Kapitel 2 ist jetzt da und weitere folgen!
Ich konnte auch in dieser Nacht nicht schlafen. Es war kalt und ich war unruhig. Ich wusste, dass ich irgendwann einen Gedankenblitz haben würde, doch ob das in nächster Zeit geschehen würde? Die eisige Luft lähmte meine Beine, meine Arme, mein Gesicht. In meinem Kopf herrschte so ein Wirrsal, dass ich nicht weiter wusste. Fragen konnte ich sie nicht. Aus welchem Grund auch immer, ich hatte es den ganzen Abend schon nicht fertig gebracht, warum sollte es an einem anderen Tag besser sein? Ich drehte mich auf die Seite. Herrausfinden will ich nicht, und von können kann nicht die Rede sein. Da wäre es ja sogar noch besser, wenn ich einen Privatdetektiv anheuern würde. Meine Augen waren schwer, ich hoffte mir nichts sehnlicher als ein bisschen Schlaf, um den Kopf frei zu bekommen. Ich zwang mich, die Augen zu schließen und fing an zu zählen. Immer, wenn ich nicht einschlafen konnte, tat ich das. Als ich bei 1324 angekommen war, gab ich auch das Zählen auf. Woher? Woher kannte ich das? Eine linke Seite eines gebrochenen Herzens. Hatte ich die Rechte nicht schon einmal gesehen? Aber wo? Wo, verdammt nochmal!? Ich spürte nichts mehr, Alles um mich herum verschwamm und ich hörte nur noch das Rauschen der Bäume und der Äste, die unruhig gegen mein Fenster schlugen...
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„Abby? Abby, wo bist du? Komm schon, das ist nicht mehr lustig! Abby!“ „Ja, ja, ich komme ja schon. Du machst dir wirklich viel zu schnell Sorgen. Ich war doch nur...“ „Das ist aber kein Witz! Ich muss mir Sorgen machen! Dies ist eine gefährliche Gegend, wo was weiß ich denn, wie viele gefährliche Typen herumgaunern! Und jetzt komm.“ Eigentlich finde ich es ganz schrecklich, auf sie sauer zu sein. Doch auch sie, die immer gut gelaunt ist und so naiv...muss die Welt ernst nehmen. Ich schaue auf ihre himmelblaue Bluse. Es ist ein erdrückender Sommertag und um mehr zu tragen, wirklich zu heiß. Ihre helle Haut strahlt unter ihren glatten und langen Haaren, ihre rosanen Lippen lächeln mich an. Unter der großen Sonnenbrille blickt sie mich mit ihren blauen Augen an – sie weiß, dass ich nicht lange wütend sein kann, dafür kennt sie mich zu gut. Ich meine es ja auch nicht böse. Sie bückt sich nach ihren gelben Sandalen, die ihren dünnen Füßen schmeicheln. Ihre hellen Haare wehen im Wind und geben Einblick auf ihre Schulter. Ich kneife die Augen zusammen, glaube, Etwas erkennen zu können, eine rechte Seite eines Herzens. „Was ist das?“ Frage ich sie. „Was denn?“ Sie schaut mich fragend an. „Das Herz? Das ist dir noch nie aufgefallen?“, grinst sie. „Ehrlich gesagt-nein...“ „Das haben ich und meine Zwillingsschwester. Eine Hälfte des Herzens. Ich bekam die Rechte, Cara die Linke. Wenn wir zusammen sind, ist auch das Herz zusammen.“
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Ein gebrochenes Herz. Ein gebrochenes Herz? Augenblicklich sprang ich auf. Jetzt wusste ich, woher. Jetzt waren meine Gedanken klar, so klar, wie sie noch nie gewesen waren. Cara war Abby‘s Zwillingsschwester!
In meinem Kopf drehte sich alles, die Worte hallten in mir wieder. Das haben ich und meine Zwillingsschwester. Eine Hälfte des Herzens. Ich bekam die Rechte, Cara die Linke. Wenn wir zusammen sind, ist auch das Herz zusammen. Wie konnte ich nur so blind sein? Ich wusste es seit Langem und hatte mich so wenig darum geschehrt, dass es mir noch nicht einmal aufgefallen war. War ich so eine schlechte Freundin? War ich so eine schlechte Freundin für Abby gewesen, dass ich ihre Zwillingsschwester nicht erkannte? Sie hatte mir sogar Bilder gezeigt, Fotos von ihr und Cara! Ich habe sie trotzalledem nicht wieder erkannt?? Ich sah den Raum nicht mehr, erkannte keine Farben, nicht einmal hören konnte ich jetzt noch. Fragen hallten in mir wieder. Ich wusste, dass ich nicht mehr konnte. Alte Gefühle füllten den Raum, ich glitt aus meinem Körper und war leer. Konnte nichts mehr fühlen. Ich schlug auf dem Boden auf, doch ich spürte nichts. Kein Schmerz. Keine Freude. Nichts. Nur die Leere legte sich über mich, lag auf meinem Körper wie ein schwerer Stein. Meine Augen schlossen sich und ich wollte nichts mehr spüren, sterben, liegen, bis das Licht und die Wärme aus meine toten Augen schossen und sich auf dem Boden ergossen. Doch stattdessen fing ich an zu schreien, als alle Wärme, alles Licht in mich zurück knallte und ich nur noch heiße Wut spürte. Schreiend krümmte ich mich und harte Schmerzen zerfetzten meine Sinne.
