Mein Leben voller Angst, innere Zerwürfnisse und Liebe
Mein Leben
Es war ein Tag im Frühling als ich geboren wurde. Im Betriebsfunk spielten sie das Lied Ursula. Da ich zur gleichen Zeit das Licht der Welt erblickte, nannten mich meine Eltern Ursula (lat. Kleine Bärin). Heute denke ich, dass das mein Leben prägte.
Ich war ein Einzelkind und sollte es nicht einfach haben. Als Säugling war ich sehr krank, dass nur noch der Heilpraktiker von neben an kam und half. Die Ursache zu erkennen war in der Nachkriegszeit nicht möglich. Das erfuhr ich erst 17 Jahre später bzw. mit 58 Jahren. Man hätte mich damals mit Penizillin behandeln müssen, was es 1952 noch nicht gab. Man sagte es wäre die englische Krankheit. Bis heute weis ich nicht, was man damit meinte. Jedoch weis ich, dass diese Krankheit später mein Leben prägte.
Da ich ein angeblich schwieriges Kind war, eben wenig gehört (Hans in allen Gassen), durfte ich nicht in den Kindergarten. Heute weiß ich als erwachsene Frau, dass jedes Kind, auch meine Kinder und Enkelkinder, Dummheiten machen. Das ist sogar sehr wichtig, um die Welt zu erkunden und zu lernen wo die Grenzen sind. Als Kleinkind kann ich mich an folgende Streiche erinnern. Ich war blond mit Hahnenkamm ein niedliches Mädchen. Ich liebte über alles unsere Katzen und die kleinen Ziegen. Eines Tages ertappte mich Oma dabei, als ich versuchte eine kleine Zicke zu reiten. Musste ja süß ausgesehen haben, denn ich wurde fotografiert.
Das erzählte ich später meinen Kindern. Meine Tochter schenkte mir als ewige Erinnerung aus Kunststoff eine kleine Ziege. Die steht nun bis heute bei uns in der Wohnstube und oft muss ich Bekannten erzählen, welche Bedeutung die Ziege für mich hat.
Dann fuhr ich mit meinem Dreirad die Treppe herunter. Gott sei Dank ist nichts passiert. So könnten noch viele Streiche genannt werden.
Natürlich hatte ich auch eine strenge Erziehung. Ich erkannte auch bei welchen Personen ich hören musste. Bei Pate Rosa konnte ich solche Streiche nicht machen. Dort hörte ich bedingungslos.
Ich musste schon als Kleinkind zu Hause mit helfen. Meine Aufgabe war es jeden Abend auf der Treppe zum Boden alle Schuhe zu putzen. Bis heute hasse ich das Schuhputzen. Vor allem hatte ich große Angst, da ich den Boden kaum einsehen konnte. Dann immer die Geräusche vom Taubenschlag. Ich hatte nachts oft Alpträume. Bis heute hasse ich das Schuhputzen.
Heute weis ich, dass man Kinder niemals dazu zwingen sollte, eine Arbeit welche nicht gerne getan wird, jeden Tag zu machen. Kinder müssen lernen die Arbeit gerne zu tun. Aber wir wissen auch, dass jedes Elternpaar diese Erfahrung selber erkennen muss.
Früher war es üblich, die gute Stube nur Wochenende zu benutzten. Da wurde ich immer in einer blechernen Badewanne im Keller gebadet. Das Wasser wurde im Kessel geheizt und in die Wanne umgefüllt. Ich saß dann im Bademantel im Sessel, bis meine Haare trocken waren. Plötzlich lief eine Spinne meinen Oberarm entlang. Ich schrie so laut es ging. Seit dem hatte ich Angst vor Spinnen.
Wir waren nicht reich. Ich hatte zwar viele Wünsche zu Weihnachten, die aber selten erfüllt wurden. Meine Eltern reparierten meinen Kaufladen. Zu Weihnachten bekam ich diesen immer geschenkt. Natürlich freute ich mich darüber. Der Weihnachtsbaum, bei meinen Großeltern oberhalb der Essecke, war der Schönste. Sonst stand dort immer ein Radio. Einmal bekam ich Schneeschuhe und einen dicken Pullover. Ich freute mich rissig, konnte es jedoch nicht zeigen.
