Fantasy & Horror
Die Gebrochene Welt I (Kapitel 7; Teil 1/4) - Der Fall Fiondrals

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"Die Gebrochene Welt I (Kapitel 7; Teil 1/4) - Der Fall Fiondrals"
Veröffentlicht am 30. August 2012, 32 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
Die Gebrochene Welt I (Kapitel 7; Teil 1/4) - Der Fall Fiondrals

Die Gebrochene Welt I (Kapitel 7; Teil 1/4) - Der Fall Fiondrals

Beschreibung

Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze) Titelbild: "Einsturzgefahr" by "Paulo Claro" Some rights reserved. Quelle: www.piqs.de

Kapitel 7: Verderbnis (Teil I)

7. Mondweihe. 52 n.V.
Die Spur der Orks hatte die kleine Gruppe um Ferren in ein zerklüftetes Schluchtengebiet geführt, in dem ebenfalls Pinien die Flora dominierten.
„Der Weg ist breit“, stellte Olaf fest, während sie einer erstaunlich gut befestigten Straße folgten, die sich um die etlichen, felsigen Hügel schlang.
„Ach was“, blaffte Ilar, der, obwohl er im Schatten ging, häufig blinzelte.
„Ich glaube, er fürchtet, dass wir hier Patrouillen begegnen könnten“, merkte Janus an, der sich gegen eine Pinie lehnte.
Auch Ferren hielt kurz inne und blinzelte, um wieder etwas Klarheit in sein verschwommenes Sichtfeld zu bringen.
Nun da er still stand, schmerzten seine Muskeln, als hätte man tausend Nadeln darin versenkt.
Seine Augen brannten, sehnten sich nach der kühlen Dunkelheit, seine Füße spürte er schon fast nicht mehr.
Er sah, wie Janus erschöpft an dem Baum lehnte, sah Olaf tief gähnen und Ilar, der sich auf einem Stein niederließ.
„Sir“, sprach der Mönch schließlich, „Wir sind schon seit fast zwei Tagen auf den Beinen…ohne Schlaf. Wir sollten rasten.“
„Richtig“, stimmte Ilar zu, „Diese beschissenen Steine bohren sich langsam durch meine Schuhsohlen.“
„Ich bin auch müde“, ließ Olaf verlauten.
Ferren jedoch blickte starr auf den Weg vor ihnen.
„Wir können nicht…“, sagte er und machte bereits einen Schritt weiter.
Doch noch in der Bewegung stach ein sengender Schmerz wie ein Schüreisen durch seine Kniekehlen und sein Körper sagte:
„Nein, nicht weiter.“
„Ich muss!“, erwiderte er, wobei er einen weiteren Schritt versuchte, bei dem er jedoch fast zu Boden stürzte.
„Nicht weiter…“
Er taumelte, schaffte es gerade noch, sich wieder zu fangen, als auch schon Janus herbeieilte und ihm helfend die Hand entgegenstreckte.
„Danke…Bruder“, keuchte er, während der Mönch ihn zu einem Baum führte.
An das starke, feste Holz gelehnt, ließen seine Schmerzen etwas nach und während über ihm einige Vögel zwitscherten, ordnete sich langsam der Scherbenhaufen seiner Gedanken.
„Ja…“, sagte er gedehnt, „Ihr habt Recht. Wir sollten rasten. Allerdings nicht gleich an der Straße.“
„Hier ist ein Pfad“, vermeldete Olaf.
„Pfad?“, ächzte Ilar, wobei er auf einen Streifen niedriger Grashalme blickte, der sich zwischen einigen Steinen hindurch tiefer in die Schlucht schlängelte, „Das ist bestenfalls für eine stinkende, elipfische Bergziege ein Pfad.“
„Nein, das ist ein Pfad“, erwiderte Olaf, „Auch für Menschen.“
„Pass mal auf!“, blaffte Ilar, „Wenn du glaubst, dass ich da runter gehe, dann…“
„Ilar“, unterbrach Janus mit freundlichem Unterton, „lasst es gut sein und folgt unserem Kameraden. Bald soll Euch Ruhe vergönnt sein.“
„Ruhe, Ruhe“, äffte der Magier, „Die hab ich im Grab, wo ich dank unseres Fährtenlesers auch sehr bald sein werde.“
„Ilar! Klappe halten!“, befahl Ferren, „Olaf, Ihr geht voran!“
So geschah es. Doch als sie den Pfad beschritten, mussten sie feststellen, dass ihr cholerischer Magier mit seiner Vermutung alles andere als falsch gelegen hatte. Unter dem Gras lagen zu Haufe lockere Steine, die sofort wegrutschten, sobald man auch nur eine Zehenspitze darauf setzte.
