Beschreibung
Diese Geschichte hat keine besondere Story. Sie ist vielleicht nicht einmal eine Geschichte. Und dennoch hatte ich diese Thematik im Kopf und wollte sie verschriftlichen.
Auch wenn es melancholisch ist, ich hoffe, es gefällt euch.
Kommentare erwünscht. ;-
Ich sitzte auf meinem alten, kaputten Sofa. Es riecht nach Rauch und auch ein schwacher Geruch nach Erbrochenem ist noch wahrnehmbar. An der Wand gegenüber tickt die Uhr. Bereits drei Stunde sitzte ich so, zusammengesunken, ein kümmerliches Wesen in der Historie der Welt. Wertlos? Früher hätte ich die Frage gewiss mit einem Nein beantwortet. Als ich mit meinem Beruf angefangen hatte, hätte ich mit einem halbernstgemeinten Vielleicht geantwortet. Und jetzt? Ja. Ich bin wertlos. Es ist diesmal auch nichts was ich mich frage, sondern etwas was ich weiss, weil es das Einzige ist, was all diese Dinge erklärt. Meine Mutter hatte gesagt: "Wertlos ist der, der sein verkorkstes Leben hinnimmt. Wertlos sind die Motivationslosen, die Untätigen, und die Melancholischen.". Sie hatte Recht gehabt. Ich wünschte, sie wäre jetzt bei mir. Aber seit einem halben Jahr ist das nicht mehr möglich. Sie ist gestorben. Mit 56. Zu früh. Ich weiss nicht mehr, was sie zu letzt zu mir gesagt hat. Ich weiss nur, wie sich die Nachricht angefühlt hat. Es war zuerst ein Gefühl der Leere, der Sinnlosigkeit. Ein Schwebezustand. der wohl nichts weiter war, als ein letzter verzweifelter Versuch meines Geistes, mich vor dem quälenden, lähmenden Schmerz zu bewahren. Der Zustand währte drei Tage. Alle die, die schoneinmal einen geliebten Menschen verloren haben, wissen, was dann passiert. Der Moment, in dem man das Endgültige realisiert. Was es bei mir war? In meinem Gefühl der Sinnlosigkeit hatte ich angefangen, die schäbige Küche meiner immerkalten Mietwohnung aufzuräumen. Dort, an meiner Pinnwand, war mir ein dünnes, farbiges Rechteck aufgefallen. Ich hatte es in die Hand genommen, gemustert, und festgestellt: Es war eine Postkarte von meiner Mutter an mich, die sie damals in ihrem Ostseeurlaub an mich geschickt hatte.
"Lieber Simon,
schöne Grüße von der Nordsee! Hier ist es sehr schön, aber ich vermisse dich. Wenigstens ist das Wetter stabil. Und der Fernseher funktioniert auch! Im Gegensatz zu dem in meinem Haus. Komm mich bald besuchen, vielleicht kannst du ihn ja dann reparieren?
Ich hoffe, es ist nicht zu stressig zu Hause. Mach langsam.
Hab dich lieb, Mama."
Geistesabwesend bin ich ins Wohnzimmer zu meinem provisorisch zusammengeklebten Telefon geschlurft und habe ihre Nummer gewählt. Die Durchsage kam prompt: "Diese Nummer ist zur Zeit nicht besetzt. Ihr gewünschter Gesprächspartner ist nicht länger erreichbar." Nicht länger erreichbar... Ich hatte auch die Karte geschaut, hatte die Zeilen gelesen, und es da zum ersten Mal verstanden. Meine Mutter war tot. Danach war ich schluchzend zusammengebrochen, hatte mich betrunken und mich anschließend auf die Couch übergeben. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, nie das zu schätzen was er hat, sondern das, was er verlor. So ist er besonders mit der Familie. Man denkt, man hätte das ganze Leben Zeit, mit ihnen zu reden, sie zu Rate zu ziehen, sie etwas zu fragen. Und mit einem Mal werden sie einem genommen und einem fallen tausend Fragen und Dinge ein, von denen man weiss, dass man sie nie beantwortet wissen wird. Und die ganzen Erklärungen die ich ihr geschuldet habe....
