Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze) Titelbild: "Einsturzgefahr" by "Paulo Claro" Some rights reserved. Quelle: www.piqs.de
Der Gebirgspass, dem die Gruppe um Ferren gefolgt war, hatte sie und den Gefangenentransport der Orks zu einem kleinen Ort geführt, der von einer ziemlich mitgenommenen Palisade umringt wurde.
Wo auch immer man hinblickte, waren noch die stummen Zeuge des Kampfes verblieben, der vor Monaten um dieses Dorf geführt worden war. Zerschmetterte Belagerungsmaschinen zierten die Straße zum eingestürzten Stadttor, die Felder den Ort herum waren oftmals bis zum Boden niedergebrannt worden, in der Palisade klafften gewaltige Einrisse und die Ruinen einiger Wachtürme ragten zum milchigen Herbsthimmel empor.
Auf den Feldern, die nun mehr öde Flächen verbrannter Erde waren, rasteten vor den ausgebrannten oder eingestürzten Ruinen einiger Häuser etliche Orks und Verräter, wobei letztere in Zelten oder den Ruinen selbst kampierten, die übrigen schliefen, wie es für ihre Spezies üblich war, auf dem Boden.
Aus der Entfernung wirkte das Gelände im fahlen Licht des frühen Morgens wie ein gewaltiger Ameisenhaufen, in den sich der Gefangenentransport langsam hinein schlängelte.
„Klasse Idee“, spottete Ilar, der, wie seine Kameraden auch, auf einem Hügel nahe den Ruinen einer alten Windmühle saß und auf das Dorf hinabblickte, „Statt sie einfach in der Schlucht zu erledigen, sind wir jetzt in diesem Drecksloch hier, wo es eine ganze Legion dieser stinkenden Bastarde gibt.“
„Auch wenn es eher selten ist, muss ich unserem Magier diesmal wohl zustimmen“, pflichtete Janus bei.
„Tjo, das sind echt viele“, kommentierte Olaf.
„Aber sie werden uns, ohne zu fragen, Einlass gewähren“, grinste Ferren, worauf ihn seine drei Kameraden entgeistert anstarrten.
„Ihr habt meine ungeteilte Aufmerksamkeit, Leutnant“, gab der Mönch mit einem Lächeln zurück, worauf Ferren damit begann, einen Plan zu erläutern, der ihm bereits in der Schlucht gekommen war.
Ihm war aufgefallen, dass ihre Feinde ein sehr einfaches System zur Identifizierung ihrer eigenen Verbündeten benutzen: Die Orks erkannte man schlichtweg daran, dass sie Orks waren, und die Verräter an ihren blutroten Kleidungsstücken, wohingegen die Schergen der Thanatoiker kein Erkennungszeichen besaßen, sondern sich einfach dadurch auswiesen, dass sie sich in Begleitung eines Todesanbeters befanden.
Somit kam Ferren zu jenem simplen Vorschlag, die dunkle Kutte des Mönches mit einem Sanduhr Symbol zu versehen, damit dieser ihrer Gruppe vorstehen konnte.
„Ich weiß nicht…“, murmelte Janus, „Ich…ich bin ein Diener des Erlösers, wir und die Thanatoiker sind Todfeinde…ich kann doch nicht meine Robe mit…“
„Nein! Nie im Leben! Nie!“, protestierte Ilar, „Wir laufen unseren Feinden direkt in ihre behaarten Arme. Das könnt ihr vergessen, nicht mit mir! Nie!“
„Also ich finde den Vorschlag gut“, stimmte Olaf zu.
„Weil dein Gehirn allenfalls mit dem einer nogronischen Kanalratte vergleichbar ist“, zischte der Magier.