Ich war es nicht gewohnt abends einen Küsschen zu bekommen oder einmal gelobt zu werden. Meine Eltern hatten mich sicherlich sehr lieb, konnten es aber nicht zeigen. Sie hatten das nicht gelernt. Deshalb fiel es mir auch schwer, meine Kinder später anders behandeln zu wollen. Ich denke, da haben meine Eltern in meiner Kindheit viel versäumt. Man sagt alles was man in der Kindheit erlebt, prägt das Leben.
Da meine Eltern beide arbeiteten verbrachte ich meine Kindheit bis zur Schule meist bei meiner Großmutter oder bei Oma und Opa. Vor allen muss ich meiner Großmutter heute sehr dankbar sein. Sie hatte viel Geduld mit mir. Sie las mir viele Märchen und Geschichten vor, die ich bald alleine erzählen konnte. Meine Großmutter lernte mir lesen und stricken. Mir machte es Spaß, für meine Puppe zu stricken. Wenn ich einmal ein Muster ausprobierte, dachte ich immer ich hätte es entdeckt.
Als ich noch ein Kleinkind war, musste ich immer mit meinen Vater im Winter in den Wald. Da mein Vater Jäger war, fütterten wir die Tiere und brachten auf dem Schlitten dürres Holz mit nach Hause. So sparte man Kohlen zum Heizen und Geld. Kohlen wurden immer im Sommer zum Sommerpreis gekauft und eingelagert. Bei strengem Winter reichten die Kohlen manchmal nicht.
Wochenende ging ich mit meinen Eltern im Wald spazieren. Wie schon erwähnt war mein Vater Jäger und natürlich Natur verbunden. Schon im Frühjahr suchte mein Vater Pilze. Um noch ein paar Mark zum Essen zu haben, sammelten wir den ganzen Sommer Heidelbeeren. Meine Mutter verkaufte fast jeden zweiten Tag einen Eimer voll Heidelbeeren. Sie bekam damals 19,80 Mark der DDR. Davon bekam ich immer ein bis zwei Mark welche ich natürlich sparte. Natürlich wurden auch viele Heidelbeeren eingekocht. Gefriergeräte gab es damals noch nicht.
Eines Tages, als meine Mutti und ich wieder Heidelbeeren suchten, war es schon spät am Abend. In der Nähe sah man keine anderen Leute mehr. Ich suchte im Gebüsch Beeren. Plötzlich sah ich einen Mann, der sich meiner Mutter nährte. Was er sagte erfuhr ich erst zu Hause. Meine Mutter schrie immer den Namen von meinen Vater, nahm mich an der Hand und rannte, ohne die Beeren mitzunehmen, los. Wir rannten oberhalb der Sandgrube entlang. Erst unten an den Gärten trafen wir auf die ersten Gartenbesitzer. Gott sei Dank war diese noch in ihrem Garten. Jetzt waren wir in Sicherheit. Zu Hause informierte mein Vater sofort die Polizei. Wir hatten Telefon seit dem ich mich erinnern kann. Das war damals eine große Ausnahme. Mein Vater war wohl eine wichtige Person, denn nur der Arzt, der Abschnittsbevollmächtigter und noch ein paar wichtige Personen, welche immer erreichbar sein mussten, hatten Telefon. So konnte der Mann noch in unseren Ort gefangen werden.
Damals war die Grenze zu Westdeutschland noch nicht gesichert. Die Bewohner konnten versuchen in die BRD zu gehen, Lebensmittel zu besorgen und kamen mit viel Glück wieder zurück. Es war die Zeit, wo die Grenzsoldaten noch human waren. Ein paar Jahre später war so etwas nicht mehr möglich. So kam der Mann unerkannt über die Grenze.
Nachts haben die Polizisten dann den Mann zu uns nach Hause gebracht. Er wurde meiner Mutter gegenübergestellt. Später, als ich größer war, erfuhr ich die Wahrheit. Er wollte meine Mutti vergewaltigen und dann töten. Seiner Schwester erging es ähnlich. Wie schon erwähnt, flüchtete er über die Grenze in unseren Ort. Die Polizei sperrte ihn ein. Dieses Erlebnis konnte ich nie vergessen. Heute noch habe ich Angst, alleine in den Wald zu gehen.