Hastig stolperten sie von einem Fehltritt in den nächsten, handelten sich die ein oder andere Blessur ein und erreichten schließlich noch erschöpfter als zuvor eine kleine Lichtung, die auf einem großen Felsen oberhalb eines ausgetrockneten Flusslaufes lag, der sich über Jahre hinweg durch den dunklen Stein gefressen hatte.
„Hier rasten wir!“, sagte Ilar unerbittlich.
„Ja, der Platz ist gut zum Rasten“, stimmte Olaf zu.
„Selbst wenn es der Kerker von Murngard wäre…“, zischte der Magier, während er bereits seine Bastmatte ausbreitete.
„Ah, diese Luft“, schwärmte der Mönch, der, am Rande des Felsens stehend, über die Wipfel der Bäume und die zerklüfteten Schluchten hinwegblickte.
Nachdem sie sich aus Matten, Geäst und Farn ein recht ansehnliches Lager geschaffen hatten, teilte Ferren die Wachen ein.
Da er die erste selbst übernahm, legten sich seine Gefährten schlafen.
Ilar war der erste, der zu Schnarchen begann, alsbald fielen auch Olafs Augen zu. Zuletzt wurde Janus vom Schlaf übermannt.
Der Wind strich sanft durch die Nadeln der Pinien, zischte zwischen den zerklüfteten Felsen. Von fern erschallte das Krächzen einiger Krähen, während zugleich Grillen zirpten, irgendwo rauschte ein Fluss, das Geäst knackte leise.
Ferren saß aufrecht in Mitten des Lagers, ließ seinen Blick über die scheinbar unbelebte Gegend schweifen, und fühlte sich plötzlich allein.
Nun da er saß, schrie sein Körper wieder nach Bewegung, seine Muskeln brannten in jedem unbewegten Moment und ächzten zugleich nach Ruhe, wenn sie angespannt wurden.
Körper und Geist zerrissen, konnte, durfte, wollte er nicht rasten.
„In jeder Sekunde entfernt sie sich ein Stück weiter. Gleitet aus meinen Händen…“

Die Reitergruppe erreichte den mittleren Norden, ein weites, kühles Hügelland, das von dem dunkelgrünen Mantel mächtiger Nadelwälder überzogen wurde. Über die dunkel gepflasterte Straße gelangten sie unter Vanessas Führung durch ein kleines Dorf.
Ein paar Soldaten, die an dem Weg Wache hielten, grüßten die vorbei ziehenden Reiter respektvoll, wohingegen die meist alten Bewohner des Ortes ihnen eher verächtliche Blicke zuwarfen.
Nur de Nord wurde von beiden Parteien mit der gleichen Verwunderung betrachtet, der er eine kalte Verächtlichkeit entgegensetzte.
Als er seinen Blick vom gemeinen Volk abwandte, sah er die gewaltigen, bewaldeten Gipfel der nördlichen Vorgebirge über ihm thronen, unter denen an einem Hang ein schneeweißes Anwesen aus dem Dunkelgrün des Waldes hervorstach. Ein schmaler Weg wandte sich hinauf.
Ihr Ziel, wie der Marquis glaubte.
Tatsächlich bog Vanessa alsbald von der Straße ab, um jenem steilen Weg zu folgen, den ihre erschöpften Pferde nur langsam beschreiten konnten, und während die Reiter untereinander tuschelten, entdeckte de Nord einige Wachtürme, welche fast unsichtbar in die Reihen der Bäume eingegliedert waren und sich den Hang hinauf, bis zu einem schweren, schmiedeeisernen Gittertor zogen, das in einen geweißten, niedrigen Steinwall eingelassen war.
