderen Tisch dazu
,, Ach sie wissen doch wie das ist. Oder vielleicht auch nicht. Die Defensivflotte hat momentan nichts Besseres zu tun, als ein artheranisches Gesandtenschiff zu bewachen und tonnenweise Trümmerteile zwischen hier und Jupiter hin und herzuschleppen und in der Atmosphäre zu entsorgen. Dafür wurde die Kronos nicht gebaut, das können sie mir glauben.“
,, Sie spielen also Putzfrau .“ , stellte Martin fest.
,,Sozusagen. Was haben sie da eigentlich?“
,, Kleine Überraschung. Wissen sie, als man die Trümmer des Weltenschiffs durchsucht hat, hat man eine Kleinigkeit gefunden, die ihnen gehört. Ich bin ehrlich gesagt Überrascht, dass es die Zerstörung unbeschadet Überstanden hat. “
Er stellte den Koffer auf den Tisch und öffnete die Schlösser, dann schob er ihn zu Coel herüber.
Dieser öffnete den Deckel.
,, Das gibt’s doch nicht.“
Vorsichtig nahm er den Gegenstand heraus.
,, Ich musste den Griff etwas ausbessern, das Holz hat die Detonation nicht so gut verkraftet glaube ich. Aber ansonsten ist der fast wie neu.“
Vorsichtig nahm Coel die Waffe aus der Box. Sein alter Revolver. Die hölzernen Einlegearbeiten am Griff waren natürlich beschädigt worden. Teilweise war das Holz dunkel versengt und Martin hatte die schadhaften Stellen mit jede Menge Nieten und einigen Metallplättchen ausgebessert.
Coel entging nicht, das die Waffe darin jetzt wohl ihrem Besitzer glich.
,, Sie haben das Repariert ?“ , fragte Helen.
,, Na ja, nachdem ich nicht mehr genug Ersatzteile für mein Flugzeug gefunden habe, hab ich mich halt auf was Kleineres verlegt.“
,, Martin, sieschrauben immer noch an dem Wrack rum ?“ , wollte Coel wissen, während er sich davon überzeugte, dass die Waffe nicht geladen war und sie dann Beiseite legte.
,, Sie wollten hier aber keine Schießerei anfangen, oder ?“ , fragte Adams, der grade das Restaurant betreten hatte.
,, Ich werde es zumindest nicht darauf anlegen. Schön das Sies geschafft haben sich mal von der Arbeit loszueisen.“
,, So halb.“ , erwiderte der Doktor.
,, Also wenn ich das richtig sehe, fehlt nur noch Aine.“ , stellte Martin fest.
,, Sie haben die Artheranerin eingeladen ?“ ,fragte Ägir, der sich kurz umsah, ob jemand in der Nähe war, der das Rauchverbot durchsetzten wollte und dann seine Pfeife wieder entzündete.
Coel zuckte mit den Schultern,, Hat jemand was dagegen? “
Adams sah kurz so aus, als wollte er etwas sagen, schwieg dann aber.
,, Ich sicher nicht.“ , erwiderte Ägir.
,, Schön das das geklärt wäre.“ , meldete sich eine Stimme.
Coel entdeckte Aine, die wie aus dem nichts im Raum aufgetaucht zu sein schien.
,, Erschrecken sie uns doch nicht so.“ , meinte Martin. ,, Und sie sind ?“ , fragte er an Helen gerichtet.
,, Helen Marbel.“ , antwortete diese.
,, Also dann, damit wäre die Band ja vollzählig anwesend.“ ,stellte Coel fest. Es ging ihm besser, wie er zugeben musste. Sein Verstand schien wieder etwas klarer zu sein.
,, Wer zahlt ?“ wollte Adams wissen.
Sie haben Zehn Jahre lang auf Staatskosten auf Eis gelegen.“ , sagte Martin. ,, Ich will nicht wissen, was sie mittlerweile auf dem Konto haben müssen.“
,, Ich übernehme das.“ , meinte Coel. ,, Ich sag einfach, die sollen die Rechnung ans Parlament schicken .“
,, Klar, bei einer Weltrettung sollte ein Abendessen schon drin sein.“
,, Sie wollen das nicht ernsthaft durchziehen ?“ , fragte Helen. ,, Haben sie eine Ahnung was…“
,, Wieso nicht ?“
,, Weil…“
,, Genau, Weil.“ Martin hob einen Arm . ,,Ober die Karte bitte.“
Wenige Sekunden später kam die Kellnerin, die etwas verwirrt in die Runde starrte, aber die Karten routiniert austeilte. Coel konnte das durchaus nachvollziehen.
Der kleine Tisch musste wie das merkwürdigste Familientreffen des Jahrzehnts wirken.
Der alternde Marineoffizier, der Mann der aus unerklärlichen Gründen eine Brille trug , ein weiterer, dessen Augen farblich nicht ganz zusammenpassten , Helen, Martin und eine Artheranerin…
Die kleine Versammlung musste wirklich ein seltsames Bild abgeben.
,, Ich kenn die Hälfte von den Namen nicht mal.“ , stellte Aine fest , die langsam die Karte durchging.. ,, Geschweige denn wüsste ich was mich davon nicht garantiert umbringt.“
,, Nehmen sie halt Salat.“ , schlug Martin scherzhaft vor.