„Ruhe!“, herrschte Ferren ihn an, bevor er sich langsam an Janus wandte, „Nun Bruder, das ist natürlich Eure Entscheidung, aber ich flehe Euch an, eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“
„So ist es offensichtlich“, murmelte der Mönch, „Und da es einem guten Zweck dient, soll es geschehen.“
Für einen kurzen Augenblick starrte der Leutnant in die dunklen Augen seines Gegenübers, nickte dann dankbar und wandte sich anschließend an Olaf:
„Nehmt Nadel und Faden, stickt ein paar Sanduhren auf diese Robe!“
„Natürlich“, gab der Späher sofort zurück, worauf er sich ans Werk machte, das er wenig später beendet hatte.
Mit einem Blick auf die Kutte des Mönchs stellte Ferren fest, dass seine Täuschung weniger schlecht aussah, als er erwartet hatte.
„Das funktioniert niemals…“, wiederholte Ilar.
„Und ob“, widersprach der Leutnant, der darauf den Befehl gab, sich in Bewegung zu setzen.
Langsam marschierten sie den grasbewachsenen Hügel hinab auf die gepflasterte Straße, die direkt in den Rachen der Bestie führte. Einige Meter weiter befanden sie sich schon am Eingang des Feldlagers, wo zwei Speerträger mit blutroten Armbinden über den Verkehr auf der Straße wachten. Prüfend musterten sie die Ankömmlinge, während Ilars Gesicht von einem unterdrückten Wutanfall kündete.
Janus zögerte für einen Moment, ging dann jedoch kraftvoll weiter, wobei er durch den Schleier seiner Kapuze, die er sich tief in Gesicht gezogen hatte, die Soldaten anherrschte:
„Ihr steht mir besser nicht im Weg!“
Den beiden klappte fast die Kinnlade herunter.
„Natürlich nicht“, versicherte einer von ihnen hastig und mit schwankender Stimmlage, während Ferrens Gruppe bereits an ihnen vorbei zog.
„Gut gemacht“, lobte er leise, als sie weiter über die Straße zogen, die zu beiden Seiten von kampierenden Orks verunziert wurde.
Gestank, Geschrei, das hohle Grunzen dieser Kreaturen beherrschte die ganze Gegend ebenso wie die Gewalt, die ihr gesamtes Zusammenleben zu regeln schien. Wenn etwas gewaschen werden musste, so schlug man sich darum, wer das tun hatte. Wenn es einen guten Schlafplatz gab, so schlug man sich darum. Wenn es um Frauen, Essen oder Rang ging, schlug man sich.
Ihre Schritte wurden langsamer, während sie sich durch den Sumpf der Grausamkeiten kämpften, und es war ihnen, als fielen etliche Blicke auf sie, aus den Gräben, Schlafplätzen, von den Lagerfeuern, den Zelteingängen und Wachtürmen. Aus der Menge stachen etliche Augenpaare hervor, milchig weiß, die nur darauf warteten, ihre lächerliche Tarnung zu durchschauen.
Doch die meisten Betrachter entdeckten die gestickte Sanduhr, verzogen das Gesicht zu einer grimmigen Fratze, spuckten auf den Boden und wandten sich ab. So kamen sie voran und näherten sich allmählich dem eingestürzten Stadttor, bis sich plötzlich einige Gestalten aus der dunkelgrauen Masse am Wegesrand lösten.
Es handelte sich um drei verdreckte Soldaten, die allesamt zerschlissene, dunkle Lederrüstungen sowie blutrote Armbinden trugen und eine junge, noch dreckigere Frau mit sich zerrten, die gerade noch mit einem zerfetzten Kleid bedeckt war. Sie wehrte sich nicht, sondern hing reglos in den Armen ihrer Peiniger, dass man sie fast für eine Leiche halten konnte.
Die Gruppe kam frontal auf sie zu, überquerte den Straßengraben, die zerschunden Beine der Frau klatschten auf das Pflaster.
Als die Verräter direkt vor ihnen vorbei zogen, blieb Janus abrupt stehen, während Olaf und Ferren das Szenario mit verfinsterten Augen betrachteten.
So fest er konnte, presste der Leutnant seine Handfläche in die Lederriemen seines Schwertgriffs.