Vier Speerträger in schweren Rüstungen kamen ihnen in Reih und Glied entgegen, sodass sie gezwungen waren, einzuhalten.
„Gebt Euch zu erkennen!“, forderte einer der Soldaten.
„Ich bin Leutnant Vanessa Firani aus der Elitegarde des Lords“, gab sie zurück, „Ich bringe seinen Gast.“
„Wie lautet Eure Parole?“, fragte die Wache unbeirrt.
Es war still. Kein Wind rauschte durch die Wipfel der Bäume, die Vögel schwiegen, während die Bogenschützen still atmend von ihren Türmen auf die Ankömmlinge hinabblickten. Einige graue Wolken verdüsterten den Himmel. Das Wetter im Norden war bereits zum Herbstbeginn schlecht.
„Lemorgant“, antwortete sie schließlich und die Sehnen der Bögen, die auf die Gruppe gerichtet waren, entspannten sich.
„Wie überaus passend“, kommentierte Lucian, während der Wächter eine Art Notizblock aus seiner ledernen Gürteltasche kramte. Nachdem er diesen kurz durchpflügt hatte, hob er den Blick wieder zum Leutnant:
„Die Parole ist in Ordnung. Sie gilt allerdings nur für Euch und den Ge…Gast. Der Rest Eures Trupps wird hiermit von Eurem Kommando entbunden und an die Front beordert.“
„Bitte was?“, keuchte Vanessa.
„Na klasse“, seufzte einer der Reiter.
„Es ist des Lords persönlicher Befehl“, beharrte der Wächter.
„Ihr habt es gehört, Jungs“, wandte sich Vanessas Fähnrich an den Rest des Trupps, „Sieht so aus, als hätte unser hübscher Leutnant jetzt was Besseres zu tun. Also auf, auf!“
Mit diesen Worten wendete er sein Pferd und galoppierte  den Weg wieder hinab, während sich ihm die übrigen zaghaft anschlossen.
„Eure Waffen“, verlangte der Wachmann, nachdem sie verschwunden waren.
„Ihr solltet wissen, dass man mein Schwert nur von meiner Hand trennen kann, indem man diese von meinem Körper trennt“, entgegnete de Nord.
„Seid nicht dumm!“, zischte der Leutnant, während der Wächter ihn noch taxierte.
Dann hob er die Stimme:
„Wir wurden vor dieser Antwort bereits gewarnt“, murmelte er, „In diesem Fall soll es Euch erlaubt sein, Euer Schwert weiter zu tragen, Eure Armbrust jedoch…“
„Hier habt Ihr sie!“, unterbrach de Nord forsch, wobei er sie einem der Speerträger zuwarf. Dieser ließ gar seine Lanze fallen, um die Waffe aufzufangen.
Während der eiserne Speer klirrend zu Boden fiel, drehte sich der Vorsteher mit einem bedeutungsvollen Blick wieder zu Vanessa:
„Eure Waffen bitte.“
Sie stutze einen Moment, hob eine Augenbraue und zischte dann zurück:
„Das kann doch nur ein Witz sein! Er darf sein Schwert behalten und ich…“
„Die Befehle des Lords sind klar“ unterbrach ihr Gegenüber.
De Nord lachte leise, als sie ihr Schwert, ihre Armbrust und einen zuvor versteckten Parierdolch abgab.
Anschließend warf sie ihm einen allzu finsteren Blick zu.
Nachdem man auf Befehl des Vorstehers das Tor geöffnet hatte, kamen zwei weitere Speerträger herbei, um Lucian und Vanessa in die weiße Villa zu geleiten.
„In Anbetracht Eurer Parole nehme ich an, dass Ihr wisst, wer ich bin“, fragte de Nord, während sie durch die grünen Parkanlagen auf den Eingang zugingen.
„Ich habe es mir gedacht“, antwortete Vanessa.
„Ich finde es verwunderlich, welche Gelassenheit Ihr darüber zeigt“, Lucian wirkte geradezu beleidigt.
