Romane & Erzählungen
Der letzte Arbeitstag

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"Der letzte Arbeitstag"
Veröffentlicht am 03. Oktober 2012, 58 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Der letzte Arbeitstag

Der letzte Arbeitstag

Beschreibung

Das Buch handelt von einem wahren Freund, der keine Mühe scheute und keine Grenzen kannte, um als Vorbild für alle Leistungsträger der Nation in die Annalen der modernen Geschichte einzugehen, der aufgrund von Aufgabenfülle und der Tatsache, dass sein Leben total ausgefüllt worden war, nicht mal die Zeit dazu hatte, eine eigene Familie zu gründen.

 

Jerzy Polanski

 

 

 

Der letzte Arbeitstag

 

 

Ein Innuendo auf das unbedeutsame Wirken eines Menschen.

 

Eine kurze Erzählung über eine große Persönlichkeit.

 

Statt Vorwort- ehrende Erinnerung

an

eine herausragende Persönlichkeit:

 

Heinz-Rüdiger Willich

 

einen wahren Freund,

unermüdlichen Verfechter des genauen Rechnens,

einen „Propagator“ der ehrlichen Arbeit, der immer auf der Suche nach neuen Wegen und Methoden zur ihr Verbesserung war,

den ersten Pionier des Nachkriegsaufbaus,

der, aufgrund von Aufgabenfülle und der Tatsache, dass sein Leben total ausgefüllt worden war, nicht mal die Zeit dazu hatte, eine eigene Familie zu gründen,

 

 

der keine Mühe scheute und keine Grenze kannte, um als Vorbild für alle Leistungsträger der Nation in die Annalen der modernen Geschichte ein-

zugehen,

der nicht zuletzt wie eine Ansammlung von beinah allen deutschen Tugenden war, der sie lebte und liebte über alles, bis zum Schluss…,

der schließlich mit seinem plötzlichen Fehlen ein riesiges Loch aufgeris-

sen hatte, das mit einer großen Lücke zu vergleichen ist,

den nie mehr und niemand ersetzen wird!!!

 

Lebe wohl Heinz-Rüdiger, und danke für die schöne Zeit mit dir,

obgleich du immer Wichtigeres zu tun hattest, und dennoch

offenes Ohr für unsere Sorgen gehabt hast!!!

 

 

Autor

 

Frankfurt am Main Januar 2010

 

 

 

Heinz-Rüdiger Willich war angelernter Buchhalter von Beruf, einer der Letzten seiner Zunft, die den Beruf ernst nahm, und alle damit verbundenen Aufgaben sorgfältig und gewissenhaft erledigte.

Vielleicht war er dabei nicht der Schnellste, doch auf jeden Fall der Genaueste. Klasse statt Masse, beste Qualität statt Quantität waren seine Markenzeichen, die er angesichts des stets wachsenden Arbeitstempos nie aus den Augen ließ, und deswegen mehr und länger arbeitete als sonst wer.

Wenn in seinem Bericht am Ende eine Zahl stand, da konnte man sich darauf unbekümmert verlassen, dass sie auch zu hundert Prozent stimmte.

Zu Recht hätte man ihn zu den Pionieren der deutschen Genauigkeit der Nachkriegs-        zeit zählen müssen.

 

Ich und alle, die ihn kannten, hätten meinen können, dass Heinz-Rüdiger eine hochgeschätzte, wenn nicht sogar die wichtigste Person in der Firma war, zumal er schon sage und schreibe 52. Dienstjahre voll Treue, Ehrlichkeit und Ergebenheit zu verzeichnen hatte.

 

Angefangen hatte er bei der Frankfurter Allgemeinversicherungsgesellschaft, die hier nicht genannt werden wollte, in der Nachkriegszeit. Damals war er 15. Jahre alt, somit erlebte er im wahrsten Sinne des Wortes alle Höhen und Tiefen der Firma.

Alle Chefs, die vollzählig auf Fotos der Größe DIN A5 eine Wand seines Büros schmückten, kamen und gingen, nur er blieb, als hätte er da Wurzel geschlagen.

Auf seiner Karriereleiter hatte er alle Sprossen in der Firma durchlaufen, dachte er!!!

 

Die Wahrheit war jedoch, dass ihm der interne Aufstieg immer verwehr wurde. Immer wieder wurden neue Angestellten eingestellt, die ihm in punkto Ausbildung und Zahl der gemachten Schulklassen eine Nase voraus waren, und statt die höheren Etagen des zehnstöckigen Gebäudes zu erklimmen, rutschte er immer tiefer und wurde in der Bürogemeinschaftshierarchie immer unbedeutsamer, obwohl jede Einarbeitung jedes neuen Angestellten, der sich etablierte und bleiben durfte, nur seine unverken-

nbare Handschrift trug. Wahrscheinlich lastete schwerwiegend die Tatsache auf ihm, bzw. seine Personalakte, dass er recht ungewöhnlich da eingestiegen ist.

Seine Laufbahn begann er dort als Postbote und Laufbursche, was es immer wieder eine „Runde“ machte, und es dürfte auch ein Hindernis gewesen sein, um seine hochgesteckten Ziele zu verwirklichen.

 

Jede Firma, die etwas auf sich hielt, beschäftigte mindestens einen Postboten, aber nicht deswegen, weil es „in“ war, sondern weil es damals im zerstörten Frankfurt am Main als das einzige Kommunikationsmittel diente.

Unter den Kollegen vom Fach wurde Heinz-Rüdiger lange Zeit sehr beneidet, weil er als einziger ein Dienstfahrrad der Marke „Mifa“ bekam, das übrigens aus den Restbeständen des „Volkssturms“ stammte, irgendwo im Schutzkeller unversehrt schlummernd aufgefunden wurde, und damals den Status hatte wie heute „Porsche“. Damit war er der Konkurrenz drei „Schaltgänge“ haushoch überlegen und es verschaffte ihm auch bald den Namen „Messerschmitt“, was es für die Schnelligkeit eines berühmten Abfangjägers stehen sollte. 