,, Martin, wirke ich auf sie wie ein Vegetarier ?“
,, Keine Sorge, eigentlich sollte ihnen hier nichts wirklich gefährlich werden können.“ , sagte Helen. ,, Soweit ich mit Artheranischer Physiologie Vertraut bin…“
,, Auf ihre Verantwortung.“
,, Ich habe übrigens ein paar der alten Jungs von Artherium aufgespürt.“ , erwähnte Martin. ,, Sie wissen schon, die aus ihrer Einheit.“
,, Wirklich ? Was haben die die letzten Jahre so gemacht?“ , wollte Coel wissen.
,, Die meisten haben Gekündigt und halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Dachte nur sie sollten das Wissen.“ Er zögerte, ,, Ach verdammt. Die wollen mich zur Defensivflotte versetzen. John Watergate heißt der Kerl dem ich jetzt unterstellt bin.“
,, Willkommen im Club. Watergate hat nach der Schlacht vor drei Monaten das Kommando über die Kronos übernommen.“ , sagte Ägir. ,, Solange die Horus noch Gewartet wird benutzt er das Schiff als Kommandozentrale.“
,, Das ist ja wenigstens etwas, wenn sie dabei sind.“ , stellte Martin fest. ,, Trotzdem Gefallen tut mir das nicht.“
,, Und sie Adams ? Schon irgendwas über diesen Chip rausgefunden ?“ , fragte Coel.
,, Etwas, ja. Ich muss noch ein paar weitere Tests machen. Aber ich bin mir jetzt beinahe sicher, dass es von den Via ist. Ich hatte es schon vermutet, aber…“
,, Wie kommen sie darauf ?“ , fragte Helen.
,, Die Via haben währen des Angriffs auf die Erde doch unsere Kommunikation gestört. Richtig ?“
,, Was hat das damit zu tun ?“
,, Eine Menge. Das Weltenschiff hat ein Störsignal ausgesendet. Das konnten wir allerdings ziemlich schnell umgehen. Jedenfalls, dieses Signal sendete auf einer bestimmten Frequenz.“
,, Und ?“
,, Jetzt warten Sies doch mal ab. Also, wie gesagt ein Signal auf einer bestimmten Frequenz. Und jetzt raten sie mal, was der Chip tut, den sie mir gebracht haben.“
,, Er sendet ein Signal ?“
,, Auf derselben Frequenz wie das Störsignal.“
,, Und das bewirkt was ?“
,, Ehrlich ich habe keine Ahnung.“ , erklärte der Doktor. ,, Momentan lasse ich HAL den Ursprungsort des Signals ermitteln.“
,, Glauben sie, das führt uns zum Weltenschiff, wenn es noch existiert ?“ , wollte Aine wissen.
,, Nein, das Signal muss von irgendwo auf der Erde oder zumindest aus dem Sonnensystem stammen.“ , antwortete Adams. ,, Sonst müsste es über die Botendrohnen übermittelt werden und das würde sicher auffallen.“
Botendrohnen waren der einzige Weg für die Kommunikation zwischen Sternensystemen. Die Entfernungen dazwischen konnten leicht mehrere dutzend Lichtjahre betragen und somit war jeglicher herkömmlicher Funkverkehr von vornherein ausgeschlossen. Das heißt, wenn man nicht ein paar Jahrhunderte warten wollte.
Die Lösung war recht simpel. Anstatt also ein Signal direkt an den Zielort zu schicken, übermittelte man es an eine Botensonde mit einem Nova-Generator. Diese Zeichnete das Funksignal auf , sprang dann in das Zielsystem und übermittelte sie dort wieder an Empfänger. So wurden aus den Jahrelangen Verzögerungen immerhin nur ein paar Stunden oder Minuten.
Ein neues System ermöglichte sogar, völlig verzögerungsfreie Kommunikation auch über Sternensysteme hinweg. Dazu wurden einfach mehrere dutzend Sonden ständig hin und her geschickt, so dass ein stabiler Datenstrom möglich wurde. Bisher war die Kronos allerdings das einzige Schiff, das dieses System nutze, auch wenn die Horus, das Flaggschiff der Erdflotte, grade aufgerüstet wurde.
,, Sagen sie mir bescheid, sobald sie was rausfinden ?“
,, Worauf sie wetten können. Ehrlich gesagt, mich beunruhigt das alles ziemlich. Nachdem die Via gemerkt haben, das ein offener Angriff ihnen nichts bringt…“
,, Ja ?“
,, Versuchen Sies vielleicht mit einer etwas subtileren Vorgehensweise.“
,, Darüber habe ich auch schon nachgedacht und…“ Coel verstummte, als jemand durch die Tür des Restaurants trat. Bis grade eben waren sie die einzigen im Gastraum gewesen.
Und normalerweise hätte Coel den Fremden selbst deshalb nicht registriert.
Aber irgendetwas an dem Mann ließ ihn misstrauisch werden. Und er kam in ihre Richtung gelaufen. Kurz trafen sich der Blick Coels und der des Fremden. Wer zum Teufel war das ?