Somewhere over the Rainbow
Text: E. Y. Harburg (1896 - 1981)
Somewhere over the rainbow
Way up high And the dreams that you dreamed of
Once in a lullaby
Somewhere over the rainbow Blue birds fly
And the dreams that you dreamed of
Dreams really do come true
Irgendwo, über dem Regenbogen, ganz oben,
Gibt es ein Land von dem ich einmal in einem Wiegenlied hörte.
Irgendwo, über dem Regenbogen, ist der Himmel blau,
Und der Traum, den du wagtest zu träumen wird
wirklich wahr.
Mit der Fernbedienung hatte sie den Ton des Fernsehers, der auf der Kommode vor ihrem Bett stand, ausgeschaltet.
Und während die Moderatorin des 19.00 Uhr Nachrichtenmagazins lautlos ihren Mund bewegte und im Hintergrund die Bilder der aktuellen Geschehnisse aus aller Welt liefen, hörte sie die Schritte auf dem Flur. Schritte, die darauf bedacht waren, jedes unnötige Geräusch zu vermeiden. Ganz vorsichtig, ganz leise wurde dann die Haustüre zugezogen. Klack machte es und dann war es still.
Er war also wieder fortgegangen. Heimlich,
ohne ein Wort zu sagen.
So wie letzten Dienstag und die Dienstage in den beiden Wochen davor. Hatte sich aus der Wohnung geschlichen wie ein Schuft, wie ein Lügner, wie ein Betrüger. Wie einer, der entweder auf der Suche war oder der vielleicht schon etwas gefunden hatte. Und der dabei vergaß, dass seine Frau krank war, immer schwächer wurde, immer mehr auf fremde Hilfe angewiesen sein würde. Er schlich sich weg, wie einer, der seine Frau betrügt.
Er WAR ein Schuft, ein Lügner, ein Betrüger!
Irgendwann in der Nacht würde er wiederkommen. Würde sich auskleiden und in sein Bett legen, ohne das Licht anzuschalten. Würde sich dann auf die Seite zum Fenster
drehen und nach kurzer Zeit einschlafen, während sie die Gedanken quälten. Gedanken, die auf ihre Seele einstachen, wie ein wilder Hornissenschwarm und viel mehr Schmerzen verursachten, als ihr Körper jemals würde schmerzen können.
Am nächsten Morgen würde er wieder so tun, als wäre alles in Ordnung. Gut gelaunt würde er sich mit ihr an den Frühstückstisch setzen.
„Noch Schinken, noch ein Ei, Liebes"?
Dann würden sie ihren Tag planen. Einkaufen, Krankengymnastik...
"Wir könnten auch mal wieder in die Therme gehen. Das würde dir doch gut tun".
Alles würde den Anschein haben, als wäre es wie immer. Und dabei hatte er sich längst entschieden. Ohne mit ihr darüber zu reden.
"Wenn wir zusammenhalten, werden wir irgendwann einmal sogar den Schatz am Ende des Regenbogens finden", hatte er ihr jungverliebt ins Ohr geflüstert. Damals vor mehr als dreißig Jahren. Sicher war er immer noch auf der Suche nach dem Schatz. Ohne sie...
Sein Versprechen „Wir schaffen das, du wirst sehen - in guten und in schlechten Tagen" hatte er wohl längst gekündigt. Heimlich aufgekündigt!
Das Gefühl der Sicherheit, die ihr diese Worte über die vielen Jahre gegeben hatten, war weg. Dieses warme, wohlige Gefühl hatte sich
aufgelöst in einem Gemisch aus Angst und Misstrauen.
So tun, als ob! Ja, sie war sich sicher, er tat nur so, als wäre es für ihn völlig okay, dass auf seinen Schultern immer mehr lasten würde. Mehr Aufgaben, mehr Verantwortung, irgendwann würde sie mehr Hilfe, mehr Pflege benötigen. Auch wenn sie immer betonte, wie wichtig es ihr war, möglichst lange ihre Selbstständigkeit zu bewahren. Er tat so, als wäre alles gut, weil es sich nicht gehörte, seine kranke Frau zu betrügen, sie im Stich zu lassen.
Im Stich lassen, weil die Probleme immer mehr wurden, der Weg immer schwieriger. Zu rasant das Fortschreiten ihrer Krankheit. Da lag es natürlich nahe, dass er sich Gedanken
machte. Vielleicht hatte er ja auch recht. Vielleicht sollte ich nicht so egoistisch sein, dachte sie. Vielleicht sollte ich es ihm einfach gönnen, dass er auch noch etwas haben wollte vom Leben. Etwas anderes, als sie ihm geben konnte.
Sie hörte, wie die Haustüre geöffnet wurde und er kurz danach das Schlafzimmer betrat. Fast geräuschlos kleidete er sich aus, legte sich in sein Bett, ohne das Licht anzuschalten und drehte sich auf die Seite zum Fenster.
Als sie am nächsten Morgen aufstand, wäre sie beinahe über sein Jackett gestolpert, das vom Bügel gerutscht war und auf dem Schlafzimmerboden lag. Sie bückte sich und
beim Aufheben fiel ihr ein bunt bedruckter Flyer, der in der Jackentasche gesteckt hatte, entgegen. Auf der Bettkante sitzend las sie die Zeilen des Deckblattes, dann senkte sie das Papier und starrte es ungläubig an.
Sie faltete den Flyer wieder zusammen und steckte ihn zurück in seine Jackentasche, als sie den vertrauten morgendlichen Ruf „Frühstück ist fertig" aus der Küche hörte.
Gut gelaunt saß er bereits am Tisch und sie setzte sich auf ihren gewohnten Platz ihm gegenüber. Auf seine obligatorische Frage „Was möchtest du, Schinken oder...."
sagte sie mit ernstem Blick und fester Stimme:
„Ich liebe dich!"
Überrascht sah er sie an und erwiderte:
„Ja, ich dich auch. Aber das weißt du doch.
Und deshalb muss ich dir jetzt etwas sagen. Warte einen Moment".
Er lief ins Schlafzimmer, holte den Flyer aus der Tasche seines Jacketts und drückte ihn ihr in die Hand. „Kompetenzkurs für pflegende Angehörige" stand darauf zu lesen.
Jeden Dienstag gehe er zu diesen Kurs bei der Arbeiterwohlfahrt, berichtete er. Mit unsicherem Blick sah er sie an, als er weitersprach:
„Ich habe es dir verschwiegen, weil ich Angst hatte, dass du das falsch verstehen würdest. Ich weiß ja, wie viel dir deine Selbstständigkeit und deine Unabhängigkeit bedeutet. Aber ich
möchte einfach gewappnet sein. Denn wer weiß, was die Zukunft bringt. Unsere Zukunft!"
„Ja, unsere Zukunft", flüsterte sie und in
Gedanken leistete sie Abbitte:
Verzeih. Bitte verzeih mir - ich habe an UNSERER ZUKUNFT gezweifelt. Und dann sah sie ihm in die Augen und sagte:
"Ich weiß, ich kann den Schatz hinter dem Regenbogen nicht mehr suchen, ich schaffe den Weg nicht mehr.
Aber ÜBER den Regenbogen fliegen, das könnte ich noch. Im Tandemflug mit dir!"
Anmerkung 11/2021:
Dieser Text wurde vor knapp zehn Jahren geschrieben. Die Protagonistin lässt ausrichten, dass die Regenbogenflüge - trotz mehrmaliger Pflegehöherstufung - noch immer stattfinden ;-)