Wie gebannt starrte ich auf dieses Schild. Und ich konnte nicht glauben, was ich dort las:
Porsche 911 Carrera S Coupé, Sportwagen/Coupé, Gebrauchtfahrzeug, EZ 10/2004, 17.700 km,
Benzin, 261 kW (355 PS), Schaltgetriebe, Preis: VB 15.000 €
„Das gibt es doch nicht“, dachte ich laut. Wieso zum Teufel ist dieser Wagen so günstig? Ich las mir die weiteren Daten durch. Ich konnte jedoch keinen Haken entdecken. So ein Wagen kostet doch aber mindestens 40.000 Euro! Ich wusste es genau. Schon lange war ich auf der Suche nach diesem Auto, MEIN Traumauto. Doch jedes Mal wenn ich fündig wurde, vergönnte es mir mein Geldbeutel nicht, so einen Traum zu besitzen. Jetzt aber war ich so nah dran wie nie zuvor.
Schon eine ganze Weile stöberte ich auf dem Gelände des Gebrauchtwagenhändlers Mayer herum. Eigentlich brauchte ich was Einfaches, etwas günstiges. Aber dieser Porsche zog mich seit eh und je in seinen Bann.
Wieder und wieder las ich das Angebot, das auf einem großen, leuchtgelben Schild auf der Windschutzscheibe prangte.
Ich ging um den Wagen herum und sah ihn mir genau an. Von vorne, von hinten und natürlich die beiden Seiten. Auch den Lack, der schwarz-metallic in der Sonne glänzte, schien tadellos zu sein. Schließlich wollte ich noch den Heckmotor sehen. Allerdings war der Wagen verschlossen.
Natürlich blieb ich nicht unentdeckt. Mayer kannte mich mittlerweile, denn ich war schon öfter hier. Als ich versuchte die Heckklappe zu öffnen, kam er langsam auf mich zu. Er ging immer langsam. Nicht, dass er nicht schneller gekonnt hätte, auch wenn ihm sein enormes Gewicht zu schaffen machte. Aber er war der Meinung, dass seine Kunden ruhig etwas warten könnten. Schließlich wollten sie in erster Linie was von ihm und nicht umgekehrt. Diese Philosophie habe ich nie verstanden, aber es war mir auch egal. Ruhig steckte ich meine Hände in die Hosentasche und wartete.
„Moin“, begrüßter er mich. „Schicker Wagen. Und zu diesem Preis, unschlagbar. So etwas werden Sie nie wieder finden, junger Freund.“
„Das fürchte ich allerdings auch. Was stimmt nicht mit dem?“, skeptisch zeigte ich mit dem Ellenbogen auf den schwarzen Porsche.
„Was soll mit dem denn nicht stimmen? Er ist super in Schuss, hat kaum Kilometer runter. Und der Motor ist perfekt.“ Während er sprach öffnete er den Wagen und zeigte mir den Motor.
„Ja eben, alles scheint Top zu sein, warum dann dieser Preis? Da gibt es doch einen Haken. Mir kannst du nichts erzählen.“
Mayer schwieg für einen Moment und dachte nach. Es schien, als sei er mit sich im Zwiespalt. Doch dann sagte er: „Na gut, komm mit.“
Ich folgte ihm in sein Büro. „Kaffee?“, fragte er, während er sein Jackett auszog.
„Gerne.“ Gespannt wartete ich auf das, was nun kam.
„OK, ich werde es dir erzählen. Aber NUR, weil wir uns schon eine Weile kennen, und du wohl einer der Wenigen bist, die die Story nicht kennt.“
„Welche Story?“ Meine Neugier war geweckt.
„Also, der Wagen ist so, wie er da draußen steht, wirklich Top. An ihm ist nichts aber auch wirklich nichts dran.“
„Aber?“, fragte ich bohrend nach.