 

Aber erst vollkommen im Glück war Heinz-Rüdiger als er von dem hiesigen Kommissar der allierten Streitkräfte die angeordnete Kennzeichennummer zugeteilt bekam…“ME-109“!!! Die ersten 108 Nummern hatte man vorsorglich für die neu entstehende und sich erst formierte Polizei-Fahrradstaffel reserviert, die für Ruhe und Ordnung in der Stadt schneller als zu Fuß sorgen sollte, denn gar für viele war der Krieg noch lange nicht zu Ende.

Unter den Kennern der Geschichte, Sammler jeglicher Kriegsgerätschaft waren solche Objekte hoch begehrt, und noch höher im Kurs. Der Heinz-Rüdigers angebotene Preis für das komplette Fahrrad stieg von Woche zu Woche immer höher, so dass er bei letzter Anfrage auf dem Schwarzmarkt drei Stangen „Chesterfields“ betrug, Tendenz steigend.

 

Wo viel Neid gibt, ist ein Neider nicht fern, und so wurden Pläne geschmiedet, um Heinz-Rüdiger zu schaden oder zumindest ihn zum Verkauf der Begierde zu bewegen.

Es war praktisch an der Tagesordnung, dass ihm ständig irgendwelche „bösen Finger“ entweder die Luft abgelassen oder hier und dort die Schrauben gelockert haben. Zwei neue Sitze und einmal die Kette musste er schon mal besorgen, aber das war ihm Wert, schließlich lag der wahre Wert nach seiner Einschätzung viel höher.

So war es gegen Ostern passiert, dass ihm mal wieder die Bremsen versagten, ausgerechnet dort, als er den steilen Abhang an der ehemaligen „Henninger“ Brauerei gen Sachsenhausen unterwegs war. Mit der Schnelligkeit eines „Messerschmitts“, dem er spätestens jetzt gerecht wurde, brauste er ungebremst in sein sicheres Verderben.

 

Er schrie um Hilfe, warnte vorab die Leute, ihr Hab und Gut zu schützen und bremste dabei unaufhörlich mit der Schuhsohle. Im Augenblick der hoffnungsloser Situation sah er, wie verschiedene Teile seines Vehikels sich unterwegs vom Rahmen lösten, sich in dem Fall, lebensnotwendige Schrauben nacheinander verabschiedeten, und sein ganzes noch so junges Leben, wie im Film. Doch die Mühe war vergeblich, nichts half von alledem! 

Nur eines stimmte ihn fröhlich  und zwar der Umstand, dass er direkt bei einer Schadens-Regulier-Behörde beschäftigt war, dadurch ein schnelles und unbürokratisches Abwickeln des unvermeidbaren Schadensfalles ihm sicher sein müsste.

 

Als er unten angerauscht, einen Fuhrwagen mittlerer Größe mit soeben frisch gefüllten Bembeln beladen tuschierte und zum Kippen brachte, rief verärgert die besorgte Krämmersfrau: „hoffentlich versichert!!!“. „A…..Allgemein!“, antwortete Heinz-Rüdiger in Ohnmacht fallend. Dass einige Jahre später der Spruch als Werbeslogan, urheberechtlich geschützt, sich fest etablieren würde, hätte niemand für möglich gehalten, auch nicht derjenige, der rein zufällig ein Zeuge des Falles war, der sofort die Idee hatte, irgendwann ein Radrennen „Rund um den Hennningerturm“ zu organisieren, um somit die Opfer des Unfalls auf diese Weise zu verewigen.

Ganze sechs Monate war es um Heinz-Rüdiger still geworden, kein Wunder, oder doch???

 

Mit etlichen Knochenbrüchen, Quetschungen, Schürfwunden und einer Gehirnerschütterung stand sein Leben fast auf der Kippe. Aber Heinz-Rüdiger war verbissen, er meinte: „Wer den Krieg heil überstanden hatte, den können solche leichten Blessuren nicht aus der rechten Bahn werfen!“, und wollte es allen noch einmal zeigen.

Als er zurück kam und nach seinem Fahrrad suchte, wurde ihm berichtet, es werde gemunkelt, dass angeblich zurück in die Heimat ziehende, ehemaligen Zwangsarbeiter aus Polen das stark lädierte Fahrrad als „Kriegsbeutekunst“ mitgenommen hätten. Denn hätte ein russischer Kampfpanzer das Fahrrad mutwillig überfahren, wäre auch  der nicht in der Lage, so kunstvoll das Gestell zu verbiegen, meinte mitunter anwesende Leszek S., der vor dem Krieg Kunst in Krakau studierte. 

 

Das Fahrrad war weg, auch die Stelle als Postbote war neu besetzt. Doch dadurch, dass er lange Zeit nebenbei dem Chef seinen Wagen regelmäßig gewaschen hatte, ihm die begehrten amerikanischen Zigaretten besorgte und seine Gnädigste, als wäre es selbstverständlich, gleich um die Ecke im Laden, feinste Feinstrumpfhose organisierte, was es ihm nicht vergessen wurde, durfte er sich über den neuen Posten als Portier freuen.

Bis dahin war Heinz-Rüdiger ein bewegter und viel beschäftigter Mensch, jetzt wusste er überhaupt nicht, was er mit so viel Zeit anfangen sollte. Besonders nachts fühlte er sich in dem so großen Bürohaus einsam und verlassen, und kämpfte mit schlechtem Gewissen, für das viele Geld nur die Schlüssel auszuhändigen und sie dann zum Feierabend wieder entgegenzunehmen und einhängen zu müssen.

 

Er fühlte sich unterfordert und bettelte kurz darauf um mehr Arbeit!

Sein Antrag auf mehr Beschäftigung wurde positiv bewertet und genauso beantwortet, und schon am gleichen Tag  ausdurfte er die zweite Schicht als….Heizer, sich im Keller befindenden Heizzentrale, übernehmen.

