Journalismus & Glosse
Die Halleluja-Strasse auf dem Predigerberg - Eine Reportage.

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"Die Halleluja-Strasse auf dem Predigerberg - Eine Reportage."
Veröffentlicht am 15. Mai 2008, 24 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
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Schreibender.
Die Halleluja-Strasse auf dem Predigerberg - Eine Reportage.

Die Halleluja-Strasse auf dem Predigerberg - Eine Reportage.

Beschreibung

Es handelt sich um eine Reportage über ein Schweizer Dorf, das von Sekten beherrscht wird. Entstanden im Auftrag einer Zeitung, dann aber zogen sich die Recherchen so in die Länge, dass der Text schliesslich unveröffentlicht blieb. Ich hab ihn zufällig auf meiner Festplatte wieder entdeckt, vielleicht hat jemand Interesse daran.

Anstelle eines Vorworts

Komme doch noch dazu, einige Worte zu schreiben, bin gut angekommen und es gefällt mit bis jetzt ordentlich gut, und wie es noch kommt, weiss ich nicht.
 
Wenn es der Berta möglich ist, sich auf den Herbst umzusehen für mich, wenn es auch Privat ist. Näheres dann später im Brief.
 
Viele Grüsse sendet euch vom Gasthaus Löwen.

Text auf einer Postkarte um 1930 mit einer Abbildung des „Löwen“, Hemberg im Toggenburg, Kanton Sankt Gallen, Schweiz
„Ich bin kein reicher Mann.“ Walter Meier steht im Halbdunkel zwischen den schweren Wannen und den verstaubten Geräten und sagt es noch einmal: „Ich bin kein reicher Mann.“ Dann schaut er sich um, als könne er das alles selbst noch nicht so recht glauben, und von Zeit zu Zeit reibt er sich die Nase. Der Geruch von Schlachtfleisch hängt schwer in der Luft, hat sich in den Wänden festgesetzt, in den Wannen, an der Decke. Dort verlaufen kreuz und quer Schienen, an denen jahrzehntelang Haken mit Rinderhälften und Schweinehälften von einem Arbeitsgang zum anderen transportiert wurden. Walter Meier ist kein reicher Mann, aber er hat eben gerade diese alte Metzgerei hier gekauft. Und das Restaurant dazu. Und den grossen Saal. Und den Hoteltrakt. Und das Nebenhaus. Und den Anbau. Und die Garagen. Das meiste davon ist verlottert, verwittert, veraltet. Zwei Millionen Franken, so schätzt Walter Meier, wird es kosten, um das Gasthaus „Löwen“ im Dorf Hemberg im Toggenburg im Kanton Sankt Gallen mit gutem Gewissen wieder eröffnen zu können. Zwei Millionen, die er nicht hat und von denen er nicht weiss, wo er sie herbekommen soll, vom Kaufpreis ganz zu schweigen. Und von dem wird auch wirklich geschwiegen, ausdrücklich, das haben der Käufer und die Verkäuferin, die grösste Bank der Schweiz, so vereinbart. „Ich bin kein reicher Mann“, sagt Walter Meier ein letztes Mal, „aber irgend jemand musste doch etwas tun. Man darf doch nicht immer nur reden.“

Walter Meier hat etwas getan. Er hat das Dorf vor einem Mann Gottes gerettet.

* * *

Aus „Hemberg 878 - 1978: Eine geschichtliche Darstellung, herausgegeben vom Gemeinderat Hemberg, verfasst von Hans Martin Stückelberger“:

Der „Löwen“: Das stattliche Eckhaus an der Stelle, wo die Strasse von Wattwil her in die Hauptstrasse des Dorfes einmündet, soll nach mündlicher, wahrscheinlich zutreffender Überlieferung ungefähr gleichzeitig mit der evangelischen Kirche erbaut worden sein. (...) Seit 1924 ist das vierstöckige Haus in der Familie L. geblieben und 1960 von Konrad L. junior durch den Kauf des anstossenden „Weissen“ Hauses zu einem Komplex vereinigt worden, so dass nunmehr im „Löwen“ 30 Gastbetten zur Verfügung stehen mit 50 weiteren Schlafstätten als Massenlager für Ferienkolonien und ähnliche Gruppen.

