Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze) Titelbild: "Einsturzgefahr" by "Paulo Claro" Some rights reserved. Quelle: www.piqs.de
Etliche Meilen entfernt schlugen Tymaleaux‘ schwere Stiefel im Takt seines Gangs auf den zerkratzten Parkettboden des schäbigen Korridors, der sich vor ihm erstreckte. Während er schnurgerade auf die Tür an dessen Ende zumarschierte, hüllte ihn der Gestank des Todes ein, der aus den angrenzenden Zellen sickerte und davon kündete, welche Art von Magie diesen Ort in ihren eisernen Klammergriff genommen hatte.
Der Major beschleunigte seine Schritte, womit er dem Gestank jedoch nicht entfliehen konnte. Tatsächlich schien er sich zum Ende des Korridors hin immer weiter zuzuspitzen, sodass der Ledrianer, die Schwelle der letzten Tür mit wachsendem Ekel übertrat. Der dahinterliegende Raum war abgedunkelt und wurde von einem schäbigen, modrigen Mobiliar beherrscht, in dessen Mitte eine knorrige Gestalt an einem klobigen Schreibtisch thronte. Der Kadavergestank wurde von einem überschwänglichen Lavendelduft in Schach gehalten, der Tymaleaux sofort umschlang. Ihm gegenüber saß Ventro, ein gebrechlicher, alter Mann, mit schneeweißen Haaren, der so abgemagert war, dass er mehr wie ein Skelett wirkte. Auf seiner Haut jedoch klafften keine fleischigen Narben, keine Geschwüre durchzogen seine grauen Augen, kein Wahnsinn sprach aus seinen eingefallenen Gesichtszügen und so wirkte er frei von der schwarzen Verderbnis wie ein Heiliger unter den entstellten Schwarzmagiern, die diesen Ort bewohnten. Tatsächlich besaß der Oberbefehlshaber der Thanatoiker nicht die geringste Spur eines magischen Talents, was ihn, wie Tymaleaux gelernt hatte, für den Dunklen Kult umso wertvoller machte, denn Schwarzmagier waren zwar mächtig, gaben aber in den meisten Fällen keine guten Anführer ab, da ihr Verstand zumeist der Verderbnis zum Opfer fiel.
Ventro musterte Tymaleaux kurz, bevor er auf einen modrigen Stuhl vor seinem Schreibtisch deutete:
„Setzt Euch, Major. Der Meister wird bald eintreffen. Denkt nur daran: Ihr sprecht, wenn Ihr gefragt werdet, und schweigt still, wenn nicht.“
„Natürlich“, stimmte der Ledrianer zu und tatsächlich sollte kaum mehr eine Minute vergehen, bis eine verzerrte, fahl weiße Gestalt durch die linke Wand des Raumes trat.
„Seid gegrüßt, ehrwürdiger Kelrayass“, rief Tymaleaux sofort, während Ventro den Ankömmling musterte und schwieg.
„Ihr ebenfalls, Major“, gab die Erscheinung mit ihrer grauenhaft verzerrten Stimme zurück.
„Wir haben dieses Treffen nicht einberufen, um Höflichkeiten auszutauschen“, knurrte Ventro, „Wie steht es um Euren Plan, Kelrayass?“
„Bestens“, sprach dieser, wobei sein eisiges Lachen den gesamten Raum wie ein schneidender Polarwind füllte, „Dieser Narr Navaras hat genau das getan, was wir für ihn vorsahen und auch Prinz Lemorgant erledigte seine Rolle gut. Dummerweise konnte er Navaras‘ erbärmlicher Schergin entkommen, aber das spielt nun keine Rolle mehr.“
„Das heißt, Aphaelon ist nun endgültig vernichtet?“, seufzte Ventro.
„Nicht vollständig…aber zum größten Teil.“
„Er war ein großer Mann. Vielen unserer Anhänger würde nicht gefallen, wenn sie wüssten, dass wir dafür verantwortlich sind“, zischelte der Alte.