„Was glotzt ihr denn so?“, blaffte einer der Soldaten, „Sie ist keine Magiern.“
Für Ferren ergaben diese Worte keinen Sinn. Er starrte sie einfach nur an, während sie die Frau wieder in den Sumpf des Feldlagers auf der anderen Straßenseite zerrten.
„Wir sollten helfen“, meldete sich Olaf.
„Bist du bescheuert?“, presste Ilar durch seine Lippen.
„Das würde uns zu sehr in Gefahr bringen“, dementierte Janus, bevor er den nächsten Schritt in Richtung des Stadttors setzte. Die anderen folgten zögerlich, wobei sie noch einmal einen Blick über die Schulter warfen.
Doch die Frau war bereits nicht mehr zu sehen, versunken in jenem dunkelgrauen Meer aus Dreck, Gewalt und Gestank.
Sie gingen weiter, ein Schritt nach dem anderen führte sie näher zum eingestürzten Stadttor, um das sie schließlich herumgehen mussten, da es unpassierbar war. Ein gewaltiges Katapultgeschoss war frontal in das Mauerwerk gekracht und hatte dieses eingerissen, sodass ein provisorisches Tor neben dem alten den Zugang zur Stadt gewährte.
Dabei handelte es sich lediglich um eine etwas breitere Breche in der Palisade, die von einigen Speerträgern der Verräter bewacht wurde, welche Ferren und seine Begleiter jedoch kopfnickend passieren ließen.
Vor ihnen erstreckte sich das Dorf, welches dem Feldlager an Dreck, Gestank und Gewalt um nichts nachstand. An allen Ecken standen streitend Orks und Verräter, der Boden war vom sauren Regen ausgewaschen, und wo auch immer man einen Fuß hinsetzte, folgte der beißende Qualm der Schmiedefeuer.
Laut klangen die Hämmer der Schmiede, die Tag und Nacht neue Waffen für das gewaltige Feindesheer schufen. Beile fertigten Balken für Belagerungsmaschinen und Meißel schufen deren klobige Geschosse, die nur jenen einen Schluss zuließen:
Der Feind bereitet sich darauf vor, gegen Galor zu ziehen.
„Das…“, begann Ilar, als sie das Dorf erreicht hatten, „war einfacher als gedacht“, er starrte auf die Wachen der Verräter zurück, „Idioten!“
„Die Frage ist nur, wo wir unsere gefangenen Kameraden finden“, murmelte Janus, während er seinen Blick über die Mauern der Lehmhäuser schweifen ließ.
Ohne einen Plan oder ein festes Ziel irrten sie weiter durch das Dorf, wobei sie auf etliche Verräter trafen, bei denen es sich ebenso um junge wie alte Männer aber nur äußerst selten um Frauen handelte. Während sie durch die geschundenen Gassen streiften und die geplünderten Läden sowie Kneipen passierten, fragte Ferren sich, wie diese Menschen den Orks und Thanatoikers gegenüber so loyal ergeben sein konnten, dass sie für diese sogar gegen ihre ehemaligen Verbündeten ins Feld zogen.
„Die Angst“, antwortete er sich selbst, „Die Angst hat sie all ihren Mut, all ihre Ehre über Bord werfen lassen.“
Nachdem sie ein wenig im Kreis gelaufen waren, mündeten die Gassen schließlich in eine breitere Straße, auf der noch die schwellenden Reste zerschmetterter Belagerungsmaschinen verweilten. Jeder Pflasterstein war gebrochen und der Rinnstein immer noch verstopft mit geronnenem Blut, während die Bäume, welche die Straße einst zu einer Allee gemacht hatten, allesamt bis zu den Stümpfen abgeschlagen waren.
Sah man sich um, so entdeckte man keine Pflanze, keinen Flecken Erde, der nicht verdorrt oder versengt war.
Am Ende des Weges thronte ein großes Haus, dessen Fasse bröckelig war und von tiefen Rissen verunziert wurde, während in der Mauer, die es umgab, unzählige, große Löcher klafften. Im Hof vor dem Anwesen stand der Karren, mit dem man ihre gefangenen Kameraden transportiert hatte.
