Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze) Titelbild: "Einsturzgefahr" by "Paulo Claro" Some rights reserved. Quelle: www.piqs.de
„Ich bin Kelrayass“, Worte, die wie Eis aus dem kaum erkennbaren Mund der verzerrten Gestalt drangen und die Luft im Raum fast zum Gefrieren brachten. Obwohl Lemorgant stolz und unbeirrt geradeaus starrte, war ihm durchaus bewusst, in welch prekärer Situation sie sich befanden. Insgesamt standen ihnen etwa zehn Gegner gegenüber, ein Schwarzmagier, zwei Todesanbeter in Tarnanzügen und einige verdorbene Orks.
Die geisterhafte Gestalt, die sich Kelrayass nannte, zählte er bewusst nicht mit, denn bei ihr handelte es sich um etwas, dass man, wie er wusste, einen Seelensplitter nannte, ein Geisterhaftes Abbild eines Schwarzmagiers, das jedoch über keinerlei physischen oder magischen Kräfte verfügte und nur dann gefährlich werden konnte, wenn sein Urheber die Position mit ihm tauschte. Dabei jedoch handelte es sich um ein magisches Werk von derartiger Komplexität, dass es die meisten Hexer umgehend in die Ohnmacht beförderte. Doch obwohl der Prinz nicht davon ausging, dass sich Kelrayass selbst an diesem Ort zeigen würde, musste er sich eingestehen, dass es durchaus schlecht für sie aussah.
„Kooperation ist ebenso wenig eine Option wie Kapitulation“, zischte eine Stimme in seinen Gedanken, während er seine Finger auf den Griff seines Schwertes presste. Zugleich erhob Kelrayass‘ Phantom erneut die Stimme:
„Wie Ihr seht haben wir Euch bereits erwartet, Prinz Lemorgant. Euch und wer auch immer Euer unsichtbarer Begleiter ist.“
„Ihr seid es also, den man Kelrayass nennt“, gab Lemorgant zurück, während Vanessa sich in Schweigen hüllte. Dann fuhr er spöttisch fort: „Ich muss gestehen, ein wenig verwirrt zu sein, sagten meine eigenen Leute mir doch, ihr wäret der Anführer des Dunklen Kults, wohingegen die Verräter einem gewissen Ventro diese Position zusprechen.“
Sein Gegenüber lachte kalt und verzerrt:
„Ventro ist nur eine Figur in diesem Spiel. Er mag bedeutend sein, ein Turm, eine Dame, ein König vielleicht, doch selbst der König ist und bleibt eine Figur, die nicht das Spiel bestimmt.“
„Demnach seid Ihr der, der die Figuren zieht.“
„Ja, es mag sein, dass ich einige Spielzüge bestimme, doch letztlich bin auch ich, wie jeder von uns, nur eine Figur, ein Teil eines großen Plans.“
„Ein Diener Eures Gottes“, knüpfte Lemorgant an.
„So ist es…doch bin ich wahrlich mehr seine Hand als sein Diener“, sprach der Seelensplitter, „Und als eine solche, weiß ich auch, dass Ihr von Navaras geschickt wurdet. Navaras, der selbst nur ein Bauer in diesem Spiel ist, der nicht versteht, was er überhaupt tut, der die Ziele nicht kennt, der nur sein erbärmliches Geld sieht. Ihr seid ein Mann mit Idealen, Prinz Lemorgant, Ihr habt niemals wirklich in Erwägung gezogen, mit diesem Narren gemeinsame Sache zu machen.“
„Mitnichten“, bestätigte der Prinz, „Sie sind nur Insekten, die danach verlangen, zerquetscht zu werden.“
„So ist es“, lachte Kelrayass, wobei eine unterschwellige Freude mitschwang, „Wir jedoch, Ihr und ich, Iurionisten und Thanatoiker verfolgen dasselbe Ziel. Wir mögen auf anderen Pfaden wandern, doch letztlich führen sie uns wieder zusammen. Wir wissen, was die Zukunft bringen wird und dass wir es ändern müssen.“
„Ich muss gestehen, nicht zu wissen, wovon ihr sprecht“, entgegnete Lemorgant.