Einmal im Sommer halfen meine Eltern bei den Bauern mit Heu einbringen. Die Wiese grenzte direkt an den Sicherheitsstreifen. Hinter den Streifen waren Soldaten und davor auch. Dahinter die Soldaten warfen Süßigkeiten herüber. Aber wir durften sie nicht essen. Als Kind versteht man so etwas nicht, denn bei uns gab es kaum solche Süßigkeiten. Es war die Zeit, als es noch Lebensmittelkarten gab. Das Erlebnis habe ich bis heute nicht vergessen.
Jede Woche gab es bei meinen Eltern einen Essenplan. Montag wurde das übrige Essen vom Wochenende aufgewärmt. Am Dienstag gab es Wellfleisch auf Brot oder mit Sauerkraut und Brot. Am Mittwoch warme Fleischwurst mit Kartoffelsalat oder Brot. Am Donnerstag wurden Pellkartoffeln gekocht mit Leberwurst oder Rotwurst. Freitags Bratwurst und Sauerkraut. Samstag wurde Suppe gekocht und am Sonntag freuten wir uns auf Klöße mit Braten. Es war deshalb nicht zu verzeihen, dass ich bestimmte Lebensmittel essen wollt. Ich esse bis heute keine Tauben, Ziegen und Hammel. Damals wurde ich natürlich dafür bestraft. Ich musste mittags ins Bett und durfte den ganzen Tag nicht aufstehen, Für mich war das eine harte Strafe. Ausreisen konnte ich auch nicht. Wir wohnten im ersten Stock.
1959 wurde ich mit sieben Jahren eingeschult.
Meine Mutter arbeitete in der Kantine und schenkte Milch aus. Von der übrigen Milch wurde Quark gemacht. Das war damals noch möglich, denn die Milch wurde nicht behandelt. Heute wird die Milch entrahmt und homogenisiert. Außerdem wurden Lebensmittelkarten gesammelt, um zur Schuleinführung genug Kuchen backen zu können. Jeder der ein kleines Geschenk brachte, bekam Kuchen oder Plätzchen. Die Zuckertüte war groß, aber im Vergleich zu Heute, wenig drin.
Die Schule nahm ich im ersten Jahr nicht so ernst, da mir meine Großmutter schon vieles beigebracht hatte. Die Lehrer hatten es nicht einfach mit mir und berichteten regelmäßig meiner Mutter davon, die mich natürlich entsprechend bestrafte. Nach der Schule spielte ich Schule. Ich war die Lehrerin und meine Puppen die Schüler.
Ich wollte gerne in den Schulhort, was meine Eltern nach vielen Überlegungen auch bewilligten. Es war eine schöne Zeit. Ich machte meine Hausaufgaben und hatte Kinder zum spielen. Wenn ich schlecht geschrieben hatte, musste ich abends noch einmal alles neu schreiben.
Ich hatte sehr gute Zensuren, jedoch in Betragen eine drei. Da waren natürlich meine Eltern nicht begeistert. Außerdem schwatzte ich immer im Unterricht viel. Wurde ich von den Lehrern gefragt, hatte ich immer die richtige Antwort. Ich hatte damals schon die Fähigkeit entwickelt, zuzuhören und etwas anderes zu machen. Es gibt wenige Leute, welche so eine Fähigkeit besitzen. Diese Eigenschaft ist mir bis heute erhalten geblieben. Ab der fünften Klasse besserte sich mein Verhalten. Ich hatte sogar manchmal in Betragen eine eins.