Der Käfig darauf war jedoch leer.
Ariona saß in einem finsteren Erdloch, umringt von bröckligen Wänden und beschienen von einem ekelhaft gelblichen Licht, das eine vereinzelte Fackel durch ein Loch in der Lehmmauer aus dem Nebenraum zu ihr hineinwarf. Sie war allein, nun nachdem man sie von den anderen getrennt und an diesen finsteren Ort gebracht hatte.
Missmutig ließ sich an der Lehmwand herab auf den rauen Felsboden sinken, dessen Kälte langsam durch ihre Robe sickerte, und umfasste ihre Knie mit ihren verdreckten Händen. Erneut sah sie sich in der kleinen Zelle um, erinnerte sich an ihre Gefangenschaft in den delionischen Kerkern und fragte sich, was sie hier noch erwarten würde.
„Warum nehmen sie uns gefangen, anstatt uns zu töten? Warum trennen sie mich von den anderen? Warum ausgerechnet mich?“
Oft genug hatte sie den Todesanbeter, der den Orktrupp befehligte, über weibliche Magier reden hören, hatte neben den peinigenden, begierigen Blicken der Orks auch den seinen erfahren. Doch der Thanatoiker war stets kalt und berechnend gewesen, sodass sie sich sicher war, sein Interesse an ihr rührte keinen körperlichen Gelüsten her.
Das jedoch machte ihr letztlich nur noch mehr Angst.
„Und was ist mit Tymaleaux, diesem ekelhaften Bastard? Wenn er uns verraten hat, dann sicherlich auch de Nord. Aber wo steckt er? Ist er zu feige, seinen Verrat offen zu zeigen? Oder sitzt er schon in irgendeinem Schloss und schlägt sich den Bauch mit Fasan und Kaviar voll?“
Während sie darüber nachdachte, fiel ihr Blick auf die morsche Holztür, welche den einzigen Ausgang aus dem Loch bildete, das ihr Gefängnis war. Zwar hatte sie in den letzten Tagen keinen einzigen Bissen zu sich genommen und allenfalls ein halbes Glas Wasser getrunken, doch fühlte sie sich noch imstande mittels ihrer magischen Kraft einen derart lachhaften Verschlag aufzubrechen.
Ein letztes Mal fixierte sie die Brettertür.
„Sind die Thanatoiker wirklich so dumm?“, fragte sie sich, während ihr Blick auf all die Splitter fiel, die aus dem Holz des Verschlags ragten, und mit einem Mal befiel sie, eine jähe Furcht, sich verletzen zu können.
Im nächsten Moment strotzen die Balken vor Stärke und Frische, als hätte man sie gerade erst aus einem stolzen Baum geschlagen, die Scharniere glänzten im grässlich gelben Licht.
Sie blinzelte, betrachtete erneut die Tür, die plötzlich so ungeheuer massiv wirkte, und zweifelte nun daran, ob es ihr möglich war, sie aufzubrechen.
Doch der Zweifel hielt nicht lange.
„Diese Tür wird mich nicht aufhalten!“, sagte sie sich, bevor sie sich erneut dem Verschlag zuwandte, sich erneut auf ihre Magie konzentrierte. Kaum hatte sie das getan, erklangen leise Schritte, die sich langsam näherten und dabei durch das lehmbraune Gemäuer hallten.
Als sie die Tür fast erreicht hatten, hob Ariona erwartungsvoll ihren Blick und war erstaunt, dass nichts geschah. Obwohl die Schritte verhallt waren, hatte niemand die Tür geöffnet und nicht einmal das leise Flüstern eines Atemzugs war durch die Balken zu hören.
Mit finster funkelnden Augen starrte sie erneut auf den Verschlag, wobei ihr eines klar wurde:
„Diese Tür ist verflucht.“
Missmutig ließ sich an der Wand zum Boden herabsinken, überwältigt von der Gewissheit, dass diese Zelle eigens für Magier angefertigt worden war und es daher keine Fluchtmöglichkeit gab.