„Aber es will ihn einfach keiner. Ich habe den Wagen schon überall hier in der Gegend angeboten. Bin x-Mal mit dem Preis runtergegangen. Ich glaube selbst wenn ich ihn verschenken würde, würde ihn keiner haben wollen.“
Nun war ich völlig verwirrt und verstand kein Wort von dem, was dieser Typ in seinem durchgeschwitzten Hemd da faselte. Er schien meine Gedanken zu lesen, denn er sah mich kurz an und sprach sofort weiter: „In diesem Wagen wurde jemand ermordet.“
Völlig entsetzt stieß ich fast meine Kaffeetasse um: „Bitte WAS?“
„Es ist jetzt fast zwei Jahre her. Damals ging man von Selbstmord aus. Aber ich bin da anderer Meinung. Einige andere hier übrigens auch“
„Und wieso? Wie kommst du darauf?“ Ich war nun entschlossen alles darüber zu erfahren.
„Du hast anscheinend wirklich noch nie was davon gehört. Nun gut, ich erzähle dir was ich weiß.“
Bei dem aus seiner Sicht mutmaßlichen Opfer handelte es sich um einen jungen Mann. Er war damals gerade in diese Gegend gezogen um sich beruflich zu verändern. Achtundzwanzig war er gerade mal geworden. Kaum jemand kannte ihn hier. Durch die Presse war der Name Lars P. bekannt geworden.
Lars P. war für sein Alter recht wohlhabend. Durch eine Erbschaft kam er an Geld, von dem er sich auch den besagten Porsche kaufte. Man hielt ihn für einen Spinner, der mit seinem Wagen durch die Gegend kreuzte, um Eindruck zu schinden.
„Hat selber noch nichts im Leben erreicht, aber auf dicke Hose machen“, redeten die Leute über ihn. Viele gönnten ihm nicht seinen Geldsegen. Aus den meisten von ihnen sprach offensichtlich der pure Neid. Man könnte meinen, dass er aber genau aus diesem Grund viele Freunde hatte. Dem war aber nicht so. Lars P. war ein Einzelgänger, und die Leute mieden ihn.
Dann erzählte Mayer von dem Tag an dem sie ihn fanden. Er war damals dabei, wie sie ihn samt dem Porsche aus dem Kanal zogen.
Die Polizei rekonstruierte den Tag an dem der junge Mann ums Leben kam. Er war wie gewöhnlich mit seinem Wagen auf einer Spritztour. Die Scheiben waren runter gedreht und es stellte sich heraus, dass das Radio voll aufgedreht war. Er fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Brücke zu, die über den Kanal führte. Dann steuerte Lars P. auf die Gegenfahrbahn Richtung Abgrund. An dieser Stelle war die Brücke aber nicht mehr ausreichend geschützt. Er stürzte den Abgrund hinunter und überschlug sich dabei mehrmals. Als der Wagen endlich zum Stillstand kam, lag er schon zur Hälfte im Wasser. Nach und nach rutschte er komplett ab und versank im Kanal.
Spaziergänger, die mit ihrem Hund unterwegs waren, riefen sofort die Rettungsdienste. Doch wie sich später herausstellen sollte, kam jede Hilfe für Lars P. zu spät.
Taucher gingen ins Wasser um den Wagen mit Hilfe des Abschleppdienstes zu bergen. Es dauerte Stunden, bis sie ihn aus dem Wasser hatten. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Und es dauerte nicht lange, bis die Brücke voll mit Schaulustigen war.
Sie alle konnten ihn sehen. Den Toten Lars P. Mit weit geöffneten Augen, den Gurt noch um seine Brust und ein Arm aus dem Fenster hängend. Ein schauriges Bild, das die meisten wohl nie vergessen werden. So auch Mayer.
Zu diesem Zeitpunkt ging man noch von einem tragischen Unfall aus, trotzallem ermittelte die Polizei. Und schon da begannen Einige zu munkeln, dass es kein Unfall gewesen sei.
