Wäre ich ein Buch im Leben...
"Wäre ich ein Buch im Leben, würdest du mein Leser sein?" fragte sie ihn auf ihre so irritierende Art.
"Denk einfach mal darüber nach..." Klick.
Das Gespräch war beendet.
Wieso machte sie sowas? Was sollte er mit so einer Frage anfangen? Ziemlich ratlos hielt er das Handy immer noch in seiner Hand und empfand diese Stille, die sich jedes Mal nach einem Gespräch mit ihr einstellte, fast körperlich. Irgendwie mochte er die abrupte Tonlosigkeit nicht. Sein Innerstes bäumte sich spontan gegen das Unwohlsein oberhalb seines Magens auf, das sich gerade wieder
bemerkbar machte, und ihm deutlich zeigte, dass ein Teil seines Selbst dazu tendierte, ihr ständig nah sein zu wollen. Wie auch immer - er versuchte diesen Umstand zu ignorieren und beschäftigte sich gedanklich mit ihrem Auftrag.
Wenn sie ein Buch für ihn wäre, dann ganz gewiss eines mit sieben Siegeln, resümierte er. Schon vom ersten Moment an war sie seine fleischgewordene Illusion, die eine Form der Faszination auf ihn ausübte, deren irreale Wirkung er sich noch nicht ganz erklären konnte.
Vielleicht lag es in ihrer unberechenbaren Spontanität, mit der sie ihre Umwelt zu verblüffen pflegte - ihn eingeschlossen.
Sie achtete nicht darauf, ob etwas vernünftig
war, was sie zu tun oder zu äußern gedachte. Sie tat es einfach! Sie machte immer genau das, was sie für richtig erachtete und blickte nicht zurück. Auch nicht, wenn sie ging. Gestern war vorbei - nur heute war relevant.
Als er sie damals entdeckte, lag es in erster Linie daran, dass ihm dieser federleichte, fast schwebende Gang auffiel. Ja, sie ging nicht einfach. Ihr Becken bewegte sich auf eine geheimnisvolle Weise und zog nicht nur seine Blicke an, wie ein Magnet allerkleinste Partikel Eisensulfat..
Wenn sie einen Raum betrat, veränderte sich das Licht und breitete sich über alles aus - wie tiefe, warme Töne es manchmal tun, wenn sie auf einen Körper treffen.
Dann wurde alles auf eine rätselhafte Weise angenehm. Mitunter, wenn er seine Augen schloss, meinte er selbst ihre Aura im Dunkel sehen zu können.
Sie war nicht schön im eigentlichen Sinn, doch ihre Augen trugen ein ganz besonderes Licht. Manchmal war ihr Blick fast katzengrau, und es schien, als käme sie schlaflos und noch seltsam verhangen in den Tag, von einer endlosen Reise durch die Nacht. Er konnte sich nicht daran erinnern, zu welchem Zeitpunkt sie je schöner ausgesehen hatte. Mit den Irrlichtern der Nacht in ihren Augen wirkte sie verheerend anziehend auf ihn.
Oftmals wußte er überhaupt nicht, was sie in die eine oder andere Richtung trieb, aber etwas an ihr vermittelte den Wunsch, mit ihr
zu gehen und sei es, bis an das Ende der Welt. Er wollte nur in ihrer Nähe sein, in ihrer Zeit.
Doch niemals fragte er, wohin sie ging, wenn sie ihn verließ oder ob sie bleiben würde. Er wußte, wenn sie blieb, meinte sie einzig ihn. Dann machte es den Anschein, als hätte sie zwei Himmel über sich, die sie bereitwillig mit ihm teilte. Mit ihrem Lachen breitete sie einen lichten Zauber über alle Wesenlosigkeit aus und ihre Hingabe berührte Tiefen seines Gefühls, wie er es noch niemals zuvor erlebt hatte.
Er griff zu seinem Handy, wählte ihre Nummer und wartete.
"Hallo..", hörte er sie sagen.
"Du bist für mich eine unendliche Geschichte, in einem Buch mit sieben Siegeln..", teilte er ihr ohne weitere Vorrede mit, " ich werde dieses Buch lesen, von der ersten bis zur letzten Seite, niemals aus der Hand legen und es bei mir tragen....für immer.
Stille.
Sie kicherte.
" Dann ist es ja gut..."
©roxanneworks 2012 / 09