„Aber was ist mit Truzos?“, fragte sie sich, „Warum haben sie ihn nicht auch hier unten eingesperrt, sondern mit den anderen weggebracht? Warum ich? Was wollen die von mir?“
Ihr Blick flog hastig über das Gemäuer, während sie mit weit geöffneten Augen nach einer Schwachstelle suchte, ohne dabei fündig zu werden. Trotzdem sprang sie auf, hob die Hände, in denen die Magie verhalten knisterte.
„Ihr haltet mich nicht in diesem Loch gefangen!“, schrie sie innerlich, bevor sie ihren Zauber entfesselte und seine geballte Macht gegen die Tür schleuderte.
Als der Feuerball ihre Hände verließ, versengte er ihre Haarspitzen, die Luft im Raum wurde urplötzlich unerträglich heiß und der feurige Schein fegte das ekelhaft gelbe Licht hinweg. Das Feuer glomm selbst in ihren Augen, während das Geschoss auf die Tür zu raste.
Diese jedoch verschluckte es einfach, die Wärme ebbte ab und das gelbe Leuchten flutete erneut in den Raum, die Tür hingegen verweilte unverändert, ihre Balken strotzten immer noch vor Stärke.
Ariona hingegen sank erneut zu Boden, während eine jähe Mattigkeit das feurige Glühen aus ihren Augen verjagte.
„Du kommst hier niemals raus“, gestand sie sich ein, während die vom Wirken der Magie hervorgerufene Schwäche ihre Glieder schwer herabzog.
Dann ertönte jedoch ein leises Klirren, das sich von irgendwoher langsam der Tür näherte und dabei beständig lauter wurde, weshalb sie bald das Hallen schwerer Schritte aus dem Scheppern heraushören konnte.
Als es direkt vor dem Verschlag einhielt, fragte sie sich, ob es auch nur ein Teil des Fluches oder doch Realität war.
Ein lautes Knarren, mit dem die Tür geöffnet wurde, entriss sie jäh ihrer Ungewissheit.
Eine Gestalt in schwerer, gräulicher Kettenrüstung, die einen schwarzen Umhang über den Schultern trug, schob sich in den Raum, wobei sie die Tür hinter sich verschloss. Ein Blick in das fahle Gesicht unter den verdreckten, blonden Strähnen brachte der Novizin Gewissheit über die Identität ihres Gegenübers, bei dem es sich um jenen Todesanbeter handelte, der ihren Konvoi begleitet hatte.
Obwohl sich der Mann scheinbar mit dem Wirken von schwarzer Magie zurückgehalten hatte, zeigte sein Äußeres doch deutliche Spuren der Verderbnis, die einen jeden Schwarzmagier wie eine Brandmarke prägte.
So hatte die schwarze Berührung die Haut des Thanatoikers ausgemergelt, weshalb sie sich nun fest über die Knochen spannte und einen fahlen Grauton besaß, wohingegen seine Augäpfel von aderdünnen, schattenschwarzen Geschwüren durchzogen wurden, die in seinen Pupillen zusammenliefen.
Im Vergleich zu den Erinnerungen jedoch, die Ariona an Abbildungen aus Lehrbüchern hatte, welche die Auswirkungen von Schwarzmagie auf den Wirker sehr detailliert dargestellt hatten, sah dieser Hexer noch durchaus passabel auf.
Ohne ein Wort zu sprechen, musterte er die Novizin, wobei er langsam und zischend atmete.
„Ihr macht mir viel Ärger“, raunte er schließlich mit einer Stimme, die in schwacher Art verzerrt war, sodass sie wie durch eine Scheibe gesprochen klang, „Ja, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie viel Ärger Ihr mir macht. Eine ganz gewöhnliche Novizin…“
„So?“, entgegnete Ariona gedehnt, wobei sie sich aufrichtete.
