An diesem Morgen lag ich wie betäubt in meinem Bett. Ich hatte die gesamte Nacht nicht richtig geschlafen, weil ich zu sehr mit Jils Worten beschäftigt war. Sie hatte mir den Abend zuvor erklärt, dass die Neuen nichts weiter, als irgendwelche Betrüger waren, die nichts anderes im Sinn hatten, als mich rumzukriegen. Doch etwas konnte daran nicht stimmen, sie musste sich vertan haben. Ich war mir sicher. Ich sah auf den Wecker. Sieben Uhr. Seit zwei Stunden lag ich wach. Ich beschloss, das alles nicht so ernst zu nehmen und aufzustehen.
Nach dem Frühstück ging ich an dem See entlang und sah ihn an einem Zaun lehnen. Marc. Ich entschied zu ihm zu gehen, vielleicht sogar, um etwas herauszufinden, doch das gestand ich mir natürlich nicht ein. Erst als ich knapp einen Meter vor ihm zum Stehen kam, sah er auf und blickte mich mit seinen großen, braunen Augen an. „Hey.“, begrüßte ich ihn. „Hey.“, kam es daraufhin sanft zurück und ein kleines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich bin eben noch Chris begegnet, er meinte, du solltest dich, wenn möglich noch einmal kurz bei ihm melden.“, erklärte ich ihm verlegen. Dass ich ihn angelogen hatte, lag nur daran, dass es so aussah, als hätte ich einen Grund gehabt zu ihm zu gehen.
„Okay.“, erwiderte er gedehnt, „Was will er denn?“ Schnell dachte ich darüber nach, was ich ihm erzählen konnte und sagte dann, eindeutig selbstbewusster, als gedacht: „Ach, das hat er nicht so genau gesagt. Vielleicht noch irgendetwas, wegen eurem Aufenthalt, wie lange ihr bleibt oder so etwas.“
So nahm das Gespräch schon einmal die richtige Richtung an, wenn ich wirklich etwas Näheres herausfinden wollte. „Dass wir zwei Wochen bleiben, hatte ich Chris doch schon erzählt, aber ich werde später mal bei ihm vorbeischauen.“ Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte, weshalb es für einen Moment still war. Ich fragte ihn, ob wir ein Stück in den Wald gehen wollten, denn ich hatte bemerkt, dass drei Mädchen auf dem Weg, sich angeregt über uns zu unterhalten schienen. „Gerne.“, sagte er freundlich und ging vor. Als der blaue Himmel durch die dicken Äste der Bäume nur noch kaum zu erkennen war, blieb er mitten auf dem Weg stehen.
Sehr irritiert sah ich ihn an und folgte seinem starren Blick, der plötzlich durch mich durch zu gehen schien. Ich entdeckte niemanden und der Strand lag hinter einer Kurve, weshalb er auch nicht zu sehen war. So wie er da stand, machte er mir glatt ein bisschen Angst. „Was ist?“, fragte ich verunsichert. „Wir können uns nicht mehr sehen.“, sagte er mit kühler, ernster Stimme. „Was?“, sagte ich belustigt, weil ich seine Worte echt lächerlich fand, „Wir sind in einem Camp, natürlich sehen wir uns noch.“ Er sah auf und seine Augen blickten direkt in meine. Sie sahen nicht mehr braun und weich aus, sondern ich bildete mir ein, dass sie noch dunkler, noch schwärzer geworden waren, was sie extrem hart wirken ließen. Es machte mir Angst, auch wenn ich wusste, dass es nur am Licht lag. „Du weißt, was ich meine.“ Der Blick blieb der Selbe, doch ich bemerkte ein leichtes Zittern, in seiner Stimme, als wenn es ihn ebenfalls traurig machte. Er drehte sich um und ließ mich alleine auf dem Weg stehen. Auf unerklärliche Weise, war ich erleichtert, dass es nur darauf hinaus lief, dass er mich nicht mehr sehen wollte. Ich wusste nicht genau, wovor ich Angst gehabt hatte, aber als er dort vor mir stand kamen mir Jils Worte wieder in die Gedanken.
Als ich am Mittag bei der Essensausgabe stand und einer der Helfer meinen Teller mit Reis und Currysoße füllte, stieß ich aus Versehen mit Nina zusammen und ihr Besteck fiel zu Boden. Ich drehte mich um, um es aufzuheben: „Hier bitte.“ Nina lächelte mich an: „Danke. Wir halten dir wieder deinen Platz frei.“ Mein Blick fiel auf einen der hinteren Tische, an dem Jason, Phil und Lucy saßen. Automatisch fragte ich mich, wo Marc war. Er stand in einer Ecke, mit seinem Tablett in der Hand und  sah mich an. Als er meinen Blick bemerkte schaute er schnell weg und setzte sich zu den Anderen. „Lia?“, holte Nina mich aus meiner Starre, „Kommst du jetzt?!“ Ich nahm meinen Teller entgegen. „Ähm, ja warte. Ich komme nach!“, sagte ich schnell und wollte mich grade auf den Weg zu Marcs Tisch machen, als er mich bemerkte, aufstand und ein Gespräch mit Chris begann. Mitten im Gang wechselte ich die Richtung, setzte mich zu Jill und Nina, und hoffte, dass es nicht allzu blöd aussehen hatte. Â
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Am nächsten Abend verabredete ich mich mit Jill und ein paar Leuten zu einem Kartenabend in unserer Hütte. Jill und ich hatten aus der Küche noch ein paar Getränke besorgt und machten uns grade auf den Weg zu unserer Hütte, während es schon anfing dunkel zu werden. Es war kühler geworden, die Sonne war hinter Wolken verschwunden und ein leichter Wind wehte über unsere Haut, weshalb wir beschlossen das restliche Stück zu laufen. Als vor uns auf dem Weg jemand auftauchte verlangsamten wir unsere Schritte, weil es uns peinlich war. „Hätte ich doch jetzt meine neue Jacke mit.“, jammerte Jill und lachte anschließend. Als wir näher kamen, erkannte ich, dass der Mann vor uns Marc war, doch ich wusste nicht, ob Jil dies auch bemerkt hatte. Als der Weg sich kreuzte, bog er rechts ab und ich beschloss ihm zu folgen, um noch einmal mit ihm zu reden. „Äh, wir haben vergessen Gläser mit zu bringen, ich werde sie schnell holen.“, beteuerte ich und wollte grade ebenfalls rechts abbiegen, als Jil meinen Arm nahm. „Du weißt noch, was ich dir gestern gesagt habe?“, fragte sie mit ernster Stimme. Ich sah ihr in die Augen: „Ja.“ Einige Augenblicke sah sie mich schweigend an, dann erwiderte sie: „Ich werde den Anderen sagen, dass du nach kommst.“ Ich sah Jil dankbar an und nickte ihr zu.