„Nein, das wisst Ihr nicht. Denn Ihr habt es noch nicht gesehen. Lasst mich Euch die Zukunft zeigen, wie sie uns bevorsteht, und Ihr werdet einsehen, dass wir unsere Zwist überwinden und an einem Strang ziehen müssen.“
„Kelrayass“, begann der Prinz mit kalter Stimme, „Es ist vollkommen gleich, für welches Ziel Ihr kämpft, denn die Art, auf die Ihr es zu erreichen sucht, macht uns bereits zu Feinden.“
„Ihr Idiot!“, zischte Vanessa ihm ins Ohr, „Kooperiert mit ihnen oder sie bringen uns um!“
„Tja“, seufzte Kelrayass, „wie bedauerlich, dass ein Mann von Ehre stets zu seinem Wort steht. Aber ich vertraue darauf, dass das Schicksal uns derselben Sache dienen lässt“, er wandte sich unangekündigt an den Schwarzmagier neben ihm, „Boltrac, tut, was nötig ist!“
Seine verzerrten Worte klangen noch in Vanessas Ohren, als er sich bereits abgewandt hatte und in der Dunkelheit verschwand. Während diese ihn langsam verschlang, hob der entstellte Schwarzmagier seine klauenartige, von Geschwüren überwucherte Rechte, mit der auf Lemorgant deutete.
„Zerlegt ihn!“
Die Orks hoben ihre bösartig gezackten Klingen, die beiden Thanatoiker zogen ihre Masken wieder über ihre Gesichter, was sie erneut vollkommen unsichtbar machte, Lemorgants juwelenbesetztes Schwert funkelte im fahl grünen Licht. Vanessa stand nur da und warf unschlüssig, was sie tun sollte, einen Blick auf den Prinzen. Im gespenstischen Leuchten wirkte sein Gesicht wie eine Maske, die ebenso aschfahl war wie die Haut des Schwarzmagiers.
Dann unvermittelt zog er seine Armbrust mit der Linken, im Bruchteil einer Sekunde hatte er abgedrückt und der Bolzen zerriss die Luft. Ein Schrei ertönte, bevor Blut aus dem Nichts spritze, worauf sich ein Mann in einem schwarzen Anzug enttarnte, der mit einer Wunde im Bauch zu Boden ging. Sein Schmerzensheulen ging jedoch im Brüllen der Orks unter, die sich von dem Rundgang hinab in die Halle stürzten.
Lemorgant wandte sich ihnen zu, wurde dann jedoch von einem heftigen Stoß gegen die Schulter getroffen, der ihn ins Taumeln brachte. Der zweite getarnte Thanatoiker hatte ihn erwischt. Er rappelte sich auf, führte noch aus der Drehung einen Seitwärtshieb aus, der jedoch ins Leere ging.
Drei Orks kamen von der linken Seite, zwei von der rechten, weshalb er zunächst dorthin auswich. Die erste Kreatur preschte ihm entgegen. Speichel rann aus ihrem schwarzen Maul, aus dem gelbe Zähne wie Backsteine ragten, ihr gezacktes Scimitar hatte sie hoch erhoben, aus ihren geschwärzten Augen starrte der blanke Wahnsinn.
Der Prinz jedoch verengte berechnend seine Pupillen, duckte sich unter dem Abwärtshieb der Bestie hinweg, drehte sich um und trennte ihr hinterrücks den Schwertarm an der Schulter ab. Während dickes, schwarzes Blut aus der Wunde rann, drehte sich der Ork einfach um, ohne dass seine Fratze auch nur die geringste Empfindung von Schmerz verriet.
Mühelos wich der Prinz dem Schlag der verbleibenden Faust aus, bevor er den Schädel seines Gegners längs aufspaltete, was diesem endlich den Garaus machte.
Der nächste Ork hatte ihn fast erreicht, stolperte dann jedoch über einen nicht sichtbaren Widerstand, ging zu Boden und wurde anschließend hart gegen den Kopf getroffen. Unbeeindruckt wollte er sich wieder erheben, wurde aber von Lemorgant mit einem Stich ins Genick niedergestreckt. Dann jedoch traf ihn der getarnte Todesanbeter erneut mit einem Schlag in den Rücken, wieder taumelte er, sah noch einen der Orks von links heranpreschen und schaffte es nicht mehr, sein Schwert zur Parade zu heben.