„Ja, in der Tat“, ihr Gegenüber ließ den Blick seiner entstellten Augen von ihren Zehen bis zu ihrer Stirn streifen, „Wenn Ihr wenigstens fett wärt, oder hässlich…dann hätten die Orks kein Interesse an Euch, dann hätte niemand ein Interesse an Euch und ich könnte Euch ganz einfach nach Narbenfels bringen.“
Für Ariona ergaben die Worte ihres Gegenübers keinen Sinn und die Tatsache, dass er nun eher auf die Wand hinter ihr als auf sie starrte, ließ sie vermuten, dass er lediglich zu sich selbst sprach.
„Aber so ist es eine Katastrophe…ich finde niemals eine Eskorte, die Euch sicher nach Narbenfels bringt…es ist eine Katastrophe…“
„Wovon redet Ihr, verdammt?“, blaffte Ariona, doch seine glasigen, durchwachsenen Augen rührten sich keinen Millimeter und seine blassblauen Lippen formten erneut verzerrte Worte:
„Nun, die ganze Situation zwingt mich…ich muss es gleich hier tun…wie hoch wäre auch die Chance?“, er grinste matt, bevor er mit seiner Rechten an seinen Gürtel fuhr und einen Dolch zog.
Ariona wich entsetzt ein Stück zurück, wobei sie gegen die steinerne, gezackte Wand knallte.
Die grässlich gekrümmte Silberklinge funkelte im ekelhaft gelben Licht, während die finsteren Runen, die in ihre Oberfläche geätzt waren, gespenstisch grün leuchteten.
Sie wusste, um welche Art von Waffe es sich handelte.
Solche Klingen waren ein großes Werk schwarzer Magie, bei dem die Seele eines Opfers in die Waffe gesperrt wurde, um dieser gewaltige Macht zu verleihen, sodass sie grausamste Wunde zufügen und selbst die stärksten Rüstungen durchdringen konnte.
„Was soll das? Was wollt Ihr?“, kreischte sie, während sie schützend ihre Hände vor sich hob.
„Schweigt, Made!“, bellte er, bevor er ihre Deckung mit diabolischer Kraft einfach zur Seite schlug, um sie anschließend mit der Linken am Hals zu packen und sie hochzuheben.
Während seine eisige Klaue ihr die Luft abschnürte, sie wild um sich schlug und strampelte, führte der Thanatoiker seine Klinge unbeirrt weiter an ihre Brust.
„Es geht ganz schnell“, lachte er, bevor er den Dolch ein letztes Mal kurz zurückzog.
Dann stach er zu.
Ariona hatte gerade noch Zeit, die Augen zu schließen, womit eine quälende Ewigkeit begann, in der sie nichts mehr zu fühlen schien.
Der Druck an ihrer Kehle verging, sodass es ihr vorkam, als würde sie schweben.
„Du wirst sterben“, sagte sie sich, wobei sie sich eingestehen musste, dass sie trotz der Mission, an der sie beteiligt war, niemals über den Tod nachgedacht hatte.
„Bin ich zu arrogant gewesen?“, fragte sie sich und fühlte sich mit einem Mal verbunden mit dem Marquis, dessen „Zweifel ist Gift“ jäh durch ihre Ohren hallte.
„Ich bin nie davon ausgegangen, zu sterben“, wurde ihr klar, während sie die Augenlider noch fester zusammen kniff, „Jetzt ist es soweit.“
Tatsächlich durchzog in diesem Moment ein Schmerz ihre Brust, ein heftiges Hämmern das gegen ihre Rippen quetschte und die letzte verbliebene Luft aus ihren Lungen presste.
Dann atmete sie auf.
„Das war alles?“
Plötzlich ertönte ein lauter Knall, eine weitere Schockwelle stieß gegen ihren Körper und presste sie härter gegen die Wand, dass sich die felsigen Zacken in ihren Rücken bohrten.
Ein Licht erschien, so golden und hell, dass es durch ihre geschlossenen Lider leuchte und die Realität aus ihrem Geist brannte.
Als sie die Augen öffnete fand sie sich in einem Raum wieder, dessen Wände, Boden und Decke nur aus strahlend weißem Licht zu bestehen schienen, weshalb seine Größe unschätzbar war.