Schon am nächsten Tag kam ihm zu Ohren, dass der Heizer- Trinkbold ausnahmsweise nüchtern war und endlich in den Räumen warm wurde.

Die gemischte und abwechslungsreiche Aufgabe machte Heinz-Rüdiger viel Spaß und machte ihn mit sich sehr zufrieden. Vielleicht deswegen verfeuerte er mehr Koks und kostbarer Steinkohle, als es eigentlich nötig war. Den großen Verbrauch merkte vorerst niemand.

 

 

Als er nach paar Tagen alles im Griff hatte, die zwei in Reihe geschalteten Kessel glühten und er die komplexe Anlage so weit hatte, wie er sie haben wollte, bemerkte er, dass seine Möglichkeiten gar nicht ausgereizt wurden und er noch eine leichte, anspruchsvolle, ihm angemessene Beschäftigung für zwischen durch, die ihn ausfüllen würde, durchaus vertragen könnte. Er ging hoch, sortierte noch einmal die Fächer mit Post und abgegebenen Unterlagen und kam das erste Mal im Leben in die Versuchung…., sie sich kurz anzuschauen.

Als er nach wiederholtem Sortieren endlich die Abneigung überwunden hatte, seine Nase in fremde Akten und Papiere zu stecken, war es um ihn geschehen, er hatte in sich die Neugier für Zahlen entdeckt.

 

Seitdem schaute er in jedes Fach rein und suchte nach brauchbarem Material….zum Nachrechnen!!! Er zählte nach und überprüfte, er verglich und eines Tages erlaubte er sich sogar…, ein paar Fehler zu korrigieren!

Als es sich wiederholte, dass einfache Rechnungen fehlerhaft waren, gezeichnet von ungeheurer Unwissenheit seitens der Sachbearbeiter, da war er so wütend, weil man zugleich auch der Firma, die er so schätzte und ihr so viel zu verdanken hatte, großen Schaden zufügte. Das Schlimmste war, womöglich könnte dadurch auch seine erhoffte Prämie prozentual niedriger ausfallen.

Als Zeichen dafür, dass es so in der Form nicht weiter gehen konnte, unterstrich er alle fehlerhaft berechneten Stellen „fett“ mit einem Kopierstift, um dem Versäumnis entsprechende Rüge zu erteilen.

 

 

Zunächst wagte niemand Widerspruch zu leisten, doch mit der Zeit stellte es sich als erwiesen heraus, dass nur einer in Frage käme und zwar, der mit dem purpurnen Mund. Denn um den Stift zu befeuchten, damit er auch purpurrot schreibt, ist nichts leichter als ihn in den Mund zu stecken. Pech nur, dass dabei zurück bleibende Flecken mit nichts zu reinigen waren.

Bei den „Arbeitskollegen“ fanden seine Korrekturarbeiten keinen Zuspruch und auch kein Verständnis, um das mild auszudrücken. Anders jedoch in der Chefetage, die hellwach wurde, von der er erwartungsgemäß volle Rückendeckung bekam und aufgefordert wurde, Namen und Häufigkeit der festgestellten Fehler umgehend zu melden. Seitdem war er in der obersten Etage ein Dauergast geworden, was einem auf Dauer auch zu viel des Guten wurde.

 

Damit der Schuss nicht nach hinten geht, und die auf die Schnelle berufene, externe Prüfer- Kommission vor einer Zumutung zu bewahren, fast unlesbare Kritzeleien mit dem Kopierstift lesen und auswerten zu müssen, beschloss man, Heinz-Rüdiger mit einer Schreibmaschine auszustatten.

Da jedoch der technische Übergang alles andere als eine natürliche Umstellung bedeutete und viel Zeit auf sich zog, neben dem höllischen Klopfen einer „Adler“- Schreibmaschine des Typs: „Super-Nova 45“ am Empfang, blieb und zu sehen war- der vertraute, purpurne Mund von Heinz-Rüdiger, und das noch den ganzen Tag über!!! Besonders wenn er lächelte, bedingt durch seine nette Art, kam es heftiger zur Geltung, denn irgendwie konnte er sich das Befeuchten von dem Stift nicht abgewöhnen.

 

 

Jeder fühlte sich belästigt und durch den Lärm in den ersten drei Etagen verfolgt. Man sprach bald von sich schnell ausbreitender Arbeitskrankheit und einem ungewöhnlichen bis dahin Ausfall an Arbeitskräften.

In Anbetracht der Bedrohung der inneren Ruhe und angesichts der sichtbar sinkenden Arbeitsmoral führte man Schlichtungsgespräche und Versuche durch, die zu einer friedlichen Lösung beitragen und die Existenz der Firma sichern sollte.

Kurz gesagt, es wurde alles Erdenkliche unternommen und das Ergebnis war, dass Heinz-Rüdiger dort landete, wo er ursprünglich auch hin wollte: im Keller!!! Da wurde nämlich exklusiv für ihn ein Raum hergerichtet, der ehemals als Schutzkeller diente, trotzdem zusätzlich akustisch doppelt gedämmt wurde.

 

 

Dass das Büro das einzige im Keller war, störte ihn überhaupt nicht, er sah darin die erste echte Beförderung: ein eigenes Büro, wo er sich ungestört entfalten konnte.

Seitdem hatte sich niemand mehr über ihn beschwert, und der Betrieb der Versicherungsfirma nahm wieder seinen normalen Lauf.

Um der großen Anzahl an Besuchern den weiteren Kontakt mit Heinz-Rüdiger zu ersparen, was den guten Ruf hätte schädigen können, wurde eine weitere Regelung getroffen und zwar, der gesamte Briefwechsel und Papierverkehr erfolgte über ein Fach, angeblich um die weiten Wege zu vermeiden, was es auch weiterhin der besseren Arbeitseffizienz zu Gute kommen sollte.