„Euer Freund Tymaleaux…“
„Er ist nicht mein Freund, sondern ein bemitleidenswertes Insekt“, unterbrach der Marquis.
„Wie auch immer“, fuhr sie fort, „Er erwähnte Eure Maskerade, als er mit den Thanatoikern über seinen Verrat verhandelte. So kamen wir darauf“, sie machte eine kurze Pause, „Ich muss allerdings sagen: Als ich Euch zuerst gesehen habe, habe ich daran gezweifelt, ob Ihr es wirklich seid.“
„Was gibt es daran zu bezweifeln?“, keuchte Lucian.
„Nun, Ihr seid jung…ich hätte mir den gefallenen Prinzen älter vorgestellt. Außerdem hatte ich gedacht, er wäre tot.“
„Was augenscheinlich nicht der Wahrheit entspricht.“
„Ja, wohl war“, seufzte sie, „Nach dem ersten Gespräch mit Euch, war mir klar, dass Ihr Lemorgant sein musstet. Niemand sonst hätte so störrisch sein können. Ich wundere mich ein wenig, dass wir Euch nicht in Ketten herbringen mussten.“
„Hätte ich erwogen, mich zu wehren, hättet ihr eine Leiche zurückbringen oder den Schöpfer um Gnade anflehen können“, entgegnete er, worauf sie spöttisch lächelte.
Als sie die schwere, dunkle Doppeltür erreichten, wurde diese sogleich geöffnet, sodass sie die gewaltige Eingangshalle betreten konnten, die den Botschaften in Galor um nichts nachstand. Den einzigen gravierenden Unterschied stellten die blutroten Banner dar, die im Luftzug sanft an den Wänden wogten. Eine grobgestickte, schwarze Zackenkrone prangerte auf ihnen.
„Das Wappen der Verräter“, erklärte Vanessa, die Lucians Blick gefolgt war.
„Nichts, worauf man stolz sein könnte“, zischte er, bevor er sich von ihr abwandte und den Speerträgern in das nächste Zimmer folgte.
Kopfschüttelnd ging sie hinterher.
Vor ihnen erstreckte sich ein gewaltiger Saal, der auf der Rückseite durch eine weiße Säulenwand in eine breite Terrasse auf der Rückseite des Anwesens mündete.
Die Wachen führten Lucian und Vanessa zwischen den mächtigen Säulen hindurch ins Freie, wo auf dem weißen, glänzenden Stein ein hölzerner Thron hinter einem ebenfalls steinernen Tisch stand. Wie Statuen ragten reglose Wächter am Rande der Terrasse auf, wort- und regungslos. Bewegung ging lediglich von der Person aus, die sich, auf dem Thron sitzend, bereits an den reichhaltigen Speisen bediente, mit denen man den Tisch überhäuft hatte.
Zwei weitere, niedrige Stühle standen ebenfalls dort.
„Ah, unsere Gäste!“, rief die Gestalt am Tisch und winkte eifrig, „Kommt heran, kommt setzt euch!“
Langsam gingen Vanessa und Lucian über die Terrasse, während die beiden Speerträger hinter ihnen zurückblieben. Dennoch wurden sie von einem Dutzend Augenpaaren verfolgt.
Als sie den Tisch erreichten, war die Person auf dem Thron endlich deutlich zu erkennen.
Es handelte sich um einen Mann höheren Alters mit verfilzten, graumelierten Haaren und gewaltiger Hakennase. Allerdings kleidete er sich elegant mit einem weißen Seidenhemd, über dem er eine schwarze Robe aus dem gleichen Stoff trug.
Dennoch wirkte das silberne Tiara auf seinem ungepflegten Haar gänzlich deplatziert.
Neben ihm ragte reglos ein bulliger Hüne auf, der geradezu aus seiner Lederrüstung herauszuplatzen schien.
Ein blutroter Mantel lag über seinen Schultern.
„Bitte, bitte setzt euch“, forderte der Sitzende seine Gäste auf, während er seine silberne Gabel in einem Hähnchenschenkel versenkte, der auf einem goldbekränzten Tablett vor ihm lag.
