Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze) Titelbild: "Einsturzgefahr" by "Paulo Claro" Some rights reserved.
Der Aufbruch kam noch vor den ersten Strahlen der Sonne.
Nachdem man de Nord und die übrigen Streiter geweckt, das Gebiet erneut gesichert, eine kurze Lagebesprechung und ein noch kürzeres Frühstück abgehalten hatte, wurde der Marsch fortgesetzt. Wie bereits am Vortag scheute der Marquis offene Wege, sodass sie sich weiter durch Wiesen, Wälder und Felder schlagen mussten.
Am Nachmittag kamen sie jedoch in die Nähe eines orkischen Wachpostens, worauf de Nord den Zug stoppen ließ, um sich mit Renault und Tymaleaux zu beraten, während die anderen ein Stück entfernt an einem großen Felsen kampieren.
„Die Beratung ist sinnlos“, sagte Slemov mit einem Lächeln, „Die schicken eh wieder uns vor.“
„Scheiße!“, schnauzte Ilar, „Den Dreck lass ich mir nicht gefallen. Ich werde Renault in den Arsch treten, wenn er mich noch einmal auf irgendeinen verkackten Erkundungslauf schickt.“
„Das ist keine gute Idee“, erwiderte Janus.
„Ach, was? Wieso denn nicht, hä?“, schnauzte Ilar.
„Nun ja, in Ledria…“, begann der Mönch, bevor Ariona ihn unterbrach:
„…steht auf alles die Todesstrafe. Wir wissen es. Aber die können es sich nicht leisten, einen ihrer Gefolgsleute umzubringen. Nicht hier.“
„Die schneiden euch die Kehlen durch, ohne mit der Wimper zu zucken“, pflichtete Baraj selbstgefällig bei, „Für die seid ihr menschlicher Abfall.“
„Ich würde zu gerne sehen, wie eine von diesen Ledrianerschwuchteln versucht, mir die Kehle aufzuschneiden“, höhnte Dimitri.
„Ich kann keine Beleidigung gegenüber einem Offizier dulden“, wandte Ferren ein.
„Was willst du denn?“, blaffte Dimitri, worauf Ilar ihm spöttischen Beifall gab.
„Ich bin Leutnant und ich befehle und empfehle euch, bis zum Ende der Beratung die Klappe zu halten“, zischte er.
„Ferren“, wandte Ariona ein, „Sie haben Recht. Die Ledrianer benutzen sie absichtlich als Kanonenfutter. Das ist nicht gerecht.“
„Sie sind einfache Soldaten. Als sie zu dieser Mission einwilligten, war ihnen klar, dass es zu etwas derartigem kommen würde.“
„Ich bin nicht der lebende Schutzschild von diesen Lackaffen!“, fauchte Dimitri, wobei er Ferren am Kragen packte.
„Ich fürchte, Ihr seid genau das, Dimitri, zumindest, wenn ich es von Euch verlange“, erklang de Nords Stimme, womit sie die Ankunft der Offiziere ankündigte.
Der Skatrier ließ sofort von Ferren ab.
„Was ist das?“, zischte Renault, dessen Hand bereits auf seinem Schwertgriff lag, „Meuterei?“
„Ich werde dir…“, begann Ilar, bevor Janus ihn unterbrach:
„Unsere skatrischen Kameraden haben lediglich ihre Befremdung darüber geäußert, dass Ihr sie stets als Vorhut einsetzt.“
„Interessant“, murmelte Lucian, während er langsam an den Ilar und Dimitri vorbei ging, wobei ihm die Blicke der anderen folgten.
„Slemov“, rief er schließlich den dritten Skatrier, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, „Wenn ich euch nun befehlen würde, das orkische Lager auszukundschaften, was wäre Eure Antwort?“
Slemov schwieg zunächst, wobei er de Nord musterte, bis er sich schließlich räusperte und antwortete:
„Mit Vergnügen, Sire.“
„Interessant“, fuhr der Marquis fort, bevor er sich wieder an Ilar und Dimitri wandte, „Seht, solange ihr nicht gesteht, jämmerliche Feiglinge zu sein, ist euer Standpunkt offensichtlich unverständlich.“
Mit einem Lächeln beobachtete er, wie Dimitri die Zähne fletschte, einen halben Schritt vortrat, aber dann langsam wieder auf seine alte Position zurückkehrte.
„Wenn ihr also keinen Memmen seid, dann geht jetzt los und sichert das Lager!“, befahl Renault.