Sie war unfähig, sich umzudrehen, und doch rissen unnatürlich Kräfte sie mit einer Stärke zurück, der sie kaum widerstehen konnte.
Während sie noch gegen den geballten, unnatürlichen Sog ankämpfte, erschien vor ihr ein Mann, der nicht mehr war als eine Silhouette vor dem Strahlen des Lichts.
Gerade noch konnte sie seine prunkvolle Rüstung erkennen, doch seine Gesichtszüge waren vom Licht wie weggeblendet.
„General Algaz dankt Euch“, sprach er mit schwacher Stimme wie durch dichten Nebel.
„Wer…Was…“, keuchte sie, die immer stärker in den Sog gerissen wurde.
„Dies ist nicht der Ort für Antworten, fürchte ich“, entgegnete ihr Gegenüber matt, bevor es im Licht förmlich explodierte.
Der Sog wurde zu stark, sie musste erneut die Augen schließen, nachgeben und wurde davon gerissen.
Als sie die Lider wieder öffnete, befand sie sich in der ekelhaft gelben Zelle in Mitten der lehmbrauen Felswände und starrte auf den Thanatoiker, der, sich den rechten Arm haltend, in die Ecke ihr gegenüber gesunken war. Ariona starrte auf ihn herab, sah seinen versengten Arm und die eingeschmolzenen Überreste seiner Seelenklinge, fühlte zugleich ihre körperliche sowie geistige Erholung und verstand nichts mehr.
Sie blickte an sich hinab auf ihre Herzseite, wo der Todesanbeter zugestochen hatte, doch außer einem schmalen Riss und einem Rußfleck in ihrer Robe befand sich dort nichts, nicht einmal ein einziger Tropfen Blut.
„Was ist hier passiert?“, fragte sie sich, „Wer zum Henker ist General Algaz? Wieso lebe ich noch und warum geht es mir so gut, als hätte ich vernünftig geschlafen und bestens gegessen?“
„Ihr…“, ächzte der Todesanbeter mit einem wahnsinnigen Funkeln in seinen geschwärzten Augen, während er sich langsam wieder aufrichtete, „Oh, Euer Fund wird mein großer Triumph sein“, ein irrsinniges Lachen verließ seinen weitaufgerissenen schwarzen Schlund, während er von seinem heftig verbrannten rechten Unterarm keine Kenntnis mehr zu nehmen schien, „Der Meister wird mich majestätisch entlohnen und im Schattenreich wird mir der Schwarze Fürst mehr Macht verleihen als es je einem Sterblichen vergönnt war!“
„Dazu wird es aber nicht mehr kommen“, entgegnete Ariona mit einem überlegenen Grinsen, bevor sich mit der ganzen Kraft ihres zierlichen Körpers gegen den Thanatoiker warf.
Dieser wurde, viel zu überrascht, um reagieren zu können, mit ihr durch die Tür gestoßen, wo er rücklings gegen die steinerne Wand eines langen, tunnelähnlichen Ganges prallte.
Den Bannkreisen der Zelle entkommen, fühlte Ariona ihre magische Kraft in rasender Geschwindigkeit zurückkehren.
Sofort lenkte sie diese Macht in ihre Fingerspitzen, bevor sie sich noch einmal dem Thanatoiker zuwandte:
„Du wirst jetzt brennen, Hundesohn!“, ihr Zischen ging in das eines Feuerblitzes über, der auf ihr Gegenüber zuraste, worauf dieses gequält die Arme hochriss.
Eine Blase aus gespenstisch fahl grünem Licht umhüllte den Todesanbeter und absorbierte den Feuerblitz gänzlich.
Bevor sie wieder verschwunden war, setzte ihr Wirker nach, indem er eine Welle pechschwarzer Dämpfe gegen Ariona fluten ließ, die sie gänzlich einhüllte. Der beißende Qualm legte sich auf ihre Augen und Glieder, sodass sie nichts mehr sah und sich wie gelähmt fühlte, während sie verzweifelt versuchte, gegen den Fluch des Thanatoikers anzukämpfen.