Die beiden Ankömmlinge leisteten seiner Bitte wortlos Folge.
„Oh, ich habe mich gar nicht vorgestellt“, schmatzte er, „Ich bin…“
Er verstummte, offensichtlich um einen Bissen herunter zu schlucken, worauf der Hüne an seiner Seite sofort das Wort ergriff:
„Das ist Lord Navaras, Oberkommandeur der Verräter und künftiger Kaiser Fiondrals.“
„Ja, Kryleg. Gut ausgedrückt“, lobte Navaras, nachdem er sich seinen Mund mit einer seidenen Serviette abgeputzt hatte, „Bitte, greift zu!“, er deutete auf das Essen.
De Nord langte sofort nach dem Fasan, um anschließend noch Kaviar auf seinen Teller zu schaufeln, wohingegen Vanessa reglos auf ihrem Stuhl verharrte.
„Ist es“, fuhr der Lord fort, nachdem er einen weiteren Bissen genommen hatte, „Euch lieber bei eurem derzeitigen Namen zu bleiben, oder fordert Ihr die Euch gebührende, königliche Würde ein?“
„Wenn mir schon einmal vergönnt ist, sie fordern zu können, wäre ich ein Narr, es nicht zu tun“, gab Lucian zurück.
„Wie Ihr wünscht, Prinz Lemorgant“, sprach Navaras langsam, „Ich heiße Euch also auf meinem bescheidenen Anwesen willkommen…Eure Hoheit.“
„Ich will nicht unhöflich erscheinen“, erwiderte der gefallene Prinz, „Aber ich bin hier, weil man mir einen Handel und Antworten versprach. Ich will natürlich nicht verhehlen, dass Ihr einen ganz annehmbaren Geschmack besitzt, was Speisen angeht, aber ich wüsste sie gerne mit ein paar Antworten versüßt.“
„Nun, wie Ihr wollt. Ihr sollt eure Antworten bekommen“, sagte Navaras nach einem Schluck Wein, um anschließend ein leichtes Lächeln aufzusetzen, sich noch einen Bissen Hähnchen einzuverleiben und dann erst mit seinem Bericht zu beginnen:

Vor etwa fünfzig Jahren war er noch ein junges, aber aufstrebendes Mitglied der Ost-Kalatarischen Händlergilde, dem bedeutendsten, privaten Unternehmen Kalatars. Obwohl er einer serpendrianischen Adelsfamilie entstammte, war er nicht reich, denn er hatte seinen gesamten Besitzt hinter sich lassen müssen, als man ihn des Hochverrats angeklagt und zur Flucht gezwungen hatte.
Er konnte es den serpendrianischen Behörden jedoch nicht verdenken, denn ihre Anschuldigungen, er habe geheime Staatsinformationen an die Händlergilde verkauft, entsprachen durchaus der Wahrheit.
In all dem Trubel und der Aufregung über die Besiedlung des neu entdeckten Fiondrals, war es ihm jedoch gelungen, in Elipf Zuflucht zu finden.
Da er sich über die Jahre bereits ein hohes Ansehen bei der Gilde verschafft hatte, wurde er alsbald zu einer Schlüsselfigur in einem ebenso genialen, wie diabolischen Plan, der zu einem großen Teil seiner eigenen Brillanz entsprungen war.
Die Grundidee dabei war durchaus simpel:
Während alle anderen kaufmännischen Organisationen immense Geldsummen in den Aufbau Fiondrals pumpten, von dem sie sich gewaltigen Profit erhofften, rührte die Ost-Kalatarische Händlergilde keinen Finger.
Von nun an galt es, auszuharren, dem Hungertod zu entgehen und auf das kommende Unheil zu warten, ein Unheil, das ihnen von der zweiten Partei versichert wurde, die am Plan beteiligt war: Dem Dunklen Kult.
„Wer den wirklichen großen Profit will, darf bei seinen Geschäftspartnern nicht wählerisch sein“, pflegte Navaras zu sagen, um die Zweifel seiner Mitverschwörer zu bändigen.