„Das“, flüsterte Dimitri, „ist das letzte Mal.“
Darauf spuckte er auf den Boden und schloss sich Slemov an, der bereits vorausgeeilt war. De Nord blickte ihnen mit einem fadenscheinigen Lächeln hinterher, wobei er leise sprach:
„Ich wünschte, sie würden einfach meine Befehle befolgen.“
„Das ist doch Schwachsinn“, fauchte Ariona, „Hier geht es doch nicht um Befehle. Ihr“, sie deutete mit ihrem Zeigefinger auf die drei Ledrianer, „seid verdammte Rassisten.“
„Haltet den Mund, Novizin!“, zischte Renault, „Ihr habt hier gar nichts zu sagen.“
„Seht Euch vor“, warnte Tymaleaux, „Man könnte Euch das als Beleidigung auslegen.“
„Legt es aus wie Ihr wollt!“, entgegnete sie, „Und Ihr sagt gar nichts dazu, Marquis?“
„Ich bin es lediglich leid, mich diesbezüglich erklären zu müssen“, gab Lucian freundlich zurück, „Renault, erklärt es ihr bei Gelegenheit! Jetzt sollten wir jedoch noch ein Stück vorrücken.“
„Ihr habt es gehört!“, fügte Tymaleaux laut an, „Bewegt euch!“
Damit setzte sich die Gruppe erneut in Bewegung, um den vor ihr liegenden Pinienwald zu betreten. Die herbstliche Kälte hatte ein wenig nachgelassen, der Duft von Harz durchdrang die Luft und ein jeder Schritt federte sanft auf den Nadeln, die den Boden bedeckten.
Sie waren noch nicht allzu weit in den Wald eingedrungen, als ihnen Slemov bereits entgegenkam.
„Das Lager ist leergeräumt. Anscheinend waren die Assassinen vor uns dort“, berichtete dieser, worauf de Nord den Marsch fortsetzten ließ. Schließlich lichteten sich die Bäume und sie erreichten eine vollkommen abgeholzte Senke, auf deren Nordseite sich ein kleinerer Hügel der matten Sonne entgegenreckte. Vor ihnen erhoben sich die schwellenden Ruinen eines verbrannten Wachturms, aus denen wenige geschwärzte Planken wie die Finger eines Skelettes zum milchigen Himmel hinaufragten. Um ihn herum gruppierten sich einige zerschnittene Zelte.
Abgehakte Baumstämme, von der Hitze der Sonne zerborsten, zierten den Weg über das zertrampelte Gras zum Lager, wo die Kadaver der Orks zu Haufen lagen, während sich die Krähen an ihnen labten, ohne Notiz von den Neuankömmlingen zu nehmen.
Dimitri tanzte grölend, eine orkische Feldfalsche in Händen haltend, auf einem Leichenhaufen herum.
„Schade…ein Kampf hätte etwas Fahrt in dieses allzu langweilige Unterfangen gebracht“, klagte Truzos, „Auch wenn diese hirnlosen Kreaturen sicherlich keine Gegner abgegeben hätten.“
„Hauptmann Renault, würdet ihr bitte diesen Narren davon abhalten, die Leichen der Gefallenen zu entweihen“, wandte sich der Marquis an den Offizier.
„Aber natürlich, Sire“, gab dieser zurück, bevor er die Stimme hob, „Schwachkopf! Komm sofort da runter!“
„Was denn? Sind doch nur Orks?“, rief der Skatrier, während er langsam von dem Hügel hinunterstieg und dabei einen abgetrennten Orkschädel von sich wegkickte, sodass er im hohen Bogen durch die Luft sirrte.
„Bruder Janus“, verlangte Lucian, „ein Gebet für die Toten.“
„Aber es sind Orks“, wandte Kalira ein.
„Wie Iurion uns anwies, werden wir auch unseren Feinden die Ehre erweisen, das Jenseits in Würde zu betreten, selbst wenn es Orks sind“, entgegnete de Nord, „Schließt sie in Eure Gebete ein, Bruder! Ich erwarte, dass die Leichen danach verbrannt werden.“
So sammelten sie sich um das ausgebrannte Lagerfeuer in der Mitte des Postens, wo Bruder Janus ein Gebet des Erlöserglaubens und Renault eines für die Iurionisten sprach.
Anschließend wurde Ariona, Ilar und Truzos befohlen, die orkischen Leichen mittels Magie zu verbrennen, was letzterer allerdings nicht für nötig hielt.
Als sie fertig waren, entfachte man das Lagerfeuer, um das sich einige der Gefährten gesellten, während de Nord andere aussandte, die Gegend nach Nahrungsmitteln zu durchsuchen.
„Hier ist es so schön, dass man fast vergessen möchte, in welcher Situation wir uns befinden“, schwärmte Janus, der zusammen mit Olaf, Kalira, Ferren und Ariona durch den Wald wanderte.
„Das möchte ich eigentlich überall vergessen“, murmelte Olaf.
