Finsternis
,, Herr Schmidt ?“
Lukas sah hoch, in das von Falten zerknitterte Gesicht des Polizisten. Sie saßen in der offenen Seitentür eines Wagens und der Mann sah ihn ernst an. Um sie herum war es dunkel, außer wenn wieder einmal ein vereinzeltes Auto vorbeifuhr. Eine Blutspur führte über die Straße und endete in einem kleinen Waldstück, wo sich grade ein Leichenbeschauer eingefunden hatte und mit einer Taschenlampe durch das Unterholz stapfte.
,, Ich habe ihnen bereits alles gesagt was ich weiß.“ , antwortete der zitternde junge Mann.
,, Ich weiß, aber würden sie noch einmal wiederholen was sie gesehen haben ?“
Er sah dem Mann in die Augen. Dann begann er…
,,Alle Völker dieser Erde, egal welchem Kulturkreis sie entstammen eint eine Gemeinsamkeit. Die Angst vor der Dunkelheit. Man könnte jetzt sagen, dass diese Urangst auf die einfache Tatsache zurück zu führen ist, das der Mensch sich bei Nacht schlechter orientieren kann. Eine Einschränkung der Sinne… das sei alles was wir als Bedrohung empfinden.
Die Kinder wissen es besser. Sie haben noch ihre Angst… und diese Schützt sie. Bis ihre Eltern ihnen die Wahrheit erzählen. Den Mann in Schwarz, das Monster unter dem Bett… das alles sei nur Einbildung. Nur unser Verstand.
Und wir akzeptieren es für uns, verlernen einen Teil unserer Angst.
Doch manchmal kehrt sie zurück. Diese Angst. Unser Verstand weiß es besser.
In dunkeln Nächten wenn man allein mit einer Panne am Straßenrand steht… oder in der Finsternis auf dem Weg nach Hause. Man weiß es!
Man wagt es nicht sich umzusehen.. geht etwas schneller und versucht die Lüge aufrecht zu erhalten.
Aber man dreht sich nicht um. Um keinen Preis der Welt. Dann wenn man endlich den nächsten sicheren Lichtkegel… die nächste sichere Insel aus Licht erreicht… dann sieht man sich vielleicht endlich um. Sieht in die umgebenden Fenster...die Hecken und entdeckt nichts. Man ist beruhigt.
Aber man hätte es vorher nicht gewagt sich umzusehen… aus Angst glühende Augen in der Finsternis zu entdecken. Und in diesem einen Moment kennt man kurz die Wahrheit. Vorher hat einen etwas beobachtet…. Gelauert in jener Hecke… in jenem Baum. Oder auch in jener Glasscheibe. Und sobald man die vermeintliche Sicherheit erreicht hat… hat es sich abgewandt. Ein weiteres mal. Wie die vielen Male zu vor, wenn wir durchs Dunkel gestolpert sind. Um sich ein anderes Opfer zu suchen. Das nächste mal.. oder auch das über nächste Mal jedoch, wendet es sich nicht ab. Dann erlöschen die Straßenlaternen, wird auch der letzte Rest Licht hinweggefegt. Und dann sieht man es….
Es ist kein niederer Instinkt, der uns die Dunkelheit fürchten lässt. Nicht unser Verstand, der das Bild erzeugt.
Es ist nicht der Schwarze Mann… nicht das Monster aus dem Schrank. Aber gleichzeitig doch.
Es ist nicht unsere Angst vor der Finsternis. Wir haben Angst vor dem was sich darin verbirgt. Was sich schon immer dort versteckt hat.
Und in diesem einen… letzten Moment wird uns klar… unsere Eltern haben gelogen.
Wir sollten uns vor der Dunkelheit fürchten. Ich habe gesehen was darin auf uns wartet.“
Er spürte den Luftzug, als wieder ein Auto aus der Dunkelheit an ihm vorbeiraste. Wessen bescheuerte Idee war es eigentlich gewesen, zu laufen, statt sich ein Taxi zu suchen?