Als Konrad L. 1960 das „Weisse Haus“, inzwischen nach dem vormaligen Besitzer Johannes Gubser auch „Gubser-Haus“ genannt, kauft und kurzerhand einen Verbindungstrakt zum benachbarten „Löwen“ baut, kann er das mit gutem Gewissen tun. Restaurant, Hotel und Metzgerei florieren seit Jahren. Konrad L. führt den Betrieb in zweiter Generation, und einer seiner drei Söhne, der Hansruedi, der Peter oder der Koni, einer von ihnen wird das Familienunternehmen eines Tages weiterführen, da ist sich Konrad L. sicher. Es ist ja auch ein gefreutes Geschäft: Hochzeiten, Taufen, Leichenessen, Familienfeiern - der Saal ist immer gut belegt, und auch unter der Woche zieht es die Hemberger in den „Löwen“, hin und wieder auch in die Krone gleich nebenan, aber meistens und lieber ist es eben doch der „Löwen“. Auch wenn die Familie L. es manchmal etwas gar deutlich zeigt, wie gut es ihr geht, auch wenn der eine oder andere im Dorf das Gefühl hat, die L.s fühlten sich als etwas Besseres.

Und weil man es sich etwas kosten lassen muss, einen solchen Ruf zu pflegen, geht man im „Löwen“ mit dem Geld locker um. Es verlässt das Haus so schnell, wie es gekommen ist. Bald weiss jeder im Dorf von der ominösen Schachtel mit den grossen Noten, die in einer Schublade beim Restaurantbuffet stehen soll. Da greifen die Söhne von Konrad L. ungeniert hinein, wenn sie am Wochenende das Leben geniessen wollen, unten in der Stadt oder irgendwo noch weiter oben mit den Skiern. Tausend, manchmal zweitausend Franken lassen sie sich das Vergnügen kosten, munkelt man, und das ist vor vierzig Jahren noch mehr Geld als heute. Später wird man sagen, dass der „Löwen“ heute noch den L.s gehören könnte und dass der Peter L. vielleicht noch leben würde und seine Frau, die Trudi L., die könnte immer noch hinter dem Buffet stehen und den Jassteppich aus der Kippschublade unter der Kasse hervorholen, wenn alle damals etwas mehr zum Geld geschaut hätten. Und dann würde Walter Meier heute nicht im Schlachtraum der alten Metzgerei stehen und sich fragen, wo er zwei Millionen hernehmen soll für die Renovation. Vom Kaufpreis ganz zu schweigen.

* * *

Hemberg hat 970 Einwohner und ist die finanzschwächste Gemeinde im Kanton St.Gallen. Einige Zeit hat man sich unter den 90 Gemeinden tapfer auf Platz 87 gehalten, was die Steuerkraft der natürlichen Personen angeht. Jetzt ist man auf Rang 90 gerutscht, aber das macht keinen grossen Unterschied. Tatsache ist, dass es gerade für das Nötigste reicht, und die Erinnerung an die Hochblüte der Stickereizeit, damals, als es noch keine Eisenbahn gab, die den höhergelegenen Dörfern den Schnauf raubte, diese Erinnerung verblasst allmählich. Man hat sich damit abgefunden, ein Postkartenort zu sein, ein Touristendorf, in das sich selten genug Touristen verirren. „Hemberg, das Dorf mit der ozonreichen Luft“: So wurde vor Jahrzehnten geworben, und heute heisst es, man solle im Haus bleiben, wenn die Ozonwerte steigen, weil man es jetzt eben plötzlich besser weiss.

Und trotzdem ist Hemberg ein Anziehungspunkt. Nicht für die Industrie, nicht für das Gewerbe, nicht für die Prominenz. Aber für Berufene, für Missionierende, für Überzeugte. Eine ganze Reihe religiöser Gruppen und Glaubensgemeinschaften hat sich hier niedergelassen. Es sind die geheimnisvollen, unbekannten Gemeinschaften, die nach Hemberg kommen. Die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind in Ebnat-Kappel. Hier in Hemberg haben die Andersgläubigen, die sich zwischen der katholischen Kirche oben im Dorf und der evangelischen Kirche unten im Dorf niedergelassen haben, keine Namen. Nur die Häuser kennt man, das Missionshaus „Alpenblick“ zum Beispiel, oder das Heim „Raphael“. Dann ist da die Pension „Heimeli“ des Diakoniewerks Neumünster. Die Schwestern in ihrem schwarzem Umhang mit dem weissen Häubchen spazieren gelegentlich das Dorf auf, das Dorf ab. Vor dem „Alpenblick“ steht derweil ein Dutzend Autos mit deutschen Kennzeichen. Und immer wieder huschen Frauen mit bodenlangen Röcken und langen Haaren über den Dorfplatz.