„Ich verstehe einfach nicht“, begann Ariona nach einem Blick über die Schulter, „was in den Köpfen dieser verfluchten Ledrianer vor sich geht, sofern es dort überhaupt irgendeine Aktivität gibt.“
„De Nord tut, was er tun muss“, wandte Ferren ein.
„Du unterstützt das auch noch?“, keuchte die Novizin, worauf ihr Gegenüber zunächst schwieg.
„Ich…nein, das nicht…aber es ist doch so, dass“, stotterte er schließlich, „dass er sich der Loyalität seiner Streiter sicher sein muss.“
„Pah, Loyalität“, höhnte Ariona, „Wenn die Skatrier überhaupt mal loyal zu ihm waren, dann sind sie es spätestens jetzt nicht mehr.“
„Also, Slemov wirkte auf mich loyal“, sprach Janus, während er einen Pinienzapfen vom Boden aufhob, „Die anderen beiden…nun ja, natürlich ist es falsch, was der Marquis mit ihnen macht, aber sie sind genauso von ihrem geschichtlichen Hass zerfressen, wie die Ledrianer auch.“
„Die Skatrier haben auch allen Grund dazu. Die Ledrianer haben sie zwanzig Jahre lang unterdrückt. Habt ihr je von dem gehört, was dieser Prinz Lemorgant dort angerichtet hat?“
„Das ist doch schon mehr als siebzig Jahre her“, wandte Kalira ein.
„Trotzdem kennt jeder Prinz Lemorgant und seine Geschichte“, merkte Janus an, „Für die einen steht er ganz oben auf der Liste der Menschen, die am besten nie geboren worden wären, für die anderen ist er ein Held…einige Iurionisten sahen ihn sogar als Propheten.“
„Ich war da…“, fügte Ferren langsam hinzu, während er ein paar nahe stehende, kahle Bäume untersuchte, „es war nicht das Blutvergießen, das man sich vorstellt. Ich weiß, dass das, was dort getan wurde, schrecklich war…aber es war eben kein Hass, es war kein Rassismus. Jeder Verbrecher bekam seinen fairen Prozess. Die meisten wurden hingerichtet. So wie Iurion es verlangte, würden die Ledrianer sagen. Ihr Rechtssystem war äußerst effektiv und in Skatria gab es viele Verbrecher.“
Tatsächlich hatte einst ein damals noch junger Adliger namens Lemorgant an der Spitze der ledrianischen Truppen das skatrische Reich erobert, worauf ihn der ledrianische König zum Prinzen und Statthalter von Skatria ernannte hatte, obwohl er kein Angehöriger des Königshauses gewesen war.
Anschließend hatte er, wie der Iurionismus es verlangte, damit begonnen, das Land von Menschen zu säubern, denen Moral fremd war, und so war jeder, der sich einer schlimmeren Untat als dem gemeinen Diebstahl schuldig gemacht hatte, aufs Schafott gestellt worden.
„Was auch immer die Iurionisten sagen; nichts rechtfertigt den Mord an einem Menschen.“
„Also, zwischen Exekution und Mord…“, begann Janus.
„Alles einerlei!“, blaffte Ariona, „Lasst uns zurückgehen!“
„Wenn wir mit den paar Pinienkernen zurückkommen, schickt Renault uns gleich nochmal los“, entgegnete der Mönch.
„Recht hat er“, stimmte Ferren zu.
„Ich werde trotzdem zurückgehen“, maulte die Novizin.
„Ich werde sie begleiten“, fügte Kalira hinzu, „Nicht, dass ich mich vor der Arbeit drücken will. Aber hier sollte niemand alleine rumlaufen.“
„Schon in Ordnung“, sagte der Mönch freundlich, „Aber nehmt schon mal diesen Sack Kerne mit, sonst lässt Renault euch noch auspeitschen.“
Somit entfernten sich die beiden Frauen von der Gruppe, während Olaf, Ferren und Janus weiter durch den Wald streiften.
„Die Sonne geht langsam unter“, stellte Olaf mit einem Blick zum Himmel fest.
„Ach was“, murmelte Ferren der mit gebeugter Körperhaltung langsam durch die Reihen der Bäume schritt.
„Wir müssen mindestens noch diesen Sack vollkriegen“, wandte Janus ein, „Also schön weitersuchen.“
Währenddessen saß Lucian de Nord etwas abseits vom Feuer vor einem der zerfetzten Zelte auf einem sonnengetrockneten Baumstamm und verzeichnete ihre Position auf einer Landkarte, wobei er zugleich einige Notizen in ein kleines Buch schrieb. Er hatte gerade ihren Standpunkt markiert, als sich Major Tymaleaux mit einer Feldflasche orkischen Brandweins vom Lagerfeuer her näherte.