„Spart Euch die Sentimentalität“, fauchte Kelrayass, „Aphaelon war ein Narr, der überhaupt erst an unserer Situation schuld ist. Aber wenn Ihr das nicht einsehen wollt, dann tröstet Euch wenigstens damit, dass nicht wir es waren, die ihn letztlich vernichteten.“
„Wie könnt Ihr so reden? Aphaelon hat die Zukunft gesehen, er war es, der den Dunklen Kult schuf und die Welt in Schrecken versetzte!“
„Nur um sich dann in eine lächerliche Leuchtkugel zu verwandeln, weil er zu schwach war, den letzten Schritt zu gehen“, knüpfte Kelrayass spöttisch an, „Er mag eine bedeutende Person gewesen sein, aber er wurde nutzlos.“
„Wie Ihr meint“, Ventros Stimme knurrte wie die eines Hundes, „Was mit Aphaelon geschah, kümmert mich nicht, solange Ihr einhaltet, was Ihr verspracht.“
„Glaubt mir, das werde ich“, gelobte die Erscheinung, „Und nun vergesst jene, die der Vergangenheit angehören, um Eure Konzentration auf die Zukunft zu richten.“
Tatsächlich hatte Prinz Lemorgant in Narbenfels weit mehr als nur ein schwarzmagisches Artefakt vernichtet. Die leuchtende Kugel war der magische Überrest des ersten Hohepriester Thanatos‘ gewesen, des Schöpfer des Dunklen Kults, des größten Hexer aller Zeiten, eines Mannes namens Aphaelon, der vor über fünfhundert Jahren kurz vor der Zerschlagung des Kults urplötzlich von der Bildfläche verschwunden war.
Was genau ihm widerfahren war, wusste niemand, doch gingen jene Thanatoiker, die sich mit der Kugel beschäftigt hatten, davon aus, dass die schwarze Verderbnis seinen Körper gänzlich verzehrt und von ihm nicht mehr als jene magische Sphäre übrig gelassen hatte, eine körperlose Seele, gebunden an das Diesseits.
„Also schön“, murmelte der Alte, „wenden wir uns der Gegenwart zu. Ihr sagtet, Ihr hättet ihn gefunden?“
„Das habe ich“, bestätigte Kelrayass, „Aber ich kann das schwerlich alleine zu Ende bringen. Und da“, er wandte sich an Tymaleaux, der bisher, wie man ihm aufgetragen hatte, keinen Mucks von sich gegeben hatte, „kommt Ihr ins Spiel, Major. Ihr werdet einen Trupp erwählter Thanatoiker anführen und Euren alten Spähtrupp endgültig vernichten!“
„Es wäre mir eine Ehre, Meister“, gelobte der Verräter.
„Nichts anderes hatte ich erwartet“, rühmte Kelrayass, „Ihr werdet ihnen mit Eurem Trupp nach Neu-Delion folgen, sie finden und dann meine Anweisungen befolgen.“
„Finden?“, knurrte Ventro, „Warum sollte der Major sie finden müssen, wo Ihr Euch doch unter ihnen verbergt?“
„Ich fürchte, Ihr könnt Euch in Ermangelung des magischen Talents gar nicht vorstellen, wie kompliziert es ist, diesen Zauber zu wirken. Zudem muss ich mich immer aus dem Lager schleichen, um das zu tun, und ihr könnt mir glauben, dass jeder normale Mensch nur bei dem Versuch, das zu vollbringen, was ich tagtäglich tue, in Ohnmacht fallen würde.“
„Also schön…“, seufzte Ventro, bevor er sich an Tymaleaux wandte, „Dann findet sie!“
„Das werde ich.“
„Unser derzeitiger Aufenthaltsort ist das Refugium des Erlöserglaubens in Neu-Delion. Ventro sollte wissen, wo es liegt…aber nun zu unserer letzten Angelegenheit…“, lachte die Erscheinung, „Major Tymaleaux für Eure ausgezeichneten Dienste, Eure Empfehlung des Prinzen für unsere Pläne und im Hinblick auf Eure zukünftigen Aufgaben entlohnen wir Euch mit unbeschreiblicher Macht, einer Macht, die Euch in die Reihen der Unsterblichen erheben wird! Ventro, ich bitte Euch…“
„Natürlich…Meister“, murmelte der Alte, aus dessen Miene der Neid klaffte, bevor er sich erhob und langsam zu einem mächtigen Schrank hinüberschlurfte, bei dem es sich um das einzige Möbelstück im Raum handelte, das einen einigermaßen soliden Eindruck machte.
