Manchmal trifft ein Marienkäfer einen Schmetterling, gibt ihm, was er braucht, empfängt, was ihm fehlt. Liebe wächst, erhöht, erfüllt, belebt und vergnügt. Doch mancher Schmetterling empfindet Liebe nur dann, wenn Distanz gegeben ist, wenn der Marienkäfer fortgeflogen war.
So war es auch bei Alica, die sich so sehr Nähe wünschte, sie aber nicht ertragen konnte. Das Leben ist manchmal eben widersprüchlich, vielleicht auch die Liebe. Benjamin war nicht einfach nur irgendwer, er war jemand für Alica, den sie über Jahre vermisste, hoffte, dass es ihn irgendwo geben würde.
Als sie sich trafen, an einem schönen Sommermorgen, mehr Zufall als alles andere, wussten beide, dass sie etwas Besonderes lebten.
Es war eine Gewissheit, die tief in ihnen verborgen war, die keinen Zweifel zulassen wollte, die einzigartig wirklich schien, sich so wunderbar anfühlte, dass es das pure Glück war. Benjamin machte ihr wohltuende Komplimente, nicht nur über das Offensichtliche, sondern auch über das Verborgene, über das, was noch keiner zuvor gesehen, ausgesprochen oder geliebt hätte.
Alica fühlte sich verstanden, angenommen und geliebt, suchte aber nach Ausreden, fand sie auch und sagte Benjamin, dass sie ihn nicht wollte. Es gab Probleme, Komplikationen, Schwierigkeiten, die nicht so einfach aus dem Weg geräumt werden konnten, die im Grunde unüberwindbar waren. Höher als das höchste Berg, größer, als das größte Meer, weiter, als die weiteste Wüste.
Es war erfunden, ein Konstrukt der Angst, der Sorge vor Verletztheit, vor Lügen und Enttäuschung, aber mehr noch, aus Angst vor dem, was Benjamin ihr gab und nach dem sie sich eigentlich so sehr sehnte: Nähe. Sie beglückte, schnürte aber auch den Hals zu, beengte und verklemmte.
Benjamin wollte die Worte, die alles zerschnitten, verkümmerten und in die Vergangenheit abgleiten ließen, nicht einfach so hinnehmen. Er kämpfte um sie, um diese eine Liebe, die nichts mit denen vergangener Tage gemein hatte, weil sie um ein vielfaches stärker, schöner, besonderer und einzigartiger war. Es gab für sie keinen Ersatz, keine Auswechslung. Er schrieb Briefe, malte mit Worten und erreichte sie. Erreichte ihr Herz.
Die folgenden Tage mit ihr waren schöner, als er sich es vorstellen konnte, jeder Kuss war süßer, jede Berührung sanfter, jedes Wort beglückender und jede Nacht liebevoller als zuvor. Eine Steigerung erschien kaum möglich und wurde dann doch Realität.
Manchmal, da trennte sie das Leben von einander und je weiter sie von einander entfernt waren, so verheißungsvoller wurde Alicas Worte, die sie schrieb oder sprach. Das Wiedersehen sollte entschädigen für das Vermissen oder die Unmöglichkeit eines Kusses, einer Berührung, der Liebe. Alica konnte aus der Ferne wohl mehr lieben, als in der Nähe. Es war für sie leichter, die Worte zu finden, die sie fühlte, wenn Benjamin nicht bei ihr war.
Sie sahen sich wieder, liebten sich, und es war wahrlich eine Entschädigung für die einsamen Tagen zuvor. Alles erquickte. Doch als sich Benjamin in Sicherheit wähnte, überkam Alica wieder die Sorge, die Angst. Wieder sprach sie harte Worte, viel härter als die zuvor. Diesmal aber, kämpfte Benjamin nicht mehr, er nahm das Ende hin, das Ende dieses einen Traumes, dieser einen Wonne.
Alica meinte, ihn nun noch mehr zu vermissen, jetzt, wo sie dem Leben die Entscheidung über die Enttäuschung abgenommen hatte, der Angst vor Verletztheit zuvorgekommen war. Sie wollte das Ende, doch nun, als es da war, wünschte sie sich den Abfang. Sie rief Benjamin an, doch dieser wollte sie nicht mehr, konnte diese Achterbahnfahrt nicht mehr ertragen. Jetzt wurden die Rollen getauscht, aus dem Kämpfer wurde der Flüchtende, der Flüchtende wurde zum Kämpfer.
Diesmal konnte Alica gewinnen. Sie gewann ein Herz, das sie schon lange besaß. Benjamin dachte, nun haben sie den Berg überwunden, das Meer durchschwommen und die Wüste durchquert. Das Glück kam zurück, wurde wieder genährt, wuchs und gedeite. Nähe. Alica konnte sie sogar ertragen, viel länger als erwartet.
Vielleicht hätte es ewig so weiter gehen können, sogar so weiter gehen sollen. Doch Alica überkam wieder der Gedanke, dass es nicht sein dürfte – es war verboten, gewiss gab es irgendein Gesetz, dass es unmöglich machte, geradezu forderte, dass sie sich trennten. Ihre Worte waren diesmal noch viel härter, sie wogen die Liebe auf, die bestanden hatte.
Vorbei waren die süßen Worte, die Komplimente, die sanften Berührungen und das Besondere. Jetzt war es Vergangenheit, aus lila wurde schwarz und es gab kein Zurück.