„Tymaleaux“, grüßte der Marquis.
„Auch einen Schluck?“, fragte dieser.
„Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich dieses orkische Gesöff trinke.“
„Es schmeckt besser, als man denkt“, entgegnete der Major.
„Ich hielt deinen Geschmack, was solche Dinge anging, immer schon für etwas obskur und du zeigtest stets großes Talent dafür, mich immer wieder darin zu bestätigen.“
„Jeder ist eben anders“, rülpste Tymaleaux.
„Offensichtlich“, sagte Lucian angewidert, „was ich in den meisten Fällen durchaus begrüße. Aber ich nehme nicht an, dass du ausschließlich hergekommen bist, um mir etwas von diesem widerlichen Gebräu anzubieten.“
„Das ist allerdings korrekt“, bestätigte Tymaleaux, „Ich dachte, wir könnten eben auf diesen Hügel hinauf gehen und uns das Gelände ansehen. Der Wachturm steht ja nicht mehr.“
„Ich fürchte, mir entzieht sich der Sinn“, erwiderte Lucian, „Wenn ich das Gebiet auskundschaften will, schicke ich einen Magier.“
„Ja, aber mal ehrlich: Truzos ist zu stolz, sich in ein Tier zu verwandeln, Ilar ist ein Skatrier und diese Ariona erst…“, sagte der Major, „Sollten wir uns nicht selbst ein Bild von der Sache machen? Was kann es schon schaden? Außerdem stinkt es in dieser Orkgrube schlimmer als in einem skatrischen Bordell.“
„Vielleicht solltest du dich einfach mal wieder waschen“, schlug de Nord mit einem Lächeln auf den blassen Lippen vor, „Allerdings bin ich deinem Vorschlag gar nicht abgeneigt. Ich bin mit dem Logbuch ohnehin fertig. Unterrichte also Renault, dann können wir losziehen.“
Es geschah, wie de Nord befohlen hatte, und so machten sich die beiden Ledrianer alsbald auf den Weg, während sich über ihnen langsam der Himmel verdunkelte, dessen dunkelviolette Dämmerwolken ein einzelner Streifen tiefen Blutrots durchtrennte. Ein schmaler Pfad führte zwischen stolzen Pinien und kleinen Felsen an der Nordseite des Hügels hinauf. Schon bald herrschte wieder der Duft des Harzes, wohingegen die wohlige Wärme des Vormittags mit der Sonne verstrich und sich eine frühherbstliche Kälte über das Wäldchen legte.
De Nord schritt schnell voran, während Tymaleaux gemächlich hinterhertrottete.
„Wozu die Eile?“, keuchte er, was sein Kamerad jedoch nur mit einem fadenscheinigen Lächeln kommentierte.
Wenig später erreichten sie den baumlosen Gipfel, von dem aus sie über Wipfel und Felder der Umgebung hinweg sehen konnten.
„Schön hier“, rief Tymaleaux, wobei er sich hechelnd an einen Baum lehnte, während de Nord sein Fernrohr zückte, um nach Osten zu blicken.
„Ich vermag mich nicht zu entsinnen, dass dieser Bauernhof auf der Karte vermerkt war“, flüsterte er, nachdem er eine Zeit lang in die Ferne gestarrt hatte.
„So…“, murmelte Tymaleaux, „Weißt du, ich muss mit dir über etwas sprechen.“
„Nur zu, ich höre“, gab der Marquis zurück, bevor er wieder sein Fernrohr ansetzte.
„Also es ist so…also ich mache es kurz: Das Lager ist von Orks umzingelt.“
„Hm, ich wusste doch, dass Tymaleaux niemals freiwillig, einen solchen Hügel hinauf steigen würde, wenn es nichts wirklich wichtiges zu sagen gäbe“, seufzte Lucian gelassen, während er das Fernrohr zusammenschob und wegsteckte, um sich anschließend zu seinem Major umzudrehen.
„Du bist nicht überrascht oder enttäuscht?“, keuchte dieser.
„Das kommt zweifelsohne darauf an, was du mir noch zu sagen hast“, gab der Marquis zurück, wobei er sich auf einem Baumstumpf niederließ.