Ein ehemaliger evangelischer Pfarrer hat das Kommen und Gehen dieser Freikirchen lange Zeit staunend beobachtet und eines Tages einen Begriff geprägt, den die Hemberger heute noch benützen, wenn sie einen Fremden zum Staunen bringen wollen. Die „Halleluja-Strasse“ nennen sie den Weg durchs Dorf. Aber das ist eigentlich nicht böse gemeint, denn wenn die Einheimischen mit den Besuchern, die in Hemberg das Heil suchen, auch kaum Kontakt haben, so gibt es doch auch keine Feindschaft. Jeder lässt jeden leben hier oben, wo es schwer genug ist, sein Auskommen zu finden, und wo sich Eltern mit schulpflichtigen Kindern vor der Zukunft fürchten, weil es weit und breit kein Lehrstellen gibt. Da kann man sich nicht auch noch gegenseitig das Leben schwermachen, und eigentlich hat man ja immer gut aneinander vorbei gelebt.

Aber einen gibt es, den fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Obwohl oder vielleicht gerade weil er einmal einer der ihren war. Hier lebte, hier arbeitete, seine Kinder hier zur Schule schickte. Zwölf Jahre ist er jetzt weg aus dem Dorf. „Aber irgendwie schwebt er immer noch über allem“, sagt Walter Meier und steigt die Treppe von der Metzgerei zum Restaurant hoch. Er will sich seinen neuen Besitz genau ansehen. Den Gebäudekomplex, mit dem er sich vielleicht noch ruinieren wird, und den er nur gekauft hat, damit endlich, endlich dieser Geist, der über Hemberg schwebt, verschwindet.

* * *

Der Geist heisst Werner Arn und schwebt gerade überhaupt nicht. Er steht vielmehr vor der ehemaligen Fabrik in Wattwil, wenige Autominuten von Hemberg entfernt. Den Gebäudekomplex hat Arn vor zwölf Jahren umgebaut, hat ein Hotel, Alters- und Pflegeheim daraus gemacht. „Adullam“, Zuflucht, hat Arn sein neues Zuhause genannt. Jetzt soll das alles noch etwas repräsentativer werden. Ein Aussenlift mit Glasfassade entsteht. Überall arbeiten junge Männer, die meisten von ihnen mit einer Kopie von Werner Arns Kinnbart, und wer noch keinen solchen hat, arbeitet wenigstens daran. „Zufall“, sagt Werner Arn und deutet auf einen bartlosen Mann, „da sehen Sie es, der da hat keinen.“ Nur dass es auch dieser Mann versucht, verzweifelt, aber die Natur lässt nur ein paar vereinzelte Kinnhärchen ans Tageslicht.

Werner Arns einzige Mission ist es, den Menschen zu sagen, dass jede andere Mission des Teufels ist. Einen christlichen Informationsdienst betreibe er, sagt Arn, er missioniere nicht, führe keine Sekte, habe weder Mitglieder noch Anhänger. Die Menschen, die hier bei ihm wohnen und einen Kinnbart tragen, tun das aus freien Stücken. Werner Arn ist ein Mann Gottes, ein einsamer Kämpfer gegen Homosexualität und gegen Frauen im Priesteramt, ein einsamer Kämpfer gegen die Landeskirchen, weil die so nachgiebig sind, weil sie das Wort der Bibel nicht mehr weitergeben, wie es geschrieben steht. Werner Arn warnt vor Sekten, während der evangelische Pfarrer von Wattwil in Briefen und Zeitungsartikeln davor warnt, dass mit Werner Arn eine der bösartigsten Sekten überhaupt Einzug ins Dorf gehalten hat.

Dabei wollte Arn selbst gar nie hierher. Jahrelang lebte er in Hemberg, hat das Missionshaus „Alpenblick“ geleitet, war in der Feuerwehr, im Zivilschutz. Aber als er 1988 den „Alpenblick“ verlassen musste, unter Umständen, zu deren Erhellung weder Arn noch die Missionshaus-Leitung jemals etwas beitragen wollten, da hat er sich eben eine neue Existenz in Wattwil aufgebaut. Und hat seither, davon sind die Hemberger überzeugt, nie aufgehört zu hoffen, eines Tages in sein altes Dorf zurückzukehren.