Welche Motive die Todesanbeter bei der ganzen Sache hatten, war ihm seit jeher zweifelhaft.
Zwar hörte er das ein oder andere Mal von einer Prophezeiung, doch in der Annahme, er könne ihr okkultes Geschwafel ohnehin nicht verstehen, fragte er nie weiter nach.
Für ihn besaß es lediglich Relevanz, dass die Thanatoiker zu dem vereinbarten Zeitpunkt die Orks nach Fiondral brachten und die Invasion begannen. Wie sie diese sagenumwobene, verschollene Rasse aus dem Hut gezaubert hatten oder woher sie wussten, dass die Sagen über sie wirklich der Wahrheit entsprachen, war für ihn nie von Bedeutung gewesen.
Seine Aufgabe bestand lediglich darin, das Heer zu führen, was ihm mithilfe der Thanatoiker, die von der Orks wie des Urteil Iurions gefürchtet wurden, durchaus gut belang.
Im Folgenden ging es ihm weniger, um die territoriale Eroberung Fiondrals als um die damit einhergehende Auslöschung aller Handelsressourcen.
Die anderen Händlergilden sollten jeden Kupferschilling verlieren, den sie in den Aufbau des neuen Kontinents gesteckt hatten.
So war dieser unter seiner Führung von den orkischen Heerscharen überrannt worden, die nun vor den Toren Galors standen.

„Wollt Ihr damit andeuten, Ihr hättet das alles des Geldes wegen getan?“, erkundigte sich Lemorgant, nachdem Navaras mit seinem Bericht geendet hatte.
„Wofür sonst?“, lachte dieser, „Die Ost-Kalatarische Händlergilde kann sich von dem Profit die Welt kaufen. Alle anderen Gesellschaften sind zerschlagen. Sie hat das Monopol auf alles!“
„Ihr seid Euch aber der Tatsache bewusst, dass kein Kupferschilling, kein Silbertaler, keine Golddrake, ja nicht die Summe aller, die es auf der Welt gibt, den Schaden zahlen kann, den Ihr verursacht habt, die Leben, die Eure Pläne dahingerafft haben?“, zischte der Prinz.
„Das ist der Lauf der Dinge“, murmelte Navaras, „In diesem Spiel gewinnt nur der, der jede Regel missachtet.“
„Ja, so verhält es sich offensichtlich“, gestand Lemorgant, wobei er einen großen Schluck aus seinem Weinkelch nahm.
„Aber, ich kann Euch besänftigen. Ich habe nun andere Ambitionen als das Geld und das Wohl der Gilde“, versicherte der Lord.
„Ich muss gestehen, Ihr überrascht mich“, spottete der Prinz.
Navaras lachte.
„Oh ja“, sprach er dann, „Was will ich mit der Ost-Kalatarischen Händlergilde, wenn ich Kaiser von Fiondral sein kann?“
„Das ist in der Tat eine berechtigte Frage. Aber ich nehme an, ich wäre nicht hier, wenn dieser Plan nicht meine Hilfe erfordern würde?“
„Eben das tut er. Nun, meine Lage ist im Grunde folgende: Ich kommandiere ein riesiges Heer von Verrätern und da ich die Orks immer mal wieder ins offene Messer laufen lassen habe, bin ich ihnen geradezu ebenbürtig. Allerdings sind da noch die Thanatoiker.“
Er machte eine gedankenschwere Pause, bevor er fortfuhr:
„Sie besitzen eine ziemlich…einschüchternde Macht, auf die sich ihr Meister Ventro stützt. Es heißt, er könne damit unsterbliche Krieger schaffen. Das würde meinen politischen Ambitionen natürlich ein ziemliches Hindernis sein.“
„Offensichtlich“, kommentierte der gefallene Prinz, bevor er sich ein Baguettestück mit Kaviar einverleibte.
„Aus einer sicheren Quelle weiß ich, dass sich der Kern dieser Macht in Narbenfels befindet. Da sich Ventro allerdings mit seinem Führungsstab an der Front aufhält, ist sie mehr oder weniger ungeschützt.“
„Es würde mich wahrlich überraschen, wenn Ihr nicht von mir fordern würdet, diese Quelle zu zerstören“, gestand Lemorgant.