Die Kreatur schmetterte ihre Klinge in seine Seite, wobei ihn die ungeheure Kraft des Unwesens von den Füßen riss und gegen den nächsten Steinaufbau schleuderte.
Er blickte an sich herunter.
Wo das Scimitar ihn getroffen hatte, war sein Wappenrock zerfetzt, ein Teil der filigranen Silberverzierung seiner Rüstung war abgebröckelt, die Drachenhaut hingegen hatte nicht einmal einen Kratzer. Doch obwohl sie ihn vor Schnitten und Stichen schützte, vermochte sie nicht, die unnatürliche Wucht der orkischen Angriffe abzufangen. Dass dieser Treffer seine Rippen nicht zertrümmert hatte, war, so glaubte er, nur der Gunst seines Gottes zu verdanken.
Er hob den Blick und starrte in die schwarzen Augen der Bestie, die geradewegs auf ihn zu raste.
Dann sah er, wie sie plötzlich einhielt und häufig zu zucken begann, als würde jemand in hoher Geschwindigkeit auf sie einschlagen. Er nutze den Moment, den Vanessa ihm verschafft hatte, um seine Armbrust nachzuladen.
„Aus der Schusslinie!“, blaffte er, bevor er sich wieder erhob und den Ork mit einem gezielten Schuss in die Kehle ins Jenseits beförderte. Während der Getroffene blutend gurgelnd zu Boden sank, jagten die beiden verbleibenden Orks einfach über ihn hinweg.
„Zielt auf den Kopf, ihr hirnlosen Kreaturen!“, zischte der Schwarzmagier, der das Geschehen lediglich beobachtete.
Lemorgant fragte sich darauf, ob die Orks seinen Rat überhaupt verstanden hatten, da ihre Vorgehensweise sich keinesfalls veränderte.
Sie verharrten lediglich kurz in ihrem Ansturm, um anschließend weiter vor zu sprinten. Kaum hatte der erste den Prinzen erreicht, holte er zu einem heftigen Seitenhieb aus, den Lemorgant mit seiner Klinge zu parieren gedachte. Doch die Wucht des Angriffes war überwältigend, sie prallte gegen seine Klinge, zerrte sie unaufhaltsam aus seinen Händen, einen Augenblick später klirrte Stahl auf Stein und er prallte erneut rücklings gegen einen kalten, steinernen Aufbau.
Muskelbepackt bäumte sich die fahle Bestie vor ihm auf, hob das Scimitar, welches im gespenstischen Licht glänzte, um es im Schädel des Prinzen zu versenken. Dieser jedoch schnellte in eben jenem Moment nach vorne, als der Ork seinen mörderischen Abwärtshieb ausführen wollte. Die Klinge sirrte durch die Luft, ohne ihr Ziel zu finden, während Lemorgant, der seine Armbrust fallen gelassen hatte, seinen letzten Trumpf, einen silbernen, gekrümmten Langdolch, zog.
Auge in Auge mit der verdorbenen Kreatur befand er sich nun mit der kürzeren, leichteren Waffe im Vorteil. Er zögerte nicht, hob den Dolch und wollte ihn gerade durch die Kehle seines Gegenübers ziehen, als ein weiterer harter Stoß ihn in die Seite erwischte, taumeln ließ und seinen Angriff ins Nichts lenkte.
Verwundert rappelte er sich wieder auf, brachte sich in Abwehrposition und fragte sich einen Moment, ob der verliebende Todesanbeter wieder zugeschlagen hatte, bevor er erkannte, was wirklich geschehen war. Vor ihm sackte grade der Ork zusammen, dem er die Kehle hatte durchtrennen wollen, während sein letzter Kamerad seine gezackte Klinge aus dessen Leichnam herauszog. Der andere Ork hatte seinen Waffenbruder einfach getötet, um Lemorgant mit seinem Angriff zu treffen. Obwohl ihn die Ehrlosigkeit seiner Feinde anwiderte, beobachtete er das Geschehen doch mit scharfer Miene. Er sah das todessüchtige Funkeln in den schwarzen Augen der Kreatur, als diese sich mitleidlos über ihren gefallenen Mitstreiter hinwegsetzte.
„Wo sind Vanessa und der andere Thanatoiker?“, fragte er sich noch, während er langsam zurückwich.