Ein Stück weit hat Werner Arn das vor einigen Jahren sogar geschafft. Im „Gubserhaus“ neben dem „Löwen“ hat er ein Ehepaar einquartiert, das seiner Lehre folgt. Und im kleinen Anbau, in dem laut feuerpolizeilichen Vorschriften niemand mehr übernachten darf, findet an jedem zweiten Samstag ein Jugendtreff statt. Weil die Hemberger ihre Kinder nicht in Arns Jugendbibelstunde schicken, chauffiert der alle zwei Wochen den Nachwuchs seiner Anhänger mit einem Kleinbus nach Hemberg, als wolle er demonstrieren: „Achtung, es gibt mich noch.“

Dass er überhaupt wieder Fuss fassen konnte hier in dem Dorf, aus dem er unter dubiosen Umständen verschwinden musste, das verdankt Werner Arn dem Peter L. , einem der Söhne von Konrad L. Denn Peter L. trinkt und er hat Schulden, Schulden in Millionenhöhe, und weil er in dritter Generation den „Löwen“ führt und die L.s immer ein bisschen mehr waren als der Rest der Hemberger, darum lässt sein Stolz nicht zu, dass Peter L. macht, was ihm das halbe Dorf rät: einfach in Konkurs gehen. Als die Verzweiflung im selben Tempo wächst wie die Verschuldung, wartet ein Mann auf Peter L., der als ehemaliger Lehrer und Heimleiter und Mann Gottes daran gewöhnt ist, zu helfen: Werner Arn. Ganze Abende verbringen die beiden im Gespräch, das erwähnte Ehepaar findet Unterschlupf im „Gubser“-Haus und kurz vor Peter L.s Tod berichten Einheimische von einem seltsamen ausländischen Kellner, den Arn in den „Löwen“ gebracht habe und vor dem sich Peter L. zu fürchten scheint.

Als sich der Wirt später das Leben nimmt, auf eine Weise, wie sie der findigste Geschichtenerfinder nicht erfinden könnte, da wird Werner Arn jedenfalls sagen, er sei immer für Peter L. dagewesen, er habe ihm als einziger geholfen, und die Gemeinde habe ihn in den Tod getrieben. Denn Peter L. hatte auch dort Schulden, hohe Schulden. „Wir haben lange, sehr lange gewartet“, sagt Walter Meier, der damals die Gemeinde führte. Irgendwann habe diese ihr Geld aber doch einfordern müssen, wo man doch ohnehin schon im Ausgleich stehe und es für nichts reiche. Der frühere Gemeindammann im Nebenamt, der viermal im Jahr nach Arabien fliegt, um mit Stoffen zu handeln, muss damit leben, dass Peter L. ihn in seinem Abschiedsbrief beschuldigt hat. Beschuldigt, ihn mit in den Tod getrieben zu haben.

* * *

Aber was hat Werner Arn gesagt an all diesen Abenden, an denen er bei Peter L. in der Wirtewohnung im „Löwen“ sass? Ein Freund sei er dem Peter gewesen, sagt Arn und streicht sich über den Kinnbart. Geholfen habe er ihm mit Worten, mehr habe er auch nicht tun können. Walter Meier kann darüber nicht einmal mehr lachen. An den „Löwen“ habe er heran gewollt, der Arn, das sei doch sonnenklar. „Wissen Sie, so hat er es auch immer mit den alten, alleinstehenden Frauen gemacht: Ist bei ihnen gesessen und hat auf sie eingeredet.“ Habe „lieb getan“. Was Walter Meier damit meint und was die Leute im Dorf sagen, wenn sie glauben, es höre niemand zu, ist das: Werner Arn schleiche sich in die Herzen jener, die in absehbarer Zeit etwas zu vererben haben.

Dieses Gerücht ist bis nach Wattwil gekommen, und deshalb schaut man misstrauisch auf den gläsernen Aussenlift, der in Arns Gebäudekomplex gerade entsteht. Nicht mehr viel erinnert hier an die alte Fabrik, die „Socki“. Woher das Geld kommt? „Wir arbeiten mit unseren Händen, das sehen Sie doch“, sagt Arn und schüttelt verständnislos den Kopf. Zwei ältere Herren mit Jagdhut schlendern vorbei, einer fragt Arn, ob er wie versprochen für ein persönliches Gespräch bei ihm im Zimmer vorbeikommen werde. Arn lächelt, versichert, bald einmal zu kommen, aber das Lächeln verschwindet mit dem Verschwinden der beiden Jagdhüte.

Er habe sich einmal für den „Löwen“ interessiert, ja. Aber nicht für das Restaurant oder das Hotel, sondern für den Nebenbau, in dem früher Kinder ihre Lager verbrachten. Das wäre für Arn, der viele Gäste von überall her hat, eine Möglichkeit gewesen. Aber jetzt gehört der „Löwen“ Arns Widersacher Walter Meier, und deshalb werden auch Arns Getreue, die noch dort wohnen, Hemberg bald verlassen müssen. „Kein Problem, ich habe Platz hier“, sagt Arn und deutet auf die „Socki“. Der Jugendtreff werde dann eben auch hier in Wattwil abgehalten, auch kein Problem. Aber die Hemberger, da ist sich Arn sicher, hätten nichts gegen seine Rückkehr gehabt, die nicht. „Nur der Meier und noch ein paar andere, die das Volk gegen mich aufhetzen.“ Und den Grund dafür kenne er auch.