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Marc hatte sich auf einer Bank nieder gelassen und ich setzte mich neben ihn. Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte oder warum ich überhaupt her gekommen war, ich wusste nur, dass ich traurig war, mich nicht mehr mit ihm treffen zu können. „Ich hatte dir doch gesagt, dass ich dich nicht mehr sehen will.“, sagte er tonlos. „Ja, aber ich verstehe nicht warum. Weshalb willst du nicht mehr, dass wir uns treffen?“, sprudelte es aus mir heraus. Er antwortete nicht. „Habe ich irgendetwas falsch gemacht oder magst du mich nicht? Erkläre es mir.“ Als er auch darauf keine Antwort gab fragte ich leise, weil ich mir nicht sicher war, wie er darauf reagieren würde: „Liegt es an deinen Freunden?“ Ich sah ihm ins Gesicht und er starrte auf den Boden, wo er mit seinen braunen Schuhen, einen kleinen Dreckhaufen zusammen geschoben hatte. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass sie nicht meine Freunde sind.“, gab er schließlich immer noch tonlos zurück. Ich sah ihn weiter an und wartete auf eine Erklärung, doch da kam nichts. Ich stand auf und schritt ein paar Meter auf den Weg zu, von dem ich gekommen war. „Lia, ich will nicht, dass du gehst.“, rief Marc mir plötzlich nach. Abrupt blieb ich stehen und wandte langsam den Kopf. Mir nicht sicher, ob ich das gerade richtig verstanden hatte, sah ich ihn fragend an.
Seine wundervollen, großen, braunen Augen blickten mich verstohlen an, als wolle er sich für alles entschuldigen. „Dann erklär es mir.“, haute ich, mit einer gewissen Ernsthaftigkeit in der Stimme. Wenn er es mir nicht erklären wollte, würde ich mich erneut umdrehen und verschwinden. Er bedeutete mir, mich zu setzen und ich befolgte seine Aufforderung. Wartend sah ich ihn an, während wiederum einige Minuten verstrichen. Doch dann erhob er seine Stimme und versuchte eine Erklärung zu finden, die ich akzeptieren würde: „Ich will mich weiter mit dir treffen, aber ich kann nicht.“, er zögerte, „ Was Jason, Phil und Lucy angeht, sie sind nicht besonders darauf aus, neue Menschen kennen zu lernen, oder gar eine feste Beziehung oder so etwas Ähnliches, einzugehen. Und dies erwarten sie auch von mir.“ Verwirrt sah ich auf den Boden, um das zu verstehen, was er grade gesagt hatte, doch ich kam nicht darauf. „Aber, was hat dies alles mit mir zu tun?“, fragte ich leise, doch noch während ich die Frage aussprach, kam es mir in den Sinn. Marc berührte meine Hand und sah mich an. „Lia, ich mag dich.“, sagte er leise und strich mir eine braune Strähne aus dem Gesicht. Seine Stimme war voller Erwartung, aber zugleich Angst, ich könne dies anders sehen. Jetzt nahm ich seine warme Hand und drückte sie etwas fester, was er als Bestätigung ansah. Ich merkte, wie mir ein kurzes Lächeln über das Gesicht huschte. „Er mag mich.“, dachte ich voller Freude. „Immer wenn ich dich auf Lucy und die Anderen anspreche, streitest du ab, dass sie deine Freunde sind. Aber warum machst du dir so viel aus ihnen? Du brauchst sie doch gar nicht.“, sagte ich ernst. „Das ist nicht so einfach. Du verstehst das nicht.“, erklärte er ernst und stritt wiederum alles ab, vielleicht auch ein bisschen traurig darüber, dass sich das Thema in diese Richtung gewendet hatte. „Such dir doch einfach neue Freunde oder so.“, schlug ich vor. „Das geht nicht, okay?“, schrie er mich an. Eingeschüchtert sah ich auf meine Füße und schwieg. Immer wenn ich Marc auf dieses Thema angesprochen hatte, hatte er abgeblockt, da musste noch etwas Anderes hinter stecken. „Okay, tut mir Leid. Ich hatte dich nicht anschreien dürfen.“, entschuldigte er sich sofort und sah mich mit seinen haselnussbraunen Augen an. Dann sah ich wie Jil um einen der dunklen Büsche bog. „Hey, Lia. Äh alles okay? Ich habe gehört, dass jemand geschrien hat und die Anderen meinten auch ich solle mal so langsam nach dir sehen, wo du geblieben bist.“, erklärte sie langsam und ängstlich zugleich. Ich wandte meinen Blick wieder Marc zu: „Schon okay.“ Dann stand ich auch und lief zu Jil.Â