„Tja, die Sache ist die: Ich biete dir einen…einen Pakt an, mit den Verrätern. Wir kommen hier beide lebend raus und wenn Galor erst mal gefallen ist, dann werden wir…wir werden wie die Könige leben, Lucian.“
„Du hast dich also mit den Orks eingelassen?“
„Ach, nicht mit diesen tumben Idioten. Mit den Leuten, die dahinter stehen, natürlich.“
„Versteht sich von selbst“, bestätigte de Nord, „Diese Situation verleitet mich zu der Annahme, du seiest für das Verbrennen der Schiffe in Galor verantwortlich.“
„Nun ja…ja, das war ich. Musste mich selbst anschießen, um nicht in Verdacht zu geraten. Das hat verdammt weh getan, weißt du.“
„Und du bist wahrscheinlich auch dagegen abgesichert, dass ich mich gegen dein Angebot entscheide?“
„Warum solltest du das tun?“
„Rein hypothetisch.“
„Also, in den Gebüschen hier um den Gipfel, ja, da warten sechs Orks.“
„Ich hatte wahrlich nicht erwartet, dass sie so verstohlen sein können“, lachte der Marquis.
„Oh ja“, stimmte Tymaleaux freudig zu, „Sie sind gute Soldaten, aber ziemlich dämlich. Man muss ihnen alles dreimal sagen. Habe ich mir sagen lassen. Aber, um auf mein Angebot zurückzukommen: Was sagst du?“
„Nun, ich muss gestehen, wahrlich enttäuscht zu sein, Tymaleaux. Weniger über deinen Verrat, denn was kann man schon von einem Mann erwarten, der sein halbes Leben in Bordellen und nogronischen Kneipen verbracht hat. Es ist geradezu beleidigend von dir, zu glauben, ich könnte auch nur mit dem Gedanken spielen, auf dein Angebot einzugehen.“
„Aber du…wir sind doch Freunde, oder? Ich meine, ich musste schon einiges dafür tun, damit die Verräter überhaupt dazu bereit waren, dich aufzunehmen. Lucian…Galor ist ein sinkendes Schiff, du…wir müssen abspringen, bevor es uns mit in die Tiefe reist“, seine Augen wurden groß und rund wie der Mond, „Die Tiefe, Lucian, ja.“
„Du weißt, wer ich bin, wofür ich stehe und was ich in der Vergangenheit bereits getan habe, und trotzdem glaubst du, ich könnte deine Ambitionen auch nur ansatzweise nachvollziehen? Das ist geradezu lächerlich“, höhnte de Nord ruhig.
„Also was…meinst du damit?“
„Ich will damit sagen, dass es klüger von dir gewesen wäre, mir einen Dolch in den Rücken zu stoßen, als du noch die Möglichkeit dazu hattest.“
„Lucian“, flüsterte Tymaleaux eindringlich, „in den Büschen warten sechs bewaffnete Orks. Die machen kurzen Prozess mit dir. Du willst doch nicht sterben, oder?“
„Sterben?“, lachte Lucian, „Pah! Was rechtschaffen ist, wird niemals fallen.“
„Das ist so arrogant. Glaubst du, dein Gott hilft dir? Dein Gott rettet dich?“
„Um mit sechs Orks und einem stammelnden Idioten fertig zu werden, brauche ich Iurions Hilfe nicht! Gerechtigkeit wird geschaffen, auch wenn die Welt darüber zu Grunde geht!“, zischte der Marquis, bevor er aufsprang und sein silbernes Langschwert zog, „Auch wenn ich darüber zu Grunde gehe!“
„So…wirklich?“, stammelte Tymaleaux, „Na dann, also, das tut mir wirklich leid, Lucian, wirklich“, er hob seine Hand, „Macht es kurz und schmerzlos. Ich will nicht, dass er leidet.“
Auf diese Worte erhoben sie sich, sechs bullige, grauhäutige Hünen, brachen aus ihren Verstecken, hoben brüllend ihre Breitschwerter. Erde bröckelte von ihren rostigen Kettenrüstungen.
„Wie ich sagte: Kurz und schmerzlos“, trällerte Tymaleaux, während er sich abwandte und den Pfad zurückging, „Nein, ich will das nicht mit ansehen. Nein, nein.“
De Nord betrachtete die entstellten Fratzen seiner Gegner gelassen aus seinen schmalen Augen, während jenes fadenscheinige Lächeln seine blassen Lippen zierte.
„Es wäre auch zu schön, würde ich in einem ehrenhaften Kampf fallen.“
Währenddessen saß der Rest der Gruppe, abgesehen von Janus, Ferren und Olaf, am Lagerfeuer oder in der Nähe. Einige unterhielten sich, andere schwiegen und starrten in die Flammen. Renault ging ein Stück weiter weg hin und her, wobei er immer wieder verstohlene Blicke zu den Skatriern warf, die grölend alte Geschichten erzählten, während sie den erbeuteten, orkischen Brandwein tranken.
„Ich mache dem ein Ende. Wartet nur, bis der Marquis zurück ist“, flüsterte der Hauptmann vor sich hin.
Seit Truzos Baraj auf dessen unangenehmen Körpergeruch hingewiesen hatte, flogen wüste Beschimpfungen durch die Luft.