In die Schule ging ich sehr gerne. Wir ärgerten auch unsere Lehrer sehr oft. Meine Mutter erfuhr immer alles, wohnte doch rechts von uns mein Mathelehrer und daneben mein Musiklehrer. Meine Englischlehrerin, musste auf dem Nachhauseweg an unserem Haus vorbei. So gab es viel Ärger zu Hause. Am Liebsten wäre ich abgehauen. Das war aber nicht möglich. Wir wohnten dort wo der Thüringer Wald an Franken grenzte. Das war der Grund, dass uns der 13.August 1961 sehr hart traf. Der antifaschistische Schutzwall wurde direkt am Dorfrand gebaut. Unsere Verwandten durften uns nur mit einem Passierschein besuchen. Viele Nachbarn verschwanden über Nacht. Später erfuhr man, dass sie politisch nicht tragbar seien. Verstanden habe ich das damals nicht. In den Wald, der Thüringen von Franken trennte, durften wir auch nicht mehr. Wild wurde im Todesstreifen getötet. Wir schon erwähnt hatten wir damals schon Telefon, welche viele Nächte klingelte. Mein Vater musste die toten Tiere aus dem Grenzstreifen entfernen. Außerdem flogen immer Flugzeuge der Bundeswehr über unser Haus. Man nannte es Verletzung des Luftraumes. Es war kalter Krieg. Aus den Gesprächen meiner Eltern entnahm ich, dass sie Angst vor einem neuen Krieg hatten. Als die Kubakrise war, verstärkte sich noch diese Angst. Immerhin standen sich in Berlin amerikanische und russische Panzer gegenüber. Hätte einer der Streitkräfte die Nerven verloren und auf den andern geschossen, wäre der dritte Weltkrieg, ein Atomkrieg, ausgebrochen. Meine Mutter drehte vor Angst fast durch. Ein Glück dass wir damals kein Gas hatten. Wir wären sonst alle nicht mehr am Leben. Die Angst übertrug sich auf mich und ich hatte natürlich ständig Angst.
Viele Zeit verbrachte ich mit meinen Cousine und meiner Cousin, welche zusammen mit meinen anderen Großeltern Max und Anna, zwei Kilometer entfernt wohnten .Auf den Weg dorthin, musste ich an den Sicherheitszaun vorbei. Dort sah man immer Soldaten, welche uns beschützen sollten. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Situation. Ich war gerne bei meinen Großeltern in Lindenberg. Schon alleine auch wegen meinen Cousine Regina und ihren Bruder Ulli. Außerdem waren meine Großeltern nicht streng mit mir und nahmen mich immer viel in Schutz.
Eines Tages waren wir alle drei im Winter alleine zu Hause.
Wir fuhren Schneeschuhe und mein Cousin Ulrich brachte den Schnaps meines Opas. Mein Opa trank manchmal zur Verdauung ein Glas „Halb und Halb“. Uli ließ uns auch ein Glas versuchen. Wir waren noch Kinder und vertrugen sehr wenig. Wir machten lustige Bilder und ich fand meinen Cousin richtig cool. Er war wie ein großer Bruder für mich. Ulli war immer mein großes Vorbild. Er war drei Jahre älter und Regina drei Jahre jünger als ich. Wir waren unzertrennlich. Mein Opa Max verstarb Anfang der sechziger Jahre an Krebs. Meine Oma wurde ein viertel Jahr später krank und verstarb ebenfalls. Zwei Jahre zuvor, kam mein Opa Ernst wegen zu hohen Blutdrucks ins Krankenhaus. Ich durfte ihn auch einmal besuchen, hing ich doch sehr an meinen Opa. Wir spielten Mensch ärgere dich nicht und mein Opa lies mich immer gewinnen. Ein paar Tage später war er tot. Ich konnte das gar nicht begreifen. Es war kurz bevor die antifaschistischen Schutzwälle gebaut wurden. Zur Beerdigung kam Opas Bruder aus den Westen mit Familie. Es war das Erste und Letzte mal. Später durften sie uns nicht mehr besuchen.
Die Schulzeit verging viel zu schnell.
Ich hatte eine Schulfreundin, mit der ich viel Zeit verbrachte. Ich konnte bei Christine Westfernsehen gucken und Radio Luxemburg hören. Ihr Vater arbeitete bei VEB Sternradio. So hatten sie auch immer die neusten Radios und Tonbandanlagen zu Hause, die ihr Vater testen musste. Wir hatten kein Westfernsehen. Mein Vater war im Betrieb für die Sicherheit verantwortlich und riskierte nicht seine Arbeit. Sonderbeauftragte liefen abends mit Spezialgeräten immer durch die Straßen und waren bestens informiert, wer den „Schwarzen Kanal“ sah. So hieß damals das Westfernsehen. Wir hatten aus diesem Grunde kein Westfernsehen.
Wir Kinder wurden älter und schauten uns nach Jungen um. Ich war unsterblich verliebt in einen Jungen der ein wenig älter war verliebt. Er merkte das natürlich nicht. Wenn ich heute mein Tagebuch lese, litt ich damals sehr darunter.