„Das fordere ich in der Tat“, bestätigte Navaras, „Ich kann keine meiner eigenen Einheiten damit betrauen, da Ventro meinen Plan sonst sicher erkennen und zunichte machen würde. Ihr jedoch…nun, man sagt Euch gewisse Dinge nach und offensichtlich, habt Ihr einen Schuss ins Herz überlebt. Dem Tod von der Schippe gesprungen, so zu sagen. Ich denke, die Auslöschung von Narbenfels sollte Euch möglich sein.“
Lemorgant sah ihn spöttisch lächelnd an, bevor er die dünnen, blassen Lippen öffnete:
„Bevor ich“, sprach er mit der Kälte eines Grabes, „mit dem erbärmlichsten Stück menschlichen Drecks, das mir je unter die Augen gekommen ist, verhandle, springe ich über diesen Tisch, um Euch die Kehle aufzuschlitzen oder bei dem Versuch zu sterben.“
Der Hüne an der Seite des Lords starrte grimmig wie ein knurrender Wachhund auf den Prinzen herab, während seine Hand auf dem Griff seines Breitschwertes ruhte.
„Aber, aber“, entgegnete Navaras, „Noch habe ich Euch doch gar kein Angebot gemacht.“
„Ich bin nicht geneigt…“, begann Lemorgant, doch der Lord unterbrach ihn:
„Ja, ich weiß, dass Iurionisten nicht mit…“, er räusperte sich, „Untermenschen verhandeln, aber in diesem Fall biete ich Euch nichts geringeres an als das Überleben Galors. Zumindest das seiner Bewohner.“
„Erklärt Euch!“, blaffte der Prinz.
„Ich werde, die Gruppen, die zu den orkischen Schiffen ausgesandt wurden, nicht verfolgen lassen, und den Angriff auf Galor so weit herauszögern, wie ich kann. Dennoch werde ich beides nicht endgültig verhindern können“, erklärte Navaras.
„Solltet Ihr etwa andeuten, dass Euch am Fall Galors nichts gelegen ist?“, hakte der Prinz nach.
„Die Todesanbeter wollen es in Trümmern sehen, aber für mich ist es kein wirtschaftliches Ziel“, gestand der Lord, „Sie schwafeln von irgendeiner Prophezeiung, aber wenn es nach mir ginge, hätte ich euch die Schiffe für eure Flucht geschenkt. Krieg ist so…unentspannend.“
Navaras und Lemorgant saßen sich eine Zeit lang schweigend gegenüber, während Vanessa ihren Blick immer wieder vom einen auf den anderen schweifen ließ.
„Was“, begann der Prinz schließlich, „sollte mir die Gewissheit verschaffen, dass Ihr Euer Wort haltet?“
Der Lord zuckte mit den Schultern:
„Nun, Ihr müsst mir schon glauben, dass ich meine, was ich sage. Das nennt man Vertrauen, soweit ich weiß.“
„Wenn ich Euch zitieren darf, Lord“, höhnte Lemorgant, "In diesem Spiel gewinnt nur der, der jede Regel missachtet."
„Ach das…“, ein beschämtes Lächeln zierte das Gesicht des baldigen Kaisers, „Nun ja, das ist natürlich wahr, aber, wie Ihr seht, in diesem Fall einmal nicht zutreffend. Wenn ich Galor zerstöre, habe ich keinen Vorteil. Wenn es kapituliert und flieht schon. Denkt an all die Menschen, die Ihr retten könntet, Eure Hoheit. Selbst wenn ich mein Wort nicht hielte: Wem würde es schaden, gäbe es ein paar Schwarzmagier weniger auf der Welt?“
Der Prinz schwieg, sodass Stille herrschte, bis es schließlich aus Vanessa herausbrach:
„Verdammt, Lemorgant! Seht Ihr nicht, was euch geboten wird? Jeder Narr an Eurer Stelle wäre schon lange auf das Angebot meines Meisters eingegangen. Reden Iurionisten nicht immer von Gerechtigkeit? Wo ist es denn gerecht, wenn tausende Menschen sterben, nur weil Ihr von den Ketten Eurer Ehre umschlungen seid.“
Erneut lachte Lemorgant spöttisch und zischte:
„Ehre…Ihr solltet nicht von Worten sprechen, deren Bedeutung sich Euch entziehen!“
„Ehre ist die Achtung, die die Gesellschaft einem Menschen für sein Verhalten entgegenbringt. Was würden die Menschen wohl sagen, wüssten sie von Eurer Entscheidung?“, keuchte sie, worauf der Prinz verächtlich auf sie herabsah.