Tymaleaux stockte der Atem, während er dabei zusah, wie Ventro einen großen, rostigen Schlüsselbund von seinem Gürtel nahm, hastig einen besonders schweren Schlüssel aus den Reihen der metallenen Rohlinge klaubte und ihn ins Schloss stach. Als er die beiden schweren Flügeltüren öffnete, blitzte zunächst ein schwacher Strahl fahl grünen Lichts in den Raum, der sich über das alte Mobiliar legte und es mit seiner gespenstischen Aura verschleierte. Tymaleaux starrte regungslos in den Schrank hinein, in die leeren Augenhöhlen der drei kristallenen Schädel, die feinsäuberlich auf einem Brett in seinem Inneren aufgereiht waren, perfekt geschliffen, perfekt geordnet.
Als sich das fahle Strahlen auf sein Gesicht legte, entsann er sich seiner Vergangenheit, er entsann sich der stinkenden, skatrischen Kneipen und der etlichen warmen Nächte, die er in nogronischen Bordellen verbracht hatte, seines glorreichen Feldzugs an Seiten Lemorgants, seines Hasses gegen die Ungerechtigkeit. Er erinnerte sich an seinen Aufstieg, an seinen Fall, an den Gestank von Erbrochenem, an den Hohn seiner alten Kameraden, wie ihm das Gelächter entgegenschallte, an ihr selbstgerechtes Getue, und fühlte, den Hass auf die Gerechtigkeit sein Herz verweben.
„Es ist egal“, hallte eine Stimme durch seinen Schädel, „wo du deine Glückseligkeit findest.“
Während seine Erinnerungen ihn durch längst vergangene Zeiten trugen, sah er, dass Ventro bereits den mittleren Schädel aus dem Schrank genommen hatte und nun zu ihm herüberhinkte. Plötzlich stand er genau vor ihm und drehte das Artefakt bedenklich in den Händen, sodass die leeren Augen nun vom Verräter wegstarrten. Stattdessen streckte sich ihm die schwere, ebenfalls von gespenstischen Strahlen umflochtene Kette entgegen.
„Nehmt, was Euch zusteht“, forderte Ventro.
„Nehmt die Macht eines Gottes!“, fügte Kelrayass hinzu.
Und er nahm.
Gierig langte er nach der Kette, legte sie sich in einer einzigen hastigen Bewegung um den Hals, verankerte geschickt die Scharniere in seinem Nacken, worauf ihn das gespenstische Licht selbst einhüllte. Blendend strahlte es durch seinen ganzen Körper, eine Flutwelle unbeschreiblicher Macht, deren Wogen bis in seine Fingerspitzen peitschten. Visionen rasten durch seinen Schädel, zeigten ihm Zukunft und Vergangenheit eines Menschen, der glorreicher war, als er selbst. Sie kündeten von der Bedeutsamkeit ihrer Sache, in der er nur ein Zahnrad war und dennoch eines, das die ganze Maschine zum Stoppen bringen konnte.