Ariona starrte missmutig ins Feuer, das langsam die Holzscheite verzehrte.
Vom beißenden Rauch eingehüllt, überkam sie ein jähes Gefühl der Müdigkeit, dessen Ursprung nicht im langen Marsch oder den anderen körperlichen Strapazen lag. Es war viel mehr eine Flut der Kontroversen, ein allumfassender Schleier des Paradoxen, der die Realität vor ihren Augen zu einem Traum verwischte.
„Wie kann das nur die Wahrheit sein? Wie können erwachsene Männer sich angesichts der Lage so verhalten? Wie können sich hier im Land der Feinde, wo der Tod nur einen Lufthauch entfernt ist, zwei Männer um Gestank streiten? Wie können sich Offiziere einen Spaß aus ihrem Rassismus machen? Wie können sie sich ihre Saufgeschichten erzählen, wo ihr Leben doch jeden Augenblick vorbei sein könnte? Wo doch so viel auf dem Spiel steht?“
Der stechende Qualm trieb Tränen in ihre Augen, weshalb sie sich wegdrehen musste.
Dabei fiel ihr Blick wieder auf Baraj und Truzos, die immer noch stritten.
Nach einer wüsten Beleidigung von Seiten des Nogroners schnellte der Magier jedoch aus einer einfach Geste heraus nach vorne, worauf sein Gegenüber in hohem Bogen von ihm weggeschleudert wurde.
„Was zum…“, keuchte Baraj, während er sich aufrappelte, „Hauptmann! Dieser serpendrianische Bastard hat mich angegriffen.“
„Na und?“, höhnte Renault, der alles ebenso genau beobachtete hatte wie Ariona, „Wahrscheinlich wollte er sich nur von seinem Gestank befreien. Ich kann es durchaus nachvollziehen.“
Seine Worte stachen wie Nadeln in ihre Brust und von dort aus, wo sie in ihren Körper eindrangen, verbreitete sich ein sengender Schmerz in ihrem Körper wie weiße Glut. Sie zitterte, konnte nicht anders, sprang auf, ging schnellen Schrittes zu Renault herüber.
„Was wollt Ihr, Novizin?“
„Das ist nicht gerecht!“, fauchte sie, „Ihr seid ein Offizier, Ihr habt Verantwortung! Ihr könnt diesen Idioten nicht bevorzugen, nur weil er Serpendrianer ist!“
„So redet Ihr nicht mit einem Offizier, Novizin!“, rief Renault, „Zurück auf Euren Platz!“
„Das hättet Ihr wohl gern“, blaffte sie, „Ich sage Euch was: Lange kommt Ihr damit nicht mehr durch, das…“
Sie keuchte, wollte gerade Luft holen, um zum nächsten Wort anzusetzen, als Renault ihr plötzlich einen Rückhandschlag mitten ins Gesicht verpasste.
Der Angriff kam so hart und unerwartet, dass sie augenblicklich rücklings in den Staub stürzte.
„Ich hatte Euch befohlen, auf Euren Platz zurückzukehren, Novizin!“, zischte er, während selbst die Skatrier mitten in ihren Geschichten verstummt waren, „Ich hoffe, das war Euch eine Lehre.“
„Ihr schlagt eine Frau, Renault?“, fragte Slemov, der sich soeben erhoben hatte, scharf.
„Ich schlage, wen ich…“
„Sir, ich glaube, ich habe da etwas gesehen, am Waldrand!“, rief Kalira, die ebenfalls herbeigeeilt war.
„Behelligt mich nicht mit Euren Problemen, Weib! Wir haben hier wichtigeres zu…“, begann der Hauptmann. Mitten im Satz jedoch löste sich ein Pfeil aus des Waldes Wand, sirrte wie ein Blitz durch die Luft und fand sein Ziel in der Brust eines xendorischen Soldaten.
Für einen Moment waren alle wie vom Donner gerührt. Niemand bewegte sich, Renault klappte langsam die Kinnlade herunter, einen Augenblick später lagen Hände auf Schwertgriffen, wurden Sehnen gespannt, knisterte Magie in Fingerspitzen.
Dann brachen sie mit grausigen Kampfschreien aus den Reihen der Bäume hervor, dutzende Orks, mit gefletschten Zähnen und gezogenen Scimitaren, Äxten, Speeren und Breitschwertern.
„Hinterhalt!“, schrie Renault, „Zu den Waffen!“
„Bei Iurion sind die hässlich“, spottete Truzos.
Ariona, die immer noch auf dem Boden lag, wusste gar nicht, wie ihr geschah, bis sie von Kalira wieder auf die Beine gerissen wurde. Diese feuerte anschließend in beeindruckender Geschwindigkeit zwei Pfeile ab, bevor sie ihren Bogen wegwarf, da die Orks bereits zu nah waren.