,, Immer noch so eine toller Plan, sich das Geld zu sparen ?“ , rief er zu Joschka herüber.
,, Wasn..“ , lallte sein Freund, der sich bei Anna untergehakt hatte und Mühe hatte sich auf den Beinen zu halten. Wobei Anna ähnlich schwankte. War er denn der einzige, der noch halbwegs nüchtern war?
,, Was is ? Das du nicht alles Geld hättest versaufen sollen, das is.“
Sie erreichten eine Straßenlaterne.
,, Ach las mi.. mich doch in Ruh.“ Er lief quer über die Straße ohne überhaupt nach links oder rechts zu sehen und wurde nur deshalb nicht überfahren, weil er Wagen der grade heranraste scharf abbremste.
,, Wo willst du hin ?“ , rief Lukas ihm hinterher.
,, Pissen.“ Kam die gelallte Antwort.
,, Na toll. Jetzt können wir auch noch auf den Idioten warten.“
Anna erwiderte nichts. Vermutlich war sie noch betrunkener als Joschka. Selbst zum Sprechen zu besoffen. Er kickte einen Stein an die Leitplanke der Straße und lehnte sich dann daran.
Minuten schienen zu vergehen, aber nichts rührte sich mehr.
Selbst der Verkehr schien ausgesetzt zu haben. Lukas spähte in alle Richtungen, konnte aber außer dem kleinen Lichtkreis den die Laterne erzeugte blieb es Dunkel.
,,Joschka ! „ , rief er. Plötzlich war ihm kalt und ein seltsam ungutes Gefühl machte sich in ihm breit.
Er rief erneut.
Nichts.
Lukas suchte nach seinem Handy und leuchtete mit dem Display in Richtung Wald, konnte aber nichts als die Bäume und die Schatten dazwischen erkennen.
Er lief über die Straße und spähte wieder in die Dunkelheit, die das Licht des Handys nur unzureichend durchdringen konnte. Von Joschka aber war weiterhin nichts zu sehen.
Anna machte Anstalten ihm über die Straße zu folgen. Das hätte ihm grade noch gefehlt, dass sich auch noch Anna im Suff im Wald verirrte. Denn genau das, vermutete er war passiert. Joschka war einfach so besoffen, das er am nächsten Baum eingeschlafen war.. oder aber den Weg zurück nicht mehr gefunden hatte.
,, Warte da.“ , rief er und verschwand zwischen den Bäumen. Das bisschen Licht, das die Laterne noch gespendet hatte war sofort verschwunden.
Lukas lauschte. Hier und da hörte er etwas rascheln. Vielleicht eine Maus… oder ein Reh.
Er musste beim Gehen aufpassen, dass er nicht stolperte, denn überall lag totes Holz, das in der Dunkelheit nicht zu erkennen war.
,, Joschka verdammt aufwachen wenn du hier irgendwo rumliegst.“
Keine Antwort. Eigentlich hätte er weitersuchen müssen aber das ungute Gefühl… die Angst in ihm sorgte dafür, dass er sich schließlich mit einem ,, Dann penn halt hier.“ Umdrehte und wieder in Richtung Straße, in Richtung Licht davonging.
Als er wieder oben an der Straße stand, schlug er sich mit der Hand verzweifelt vor den Kopf. Was war bloß los mit den Beiden? Erst Joschka jetzt Anna. Sie stand nicht mehr an der Leitplanke.
,, Verdammt wo immer ihr seid, ich verschwinde jetzt!“ , rief er in die Nacht. Antworten tat ihm allerdings niemand.
Nun gut… fünf Minuten versprach er sich. Er würde genau fünf Minuten warten und dann ein verdammtes Taxi rufen. Fertig, aus. Sollten sie sehen, wie sie nach Hause kamen.
Fünf Minuten.
Es wurde still, während er unter der Laterne stand. Das zirpend er Grillen, welches sie bisher begleitet hatte schien zu verstummen.
Und Autos waren überhaupt keine mehr zu sehen. Lediglich in der Entfernung schien er noch das tiefe brummen von Motoren wahrnehmen zu können.