Machterfüllt hob er die Hände, ballte die Fäuste, ein Rausch, eine Sucht, die danach gellte, befriedigt zu werden. Schränke, Tische, Stühle, das gesamte Mobiliar ragte ihm entgegen und verlangte, von seiner göttlichen Macht zerschmettert zu werden. Er grabschte in das Feuer der einen Kerze, die auf Ventros modrigem Schreibtisch einen aussichtslosen Kampf gegen die Finsternis focht.
Die Flammen hüllten seine Finger ein und versengten sein Fleisch, ohne dass er Schmerz empfand, ohne dass sie ihm schadeten, denn als er sie wieder aus dem Feuer herauszog, verheilten seine Wunden innerhalb von Sekunden. Kelrayass betrachtete ihn und er glaubte, auf dem verzerrten Gesicht der Erscheinung sogar ein Lächeln erkennen zu können.
„Wie ich sehe, seid Ihr zufrieden“, sprach der Geisterhafte.
„Ja, Meister…das bin ich“, versicherte Tymaleaux gedehnt.
„Sehr schön“, lobte Kelrayass, „Aber nun hört mir zu!“
„Während Ihr, Tymaleaux, nach dem Trupp Ferrens sucht, werdet Ihr, Ventro, mit der Belagerung und Zerstörung Galors beginnen.“
Der alte Mann wandte sich seinem Meister zu, wobei eine Mischung aus Hohn und Überraschung aus seinem eingefallenen Gesicht starrte.
„Galor?“, fragte er unsicher, „Warum sollten wir Galor noch zerstören, jetzt wo wir wissen, dass er nicht dort ist.“
„Galor spielt eine wichtige Rolle in unseren Plänen und ist in vielerlei Hinsicht unsere Rückversicherung. Außerdem hatte dieser Idiot Navaras einmal Recht, als er sagte, man müsse die Orks dezimieren, damit wir diesen Kontinent nach dem Fall der Allianz in Griff haben.“
„Wie Ihr meint, Meister“, knurrte Ventro, „Was soll ich tun?“
„Das sagte ich bereits“, zischte die Erscheinung, „Vernichtet Galor! Ich habe vollstes Vertrauen in Eure Fähigkeiten. Beruft den Kriegsrat ein, schickt die Orks und Navaras Männer an die Front, sorgt dafür, dass so viele wie möglich von ihnen sterben.“
„Ich werde tun, was von mir verlangt wird“, versicherte der Alte.
„Sehr schön, ich werde derweil…“, Kelrayass‘ Worte verhallten, worauf sein Seelensplitter regungslos verharrte.
„Was ist los, Meister?“, erkundigte sich Ventro erwartungsvoll, während Tymaleaux unverwandt auf die Erscheinung starrte.
„Ich fürchte, entdeckt worden zu sein…ich werde euch wieder kontaktieren, sobald es mir möglich ist. Befolgt meine Befehle!“, noch während er sprach, begann sein Seelensplitter zu verblassen, bis er gänzlich verschwunden war.
Ilar starrte in den sternenbehangenen Himmel, der sich auf dem ruhigen, vollkommen glatten See widerspiegelte, dass es wirkte, als ruhten hunderte silberne Schätze in dem stillen Gewässer. Selbst die spätesten Vögel hatten sich zur Nachtruhe begeben und den Grillen schien das Klima in der Gegend zu missfallen, denn es herrschte Stille, sofern man von dem leisen Schnarchen absah, das von Zeit zu Zeit durch die geweißten Gemäuer hallte.
Der Magier spazierte durch die Ruinen der gewaltigen Bauten, die verfallenen Kreuzgänge und die eingestürzten Türme, begleitet vom Funkeln der Sterne
„Glotzt mich nicht an!“, zischte er, während er weiter zog, wohl wissend, dass er seine Wache eigentlich am Eingang des alten Kasinos halten sollte, in dem die meisten seiner Kameraden schliefen.