Heute weis ich, dass es so besser war. ich wäre sonst früh Witwe geworden. Werner verunglückte mit dem Motorrad ein paar Jahre später tödlich auf dem Weg zur Arbeit. Ich muss trotzdem oft an ihm denken. Werner war der einzige Sohn seiner Eltern. Später begegnete ich noch oft seinen Eltern. Meine Cousine heiratete seinen Cousin Horst.
Meine strenge Erziehung wurde natürlich auch in der Schulzeit fortgesetzt. Ich war eine gute bis sehr gute Schülerin. Für schlechte Noten wurde ich bestraft. Wenn ich Einsen bekam, war ich die Tochter meines Vater, bei zweien die Tochter meiner Mutter. Schlechtere Noten durfte ich nicht bringen. Mein Vater machte dann meiner Mutter den Vorwurf, sie hätte mich nicht richtig erzogen. Wenn ich etwas nicht wusste, hieß es dann, ich hätte in der Schule nicht aufgepasst. Geholfen hatte mir mein Vater nicht.
Zu Hause gab es oft Streit. Meine Mutter war Kantinenleiterin und sehr beliebt. Sie war eine hübsche Frau und verstand es mit Menschen umzugehen. Mein Vater war natürlich sehr eifersüchtig. Ständig kontrollierte er meine Mutti in der Kantine. Er war zu der Zeit Betriebsteilleiter und konnte so öfter Kontrollgänge machen.
Mein Vater ging regelmäßig in die Dorfkneipe. Die Bauern hatten nichts anderes zu tun, um meinen Vater einzureden, dass man eine schöne Frau nie alleine haben wird. So gab es zu Hause oft Streit. Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter meinen Vater niemals betrogen hatte. Umgekehrt war das sicherlich so. Meine Eltern gingen sehr gerne zu Veranstaltungen, wie zum Beispiel zur Kirmes oder Betriebsfeiern. Vater war auch stolz auf seine Frau. Da meine Pate Minna sich durchs Nähen ihr Geld verdiente, hatte meine Mutter immer die neusten Kleider. Damals konnten die Menschen sich das leisten. Das Nähen war billig. Ein Kleid zu nähen kostete 20,00 Mark. Auch ohne Alkohol war meine Mutter sehr lustig, sang sogar mit der Kapelle auf der Bühne. Mein Vater sagte immer zu meiner Mutter „ meine Lärche“. Die Lärche ist ein Singvogel. Ihre Cousinen waren genau so lustig. Alle drei zusammen, konnten einen ganzen Tanzsaal unterhalten. Früher waren auch manchmal Sänger oder Tanzkapellen in Neuhaus- Schierschnitz. Meine Mutter sang sogar mit Herbert Roth auf einer Veranstaltung im Schlossgarten. Natürlich war meine Mutter sehr fleißig und liebte die Gartenarbeit. Sie pflanzte mit Liebe alles Gemüse und vor allem Blumen. Ich hasste dagegen Gartenarbeit. Das ist heute vierzig Jahre später anders. Wochenende hat mein Vater immer Sülze gemacht, die in der Kantine verkauft wurde. Auch Radieschen und Eier kamen dort zum Einsatz. Wir hatten Stallhasen, die wurden ebenfalls verkauft. So bekam meine Mutter für die Hühner Getreide und die Haushaltskasse konnte auch aufgebessert werden. Im Herbst wurden die Teiche abgefischt, um im Winter Karpfen und Schleie essen zu können. Natürlich bekamen die Verwandtschaft und gute Freunde auch einen Karpfen. Im Winter wurde auch ein Schwein geschlachtet was wir selber fütterten. Später nach dem Umbau unseres Hauses hatten wir immer von unseren Freund Edgar ein Schwein gekauft. Wir bekamen das Schwein billiger, da Edgar und seine Frau Lore von meinen Eltern Wild bekamen. Das Wild ist vom Staat zugeteilt worden, auch wenn es durch meinen Vater selber erlegt wurde. Wie schon erwähnt, suchte mein Vater schon im Winter und Frühjahr Pilze. Das alles war auch für unsere Versorgung an Lebensmittel notwendig.
