Die Buchhändlärin Cara McLeane leidet seit Tagen unter schlimmen Kopfschmerzen. Als ein Fremder ihren okkultischen Buchladen betritt und von ihr ein Buch verlangt, dass es nicht zu geben scheint, wird Cara unwillentlich in eine Welt voller dunkler Geheimnisse und Gefahren hineingezogen, aus der sie nicht mehr entkommen kann.
Als ich mich umsehe ist nichts zu sehen, außer tiefster Dunkelheit. Schatten überall. Es ist nichts zu erkennen, keine Schemen, keine Bewegung.
Nein. Da sind keine Schatten. Ich bin selbst im Schatten. Gefangen in einer endlosen Finsternis.
Ein Käfig ohne Türe. Ein Labyrinth ohne Ausweg.
Ich bin nicht verloren. Ich habe einen Weg.
Doch für mich gibt es kein Ziel.
Ich kenne keine Angst.
Ich kenne keine Wut.
Ich kenne weder Freude noch Glück.
Und gewiss keine Liebe.
Mein Name ist die Ewigkeit.
Meine Stimme ist das Schicksal.
Wer mich kennt, ist dem Tode geweiht.
Nur eine Frage bleibt mir offen.
Sag:
Wer bin ich?
"Das macht dann ... 4.56$"
Die Kundin gab Cara das Geld und nahm das eingepackte Buch entgegen, welches sie gerade gekauft hatte. "Danke. Einen schönen Tag noch."
"Ihnen auch." Die Glöckchen klingelten, als die Frau den kleinen Buchladen verließ. Sobald die Türe hinter ihr sich geschlossen hatte, verzerrte Cara das Gesicht und presste die Finger an ihre Schläfen. "Verdammte Kopfschmerzen", murmelte sie und presste die Augenlider fest zusammen, als würde das helfen, das Dröhnen in ihrem Kopf zu besänftigen. "Hören die denn nie auf?" Bereits seit Tagen plagte eine fiese Migräne Cara, doch anstatt langsam wieder nachzulassen, wurde der Schmerz immer schlimmer. Sie war sogar schon beim Arzt deswegen gewesen, doch der hatte nichts bei ihr feststellen können, was diese Kopfschmerzen verursachen könnte. Überhauptnichts!
Sanft massierten ihre Finger die weiche Haut über den Augenbrauen, doch es half wenig. Wenn diese verfluchte Migräne sie nicht bald in Ruhe ließ, würde Cara noch verrückt werden!
Schon hörte sie, wie die Türglöckchen erneut klingelten, als ein neuer Kunde den Laden betrat. Sie zwang sich, ihre Gesichtszüge zu neutralisieren und blickte auf. Hinter ihren Augen pochte es, ihr kam es vor, als würde jemand in ihrem Hirn sitzen und Drumms spielen. Aber nach Außen hin wirkte sie vollkommen gelassen, als könnte nichts sie erschüttern. Jahrelange Übung hatte ihr dabei geholfen, diese strenge Selbstbeherrschung zu erlernen.
Sie sah den Kunden an, der in diesem Moment vor dem Regal mit den alten ledergebundenen Esoterikbänden stand, den Rücken zu ihr gewandt. Er war groß, bemerkte Cara über ihre Kopfschmerzen hinweg, und seine Haltung war so stramm, wie die eines Soldaten. Er trug eine schwarze Lederjacke, die sich perfekt an seinen Oberkörper schmiegte, und eine ebenso gut sitzende dunkelblaue Jeans. Die Hände hatte er an seinen Seiten zu Fäusten geballt.
Hoffentlich entscheidet er sich schnell für ein Buch und haut schleunigst wieder ab, dachte Cara. Sie war kein unhöfflicher Mensch, im Gegenteil. Sie war meist sogar sehr aufgeschlossen, blieb selbst noch Stunden nach Ladenschluss in ihrer kleinen Antiquitätenbuchhandlung, um gewünschte Titel für irgendwelche Kunden zu Recherchieren, die sie gerade nicht parrat hatte, oder wartete auch gerne mal eine halbe Stunde länger hinter der Kassentheke, wenn ein Kunde sich nicht für ein Buch entscheiden konnte, oder sich noch mit ihr unterhalten wollte.