Vogelschreie rissen mich aus meinen Albträumen. Meine Augen konnten sich noch nicht an das heiße Licht gewöhnen, das von der Sonne durch meine Vorhänge strömte. Dann war der Moment vorbei. Mir fiel mein Leben wieder ein, meine Angst, meine kalte Wut und mein greller Schmerz, der mich fast zerrissen hätte. Ich merkte, wie sich meine Augen mit warmen Tränen füllten und ich blinzelte gegen meine stillen Schreie an. Bitte lass das Alles nicht wahr sein. Ich flehte gen Himmel doch ich wusste, es würde nichts nutzen. Bitte, lieber Gott, BITTE! Bitte lass das Alles nicht wahr sein. Denn wenn es wahr ist, dann kann ich dich bald neben mir stehen sehen und der Schmerz wird trotzdem nicht vergessen sein. Ich fing an zu schluchzen, erstickte Laute und stumme Schreie drangen aus meiner heiser erschöpften Kehle. Unendlich viele Tränen rollten aus meinen geröteten Augen meine rauhen Wangen herunter und das scharfe Salz schien durch meine Haut direkt auf die neu aufgerissenen Wunden darunter zu tropfen. Ich konnte es nicht aufhalten, ich war schwach und erschöpft noch von gestern. Ich dachte, ich könnte nie wieder aufhören zu weinen. Wie sollte es jetzt nur weitergehen? Wie sollte ich mit ihr treffen, ohne einen schlechten Hintergedanken? Ich fand meine Reaktion selbst ein wenig übertrieben, doch meine Nerven waren schon so genug überstrapaziert... Ich hätte nicht aufhören sollen. Ich hätte keinen neuen Anfang starten sollen. Doch ich hatte es gewagt, hatte sie mit zu mir nach Hause genommen, und jetzt konnte ich auch die Konsequenzen tragen. Konnte? MUSSTE. Ich stand am Rand. Am Rand der Klippe, ich drohte zu fallen. Es brauchte nur einen kleinen Schubs und ich würde stürzen.
Nichts war mehr, wie es sein sollte. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich wusste nicht weiter. Die nächsten Tage tat ich nichts, bis auf in meinem Zimmer rumzugammeln und an einen Punkt in weiter Ferne zu schauen. Selbst ich wusste nicht genau, wohin ich eigentlich sah. Einen Tag später rief Cara bei mir an. „Mally, Schatz, das ist Cara für dich. Wollt ihr euch denn nicht mehr verabreden? Ich dachte ihr hättet doch so einen Spaß gehabt? Mally?“ Ich saß noch genauso bewegungsunfähig in der Ecke und starrte vor mich hin. Dann öffnete ich meinen Mund und murmelte etwas. Mama kam nach oben und klopfte an meine Tür. In den letzten Tagen hatte ich mich so sehr bemüht, mich von ihr fernzuhalten, sie sollte nicht sehen, wie schlecht es mir wieder ging. Und jetzt sollte sie in mein Zimmer kommen? Mich SO nun doch entdecken? Nein. Das sollte sie nicht. Das würde sie nicht verkraften. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine schlechte Miene umzukippen und sie anzulächeln. „Okay. Ich hatte sowieso nichts anderes vor.“ sagte ich möglichst gut gelaunt. Sie trat in mein Zimmer ein und sah mich mit gerunzelter Stirn und sorgenvollem Blick an. „Was ist denn los, Schätzelchen? Komm schon, ich weiß doch, wenn es dir nicht gut geht. Na los, sag schon!“ Ich nahm ihr den Höhrer aus der noch vom Sommer gebräunten Hand und sah ihr fest in die Augen. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen kamen und stand kurz davor ihr in die Arme zu sinken und unter erstickten Worten meine neue Art von Leben zu beichten. Doch stattdessen blinzelte ich meine Angst und meinen Ärger weg und flüsterte ewas zu leise: „Nein, Mama. Alles gut. Schon in Ordnung.“ Als sie mir immernoch nicht wirklich zu glauben schien, hing ich noch dran: „Wirklich. Es geht mir gut. Mom, bitte. Ich würde jetzt gerne telefonieren.“ „Oh, na klar doch. Ich- ich mach dann mal...äh, na ja ich geh dann.“ Mit einem leichten Kopfschütteln verließ sie den hellen Raum. Ich wusste, dass sie mir nicht so recht Glauben schenkte, doch solange Alles noch relativ gut ging, hatte ich nicht vor, ihr Etwas in der Richtung einzugestehen. Geräuschvoll räusperte ich mich, bevor ich das leichte Telefon, an dem Clara nun schon seit mindestens fünf Minuten wartete, an mein Ohr nahm und in den Höhrer zu sprechen suchte. „Na endlich! Ich dachte, du seist gestorben! Oder so ähnlich. Na ja, du weißt schon, was ich meine. Aber wieso hat das nur so lange gedauert?? Ich habe mir Sorgen gemacht! Bitte geh nächstes Mal schneller an‘s Telefon!