Meine Eltern arbeiteten zwar beide, aber das Haus musste umgebaut und angebaut werden. Ein Bad mit Toilette wurde schon ende der Fünfziger Jahre gebaut. Jetzt sollte der Stall mit Scheune weggerissen werden und eine Garage folgen. Auf der Garage wurde eine neue größere Wohnstube gebaut. Die alte Wohnstube wurde das Schlafzimmer für eine Oma. Das Schlafzimmer meiner Großmutter dagegen mein neues Schlafzimmer. Ich war darüber sehr glücklich. War doch mein altes Schlafzimmer sehr klein. Natürlich machte das alles viel Arbeit. Damals nahm keiner Kredite. Meine Eltern verbauten ihre eigenen Ersparnisse. Wenn das Geld nicht reichte, wurde später weitergebaut. Das dauerte etwas länger. Jedoch war das Haus schuldenfrei und man konnte ruhig schlafen. Für mich war wenig Zeit. Ich erledigte meine Schularbeiten, traf mich mit meiner Freundin. Wir waren natürlich auch im Fotoclub. Das war damals Jugendarbeit. In der DDR ging alles lückenlos. Wir waren Junge Pioniere und später wurden wir natürlich in die FDJ aufgenommen. Ich war sehr stolz. Ich gehörte dazu. Dann hatten meine Freundin Christine und ich einen ganz verrückten Gedanken. Die Freizeit sollte ja optimal genutzt werden. Wir gründeten mit ein paar Jungen und Mädchen eine Musikkapelle. Ich hatte Akkordeon gelernt. Das wollten meine Eltern so und mir machte es spaß. Wir übten viel. Ich spielte damals Akkordeon und sang mit Christine in der Band.
Was hatten wir für Träume. Leider waren wir zu jung und zu undiszipliniert, um die Träume in die Tat umzusetzen. Ich denke bis heute, dass es schade war. Da ich sehr schnell die Schulaufgaben erledigte, hatte ich auch viel Zeit zum Lesen. Ich war bestimmt in der Bibliothek einer der besten Kunden. Ich las gerne Jugendliteratur und Zukunftsliteratur. Da ich immer abends nicht so lange lesen durfte, las ich weiter mit der Taschenlampe oder einer Kerze. So verbrannte ich mir einmal den Pony.
In den Winterferien, wir hatten damals noch drei Wochen, und in den großen Ferien, arbeitete ich ab der 8. Klasse im Betrieb bei meinen Vater. Von dem Geld konnte ich mir auch immer etwas kaufen oder das Geld sparen.
Dann kam die Jugendweihe und Konfirmation. Ich freute mich schon sehr darauf. Meine Oma war als Rentner bei Verwandten im Westen gewesen. Sie brachte für die Konfirmation schwarzen Samt und die dazugehörige Unterwäsche mit. Meine Pate Minna nähte ein wunderschönes Kleid mit Jäckchen. Ich war richtig stolz und freute mich schon sehr darauf.
Damals hatte ich keine Stunde in der Christenlehre verpasst. Jeden Sonntag ging ich in die Kirche. Es gehörte zu meinen Leben. Schon im März war die Prüfung in der Kirche. Dazu musste man sehr viel lernen. Ein wenig Lampenfieber hatte ich, obwohl ich keinen Grund gehabt hätte. Zur Prüfung hatte ich ein grünes Kleid mit Bliese und schwarze Stöckelschuhe. Ich war so glücklich. Ich durfte sogar das erste Mal abends ins Kino. Meine Mutter begleitete mich natürlich. Der Film hieß nachts im grünen Kakadu mit Mariikka Röck. Natürlich war der Kinobesuch auch ein großes Ereignis. Meine Freundin und ich waren am Sonntagnachmittag sehr oft im Kino. Jedoch die erste Abendvorstellung gab mir das Gefühl, dass ich endlich erwachsen wurde.
Die Woche danach, war ich mit meiner Freundin Christine alleine im Kino. Es wurde Spartakus gespielt. Ein Film der mich sehr berührte. Las ich doch viel Geschichtsliteratur.
Ostern war dann endlich die Jugendweihe. Pate Minna hatte ein wunderschönes Kleid aus Orangen Stoff genäht. Dazu passend ein kleines Jäckchen. Ich trug weiße Stöckelschuhe. Das größte für mich war, ich durfte mit Volkmar laufen und war natürlich stolz. Er war bei den Mädchen sehr beliebt. Endlich gehörten wir zu den Erwachsenen.
Der Tag war wunderschön. Meine Eltern hatten eine große Feier für mich vorbereitet. Alle Verwandten waren da. Abends sind wir Jugendliche dann zusammen von Familie zu Familie gegangen. Wir tranken auch unseren ersten Alkohol, den mancher nicht vertragen hatte. Der Tag war damals für uns ein Höhepunkt.