Doch heute waren ihre Kopfschmerzen so schlimm, dass sie nur noch nach Hause wollte.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits Kurz vor Acht war. In ungefähr zehn Minuten war Schließungszeit. Endlich! Und diesmal würde sie ihren Kunden wohl oder übel rausschmeißen, wenn er bis dahin immer noch hier war.
Sie starrte seine Rücken an und fragte sich, was er suchen könnte.Seit er ihren Laden betreten hatte, stand er vor demselben Regal und schien darauf zu starren, als würde das, was er suchte, fehlen, und allein durch seine Willenskraft dann doch noch erscheinen.
Bevor sie überhaupt darüber nachdachte, hatte Cara schon den Mund geöffnet:"Kann ich Ihnen helfen?" Es war ihre natürliche Art, anderen zu helfen. Der Satz kam bei ihr schon automatisch raus, wenn sie sah, dass ein Kunde etwas suchte. Und das tat dieser Mann hier offensichtlich - er suchte etwas. Etwas Bestimmtes.
Zum Einen, wollte sie ihm helfen, weil sie einfach eine helfende Ader hatte. Zum anderen, wollte sie, dass er so schnell wie möglich verschwand, damit sie den Laden schließen konnte, um endlich nach Hause gehen zu können.
Aber andererseits, hielt sie es kaum aus, jetzt noch ein Gespräch zu führen. Fragen, Antworten, das übliche Spiel, bis alle zufrieden waren. Würde ihr Schädel bloß nicht kurz vor dem Bärsten stehen.
Der dunkle Fremde drehte sich zu ihr um, und an jedem anderen normalen, schmerzfreien Tag, wäre Cara der Mund aufgeklappt.
Der Kerl sah geradezu unverschämt gut aus, besser, als sie je erwartet hätte, dass ein Mann aussehen könnte. Und sie hätte ihn gewiss mit Freuden noch stundenlang in ihrem Laden geduldet.
Doch in diesem Augenblick konnte sie ihm nur flüchtige Bewunderung schenken.
"Suchen Sie etwas Bestimmtes?", fragte sie ihn. Sie hatte die Hände locker auf die Theke gelegt, die Schultern gestrafft und ein leichtes Lächeln aufgesetzt, bemüht, so freundlich und ruhig, wie immer zu erscheinen, als sein durchdringender Blick aus blassblauen Augen sie traf.
Beinahe wäre sie zusammengezuckt, als ihre Blicke sich trafen, doch sie hielt sich wacker. Heute habe ich mir eine heiße Schockolade verdient und ich werde sie auch genießen, dachte sie, während sie den Mann weiterhin anlächelte.
Er hatte den Kopf schief gelegt und musterte sie nun unverholen, was zusätzlich zu ihrem Brummschädel ein seltsames Gefühl in ihrer Bauchgegend hervorrief. Sie schluckte, als er mit geschmeidigen Schritten auf sie zukam. Plötzlich musste sie an ein Raubtier auf der Lauer denken, und unterdrückte nur mühsehlig ein Schaudern. Sie zwang sich dazu, standhaft zu bleiben und weigerte sich, den Blick von seinen Augen zu nehmen. Eine unausgesprochene Herausforderung lag in ihnen. Stumm nahm Cara sie an. Auch wenn sie momentan nicht im Geringsten Lust auf eine mentale Auseinandersetzung hatte.
"Nun?"fragte sie, als der Fremde direkt vor der Kassentheke stehenblieb, und hob keck eine Braue.