„Hier ist sowieso niemand außer den verfluchten Sternen“, dachte er, „Wieso sollte ich da auf dem scheißkalten Stein rumsitzen? Vielleicht haben die Plünderer noch etwas Wein übergelassen…“
Mit diesem Einfall zog er weiter in Richtung des Waldrandes, vor dem ein Gebäude aus dem Boden ragte, das er seiner Größe und Bauart nach für ein Lagerhaus hielt. Ein gewaltiger, pechschwarzer Brandfleck, der auf der Außenmauer klaffte, kündete davon, dass die Thanatoiker bei der Schändung dieses Ortes auch davor nicht haltgemacht hatten.
Der Magier blickte tief in den geschwärzten Stein, in den das Feuer bizarre Formen geschmolzen hatte, sodass es für einen Moment wirkte, als würden ihn verzerrte Fratzen und diabolische Mienen aus dem Ruß heraus anstarrten. Er stand regungslos da, während er der Geschichte lauschte, die die geschmolzene Mimik über Zerstörung und Hass erzählte.
„Ich bin zu müde! Verschissene Nachtwache!“, harschte er sich an, worauf er einen letzten Blick in die finstere Wand des Waldes warf, die sich hinter dem Gebäude aufbäumte. Anschließend wandte er sich ab, blickte auf das im Sternenlicht ruhende Refugium und machte sich auf den Weg zurück zum Kasino. Er hatte kaum zwei Schritte auf dem geweißten Pflasterweg getan, als ein markerschütternder Schmerzensschrei ihn einholte und ihn wie eine Flutwelle niederschmetterte. Gebeugt wirbelte er herum, wobei er so auf einen Angriff gefasst war, dass feurige, magische Funken aus seinen Fingerspitzen rieselten.
Doch er starrte nur der undurchdringlichen, schwarzen Wand entgegen, die der Wald am Ende des Weges aufzog wie ein eiserner, eisiger Vorhang. Er wusste nicht wie lange er hineingestarrte hatte, als ihm plötzlich auffiel, dass dort noch mehr lauerte als die blanke Schwärze. Ein kaltes, gespenstisch grünes Licht sickerte durch die Reihen der Bäume, schwach und weit entfernt, umringt von der eisigen Dunkelheit.
„Scheiße, Mann!“, keuchte Ilar, als er es sah, drehte sich um und rannte.
Ferren war bereits wach gewesen, bevor ihn die außerordentlich kräftigen Hände des Magiers am Kragen packten und durchschüttelten. Ilars Schritte auf dem blanken Stein waren wie Glockenschläge durch das Kasino gehallt, was ihn, Slemov und Ariona sofort geweckt hatte.
„Wacht auf, Leutnant, wacht auf, verdammt!“, brüllte Ilar ihm entgegen, wobei ihn der Hauch skatrischen Brandweins fast wieder in die Traumwelt zurückbeförderte.
„Ich bin wach“, keuchte Ferren durch den Dunst, „Was ist los?“
„Ich hab einen Schrei gehört, einen Schrei aus dem verschissenen Wald und da war dieses Licht…“
„Ihr seht doch Gespenster…“, gähnte Ariona übellaunig.
„Was für ein Licht?“, erkundigte sich der Leutnant.
„Keine Ahnung…so ein verfluchtes, kaltes Leuchten…grün war es, ja grün, verdammt!“, fauchte Ilar.
„Ja, fahl grün“, bestätigte Janus, der ungesehen am Ende der Halle erschienen war, was Ferren verwunderte, da er, Baraj und Truzos in einer Kapelle etwas weiter östlich im Refugium geruht hatten, „Ich habe den Schrei ebenfalls gehört und sah das Licht im Wald, aber es hat sich entfernt. Ich habe Truzos und Baraj geweckt, sie sollten bald hier sein.“
Wie der Mönch angekündigt hatte, trafen ihre Kameraden wenig später ein, wobei ihre Gesichter durchaus nicht verheimlichten, was sie von ihrer Situation hielten.