“ Nach der langen, sorgenvollen Rede war mein Kopf leer. Ich starrte wieder an die Wand und höhrte auch nicht richtig zu. Mein Mund war noch zum Sprechen geöffnet, meine Augen wieder ausdruckslos und zu schwach, um richtig sehen zu können. „Mally? Sag´ mal, bist du denn überhaupt dran? Höhrst du denn nicht? Ich habe mir Sorgen gemacht!“ „Du machst dir wirklich viel zu schnell Sorgen.“ Du machst dir wirklich viel zu schnell Sorgen. Konnte das möglich sein? Hatte ich die Gelegenheit dazu bekommen, Cara den Satz zu sagen, den Abby mir immer wieder predigte? Ich konnte das nicht glauben. Ich hatte die Worte wie in Trance gesprochen, lautlos und doch höhrbar. Es war ein schreckliches Gefühl. „Was? Was bitte faslst du da? Mädchen, was redest du da? Hallo? Hallo! Bist du noch dran? Ha-“ Ich hatte aufgelegt. In diesem Moment war es mir egal, ob die Welt unterging. Ich hatte das schon einmal erlebt. Den Weltuntergang. Den Untergang meiner Welt. Und da sollte ich noch sinnvoll auf Caras Gelaber antworten? Fals sie das von mir erwartete: Es ging nicht. Ich konnte es nicht. Meine schlanken Finger berührten das Foto von mir und Abby. Ich hatte es in goldenem Rahmen stets unter meinem Kissen gehabt. Immer dabei. Mein Blick fiel auf das Stück Erinnerung. Es zeigte mich auf einem bunten Badenhandtuch, neben Abby liegend. Ich konnte mir den Tag bildlich vorstellen. Eine salzige Träne rann über meine rosige Wange und tropfte auf das Bild. Es war auf vor knapp 1 Jahr datiert.
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„Na Abby? Da bist du ja wieder! Kommst du jetzt mit schwimmen? Wir warten schon die ganze Zeit auf dich.“ „Voher esse ich aber noch mein Eis. Wozu habe ich es denn sonst wohl geholt?“ Sie grinst unter der dicken Sonnenbrille. Es ist ihre Lieblingsbrille, wenn sie die nicht an sonnigen Tagen aufhat, ist sie so schlecht gelaunt wie nie. Selbst in eisigkalten Wintertagen hat sie sie in ihrer Tasche. Ich lächele zurück. „Na klar. Aber beeil dich bitte, ja? Wir wollen ja nicht ewig warten!“ Spielerisch spritze ich sie mit der kleinen Wasserpistole nass, die aus meinem letzten Eisstiel kam. Gemeinsam schlendern wir zurück an den Strand. Es ist schon Nachmittag, doch die grelle Sonne dringt immernoch ungehindert vom strahlend blauen Himmel hinab. Der Sommer würde noch lange sein und Tage wie diese stehen uns noch viele bevor. Als ich in das kühle Nass steige, spüre ich Genugtuung in aller Fülle. „Warte, Mally!“ „Was ist denn noch?“ „Wollen wir nicht ein Foto von diesem wundervollen Tag?“ Ich renne ungezügelt und ein wenig trampelig an den Strand zu unseren Handtüchern. Der heiße Sand brennt unter den erhitzten Füßen wie Feuer, doch die Aussicht auf kühlendes Wasser beruhigt wie eine angenehme Creme. Wahrscheinlich mussten wir uns eben diese auch noch auf unsere verbrannten Körper reiben. Das Alles macht mir nichts aus, mit Abby zusammen wird jeder Tag zur Wonne. Als ich auf der warmen Decke ankomme, schießt Abby ein Foto von unseren lachenden Gesichtern.
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Tage später hielt ich es mehr aus. Ich packte meine Sachen und sagte zu meiner Mutter: „Mom? Ich muss mal raus. Weißt du noch, als Cara angerufen hat? Ich gehe jetzt mit ihr zelten. Das ist doch okay, oder? Ich meine, du hast doch Nichts dagegen?“ „Wie? Achso, nein, habe ich nicht. Ich... bin nur etwas überrascht, ich dachte nicht, dass du noch etwas derartiges machen willst. Ich meine, du warst wieder so...distanziert.“ Na toll. Sie hat es gewusst und die ganze Zeit nicht ein Wort gesagt. Ich war schockiert und zugleich glücklich. Nun musste ich ihr Nichts mehr verheimlichen. Ich fing an zu schluchzen, brach auf dem Boden zusammen und endlich liefen lang zurück gedrängte Tränen über meine trockene Haut. Ich lag zu ihren Füßen und unendliche Trauer von der ich gedacht hatte, sie nie wieder zu verspüren. „Oh mein Gott!“ Mama sank neben mich und nahm meine Arme, die ihre Beine Schutzsuchend umklammernd hielten. Sie zog mich an sich und drückte mich gegen ihren beruhigend weichen Körper. Es war vorbei. Endlich war es vorbei.
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