Passend zu meinem Namen, eine Wintergeschichte zu der mich ein Film inspiriert hat...
Mitternacht. Der Himmel ist wolkenverhangen. Es hat die ganze Nacht geschneit und wird wohl noch weiter schneien. Ich ziehe Jacke und Schuhe an, nehme den Holzbesen, der neben der Haustür bereitsteht und das kleine Gaslicht, das mir auch dann Licht spenden wird, wenn Mond und Sterne nicht zu sehen sind.
Als ich die Tür öffne schlägt mir Kälte entgegen. Ich mache mich auf den Weg, ziehe die Mütze tiefer ins Gesicht. Es sind nur wenige Schritte und vor ein paar Jahren noch hatte mir der Weg, auch mitten in der Nacht, nichts ausgemacht. Doch ich werde alt und das Leben hier oben in den Bergen – die Einsamkeit und die Stille – machen mir zu schaffen. Nach dem Tod meiner Frau vor so vielen Sommern, habe ich mich dazu entschieden, in das kleine Haus neben den Gleisen zu ziehen. In den Städten und Dörfern gab es nichts mehr für mich, nur Frauen, deren Lachen mich an sie erinnerten, deren Röcke beim Gehen um ihre Beine schwangen, deren Haar im Wind wehte und deren Stimmen nie mir galten – unerträglich wurden mir diese Frauen, die mich daran hinderten loszulassen.
Als das Angebot von der Eisenbahngesellschaft kam war ich dankbar und sagte sofort zu. Eine Auszeit, dachte ich. Nur für ein paar Jahre. Jetzt kann ich mir nicht mehr vorstellen, in die Stadt zurückzukehren.
Ich muss mich beeilen, der Spätzug wird bald kommen und wenn ich bis dahin die Weichen nicht von ihrer Schneelast befreit habe, könnte der Zug entgleisen; Menschen könnten sterben. Ich bin mir meiner Verantwortung wohl bewusst. Der Boden unter meinen Füßen ist eisig und glatt. Ich gehe diesen Weg mehrmals täglich, er ist von meinen Schuhen ausgetreten. Er führt ein Stück bergauf und als ich schließlich neben den Gleisen zu stehen komme, ringe ich nach Atem. Meine Brust schmerzt, wie so oft in letzter Zeit und ich ermahne mich, in Zukunft früher los zu gehen um mich dann nicht so beeilen zu müssen. Als ich schließlich meinen Blick hebe und den dunklen Umriss sehe, ein Tier wie ich vermute, seufze ich. Das hat mir gerade noch gefehlt, dass ich jetzt einen Kadaver von den Gleisen schaffen muss; dass das Tier auch ausgerechnet auf den Gleisen verenden muss, denke ich.
Widerstrebend bewege ich mich auf den Körper zu. Schwarzes Fell, erkenne ich, dann helles Haar – und schlagartig begreife ich. Nun laufe ich, laufe auf die Gestalt zu, die wie leblos auf den Gleisen liegt. Neben ihr niederkniend erkenne ich blondes Haar, lang und dicht, das wie ein Vorhang über ihrem Gesicht liegt. Vorsichtig schiebe ich es beiseite. Sie ist noch nicht alt. Fünfundzwanzig, vielleicht dreißig, vermute ich. Sie ist stark geschminkt; ihre Lippen unnatürlich rot in ihrem ansonsten blassen Gesicht. Sie ist kalt. Kalt wie eine Tote, trotz ihres Fellmantels. Meine klammen Finger tasten nach ihrem Puls. Da – ganz schwach. Sie lebt! Dann handle ich; ziehe sie von den Gleisen, die unter dem herannahenden Zug bereits angefangen haben zu vibrieren. Der Gedanke daran, dass ich die Weichen vom Schnee befreien sollte, ist nicht länger in meinem Geist, als ich mich, beladen mit meiner Last, auf den Heimweg mache. Sie ist schwer und ich strauchle, ziehe sie an den Haaren, was sie nicht merkt und für den Moment bin ich froh darüber. Einmal lasse ich sie fallen, als ich auf dem steilen Stück direkt vor dem Haus den Halt verliere und stürze. Sie fällt wie eine Puppe. Ich versuche sie zu fangen, doch ich bin alt und langsam. Ihr Kopf sinkt in den Schnee und sie bleibt reglos liegen. Dass sie tot ist, denke ich in dem Moment, dass ich mir das schwache Klopfen ihres Herzens nur eingebildet habe. Doch ich hebe sie einfach nur auf und gehe weiter.