Daraufhin fragte ich Mayer, wie man darauf kam. Mayer antwortete, dass man an der Unfallstelle keinerlei Bremsspuren gefunden hatte. Außerdem fand man später in seinem Wagen einen Zettel, so eine Art Brief. Die Ermittler gingen davon aus, dass es ein Abschiedsbrief gewesen sein musste. Doch durch die Nässe war nicht mehr viel zu erkennen. Den einzigen Fetzen, den sie noch entziffern konnten war ein „es tut mir leid“.
Auch der Porsche wurde gründlich untersucht. Man konnte keinerlei Unregelmäßigkeiten entdecken. Bis auf eins: Die Bremsleitung war beschädigt. Doch es konnte nie nachgewiesen werden, ob sie manipuliert worden war, oder durch den Unfall zerrissen wurde.
Meiner Meinung nach klang das alles sehr plausibel. Ich verstand nicht, dass Mayer anderer Meinung war und von einem Mord ausging. Ich hakte also weiter nach.
Mayer erklärte mir, dass in seinem Wagen eine erhebliche Summe Geld um Kontoauszüge gefunden wurde. Wie sich herausstellte, musste Lars P. kurz vor dem Unglück bei der Bank gewesen sein. Und das war es auch wohl, was Mayer so beschäftigte. Welcher Mensch, der sich das Leben nehmen will, geht woher noch zur Bank um sich Geld und Kontoauszüge zu holen?
Irgendwie hatte Mayer recht, es klang logisch. Auf diese Frage hatte auch niemand je eine Antwort gefunden.
Nach einer guten Stunde stand Mayer plötzlich auf: „So mein Freund, jetzt kennst du die Geschichte. Deshalb will niemand diesen Wagen kaufen. Die Leute sagen, es liegt ein Fluch auf ihm. Nach dem Vorfall habe ich den Wagen gekauft und ihn wieder instand gesetzt. Es hat mich viel Zeit und Geld gekostet. Aber er ist wieder einwandfrei. Willst du ihn immer noch?“
Noch in Gedanken und kopfschüttelnd verneinte ich. „Danke für den Kaffee.“ Ich stand auf verabschiedete mich und ging.
Auf dem Weg zurück blieb ich noch einmal vor dem Porsche stehen. Ich betrachtete ihn jetzt mit anderen Augen und versuchte mir vorzustellen, wie es damals war. Ich hatte nun auch keinerlei Interesse mehr an diesem Traum von Auto. Nicht einmal mehr hineinsetzen würde ich mich, nachdem ich das alles gehört hatte.
In den nächsten Wochen beschäftigte mich diese Geschichte sehr. Ich fing an meine eigenen kleinen Nachforschungen anzustellen. Ich wollte alles darüber wissen und recherchierte im Internet nach alten Zeitungsartikeln. Auch in meinem Bekanntenkreis fragte ich herum. Es stellte sich heraus, dass Mayer mehr wusste, als er mir erzählte. Denn Mayer und Lars P. kannten sich offensichtlich. Und das nicht nur flüchtig. Lars P. hatte eine Beziehung zu Mayers Tochter. Und wie ich erfuhr, war Mayer alles andere als erfreut darüber. Es hieß, dass Mayer ihm vorwarf einen schlechten Einfluss auf seine Tochter gehabt zu haben. Der Wohlstand, den Lars P. genoss, kam nicht nur, wie viele glaubten, durch seine Erbschaft. Nein, er hatte seine Finger auch im Drogengeschäft. Und das war es auch, was Mayer an ihm so verachtete. Er hatte außerdem Angst um seine Tochter. Angst, dass sie durch ihn in dieses Milieu abrutschen könnte.
Gut, dachte ich. Das erklärt einiges, aber nicht alles. Denn eine Sache fiel mir besonders auf. Wieder und wieder dachte ich über das Gespräch nach. Und wieder und wieder las ich die vielen Zeitungsartikel, die damals über diesen Fall veröffentlich wurden. Und immer wieder suchte ich nach einer Antwort auf die eine Frage: Woher wusste Mayer von dem Geld und den Kontoauszügen? Denn dieses Detail wurde nie veröffentlicht.