 

Von da an holte er alles vom Fach ab, um dann das bearbeitete Material wieder dort zu deponieren. Im Laufe der Zeit gewöhnte er sich auch an die Geräusche vom benachbarten Heizraum, wo alle Installationen, um den einwandfreien Betrieb des Gebäudes zu gewährleisten, untergebracht waren. Zwar waren ihm die Geräusche vertraut, doch jetzt wo er so viel mit Zahlen zu tun hatte und das von ihm die höchste Konzentration abverlangte, empfand er das doch ein wenig störend.

Den größten Kummer bereiteten ihm die alten, ausrangierten Abwasser- Tauchpumpen, die lagerbeschädigt quietschten und ihm Kopfzerbrechen bereiteten.

 

 

Seinen allzu gut gemeinten Vorschlag, er hätte die grenzenlose Lust die Pumpen während der Mittagspause grundlegend zu überholen, lehnte man entschieden ab. Heinz-Rüdiger gab sich aber dem jungen und bestimmt unerfahrenen Bauabteilungsleiter nicht so leicht geschlagen. Er lieh sich ein Paar Klempner- Schulbücher, um die Zusammensetzung einer solchen pumpe zu ergründen. Am nächsten Tag fühlte er sich stark genug, um die lang geplante Reparatur in Angriff zu nehmen. Doch bei dem gleichen unverbesserlichen Sturkopf hatte er abermals eine Abfuhr eingefahren und erfuhr noch zusätzlich, dass der Heizraum für ab sofort tabu sei!!! 

 

Als Heinz-Rüdiger auf die immense Einsparung verwies, in dem er die Reparatur in eigener Regie durchführen würde, das dadurch dem Firmenbudget helfen würde und zu Gute käme, erzürnte der junge Bauabteilungsleiter und er sagte das, was er schon lange auf den Lippen hatte: „Sie haben durch ihre außergewöhnlich ausgeprägte eigene Vorstellung innerhalb kürzester Zeit nicht nur alle Lagerbestände von Koks und Steinkohle sinnlos im Hochsommer verfeuert, sondern auch die bis dahin unverwüstlich geltenden Heizkessel aus „Kruppstahl“ weich wie Butter geheizt, und das bisschen molliger Wärme war wegen der hohen Verluste so nicht konzipiert!“. „Das werde ihm aber alles vergessen, wenn er sich kooperativ zeigt und die ganze Abteilung in Ruhe lässt, sie hätte ohnehin mit dem Ausbügeln seiner „Ideen“, die manchmal einer Sabotage gleichen, mehr als genug zu tun!“.

 

 

Die äußerst unangenehme Geschichte wurde schnell verdaut, so nachtragend war er auch wieder nicht, was ihm jedoch ständig unterstellt wurde, und so übte sich Heinz-Rüdiger darin nicht hinzuhören, obwohl es ihm anfangs schwer fiel, weil die Anlage alles andere als „gesunde“ Geräusche von sich gab, als hätte sie um Hilfe und nach kompetenter Person gerufen! Bald störte ihn auch nicht, wenn kleine Umbaumaßnahmen, sozusagen gleich nebenan, verbunden mit lautem Zersägen der korrodierten Rohre turnusgemäß getätigt wurden! Immer wenn ich ihm dieses im Voraus angekündigt hatte, war er mir überhaupt nicht böse und deutete nur auf die „Adler“- Schreibmaschine, was heißen sollte, dass er sowieso zu tun habe, und war bestimmt froh darüber, wenn ich ihn nicht weiter störte. Ab und zu gönnte er sich eine kurze Pause, um bei mir vorbeizuschauen, wenn es still wurde, um die Ursache des Stillstandes zu erfahren!

 

 Weil ihm das Wohlergehen der Firma sehr am Herzen lag, mochte er nicht, wenn die Handwerker das Einhalten der Arbeitszeit, seiner Ansicht nach, nicht so ernst nahmen. Wenn der Pressluft-Hammer bzw. die erste Ausführung der mobilen Elektro-Metall-Säge aus irgend unerklärlichem Grund versagten, war er selbstverständlich bereit, mit seinem Wissen bei der Instandsetzung mitzuwirken. Andersrum als ich mich tot müde einen Augenblick ausruhen und nach Luft schnappen wollte, war er unzufrieden, zeigte sein zweites Gesicht, und drohte sogar mit einer Anzeige in der obersten Etage. Als er seine mäßige Zufriedenheit bekundet hatte, was die langsam voranschreitende Arbeit betraf, ging er wieder in sein Büro zurück. Oft wollte er mir unterstellen, dass er besser wisse als ich, was für die Anlage besser sei und was nicht. 

 

Meistens ließ ich ihn mit seiner Behauptung gewähren, um unsere Freundschaft nicht aufs Spiel zu setzen. Eins musste ich ihm lassen, er konnte das so gekonnt vermitteln, dass ich trotz meiner 30.jährigen Erfahrung auf dem Gebiet manchmal an meine Kenntnisse große Zweifel hatte.

Als es bei der Endmontage alles reibungslos lief und der Bauabteilungsleiter wunsch-

los glücklich mir für das Werk gratulierte, fühlte ich mich darin bestätigt, dass Heinz-Rüdiger in punkto Heizung nicht viel verstand!

Ich war mit dem Auftrag fertig, packte mein Zeug zusammen und wickelte zum Schluss die Kabeltrommel auf. Den Stecker durfte ich freundlicherweise für die Dauer der Baumaßnahme bei ihm, in die einzig funktionierende Steckdose im ganzen Keller, reinstecken.

 

So konnte er mich überprüfen, wann ich Feierabend machte, weil der Stecker ja rausgezogen werden musste.

Nun sollte ich das letzte Mal an die Tür seines Büros klopfen, das sich nur an einer Messingplakette von den anderen Kellerräumen unterschied, es stand darauf:

 

Heinz-Rüdiger Willich

Rechnungswesen

Schwerpunkt- Controlling

 

Und eigentlich nur das verriet einem nicht Eingeweihten, dass er in der Firma existierte.