„Die Antwort eines Narren“, zischelte er, „denn sie ist nur die halbe Wahrheit und damit nicht besser als eine volle Lüge! Ich nehme an, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, dass die Ehre vor allem unter dem eigenen Auge gewonnen oder verloren wird.
Sie liegt nicht nur im Blick eines jeden Betrachters, sondern ebenso in dem des eigenen Spiegelbildes.“
„Ich muss schon sagen: Ihr seid eine harte Nuss“, lachte Navaras, der damit begonnen hatte, sich einige Weintrauben einzuverleiben.
„Es ist sinnlos“, protestierte Vanessa, wobei sie mit den Schultern zuckte.
„Es verhält sich so, dass Ihr irrt“, entgegnete Lemorgant, dessen Augen so fest zusammen gepresst waren, dass man sie beinahe nicht mehr erkennen konnte, weshalb sein Gesicht einer wächsernen Maske glich, „Ich bin geneigt, auf Euer Angebot einzugehen, Navaras.“
„So?“, ächzte der Lord, wobei er sich an einer Traube verschluckte und lauthals hustete.
„Ihr…“, keuchte Vanessa.
„Ja, ich, Prinz Lemorgant, besiegle diesen frevelhaften Pakt“, bestätigte ihr Gegenüber.
Dem Lord gelang es endlich, die verschluckte Traube wieder auf seinen Teller zu rotzen. Mit einem ekelhaften Geräusch spuckte er noch etwas Schleimiges hinterher, putzte sich dann den Mund mit seinem Seidentuch ab und flüsterte „Verzeiht“, bevor er die Stimme hob:
„Das ist…erfreulich, Eure Hoheit. Ich habe vollstes Vertrauen in Euer Wort und“, er blickte zu Vanessa, „in Eure Loyalität.“
„Wie meinen mein Herr?“, entgegnete sie mit geweiteten Augen.
„Ihr werdet den Prinzen begleiten. Er mag ein mächtiger Krieger sein, doch ich betraue ihn ungerne alleine mit der Auslöschung dieser Hexer. Ihr sollt ihm eine Hilfe sein“, erklärte Navaras, worauf er seine Hände faltete und seine beiden Gäste beobachtete, die ihn entgeistert anstarrten.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mit dem Nekromantengesindel bestens alleine zurechtkommen werde“, entgegnete Lemorgant schließlich.
„Unterschätzt sie besser nicht, Eure Hoheit.“
„Oh, seid versichert, Lord, das tue ich keinesfalls“, höhnte der Prinz.
„Es ist und bleibt mein ausdrücklicher Wunsch, dass Vanessa Euch begleitet“, beharrte Navaras.
„Wie Ihr wünscht“, sprach sein gegenüber langsam, „Ich garantiere jedoch nicht dafür, dass ich sie heil wieder zurückbringen kann.“
„Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen!“, blaffte der Leutnant, worauf Lemorgant sie kurz betrachtete und anschließend fadenscheinig lächelte.
Dennoch akzeptierte er den Willen des Lords, der das Gespräch damit als beendet ansah.
Er ließ den Tisch abräumen, Vanessa ihre Waffen wieder zukommen und sie sowie den Prinzen anschließend in den Westflügel seines Anwesens bringen, wo er zwei Zimmer für seine Gäste vorbereitet hatte.
Die Villa des Lords sollte ihnen jedoch nur für einen einzigen Tag eine Zuflucht sein, denn ihre Abreise war bereits für den nächsten Morgen geplant.

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