Er sah hinüber zum Wald, weil er dachte dass sich dort etwas bewegt hätte. Sicher nur ein Reh
Oder ?
Er suchte mit den Augen das Gebüsch ab und entdeckte zwei gelbliche Augen, die ihm schwachen Licht zu glitzern schienen. Fast wie die Augen einer Katze… aber…
Hinter dem Gebüsch fiel eine Böschung steil ab. Die Augen waren viel zu weit oben für eine Katze. Was immer es war, es musste fast so groß sein wie er selbst.
,, Joschka ? Anna ?“ , rief er in die Richtung. Die Augen blieben… beobachteten. Dann verschwanden sie in den Blättern und er hörte ein Geräusch, wie von etwas das über den Boden geschleift wurde, etwas großes.
Seien Angst ignorierend lief er erneut über die Straße zum Wald. Er trat in irgendetwas.
Lukas leuchtete mit dem Handy danach. Rot… eine rote Spur auf dem Asphalt.
Sein Verstand weigerte sich, es als Blut zu erkennen, während er mit zitternden Händen sein Mobiltelefon hochhielt und den Wald damit ausleuchtete.
Natürlich konnte er wieder nicht besonders weit sehen. Ihm graute vor dem Gedanken, auch nur einen Schritt zwischen die Bäume zu machen.
Langsam ging er am Waldrand entlang und versuchte etwas zu erkennen. Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf.
Sein Fuß trat auf etwas, das unter ihm nachgab. Weich.
Er sah hinab und entdeckte eine Hand… Das war der Moment in dem die Angst über alles andere Triumphierte.
Lukas rannte über die Straße zurück ins Licht, zurück in die vermeintliche Sicherheit. Er setzte sich darunter und versuchte mit zitternden Händen eine Nummer zu wählen. Polizei.. Feuerwehr… irgendjemand…
Endlich schaffte er es die drei Zahlen einzutippen.
Kein Netz…..
Er versuchte es wieder. Nichts.
Ein tiefes Knurren ließ seinen Kopf wieder nach oben schnellen. Es war aus dem Wald gekommen.
Lukas starrte angstvoll in Richtung der Büsche und Bäume.
Die Augen waren wieder da und starrten zu ihm herüber.
Die Blätter raschelten. Was immer da war bewegte sich… und gleich würde es den Wald verlassen über die Straße auf ihn zu kommen.
Lukas würde einfach nur dasitzen unfähig sich zu bewegen…
Etwas raste an ihm vorbei. Ein Cabrio mit offenem Verdeck. Laute Musik dröhnte daraus hervor und die Scheinwerfer durchschnitten kurz die Nacht…
Als es verschwand… waren auch die Augen nicht länger zu sehen.
Er zog sein Handy hervor. Es hatte wieder Empfang.
Wie von selbst tippten seien Finger die Nummer…
,, Also was ? Glauben sie das es ein Bär war, der ihre beiden Begleiter…“ der ältere Polizist sah in die Richtung aus der grade der Gerichtsmediziner zurück kam.
,, Es war kein Bär.. es war kein Wolf… es war keine Katze…“ Lukas schien die Worte mehr zu sich selbst zu murmeln, als wirklich mit jemanden zu sprechen.
,, Her Schmidt ?“
,, Es war kein Tier.“
Der Gerichtsmediziner kam dazu und zog den Beamten mit sich.
Er hörte noch ein paar Wortfetzen.
,, Sieht übel aus. Unglaublich tiefe Krallenspuren.“
,, Wie schlimm….
,, Würde beinahe sagend das war ein Schwert…. Keine normale Kralle könnte….
,, Der dritte Fall….“
,, Allein diesen Monat….“
Lukas blieb allein zurück.
Nicht allein… nein… er sah hinüber zum Wald, aus dem ihn zwei gelbliche Augen anstarrten. Es trat auf die Straße. Die Beamten bemerkten es überhaupt nicht. Merkten nicht wie Lukas rief, merkten nicht wie es ihn in den Wald zerrte…
Morgen sollten sie ein weiteres Opfer haben.