 

Ich ging rein und wollte mich bei ihm für die aufgebrachte Geduld und sein Verständnis bedanken und gleichzeitig auch von ihm verabschieden. Ich hatte Klopse im Hals stecken, irgendwie hatte uns der häufige, unvermeidbare Kontakt näher gebracht.

Er war unterm Tisch mit dem Aufrollen des Druckbandes der zur Zeit zerlegten Schreibmaschine beschäftigt und würdigte mich keines Blickes, wahrscheinlich hatte er mich gar nicht vernommen?

Ich zog den Stecker raus und ging auf Zehenspitzen wieder raus, ohne ihn beunruhigen zu wollen. Kaum war ich draußen da hörte ich: „Creme de la Creme, und keinen Dank für den Strom!“. Ich erwiderte schnell, und trotzdem zu spät: „Danke!“.

 

 

Den ersten Satz habe ich sowieso nicht verstanden, höchst wahrscheinlich galt die Bemerkung nur dem Hersteller der Schreibmaschine!

Heinz-Rüdiger liebte seine Arbeit, wenn es nach ihm ginge, würde er sein Büro nie verlassen, auch weil er so viel zu tun hatte. Deswegen aß er Frühstück und Mittagessen auch dadrin.

Anfangs verirrte er sich paar Mal in die Kantine, aber das Warten aufs Essen an der Theke machte ihn krank. Auch das merkwürdige Benehmen der Arbeitskollegen, weil sie sofort den Tisch räumten, als er sich dazu setzte, gefiel ihm ganz und gar!

Erst gegen 20.00 Uhr genehmigte er sich den Feierabend, aber das dann noch unter der Auflage, dass die restlichen unbearbeiteten Unterlagen mit nach Hause genommen werden mussten.

 

 

Urlaub machte er sehr ungern, weil er dann oft vergaß, wo er seine Arbeit unterbrach, auch sonst mochte er nicht, im wichtigsten Moment Pausen einzulegen, alles schien ihm von großer Bedeutung zu sein. Keine mindere Rolle spielte dabei der Zeitfaktor, der einzuhalten bzw. hochzuschrauben galt. Erst nach der ausdrücklichen Aufforderung seines Chefs, wenigstens das Gleitzeitskonto abzufeiern, blieb er zu Hause und litt Quallen….!!!

Schon nach zwei Tagen zu Hause wirkte er nervös und war äußerst reizbar, er glaubte, ihm würde die Decke auf den Kopf stürzen.

Zu Hause, wie auch in seinem Büro, befand sich ein Rechenbrett auf seinem Schreibtisch, das er noch wie vor 50.Jahren regelmäßig benutzte, das sich als eine große Hilfe, um die schwere Zeit zu überbrücken, herausstellte.

 

 

Irgendwie konnte er sich technisch nicht rechtzeitig umstellen, traute der Technik keineswegs, außer das sie große Stromfresser seien, und überhaupt, von dem elektronischen „Schnickschnack“, der angeblich immer wieder abstürzen sollte, hielt er sowieso nicht viel. Er war ja mit seiner „Adler“- Schreibmaschine bestens vertraut und damit voll und ganz zufrieden, obschon die „Super-Nova“ auch schon bessere Tage gesehen hatte. Und sollte dadran etwas klemmen, dann entweder wusste er sich zu helfen oder hatte er zur Not noch diese Kopierstifte, die er noch als es der Firma gut ging, im großen Stil als Vorrat bestellt hatte.

Nach dem Feierabend kannte er nur den einen Weg und zwar, den schnurgerade nach Hause, wo ihn immer die liebste Frau sehnsüchtig erwartete.

 

 

Elfriede war für ihn immer da, sie kochte für ihn, putzte sein Zimmer und hielt es in Ordnung. Sie wusch seine komplette Kleidung, inklusive Socken, und bügelte sie, und überhaupt, sie liebte ihn über alles auf der Welt!

Elfriede, seine Mutter, brachte nie zur Sprache, dass Heinz-Rüdiger heiraten sollte, wo es sowieso fest stand, dass keine andere Frau auf der Welt besser zu ihm sein könnte und zu ihm passen würde, als die leibliche Mutter, die ihn am Besten versteht und alles verzeiht!

Sie hatte auch jeden Wunsch von seinen Lippen abgelesen, und den ihm auch erfüllt. Wobei das Eine… blieb unversucht unausprobiert!

 

Nur ein einziges Mal hatte er sich Hals über Kopf in ein Mädchen verliebt. Zugetragen hatte sich das, als er ein wenig Obst und Gemüse vom Markt holen sollte und sich in die Tochter der dicken und am Lautesten schreienden Krämerin verguckt hatte.

Sie hatte große lavendelfarbigen Mandelaugen, schulterlange blonde Haare, sie lächelte ständig und zeigte ihre schönen Zähne, weis wie Neuschnee, den Rest verdeckte eine knöchellange Schürze, und dennoch konnte Heinz-Rüdiger dank seiner ausgeprägter Fantasie erahnen, wie schön sie wirklich sein musste!

Sie bewegte sich wie eine Katze auf einer Mäusejagd: geschmeidig, lautlos, voll Grazie und Harmonie, um dann gezielt, blitzschnell nach einem Stück Obst oder Gemüse zu greifen. 

 

Man konnte gar nicht so schnell den Vorgang mit eigenen Augen verfolgen, wie sie sich auf die zu verkaufende „Beute“ stürzte und sie dann auf einer Waage platzierte. Da war die Mutter, obwohl aller Voraussicht nach erfahrener, weil auch vermutlich länger im Geschäft, nur halb so schnell und erfolgsmäßig mit Glück beschenkt.

Vom lauten Anstarren hatte er vergessen, als er dran war, was er kaufen wollte. Merkte es das Mädchen und lachte. Das hatte Heinz-Rüdiger komplett aus der Fassung gebracht, er lief augenblicklich rot an und dann so schnell er konnte auch weg, ohne Suppengrün!