Langsam sah sie, wie sich der Mund des Mannes zu einem feinen Lächeln verzog - und was für einen Mund er hatte! Seine Lippen waren nicht schmal, aber auch nicht zu voll, genau richtig, wie der Mund eines Mannes sein sollte. Sie fragte sich, wie sich diese Lippen wohl auf den ihren anfühlen würden, wenn er sie küss... MOMENT MAL! Hallo? Woran dachte sie denn da gerade? War sie noch ganz bei Trost?
Sie spürte, wie Hitze in ihre Wangen stieg und riss, erschrocken über sich selbst, den Blick von seinem Mund. Als sie in seine Augen sah, glaubte sie im Inneren eine unterschwällige Glut zu sehen.
Sie unterdrückte den Impuls, den Kopf zu schütteln, um ihn wieder klar zu bekommen, und schob ihre Amok laufenden Gedankengänge der Migräne zu.
Wenn sie schon zu sonst nichts gut war, dann konnte sie sie ja zumindest noch als Ausrede benutzen, oder?
Ja klar.
Reiß dich zusammen, Cara!, dachte sie. Das war absolut nicht der richtige Zeitpunkt, um an das Austauschen von Küssen mit wldfremden Männern zu denken.
Sie atmete tief durch und sah ihn wieder an. Die Glut, die sie in seinen Augen zu sehen geglaubt hatte, war verschwunden. Stattdessen sah sie zwei arktischblaue Tümpel aus gefühllosem Eis.
Werd ich jetzt vielleicht doch verrückt?
"Kann ich Ihnen weiterhelfen?", fragte sie ihn erneut. Schließlich hatte er noch immer keine Antwort gegeben. Kein einziges Wort hatte er gesagt bis jetzt.
Sein Kopf neigte sich ein kleines Stück und sein Blick schien sogar noch eindringlicher zu werden. "Wo ist das Buch?"
Cara blinzelte. Seine Stimme war tief, rau ... und in ihrem Kopf.
Nein, jetzt wurde sie wirklich albern. "Entschuldingung, aber, was für ein Buch, suchen Sie denn genau?"
"Das weißt du."
Okay, langsam wurde es merkwürdig. "Woher soll ich das denn wissen, wenn Sie mir nicht den Titel verraten? Nennen Sie mir bitte, wie das Buch heißt, und ich werde überprüfen, ob ich es hier habe oder bestellen muss." Sie hoffte, sie hatte es im Laden, dann konnte der Typ es nehmen und abhauen. Er mochte ja noch so gut aussehen, aber der Kerl schien Cara zunehmend nicht geheuer.
"Die "Mystica"", sagte er und seine Augen schienen sich zu verdunkeln. "Wo ist sie?"
"Einen Moment bitte." Cara wandte sich dem Computer zu und tippte den Titel in die Suchmaschine. Bitte lass es da sein, bitte lass es da sein,... Sie musste diesen Kerl loswerden. Und diesmal hatte das nichts mit ihren Kopfschmerzen zu tun. Plötzlich fühlte sie sich wie ein kleiner Vogel im Käfig. Ohne Fluchtweg, vor der drohenden Gefahr. Das Gefühl behagte ihr nicht, dabei war es ihr egal, dass es offensichtlich keinen rationalen Grund für ihre aufsteigende Panik gab.
Als das Programm mit der Suche fertig war, drehte sie den Computermonitor ein Stückchen mach rechts, sodass der Kerl vor ihr einen Blick draufwerfen konnte. ""Mystica - Die großen Rätsel der Menschheit", meinten Sie das?" Sie hoffte es inständig, war aber nicht sonderlich überrascht, als er den Kopf schüttelte. "Na schön, ich probiers nochmal."
"Das kannst du dir sparen. Die Mystica ist kein Buch, dass in etwas so Banalem, wie im Internet zu finden ist. Ihr Zauber hält sie verborgen vor allem, was menschlich ist. Du wirst sie nicht in deinem Computer finden."
Okay... Also entweder hatte Cara sich verhört, oder aber der Typ war vollends durchgeknallt.