„Magier! Unternehmt etwas!“, befahl Renault.
Während sie noch geradezu gelähmt da stand, sah sie Truzos, der eine Wand aus Flammen heraufbeschwor, die mehrere Orks versengte, sodass sie brennend und schreiend umher liefen. Weil der Angriff jedoch von allen Seiten ausgeführt wurde, gelang es dem Hexer nicht, ihre Gegner aufzuhalten.
Sie wirbelte herum, entdeckte Dimitri und Slemov, die sich in einen Haufen orkischer Kämpfer stürzten, während Ilar sie mit magischen Geschossen unterstützte. Überall war Getümmel, Schwerter klangen, Schreie zerrissen die Luft, vor ihren Augen verschmolzen die Körper von Freunden und Feinden zu einem tödlichen Tanz.
„Novizin! Deckt die Südseite“, schrie Renault, während er seine Klinge durch den Hals eines Orks zog.
Obwohl durch diesen Ruf nichts klarer wurde, machte Ariona dennoch eine unheimliche Veränderung durch. Erschrocken fühlte sie, wie ihre Beine sie Richtung Südflanke führten, wie ihre Augen den Blick auf die gewaltigen Trümmer des Wachturms senkten, wie die Magie in ihren Venen pochte.
„Du musst es nur noch tun“, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, während die orkischen Krieger auf sie zu preschten.
Ihre Lider weiteten sich, mit einem Mal hellte sich alles wieder auf, die verschwommenen Schemen von Freund und Feind trennten sich, die Sinfonie der Schlacht wich aus ihren Ohren und in einem Zustand vollkommener Konzentration sprudelte die Magie wie eine Sturmflut aus ihren Händen.
Ihr Zauber riss einen gewaltigen, verkohlten Stützbalken aus den Ruinen des Turms, den sie anschließend in die Luft hob, um ihn in die Reihen der Feinde zu schmettern. Unter einem ohrenbetäubenden Knarren barsten Holz und Knochen. Ganze Reihen der Angreifer wurden zu Boden geschlagen, während der Aufprall ihnen die Helme von den Köpfen riss und ihre Schädel zertrümmerte.
Doch den Ansturm hielt sie mitnichten auf.
Während sie ein weiteres Trümmerteil aus den Ruinen des Turms fliegen ließ, stürmte bereits eine neue Welle der Feinde über die Leichen ihrer gefallenen Kameraden, die sie rücksichtslos in den Dreck trampelten.
Holz und Knochen brachen etliche Male, verkohlte Splitter bohrten sich in graues Fleisch.
Sie wusste nicht mehr, wie viele Balken sie ihren Feinden entgegengeschmettert hatte, als sie benommen zurücktaumelte.
Das Wirken von Magie verlangte seinen Preis, der Schleier der Erschöpfung presste sich auf ihre Augen.
Die Orks kamen näher, sie stolperte, fiel erneut rücklings zu Boden, spürte die Schritte durch die Erde beben, sah ihre primitiven Waffen in der blutroten Dämmerung glänzen.
„Ja, ich bringe euch alle um, ihr hässlichen Hundesöhne!“, schrie Truzos, bevor eine gewaltige Explosion ihr jedes Hörvermögen raubte.
Ihr Herz schlug förmlich durch ihren Brustkorb, sodass sie für einen Moment wieder klar sah und in eingeschmolzene Gesichter starrte.
Keuchend krabbelte sie rückwärts, bis sie plötzlich gepackt und mitgeschleift wurde.
Nach einem bangen Blick stellte sie fest, dass es Dimitri und Ilar waren, die sie gerettet hatten und nun versuchten, zum nördlichen Hügel zu fliehen.
Dann aber sah sie Renault, der gerade einen weiteren Ork niedergestreckt hatte sich aber nun zu ihnen umgedreht hatte. Blitzschnell zog er eine Pistolenarmbrust, mit der er zu ihrem Entsetzten geradewegs auf Dimitris Rücken zielte.
„Hier zieht sich niemand zurück, Feigling!“, blaffte er und drückte ab.
Der Bolzen durchtrennte sauber Dimitris Rückenmark, worauf dieser sofort einklappte, um mit einem letzten Keuchen zu sterben.
„Verdammter stinkender Hurensohn!“, heulte Ilar, wobei er Ariona losließ, „Nein, das wird mir zu viel. Leckt mich, ich hau ab!“
Mit diesen Worten stürmte er los und ließ sie alleine liegen. Langsam hob sie ihren Oberkörper, um sehen zu können, was vor ihr geschah.