Walter Meier war Kirchenratspräsident, als die evangelische Kirchgemeinde eine Pfarrerin anstellte. Eineinhalb Jahre nach Amtsübernahme musste der Präsident sein Amt räumen, weil es sonst Gewissenskonflikte gegeben hätte: Meier und Frau Pfarrer hatten sich ineinander verliebt, wollten heiraten. „Eine Frau als Pfarrer ist des Teufels“, sagte damals Arn in aller Öffentlichkeit. Er hat sich einen Feind fürs Leben gemacht.

Das sei nicht der Grund, sagt Meier, das nicht. Er habe einfach verhindern wollen, dass Arn den „Löwen“ bekomme, dieses riesige Haus, das Hembergs Dorfkern prägt wie kein anderes. Arn sollte nicht hierhin zurückkehren können. „Aber wenn er es wirklich will, werde ich nichts dagegen tun können.“ Denn ein zweites Objekt könne er nicht kaufen, nur um es Arn wegzuschnappen. Genau gesagt wäre es ja ein drittes Objekt; vor einem Dutzend Jahren drohte eine Bäckerei in Spekulantenhände zu fallen. Meier kaufte das Haus und verkaufte es später weiter, sogar mit einem kleinen Gewinn. „Das wird mir diesmal kaum passieren“, sagt Meier und lächelt bitter. Ein eigenartiges Hobby hat er da, der Mann.

* * *

Die Eltern von Peter L., die vormaligen „Löwen“-Wirte, wohnen heute noch direkt gegenüber vom Hotel. Trudi L., die Frau von Peter L., hat eine Wohnung keine 100 Meter weit vom „Löwen“ genommen. Koni L., der Bruder von Peter L. und Transportunternehmer in Hemberg, nimmt seinen Znüni jetzt eben in der „Krone“. Über ihn, den verblichenen „Löwen“-Wirten dritter Generation, redet keiner von ihnen. Peter L. ist damals, im Herbst 1998 auf einen Stuhl gestiegen, hat sich einen Strick um den Hals gelegt und sich daraufhin erschossen. Wäre die Kugel nicht tödlich gewesen, hätte ihm der Strick ein Ende bereitet. Peter L. wollte ganz sicher gehen.

Einige Zeit lang hat Trudi L. danach noch weitergewirtet, bis es der gesundheitlich angeschlagenen Frau zuviel wurde. Im letzten Oktober hat sie das Haus verlassen, von einem Moment zum anderen. Im Schüttstein steht noch ungewaschenes Geschirr, beim Buffet liegen alte Zeitungen. Walter Meier stapft von der Metzgerei ins Restaurant in den Saal in den Hoteltrakt in die Wirtewohnung und wieder zurück in die Metzgerei. Ein unüberblickbares Gewirr von Treppen zieht sich durch den „Löwen“ und seine Nebengebäude. Jede Wirtegeneration der Familie L. war offenbar unzufrieden mit den baulichen Massnahmen der Vorgänger und werkelte selber etwas. Beim ersten Besuch in diesem Haus ist es zu jedem Zeitpunkt unmöglich, sich ein Bild davon zu machen, wo man gerade ist. Walter Meier hat versucht, Pächter für die Beiz zu finden, das wenigstens, wenn schon die Metzgerei leersteht. „Aber wenn die Leute die Wirtewohnung sehen, winken sie sofort wieder ab.“ Er macht sich keine Illusion: Das Gebäude muss entweder total saniert oder abgerissen werden.

Vielleicht, sinniert Meier, halten einige der Hemberger ihr Versprechen. Als er davon begann zu erzählen, er wolle den „Löwen“ kaufen, um den Arn draussen zu haben, da habe ihm manch einer Unterstützung zugesagt. Moralische, aber auch finanzielle. Die Gemeinde würde gerne, kann aber nicht; einen 91. Rang kennt die Steuerkraftstatistik des Kantons St.Gallen nicht. „Wir werden sehen“, sagt Walter Meier und streicht über eine der Wannen im Schlachthaus der Metzgerei. „Ich will doch einfach, dass mein Dorf kein Predigerberg wird.“

Nachtrag

Gemäss Webseite der Gemeinde Hemberg wird der «Löwen» heute wieder als Restaurant geführt. Dazu heisst es: «Die heimelige Atmosphäre des behutsam restaurierten Hauses und die gut bürgerliche Küche zieht Einheimische und Gäste gleichermassen an.»
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