In ihrem Geist spürte sie seinen Willen wie eine erdrückende Kraft, der sie sich entgegenstemmen musste.
Noch nie zuvor war sie direkt mit schwarzer Magie in Kontakt gekommen, doch nun, da sich der Zauber ihres Feindes wie ein Schraubstock um sie schloss, glaubte sie zu verstehen, warum ihr Wirken so berauschend war.
Es konnte nur jene schiere Macht sein, die die der direkten und elementaren Magie wie ein Gebirgszug überragte. Doch trotz allem ging sie nicht unter, trotz allem konnte sie noch kämpfen, konnte noch mit dem Todesanbeter ringen, sodass sie sich beide mit verkrampften Mienen gegenüberstanden, während sie versuchten, den Willen des anderen zu überwinden.
Langsam aber begann Ariona, die Kraft des Fluches zurückzudrängen und der eisige Griff, der auf all ihren Muskeln lag lockerte sich ein wenig.
Unter größten Anstrengungen stemmte sie ihre Augenlider ein Stück auf, worauf das Licht in ihre Pupillen und ihre Seele fiel. Der Rest war ein Kinderspiel, sodass sie in einer einzigen machtvollen Bewegung die Klammer des Zaubers abstreifte und dessen Macht auf ihren Wirken zurückfeuerte.
Der Todesanbeter schwankte, kippte rücklings gegen die lehmbraune Felswand und bekam gar nicht mehr mit, wie ihre Augen gnadenlos funkelten, als sie ihm einen weiteren Feuerball entgegenschleuderte.
Für einen Moment schien der Thanatoiker mit dem Geschoss zu verschmelzen, dass sie sich schon fragte, ob er es doch noch geschafft hatte, ihren Zauber abzuwehren.
Dann jedoch züngelten die Flammen über seinen ganzen Körper.
Laute Schreie waren eine Symphonie der Genugtuung in ihren Ohren, während sie beobachtete, wie die goldenen Flammen sich in wundervollen Spiralen um ihn schlangen und langsam sein Fleisch verzehrten.
Zuletzt kippte ein verkohltes Objekt zu Boden, dem man nicht mehr ansehen konnte, dass es einst ein Mensch gewesen war.
Sie jedoch stand immer noch starr an den Wand gegenüber, wo das gehässige Lächeln, das so lange ihr Gesicht geziert hatte, von einer Welle der Ratlosigkeit ertränkt wurde. Sie stand einfach dort und konnte sich nichts mehr erklären.
Als sie auf die Tür ihrer Zelle blickte, fragte sie sich, ob es wirklich erst ein paar Minuten her war, dass man sie dort noch gefangen gehalten hatte.
Sie sah auf ihre Robe, wo ihr der gewaltige Rußfleck über ihrem Herzen entgegenstarrte und nur eine Frage stellte:
„Was ist geschehen?“
Für einen kurzen Moment, glaubte sie, der Diamantfaden könnte die Klinge aufgehalten und sie gerettet haben, doch die Erinnerungen an ihre Ausbildung an der iskatischen Magierakademie widersprachen, dass Seelenklingen durch so ziemlich alles schnitten.
Außerdem erklärte das nicht, warum ihre geistige und körperliche Kraft regeneriert worden war, und zu guter Letzt klaffte noch die gespenstische Vision General Algaz‘ zwischen all den Ungereimtheiten. Aber die Flut der Fragen ebbte ebenso schnell ab, wie sie gekommen war, sodass sie mit einem Mal nur noch den langen, steinernen Gang sah, an dem noch weitere, allerdings leere Zellen lagen.
Ihr Blick hob sich zu der unsauber in den Fels gehauenen Treppe und mit einem Mal setzte sich ihre Beine in Bewegung, eilten die Stufen hinauf zu der hölzernen Tür am Ende. Sie floh von den Zellen, den Fragen und dem eingeschmolzenen Gesicht des Thanatoikers, dessen leere Augen ihr trotzdem zu folgen schienen.