Auch später hatte er es nie angesprochen versucht, dafür aber seine Mutter Elfriede,

weil sie auch gleich sein komisches Benehmen einordnen konnte!

 

 

Als es ganz sicher wurde, dass es nur ein Bauernmädchen war, und das noch aus dem fernen Kalbach, hatte sich das Ganze schneller zerschlagen, als es angefangen hatte. Im Grunde genommen, hätte ohnehin nichts daraus werden können, denn dann wäre ja seine Arbeit, sein Ein und Alles, zu kurz gekommen und das wollte er seiner Firma nicht zumuten.

Heinz-Rüdiger wusste, dass um erfolgreich zu sein, musste man fleißig und hart daran arbeiten. Das war der Grund, weswegen er den Balkon und Garten mied und gar nicht benutzte, im Sommer nicht und sonst erst recht nicht. Die Ausnahme war, wenn er nach dem Wetter schaute. Er wollte von nichts und niemanden abgelenkt werden, obwohl das Haus, mit Blick auf ganz Sachsenhausen, direkt am Main gelegen, zu den schönsten und wertvollsten Immobilien in ganz Frankfurt gehörte. 

 

Schon damals galt die „Maxime“: Lage, Lage und noch einmal Lage!

Er blieb in seinem Zimmer bis zur späten Stunde und rechnete und überprüfte, was es eigentlich schon bereits fertig war. „Sicher ist sicher, doppelt hält besser!“, pflegte er zu sagen.

So unauffällig er war, so unbemerkt vergingen Jahre in seinem Leben, mit denen sein ehemals gutes Erinnerungsvermögen schrittweise Abschied nahm.

Er wunderte sich über Phänomene, dass z.B. noch soeben seine schöne Haarpracht jetzt kaum mehr existierte, und dass seine Mutter, noch vor Kurzem eine quicklebendige Frau, jetzt immer langsamer wurde, so dass sein Essen unterwegs von der Küche bis ins Wohnzimmer immer kälter wurde. 

 

Des Öfteren, je nach dem was es war, ob auf dem Teller oder in einer Tasse, wurde dass flüssige Gericht immer weniger, weil Vieles unterwegs verschüttelt wurde! Wäre da nicht der alte Kater Filemon, der sofort die Suppe vom Boden aufgeleckt hatte, hätte man anhand der Nudeln und sonstigen Resten die Spur verfolgen können!

Doch an Verschleiß und Zerfall des menschlichen Körpers, das mit dem Alter Hand in Hand geht, dachte er nicht. Wie gesagt, Heinz-Rüdiger war ein viel beschäftigter Mensch und an solche banalen Sachen mochte er nicht seine kostbare Zeit zu verlieren und den Kopf zu zerbrechen, es galt, sich nur mit dem Wichtigsten zu befassen.

Auch jenen Tag, der zugleich sein 67-ter Geburtstag war, vergaß er völlig. Wohl aber nicht den Quartalbericht der Jahresbilanz, der an dem Tag anstand.

 

Elfriede lachte sich krumm über seine Vergesslichkeit, doch gerade das wollte sie genüsslich ausspielen, und Heinz-Rüdiger erst abends mit einer Torte und ihrer Freundinnen von der „Skat“- Runde überraschen!

Weswegen ausgerechnet freitags, wussten sie nicht mehr, es war auch nicht von großer Bedeutung. Auf jeden Fall wie jeden Freitag trafen sich die betagten Frauen, die alle jenseits von 90 waren, zum „Skat“- Spielen. Übrigens ihre gesellige Runde entstand, als sie in ihrem untröstlichen Schmerz nach dem Ableben ihrer Gatten, allesamt im Krieg gefallen oder vermisst, nach bisschen Ablenkung suchten. Die letzten „Schmerzen“ konnten sie vor 20 Jahren endgültig überwinden.

 

 

Gleich nach Heinz-Rüdigers Weggang hatten sich alle mittels Krücken, Gehhilfen und Rollstühlen bei Elfriede eingefunden, um mit dem Spiel sofort anzufangen. Während sie gereizt vom feinsten reizten, hatte eine der Omas, nach vorherigem Mischen und Austeilen der Karten, den Teig für die Torte geknetet.

Gegen Abend hatten sie mit vereinten Kräften ein Wunderwerk vollbracht, wie ein gleiches ihnen noch nie gelungen war. Als der vierte Bembel Apfelwein alle und der nächste fällig war, und das Schlachtermesser zum Anschneiden der Torte griffbereit lag, erwartete man nun mit angeröteten Wangen das Geburtstagskind, doch keineswegs untätig, sie hatten weiter in lockerer Atmosphäre Skat gespielt. „Zeit ist Geld!“, riefen alle, weil sie schon immer ums Geld gespielt hatten! Es gab sogar eine wilde Zeit, wo es um viele Tausend, gar Millionen Mark ging, doch da spielten die angespannten Nerven nur kurz mit.

 

 

Als Heinz-Rüdiger zur gegebenen Stunde doch nicht kam und an dem Abend sich nicht blicken ließ, wurde es kein Verdacht geschöpft, schließlich hatte er bekanntlich immer viel zu tun und deswegen übernachtete er gelegentlich auch mal nicht zu Hause. Die Torte wurde trotzdem angeschnitten und gekostet, um es zu testen, wie sich die neu ausgedachte und auf die Schnelle gemixte Zutat- der Eierlikör darin machte, allerdings unwissend und völlig ahnungslos, weil sich an dem Tag eine menschliche Tragödie abgespielt hatte, die sie mehr oder weniger schmerzhaft treffen sollte?

 

 

Als Heinz-Rüdiger zur Arbeit erschien und sein Fach wie gewohnt leerte, erblickte er einen Brief von der Personalabteilung. Er glaubte darin die lang ersehnte Aufstufung, wenn nicht sogar eine Beförderung vorzufinden. Er lief die Treppe so schnell herunter, wie noch nie zuvor, und als er den Brief öffnete und gelesen hatte, erblasste er und verspürte gegenüber den Machern der Firma nichts anderes als den blanken Hass. Es wurde ihm mitgeteilt und daran erinnert, dass er 67. Jahre alt wurde, er somit der allgemeinen Pensionierung unterliege, und der heutige Tag als der Letzte, jedoch in gewohnter Zeitform, zu absolvieren wäre!