Eine Sekunde später traf ihn eine unsichtbare Faust direkt ins Gesicht. Er wankte zurück, spürte das Blut aus seiner Nase über sein Kinn rinnen, steckte noch einen weiteren Schlag in die Nieren ein, sackte weiter zurück, kassierte erneut eine schmetternde Rechte ins Gesicht, zumindest glaubte er, dass es eine Rechte war.
Schwärze presste sich auf seine Augen, er spürte einen weiteren Schlag auf die Brust.
„Das war’s für dich, verdammter Prinz!“, brüllte eine kalte Stimme.
„Nein!“, harschte er sich an, „Das ist nicht das Ende! Was rechtschaffen ist, wird niemals fallen!“
Obwohl er nichts sehen konnte, schnellte er mit aller Kraft nach vorne, krachte heftig in einen starken Widerstand.
„Nicht hart genug für einen Stein“, dachte er und führte mit seinem Dolch einen horizontalen Streich aus.
Schmerzensschreie füllten seine Ohren und warmes Blut benetzte seine Handschuhe, während seine Augen sich langsam von dem Schlag erholten.
Vor ihm war der Thanatoiker zu Boden gesackt, enttarnt durch den Riss in seinem Anzug. Blut sprudelte zwischen seinen Fingern hindurch, die er verzweifelt auf die lange Wunde in seinem Bauch presste.
„Empfange den Gnadenstoß!“, zischte Lemorgant, worauf er seinen Dolch durch die Schädeldecke seines Feindes hämmerte und ihn anschließend von sich wegtrat.
Dahinter kam der verbleibende Ork zum Vorschein. Schnell rennend, im mörderischen Ansturm begriffen, mit weit aufgerissenen, tiefschwarzen Augen preschte er unaufhaltbar auf den Prinzen zu, der nur noch wenige Meter von ihm entfernt war.
Dann jedoch rauschte die Anomalie wie ein kaum erkennbarer Blitz durch die Luft, prallte seitlich gegen den Ork, warf ihn zu Boden und kugelte über ihn hinweg. Das Scimitar glitt aus den Händen der Kreatur, schlitterte über den kalten Steinboden und blieb geradewegs zu Lemorgants Füßen liegen, der mit einem finsteren Lächeln den Dolch zurück in seine Halterung am Gürtel gleiten ließ, um die Waffe des Orks aufzuheben, dem er sodann gelassen entgegenschlenderte. Unbeirrt versuchte die Bestie, sich wieder auf die Beine zu hieven, doch weit kam sie nicht, denn der Prinz schlug ihr mit einem einzigen Hieb den fahlen Schädel von den Schultern.
„Möge der Herr dir gnädig sein“, sprach er leise, bevor er sich jenem Punkt zuwandte, wo Vanessa seinen Gegner gestoppt hatte.
Mühsam raffte sie ihren Körper auf, den der Zusammenprall mit der Bestie arg zerrüttet hatte. Ihre Glieder schmerzten und als sie an sich hinunter sah, flackerte der Tarnanzug vor ihren Augen. Da sie nach dem Aufprall über den Boden gerutscht war, hatte sich seine Oberfläche abgerieben, was seine Wirksamkeit stark einschränkte.
Missmutig hob sie den Blick, worauf dieser sofort auf Lemorgants fahles Gesicht fiel. Blut tropfte von seinem Kinn, benetzte seine blassen Lippen, ein breiter Riss klaffte in seinem prächtigen Wappenrock, doch seine Rüstung wies keinen Kratzer auf.
Sie sah über ihn hinweg, wobei sie den dunkelgekleideten Schwarzmagier entdeckte, der immer noch neben dem Thron stand, von wo aus er seinen Schergen beim Sterben zugesehen hatte.
„Einer noch“, dachte sie, bevor Boltrac seine Stimme hob.
„Eine äußerst beeindruckende Vorstellung“, lachte er, dessen Stimme die Verderbnis zu einem grauenhaften Kreischen verzerrt hatte, „Aber das hat jetzt sein Ende.“
„Allerdings, denn ich gedenke, diese Farce mit Eurer Hinrichtung zu beenden“, zischte Lemorgant, worauf er sich langsam, aber zielstrebig mit zum Boden gesenkten Scimitar auf den Schwarzmagier zu bewegte.
„Ich erledige das alleine“, flüsterte er Vanessa zu.