Ich bekam über hundert Geschenke. Jeder der ein Geschenk brachte, bekam ein Kuchenpaket. Meine Mutter, Oma und die Paten hatten bestimmt 10 Kuchen und Pfannkuchen gebacken. Mein Vater baute im Keller extra ein großes Regal, um die Kuchen aufzubewahren.
Natürlich durften auch Plätzchen nicht fehlen. Ich musste dann die Kuchenpakete austragen und mich bei den Leuten persönlich bedanken.
Jedes Geschenk wurde aufgeschrieben, damit man bei ähnlichen Feierlichkeiten natürlich auch Geschenke überreichte. Wenn ich heute darüber nachdenke, war es ein Nehmen und Geben. Aber wir Kinder freuten uns darüber.
Nach der Jugendweihe kam mein Vater nach Hause und unterrichtete meine Mutti und meine Oma, dass er und ich sofort aus der Kirche austreten mussten. Meine Oma wollte sich das Leben nehmen, denn sie konnte das genau so wenig begreifen, als ich. Er war damals schon Betriebsteilleiter und von Beginn der Gründung der der SED Genosse.
Genossen durften nicht in die Kirche und natürlich die Angehörigen auch nicht. Meine Oma durfte nicht mehr zu ihren Verwandten fahren. Sie wäre sowie so nicht mehr gefahren. Als sie den schwarzen Samt für mein Kleid holte, wurde sie von den Sicherheitskräften der Bundesrepublik festgehalten. Es war kalter Krieg und mein Vater stand damals auf der Todesliste, war es doch einen Kilometer weiter, für die Sicherheit im Betrieb verantwortlich. Sie ließen sie dann weiter fahren, mit dem Hinweis, dass sie beim nächsten Besuch nicht mehr zurück durfte. Es war nicht zu begreifen. An dem Sonntag, als die Konfirmation war, ging mein Vater mit uns nach Sonneberg ins Tanzcafe.
Dort lernte ich Freddy kennen einen Jugoslawen der als Diplomingenieur im Betrieb arbeitete. Es war ein wunderschöner Abend. Wir tanzten viel und unterhielten uns sehr gut. Freddy konnte gut Deutsch. Ich war richtig verliebt. Wenn wir uns trafen war mein Vater dabei. Freddy war in Jugoslawien verheiratet. Das erfuhr ich erst später. Heute kann ich deshalb verstehen, warum mich mein Vater nicht alleine mit ihn lies. So ersparte mir mein Vater viel Leid. Er ging zurück zu seiner Familie. Wenn man jung ist verliebt man sich eben öfter.
Da ich in der Schule sehr gut Noten hatte, sollte ich nach der 8. Klasse an die erweiterte Oberschule, um das Abitur zu machen. Das wollte ich nicht, da ich die Maurerlehre hätte machen müssen. Später sollte ich erfahren, dass dieser Beruf für mich wichtig gewesen wäre und mir 30 Jahre später vieles vereinfacht hätte. Ich ging auf die Polytechnische Oberschule in Neuhaus- Schierschnitz noch zwei weitere Jahre.
Ab der 9. Klasse kamen noch Schüler von den Nachbarschulen zu uns. Der eine Mitschüler interessierte sich sehr für mich. Da er mich immer ärgerte, wie das bei Jungen in dem Alter so üblich ist, bei mir fast jeden Tag abschrieb, konnte ich Reinhard damals nicht leiden. Das sollte sich später ändern. Christine und ich waren bei zwei Jungen aus der Nachbarklasse beliebt. Wir wurden immer von Günther und Joachim zu Klassenfeiern eingeladen. Das war natürlich sehr schön. Natürlich musste ich pünktlich nach Hause. Da ich immer noch so streng gehalten wurde, wollte ich nach der 10. Klasse weit weg, um eine Lehre mit Abitur zu machen.