Für Heinz-Rüdiger brach die Welt zusammen, er blätterte mehrmals um, suchte noch im Kuvert, aber das, was er sich erhofft hatte, fand er nicht. 

 

Keine Grüße, keine Glückwünsche zum Geburtstag, das hatte er von der Firma, von der er so viel hielt, nicht erwartet, bei bestem Willen nicht!

Als er zum Entladen zehn seiner längsten Kopierstifte zerbrach und über den Sinn des Lebens grübelte, fand er eine Antwort darauf, die die ganze Misere erklärte: anscheinend war sein Charakter und seine Art, anders zu sein, nicht dafür gewappnet und es lud zum Ausnutzen förmlich ein.

Er war an seiner Gutmütigkeit und Naivität kläglich gescheitert, und als er nach gewisser Zeit zu der Schlussfolgerung angelangt war, war es zwar nicht fünf vor zwölf, sondern fünf vor 16 Uhr. Da war es für jede Änderung oder kurzfristige Korrektur viel zu spät. 

 

 

Er fasste allen Mut zusammen und mit Tränen in den Augen schraubte er jene Messingplakette von der Tür ab, die er tagtäglich mit einem sauberen Frotteetuch auf hochglanz polierte, die auch schließlich als ein Hinweis dienen sollte, wo ein Meister dieses Faches zu empfangen wünschte. Er nahm seinen Hut vom Ständer, begutachtete den Raum mit Wehmut, machte das Licht aus und schloss Die Tür ab. Als er sich noch einmal umdrehte, dachte er nach, dass die Tür seines Büros ohne die Plakette von den anderen Türen nicht zu unterscheiden sei, und das das Büro sehr wahrscheinlich nie mehr seinen Nachfolger sehen wird, außer ein paar Besucher, vielleicht einen Handwerker oder die Mäusefamilie, die er zwar nie zu sehen bekam, die sich jedoch hin und wieder an sein Essen wagte!

 

 

Da um diese Zeit der planmäßige Feierabend ausgebrochen war, hatten sich sehr viele Menschen am Empfang eingefunden, die ihre Schlüssel abgeben wollten und das Gebäude fluchtartig, über Kopf und Kragen, verlassen versuchten.

Ich nehme an, sie kannten ihn nicht, weil keiner, aber wirklich keiner ihn gegrüßt hatte. Bitter nahm er auch die Enttäuschung zur Kenntnis, er deponierte die drei bearbeiteten Mappen in sein Fach, gab seine Schlüssel ab, und ging fort in eine ungewisse Zukunft.

Noch war er nicht draußen, weil die Menschenmenge den Ausgang versperrte.

Er schaute den Leuten in ihre Gesichter und überlegte kurz, ob welche von denen für die vielen Fehler, die er verbessern musste, dafür verantwortlich waren.

 

 Er machte sich noch Sorgen, wer dann seine Aufgaben übernimmt, und falls doch keiner, wie lange wird das die Firma verkraften können…!!! Hoffentlich wird das auch zeitig passieren und man ihn zurück holt, aber dann müssten sie gehaltsmäßig eine Schippe drauflegen.

Am Ausgang stockte es noch, es ging nur langsam voran. Heinz-Rüdiger beschäftigte sich jetzt damit, wie es weiter mit seiner Karriere nun gehen sollte, wie er seine Zukunft neu gestallten soll, so ganz untätig wollte er nicht sein, und das arme ,hilflose Volk im Stich lassen.

Auf jeden Fall wollte er sich neu orientieren, sinnvoll wäre es, sich einen neuen Wirkungskreis zu suchen, wo mindestens eine neue Lebensaufgabe sein Leben ausfüllen würde, wo er wirklich sagen könnte, dass er seine schöpferische und zu oft in Frage gestellte, kreative Tätigkeit voll ausgereizt hätte.

 

Obwohl er die alte Wirkungsstätte nicht kampflos räumen wollte und noch an ein Missverständnis glaubte, so musste er sich der drängelnden Strömung geschlagen geben. Sie drückte alles und jeden nach draußen, was sich in den Weg stellte.

Das Licht der Sonne blendete dermaßen, so dass Heinz-Rüdiger dazu gezwungen wurde, die Augen halb zu schließen und sich erstmal an die Heftigkeit der Helligkeit zu gewöhnen. Unter der Woche, auch sonst machte er Feierabend nie zu so früher Stunde, für ihn war es immer erst Halbzeit!

Nach Hause wollte er noch nicht gehen, er wüsste nicht, was er Elfriede sagen sollte, dass er so ungewöhnlich früh da sei.

Als er am Mainufer entlang spazierte, entdeckte er, wie sich das Bild der Stadt verändert hatte, und er war kaum dabei!

 

 Das erste Mal seit vielen Jahren sah er Frankfurt am helligen Tag und das war der Grund dafür, dass er jetzt alles in anderen Farben sah. Neue bis dahin fremde ihm Gefühle haben ihn überfallen. Auf einmal wollte er wieder Vieles in Bewegung setzen, noch einmal richtig durchzustarten.

Er hatte neue, ungeahnte Kräfte in sich verspürt, sein erschlaffter Körper, durch un-

zureichende physische Übung und Sauerstoffmangel im Kellerbüro verursacht, bebte jetzt förmlich von zu viel Energie, Willenkraft und Mut!

Es war weit nach 18 Uhr, als er am Westhafen angelangt war und die fröhlichen Gesichter der Bauarbeiter sah, die wie aus dem Nichts wunderschöne moderne Häuser hochzogen, in dem Moment war es um ihn geschehen. 