Augenscheinlich hatten sich die meisten ihrer Kameraden versucht, sich in Richtung des Hügels zurückzuziehen, befanden sich dabei allerdings immer noch im Gefecht mit den Orks.
Links von ihr feuerte Truzos, der immer stärker wankte, beständig Feuerblitze in die Reihen der Feinde, während Baraj ein Stück weiter vorne seinen Speer durch die Kehle eines Orks stieß.
Rechts schwang Kalira ihre Dolche so schnell gegen ihre Feinde, dass diese kaum noch mit bloßem Auge sichtbar waren. Viel mehr funkelten sie als ein grauer Strahl vermengt mit Blut.
Direkt voraus fochten Slemov und Renault, während Magda hinter ihr verzweifelt versuchte, sich von dem Pfahl loszureißen, an dem sie festgebunden war.
Dann jedoch ertönte ein Schrei. Ein Pfeil sirrte durch die Luft und traf Kalira in die Schulter, sie strauchelte, kippte zurück, ließ ihre Deckung sinken. Der vor ihr stehende, orkische Hüne verzog seine entstellte Fratze zu einem abartigen Grinsen, bevor er sein schartiges Scimitar einmal quer über ihre Brust riss und damit gleichermaßen Leder wie Fleisch durchtrennte.
Keuchend kippte die Späherin zurück, ihre Dolche glitten ihr aus den Händen und stumm starrte sie ihrem Häscher entgegen, als dieser seine Klinge zu jenem Schlag hob, der ihr den Kopf abtrennen sollte.
Von der grausigen Szenerie gebannt, bemerkte Ariona nicht, wie Truzos eine letzte Beleidigung brüllte, bevor er vor Erschöpfung zusammenbrach.
Sie sah nicht, wie Barajs Speer entzwei brach und er sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen vor seinen Feinden auf den Boden kniete.
Zugleich wurde auch Slemov von einem Pfeil in die Seite getroffen, worauf er zu Boden ging und sein Schwert ihm aus den Händen wirbelte, sodass letztlich nur noch Renault aufrecht stand.
Die Orks hielten für einen Moment Abstand, während sie den Ledrianer erwartungsvoll beäugten.
„Mit Verlaub gesagt, Sir…“, keuchte Slemov vom Boden, „dies wäre ein guter Zeitpunkt, sich zu ergeben.“
„Schweig still, Narr!“, zischte Renault, wobei er seine Armbrust nachlud und damit einen Ork erschoss, „Na kommt doch! Kommt her! Ein Ledrianer ergibt sich niemals! Niemals!“
Während einer ihrer Kameraden mit einem Bolzen in Stirn blutend zusammensackte, sahen sich die Orks kurz an, blafften anschließend wilde Laute und hoben dann die Waffen, um sich auf Renault zu stürzten. Dieser schmetterte dem ersten seine Armbrust ins Gesicht, was diese zwar völlig zertrümmerte, aber auch den Angreifer zu Boden schickte.
Während er Offizier auf diesen eintrat, parierte er den Abwärtshieb des nächsten, um anschließend mit einem Knaufschlag nachzusetzen.
Ein weiterer Streich durchtrennte der Kreatur die Kehle, während bereits die nächste auf den Hauptmann zu stürmte. Er durchbohrte sie, zog seine Klinge wieder aus dem bluttriefenden Leib heraus, schwang sie gegen den Helm der nächsten, schmetterte ihn von ihrem Kopf, verpasste ihr einen Schlag in die massige Fratze, beendete alles mit einem Stich ins Herz und widmete sich der nächsten, bevor er selbst von einem Pfeil getroffen wurde.
Drei Orks packten ihn, rangen ihn zu Boden.
Obwohl ihm sein Schwert schon aus den Händen geglitten war, schlug er weiter auf seine Feinde ein, schaffte es sogar, seinen Dolch zu ziehen und ihn im Nacken einer Bestie zu versenken.
Ein Faustschlag traf sein Gesicht, er wurde auf den Boden gepresst.
Verzweifelt stemmte er sich gegen die massigen Hände, die ihn in den Staub pressten.
„Ihr werdet in Iurions Feuer brennen, Bastarde!“, blaffte er und spuckte dem Ork ins Gesicht, der nur einen Augenblick später seinen Schädel mit einem Speer durchbohren sollte.
Unbeeindruckt trat der hünenhafte Ork Renaults Leiche von sich weg, bevor er sich an Slemov wandte.
„Ergeben dich?“, grunzte er.
„Ja…ja“, keuchte der Skatrier, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Oberschenkel hielt.
„Gut“, zischte sein Gegenüber, bevor es sich in einer gutturalen Sprache an seine Kameraden wandte, worauf diese damit begannen, die Überlebenden zu fesseln und aus dem Lager zu führen.