Ich war jung und ging immer viel tanzen. Am Anfang ging meine Mutti überall mit, sogar in dem Jugendclub. Um 22.00 Uhr musste ich zu Hause sein. Kam ich später, bekam ich Ausgangssperre. Eines Tages lernte ich zur Kirmes Wolfgang kennen. Er arbeitete, in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, im Kuhstall. Er kam ein paar Mal in der Woche. Er fuhr die sieben Kilometer von Mupperg bis zu mir mit dem Fahrrad. Wir waren im Kino, spazieren oder tanzen. Es war eine wunderschöne Zeit. Mit nach Hause zu mir, durfte er nicht. Im Herbst sollte ich in seinem Heimatort in Mupperg die Kirmes mit aufführen. Das war über Generationen so üblich. Die teilnehmenden Paare zogen Trachten an. Man tanzte am Freitag die Kirmes ein und am Ende am Sonntag wurde sie zu Grabe getragen. Ich freute mich schon sehr. Meine Eltern sagten nein, da ich bei Wolfgang im Wohnhaus hätte schlafen müssen. Es war das erste und letzte Mal, dass Wolfgang bei uns zu Hause war. Wir trennten uns dann kurz danach. Vielleicht war es gut so. In der 10. Klasse hatte ich die Möglichkeit mit nach Leipzig zum Deutschen Turn und Sportfest zu fahren. Es kostete sehr viel Überzeugung von meinen Sportlehrer, bis ich mitfahren durfte. Es war das erste Mal, dass ich von zu Hause, zusammen mit meiner Freundin Martina, weg durfte. Die Erlebnisse waren sehr groß. Ich durfte an der Festübung der Frauen teilnehmen. Das war sehr anstrengend aber wunderbar. Es war ein sehr warmer Sommer. Wir mussten schon um 4.00 Uhr aufstehen um zu üben. Es waren über 2000 Frauen aus der ganzen Republik. Da musste natürlich jeder Schritt passen. Das Bild was von den Frauen Dargestellt wurde, sah sehr schön aus. Ich denke heute oft zurück, wenn im Fernsehen ähnliche Sportveranstaltungen sind.
(C) Tscherry 1. Oktober 2012
--Fortsetzung folgt---
tscherry Re: Re: Re: Sehr interessant zu lesen, - Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 02.10.2012 - 09:49 Uhr) Zitat: (Original von tscherry am 02.10.2012 - 08:23 Uhr) Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 01.10.2012 - 14:24 Uhr) manches hat viele eigene Erinnerungen hervorgerufen. LG fleur Vielen Dank, liebe Fleur. Ich schreibe immer noch daran. Ist es besser in Abschnitte zu veröffentlichen?. Der nächste wäre " Meine Jugend" LG Ursel Ja, ich würde dafür ein neues Buch einstellen, wenn der Text zu lang wird, lesen ihn nicht so viele. LG fleur Vielen Dank. LG Ursel |
FLEURdelaCOEUR Re: Re: Sehr interessant zu lesen, - Zitat: (Original von tscherry am 02.10.2012 - 08:23 Uhr) Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 01.10.2012 - 14:24 Uhr) manches hat viele eigene Erinnerungen hervorgerufen. LG fleur Vielen Dank, liebe Fleur. Ich schreibe immer noch daran. Ist es besser in Abschnitte zu veröffentlichen?. Der nächste wäre " Meine Jugend" LG Ursel Ja, ich würde dafür ein neues Buch einstellen, wenn der Text zu lang wird, lesen ihn nicht so viele. LG fleur |
tscherry Re: - Zitat: (Original von Gast am 01.10.2012 - 15:58 Uhr) Das hast Du toll geschrieben. Ich bin schon gespannt auf die Fortsetzung. Mach weiter so. LG - Gabi Vielen Dank, liebe Gabi. Ich schreibe noch daran. Als ich damals fast ins Jenseits kam und mein Leben so an mir vorbeizog, war ich der Meinung für meine Nachkommen und alle die sich dafür interessieren mein Leben aufzuschreiben. Mein Gedicht zum 60. Geburtstag war ja nur ein Einblick. LG Ursel |
tscherry Re: Sehr interessant zu lesen, - Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 01.10.2012 - 14:24 Uhr) manches hat viele eigene Erinnerungen hervorgerufen. LG fleur Vielen Dank, liebe Fleur. Ich schreibe immer noch daran. Ist es besser in Abschnitte zu veröffentlichen?. Der nächste wäre " Meine Jugend" LG Ursel |
FLEURdelaCOEUR Sehr interessant zu lesen, - manches hat viele eigene Erinnerungen hervorgerufen. LG fleur |