„Ein Angriff?“, erkundigte sich Baraj.
„Nein, nur ein Schrei, soweit wir wissen“, dementierte Ferren.
„Vielleicht kommt da noch was“, vermutete Slemov.
„Wäre ziemlich dämlich, uns vor einem Angriff derart zu warnen“, entgegnete Truzos.
„Ja, das klingt eher nach einer Falle“, stimmte Janus zu.
„Oder es ist irgendein perverses Spiel dieser kranken Schwarzmagier“, warf Ariona ein.
„Fest steht, wenn wer geschrien hat, war da auch jemand“, sagte Slemov.
„Da hat jemand geschrien, verflucht nochmal. Wie ein verdammtes, abgestochenes Schwein“, fluchte Ilar.
„Sehen wir doch nach“, schlug Ariona vor.
„Schwachsinn!“, blaffte Truzos, „Damit rennen wir denen direkt in die Arme. Geht ruhig, wenn Ihr wollt, aber ich bleibe hier.“
„Wir werden alle hier bleiben“, sagte Ferren so laut, dass er sowohl das Gemurmel als auch die Zweifel seiner Kameraden übertönte, „Wir bleiben alle hier, in diesem Raum, mit stetig zwei Mann als Wache. Morgen früh können wir immer noch nachsehen, was sich da draußen ereignet hat.“
„Das ist richtig“, stimmte der Mönch zu.
„Klingt nach einem Plan“, brummte Baraj.
Um die erste Nachtwache hätte man sich streiten müssen, denn alle waren noch auf den Beinen und schienen nach der Aufregung der letzten Minuten jeder Müdigkeit beraubt, weshalb Ferren die Wächter notgedrungen selbst bestimmte.
„Schlafen? Jetzt?“, hörte er Truzos verächtlich murmeln, während er sich selbst zu seinem Lager zurückbegab, wobei er an Slemov und Ilar vorbeiging, die mit einer Flasche orkischen Brandweins hantierten.
„Sollen sie es nehmen, wie sie wollen“, dachte er, „Ich werde mich wieder hinlegen.“
Und so ließ er sich auf seine Bastmatte fallen, um all den Gedanken zu entkommen, die sich in seinem Kopf verflochten.
Schon plagten ihn Zweifel über seine Entscheidung, bei der Einteilung der Nachtwachen.
„Ich hätte Ariona schlafen lassen sollen“, pflügte es durch seinen Schädel, „Sie ist nur eine Novizin und das alles nicht gewohnt. Das Marschieren nimmt sie sehr mit.“
„Du weißt ganz genau, warum du ihr den Gefallen tun willst“, schallte eine vor Kritik triefende Stimme zurück, „Hier geht es nicht um ihre Erschöpfung, sondern um deine Gefühle! Das ist falsch! Du bist Offizier, du musst dich davon trennen, du musst das ablegen.“
„Ablegen…“, die Worte des Herolds auf dem Schafott in den skatrischen Bergen echoten aus blutigen Erinnerungen:
„Eure Triebe sind Schwäche! Legt sie ab! Die Schwachen erwartet das Inferno! Legt sie ab, oder fallt in die Schwärze!“
„In die Schwärze…“
Der Schlaf umhüllte ihn sanft und trug ihn mit wiegender Hand aus der eisigen, eisernen Realität hinaus.
Er schlief traumlos und tief, bis Baraj ihn als Bote des anbrechenden Tages mit stählerner Stimme aus der wohligen Umarmung riss. An diesem Morgen brauchte selbst er lange, um sich aus den Nachwirkungen des Schlafes zu kämpfen, sodass sich die Welt um ihn herum nur sehr langsam aufklarte. Verschwommen lag das Kasino vor ihm, in dem die fahlen Figuren seiner Kameraden auf dem Boden saßen, sich leise unterhielten oder von ihren kümmerlichen Vorräten aßen. Sein Blick ruhte nur für eine Sekunde auf der Szenerie, bevor er sich dem Nogroner zuwandte, den er damit beauftragte, Slemov und Janus zu ihm zu schicken.