Ich wurde zu einer Gefängnisstrafe von 10 Jahren verurteilt, wegen mehrfachen, geplanten Mordes. Doch ich war - ich bin - unschuldig. Das erkannten auch die Richter irgendwann, doch es hat wirklich herzlich lange gedauert. Am besten erinnere ich mich an die Stunden in den Gerichtssälen. Nach den Sitzungen war ich von zwei Polizisten eskortiert worden. An einem Tag jedoch, war etwas dazwischen gekommen. Eine junge Frau, etwas älter als ich es damals vor 2 Jahren mit 28 gewesen war. Sie hatte förmlich in Tränen geschwommen, ihr Unterkiefer hatte gebebt. Sie began mich zu verfluchen, warf mir all ihr Leid an den Kopf. Man hatte mich unteranderem für den Mörder ihres Mannes gehalten. Sie erzählte mir von ihren zwei kleinen Töchtern, denen sie jeden Tag vorlügen musste, dass ihr Vater in den Urlaub gefahren war, worauf die zwei neugierig weitere Fragen stellten. Die Frau war völlig aufgelöst. Ich hatte sie verstehen können, sie tat mir so unglaublich leid. Doch jede Versicherung, ich sei es nicht gewesen, wurde abgewiesen. Es war nicht der Vorwurf direkt, jemanden getötet zu haben, der mir die Seele in winzige Stücke zerriss, sondern die Blicke. Die roten Aufeb der Frau, die Blicke der Polizisten und der Presse, die die Geschichte mit anhörten. Blicke voller Abscheu und Ekel. Ich war nicht ins Gefängnis gegangen. Wurde aber auch nie für unschuldig erklärt. Man hatte den wahren Täter nicht gefunden und mich letzten Endes aus Mangel an Beweisen gehen lassen. Wochen später hatte ich zahlreiche Briefe in der Post gehabt. Hassbriefe. Von wütenden Menschen, die die Vorkomnisse verfolgt oder die Opfer gekannt hatten. Darunter waren auch Briefe von meiner Familie, Tanten, Onkel, Cousinen, in denen mir formell erklärt wurde, das ich von da an mit keinerlei Kontakt mehr zu rechnen brauchte. Und noch ein Brief. Ein Brief, den ich verbrannte. Der Brief des Täters mit den Worten: "Danke vielmals für den mehr als ausreichenden Vorsprung!".
Meine Mutter hatte sich nicht abgewandt. Hatte mich nicht verstoßen, wie Familie und Gesellschaft. Die einzige Person, die die völlige Isolation verhinderte. Die versuchte, mir durch meine Alkohol und Pillensucht zu helfen. Und starb. Starb an einem verfluchten Herzinfarkt.
Ich rolle mich auf die Seite. Meine Augenlieder fühlen sich nach den Gedanken an all das Leid und die Qualen so schwer an wie schon lange nicht mehr. Meine Beine kribbeln, meine Arme dann auch. Ich liege da, in der hässlichen, kalten Wohnung. Denke an mein Leben, das Leben, das nie eines gewesen war. Und mir fallen die Augen zu. Die Ungerechtigkeit. Mein Atem wird ruhig, sehr ruhig und langsam. Ich verschließe die Augen vor der grausamen Welt, die mich abstößt, wie einen Fremdkörper, einen Virus, die sie zu infizieren droht. Und ich merke wie die Schwärze schwärzer wird. Und die Gedanken trüber. Der Schmerz milder. Die Luft wärmer. Alles wird besser. Ist das möglich? Nicht in diesem Leben. Etwas in seinem Brustkasten verhärtet sich, steht still. Das Herz? Ich besitzte noch eines? Keine Zeit mehr nachzudenken. All die Zeit vergeht so langsam, und nun plötzlich so schnell. Alles so dumpf, so dumpf...
Nun ist die Welt von ihrem Virus befreit.