 

Er wollte jetzt nicht mehr Kopierstifte im dunklen Keller spitzen, und für fremde Fehler gerade stehen, er wollte etwas Vergleichbares, womit er sich auch identifizieren könnte, mit seiner Muskelkraft, die etwas abgeflaut worden war, in Gang bringen.

Sein Wille war unbeschreiblich, und wie es sich gleich zeigen sollte, auch ungebremst. Er zog sein Jackett aus, hängte es an einem Ast eines Baumes, der der neuen Häuser noch nicht weichen musste, krempelte die Ärmel hoch und schaute sich um. Ein Haufen Ziegelsteine und sonstiges Baumaterial lag da, aber kein williger Arbeiter weit und breit. Er schüttelte mit dem Kopf, verstand und sah keine Ursache des Stillstandes! So nahm er spontan gleich acht Stück davon und einen Eimer Mörtel und wollte im Fünften oben weiter mauern, dort wo zuletzt aufgehört worden war. Dabei musste er eine Leiter hochklettern, die überm frisch betonierten angelehnt war.

 

„Was die anderen können, kann für mich nicht so schwer sein!“, sagte zu sich Heinz-Rüdiger ermutigend, „und außerdem, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“, fügte er hinzu und schritt zügig voran.

Ein erfahrener Maurer würde nie, aber niemals, acht Ziegelsteine auf einmal nehmen, geschweige noch den vollen Eimer Mörtel dazu, es sei denn: es wäre sein Haus oder eine gut bezahlte Schwarzarbeit!

Nicht weil die Leiter überlastet zusammen brechen könnte, sondern weil das ein knochenharter Job ist, und außerdem man soll schonend mit der Arbeit umgehen, sie soll für alle reichen!

Heinz-Rüdiger hatte aber beides nicht beachtet, und als die Leiter tatsächlich krachend zusammen brach, flog er samt den Steinen und dem Eimer zehn Meter tief in den noch flüssigen Beton. 

 

Hätte er noch die schwere Last fallen lassen, hätte er sich allerhöchstens paar Knochenbrüche zugezogen, aber die Steine wollte er nicht so leichtfertig verlieren, die hatte er noch fest im Griff und umso schneller versank er darin.

Keiner hatte etwas gehört, keiner etwas gesehen, eigentlich typisch wenn jemand zu Schaden kommt!

Nicht ganz verkehrt wäre hier die Frage, wo alle die Arbeiter zu dieser Tatzeit verschwunden waren, obwohl das riesige Bauvorhaben „Aufbau West“ ohne Überstunden gar nicht möglich wäre. Die Antwort war einfach, Frankfurt hatte zu feiern und Bayern München sollte ausnahmsweise daran glauben. Alle deutschen Poliere waren bereits unterwegs zum Waldstadion, die anderen Arbeiter, überwiegend anderer Nationalität, machten sich ans Gebet, es war nämlich Ramadan!

 

So ziemlich alle hatten seinen Anbeter und dennoch, an diesem einen Tag im Jahr fühlte sich jeder waschechte Frankfurter insgeheim ein wenig „Eintracht“! Das war der Grund, weshalb an diesem Tag vieles überhört, übertönt und übersehen worden war.

Sowie sein Leben die laute Einsamkeit prägte, auch diesmal begleitete ihn keiner oder stand an seiner Seite.

Als nach zwei Wochen Elfriede eine Vermisstenanzeige erstattete, weil sie nicht mehr daran glaubte, dass Heinz-Rüdiger so furchtbar viel zu tun in der Firma hatte, um sich zu Hause nicht blicken zu lassen, war es für jede Rettung zu spät.

Mehrere zusätzliche Betonschichten hatten alle Spuren verwischt und somit die Bergung der Leiche unmöglich gemacht.

 

 

Auf die schriftliche Anfrage beim städtischen Hochbauamt, ob die Bergung von Heinz-Rüdiger ausnahmsweise als ein Sonderfall doch nicht möglich wäre, damit eine normale, traditionelle Bestattung zu Lande zu Stande käme, dem zu Folge eine geringere Erdenlast auf ihm lasten würde, antwortete man fristgerecht nach zwei Wochen: „Wo gehobelt wird, fallen auch Späne!“, „und er möchte sowieso zufrieden ruhen, dass man ihm mit auf den himmlischen Weg kein Gerichtsverfahren, bevorzugt ein Strafprozess, für ein ordnungswidriges Verhalten und das unerlaubte Betreten der Baustelle, aufzwingt!“. “Außerdem, man möge auch die wirtschaftliche Seite nicht außer Acht nehmen, welcher gesunden Baufirma würde solche stemmige Bergung nicht das Genick brechen?“.

 

 

Laut einer polizeilichen Rekonstruktion des außergewöhnlichen Falles musste sich das Ganze so in etwa zugetragen haben, so dass Heinz-Rüdiger bis zum heutigen Tag, wie ein versteinertes Fossil, da unten ruht!

Übrigens, sollten Sie zu den Wenigsten zählen, die mit ehrlicher Arbeit oder auch anders…..zum Reichtum gebracht haben und eine schöne, geräumige Eigentumswohnung in Frankfurt am Westhafen, mit Blick auf den Main erworben haben, dann denken Sie bitte daran, dass unter Ihrem Schlafgemach Heinz-Rüdiger Willich liegt, ein angelernter Buchhalter, ein unermüdlicher Vorzeigebürger, der an dem Bau des Heimes maßgeblich mitbeteiligt war. 

 

Und sollte es Ihnen irgendwann merkwürdig vorkommen, dass irgendwelche unsichtbare Kräfte in Ihrem Haushalt für Ordnung sorgen, dann bewahren Sie Ruhe, geraten Sie nicht gleich in Konfusion, und nehmen Sie es Stolz entgegen, denn nicht anders wäre das zu erklären, als Heinz-Rüdigers Geist Ihnen die Ehre macht, weil er wahrscheinlich immer noch keine Ruhe fand, sich nach wie vor für unersetzlich hält, und hilft, wo er nur kann….!!!

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