Da Baraj sofort gehorchte und auch die anderen beiden nicht zögerlich waren, sah sich Ferren alsbald seinen gesuchten Kameraden gegenüber.
„Bruder“, begann der Leutnant, „ich werde in der nächsten Viertelstunde mit Slemov und Ilar in den Wald aufbrechen…ihr wisst ja warum. Nun, was ich sagen will: Ich übertrage Euch während meiner Abwesenheit den Befehl. Sollten wir bis Mittag nicht zurück sein, zieht Ihr weiter…und sucht nicht nach uns.“
„Sir, meint Ihr wirklich…“, murmelte der Mönch.
„Ja, das ist die sicherste Lösung“, entgegnete Ferren sofort, um sich anschließend dem Skatrier zuzuwenden, „Erklärt Ilar, worum es geht! Wie gesagt, ich will in einer Viertelstunde aufbrechen.“
„Natürlich“, bestätigte Slemov, worauf er und Janus sich entfernten.
Sie hatten sich gerade umgedreht, als Ariona bereits an ihnen vorbei zog, direkt auf den Leutnant zu.
„Du lässt mich hier zurück?“, flüsterte sie scharf, wobei ihr Gesichtsausdruck davon kündete, dass sie jedes einzelne seiner Worte gehört und mit größtem Argwohn aufgefasst hatte.
„Ariona, ich…“, stammelte Ferren.
„Mein magisches Talent ist größer als Ilars! Warum nimmst du ihn an meiner Stelle mit?“
„Es ist die beste Lösung, wenn…ich kann Ilar doch schlecht hier mit Truzos und Baraj zurücklassen.“
„Aber mich?“, blaffte sie.
„Verdammt Ariona!“, es fiel ihm schwer diese Worte so leise zu sprechen, dass die anderen ihn nicht hören konnten, „Der Erlöser weiß, was gestern Nacht in diesem Wald war. Schwarzmagier, wenn man Ilar und Janus glauben kann, und das tue ich. Ich will dich da nicht mit rein schleppen.“
„Aber du gehst. Du gehst ohne mich. Was ist, wenn Ilar dich nicht schützen kann? Wenn ihr nicht zurückkommt? Dann bin ich alleine mit Truzos und Baraj und…“
„Ich komme zurück, das verspreche ich“, erwiderte er.
„Pah“, höhnte sie, „Das haben schon so viele Leute gesagt. Sie alle haben große Reden geschwungen. Was hat es ihnen gebracht? De Nord sprach von der Unsterblichkeit, bevor wir Galor verließen. Jetzt ist er tot!“
„Bitte...“, flehte Ferren, während er in ihre bernsteinernen Augen starrte, die plötzlich eisig und stählern wirkten, „vertrau mir einfach.“
„Ich…“, begann Ariona, bevor sie von Slemov und Ilar unterbrochen wurde, die gerade zu ihnen gestoßen waren.
„Wir wären so weit, Sir“, vermeldete Slemov.
„Ja, verschissen bin ich soweit, auf mein eigenes Begräbnis zu gehen. Verfluchte Scheiße!“, maulte Ilar.
„Schön. Gehen wir!“, knurrte Ferren und zog schnurstracks an Ariona vorbei, dass die beiden Skatrier gar nicht hinterherkamen.
„Ferren“, rief sie ihm nach, „Ja, ich…vertraue dir.“
Seine Schritte wurden langsamer, sein Atem flacher, der eiserne Knoten in seinem Herzen löste sich und das Brennen in seinen Fingernägeln strömte nunmehr als eine wohlige Wärme durch seinen Körper.
„Ja“, dachte er, als er gefolgt von Ilar und Slemov das Kasino verließ, „Ich werde zurückkehren.“