Ach, bestimmt hatte sie ihn nur nicht richtig verstanden. Wahrscheinlich meinte er nur, dass das Buch eine Art Sonderexemplar darstellte, das man im Internet etc. nicht finden konnte.
"Hm, na schön. Aber wenn ich es nicht im Computer finden kann, wie soll ich es denn dann bitteschön für Sie bestellen? Ich glaube nämlich nicht, dass ich es hier habe." Leider, fügte sie im Stillen hinzu.
Der Mann stieß einen derben Fluch aus, dass sie erschrocken zusammenfuhr. "Ich brauche dieses verdammte Buch", sagte er. "Und du wirst es mir geben." Drohend baute er sich vor ihr auf.
Wut und Angst fügten sich in Cara zu einer explosiven Mischung. Zähneknirschend sah sie zu ihm auf, da er mindestens einen Kopf größer war als sie, was sie nur noch wütender machte. "Ich habe dieses Buch aber nicht. Andernfalls hätte ich es Ihnen längst gegeben, damit Sie endlich verschwinden." Sie sah auf die Zeitanzeige ihres Computers. Ha! Es war schon nach acht Uhr. Mit einem grimmigen Lächeln wandte sie sich wieder ihrem unverschämten Kunden zu. "Sieht so aus, als wäre die Zeit schon um. Ich muss Sie jetzt leider bitten zu gehen, denn wir schließen jetzt." Sie umrundete das Pult, bis sie vor ihm steheblieb und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Pochen in ihren Schläfen hatte sich zu einem wilden Stakkato gesteigert und schien im Wettkampf mit dem Pochen in ihrer Brust zu schlagen. Schmerz, Wut und eine Priese Furcht ließen Cara den Mann herausfordernd ansehen, obwohl sie in einem Kämpf mit ihm, sollte es denn dazu kommen - Gott bewahre! -, nicht die geringste Chance hätte. Immerhin war der Typ mindestens ein Meter neunzig groß und selbst durch die dicke Lederjacke konnte sie die geschmeidigen Muskeln gut erkennen.
Sie sah, wie seine Augen gefährlich blitzten und er zornig die Kiefer aufeinanderpresste, und hätte beinahe den Kopf eingezogen. Doch - Gott sei Dank - ging der Fremde ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Erst als die Ladentüre geräuschvoll hinter ihm zu fiel, wagte Cara den Atem erleichtert auszustoßen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Schließlich hätte der Kerl ihr genauso gut sonst was antun können. Immerhin war es November und nach acht Uhr Abends, draußen war New York bereits in Dunkelheit getaucht. Zwar waren die Straßen noch immer reichlich belebt, aber leider eben nicht in diesem Viertel, wo Cara ihren kleinen, bescheidenen Buchladen führte. Hier war die Gegend verlassen und verdammt gefählich, auch mit Pfefferspray in der Tasche und ein-zwei Jahren Erfahrung in Selbstverteidinung.
Aber in diesem Geschäft steckte Caras Herz und um nichts in der Welt würde sie ihn aufgeben wollen.
Seufzend ging Cara zur Tür und hing das "Geschlossen"-Schild auf. Mit einem weiteren Blick durch die Glasvitriene erkannte sie, dass nicht nur der Mann verschwunden war, sondern sich kein einziger Mensch in diesem Viertel befand - mit Ausnahme von ihr.
Sie ging zurück zum Computer, um ihn runterzufahren und holte ihren Mantel und Schal vom Hinterraum des Ladens.
In dem Moment, als sie den Mantel gerade anziehen wollte, hörte sie ein ohrenbetäubend lautes Klirren aus dem Laden.
Oh mein Gott.
Jemand hatte die Vitriene zerschmettert.
Sie rannte zurück in den Vorderteil der Buchhandlung, und sah gerade noch, wie eine große, dunkle Gestalt von der Straße durch das zerstörte Ladenfenster in ihr Geschäft hineinsprang. Wild knurrend richtete sie sich auf und Cara starrte entsetzt in rotglühenede Augen und messerscharfe Reißzähne.
Großer Gott!