Die Haustür klemmt, wie sie es immer tut, nur heute Nacht habe keine Geduld mit ihr, stemme mich gegen das alte Holz bis es knirschend nachgibt und mir die Wärme des Feuers, das ich entzündet habe, bevor ich mich auf diesen letzten Gang gemacht habe, beinahe unangenehm entgegen schlägt.
Das Haus hat nur zwei Zimmer; ein kleines in dem sich mein Bett befindet und ein Kasten, ein Stuhl und eine Kommode, und eines wo der alte Holzofen steht, ein Diwan und ein Tisch davor. Nichts besonderes, weiß ich, doch immerhin. Zielstrebig trage ich sie in mein Schlafgemach, lege sie auf das Bett und mache mich daran sie zu entkleiden. Das schwarze Fell ist durchzogen von Nässe und Kälte und ich muss sie daraus herausholen, wie eine Frucht aus der Schale. Ihr Kopf baumelt zur Seite und ich denke, dass ich eine Tote ins Haus gebracht habe; in mein Bett. Ekel greift mich an, doch ich zwinge mich weiter zu machen. Ziehe ihr Schuhe, Strümpfe und Kleid aus. Sie trägt Schmuck. Ich habe mich nie im Besonderen für Steine, Gold und dergleichen interessiert, doch um zu erkennen, dass sie ein kleines Vermögen um ihren Hals trägt, reichen meine bescheidenen Kenntnisse. Schließlich liegt sie in ihrer Unterwäsche vor mir und ich denke, dass das genügen muss. Ich könnte mich ohnehin nicht überwinden sie noch weiter auszuziehen. Immerhin, die junge Frau könnte dem Alter nach meine Tochter sein.
Meine Tochter.
Plötzlich kann ich mich nicht mehr bewegen, nicht mehr atmen, nicht mehr…
Jahrelange Übung hilft mir schließlich Herr über den Schmerz zu werden, mich wieder der Frau auf meinem Bett zuzuwenden. Ich hülle sie in meine Decke, hole weitere Decken herbei, so viele ich finden kann und türme sie über dem schmalen Körper auf. Als sie endlich unter allen Decken begraben liegt, bin ich unsicher, was nun zu tun ist, dann fällt mein Blick auf ihr Gesicht und ich gehe in die Küche um Wasser zu erhitzen. Wie sie wohl ohne die Maske aussieht, die sie trägt, überlege ich. Später nehme ich wieder neben dem Bett Platz, stelle die Schüssel auf meine Knie und beginne damit ihr Gesicht zu waschen. Sie hat einen Kratzer auf der Stirn, merke ich erst jetzt und vorsichtig mache ich mich daran die Wunde zu säubern. Dann wische ich über ihren Mund. Der Lippenstift färbt den Lappen rot und als ich ihn schließlich wegnehme, erstarre ich. Ihre Lippen sind so schmal, so blau! Ihr Gesicht ist schön, denke ich. Zart und blass. Ich korrigiere die Einschätzung ihres Alters nach unten. Atmet sie? Wieder taste ich nach ihrem Puls. Diesmal bin ich mir nicht sicher. Ich bin immerhin kein Arzt, denke ich; nicht geschult darauf, den Pulsschlag zu ertasten. Schließlich sitze ich todmüde neben ihrem Bett, starre auf den Deckenberg und versuche eine Bewegung zu sehen. Ein Heben und Senken. Ich starre bis meine Augen tränen. Manchmal scheint mir, dass sie sich leicht bewegt, doch ich kann nie sicher sein.
Irgendwann kann ich die Augen nicht mehr offen halten. Meine Träume in dieser Nacht sind wirr. Ein Zugsunglück und mein Bild in der Zeitung. Meine Schuld, begreife ich. Und dann träume ich wieder von Anna. Ihr Lachen, der Glanz ihres dunklen Haares, wie Holz sage ich, wie Katzenfell, wie Samt, wie Wallnuss… Erinnerung an Jahre, geballt in einem Traum.
Am nächsten Morgen weiß ich, dass sie da ist, noch bevor ich die Augen geöffnet habe. Ihr Geruch liegt in dem Zimmer, das nie zuvor eine Frau betreten hat.
Sie sieht kein bisschen aus wie Anna, stelle ich fest. Der Schlaf hat ihr gut getan. Ihre Lippen sind nicht mehr so bläulich, ihre Wangen nicht ganz so weiß. Sie liegt reglos und ich frage mich, was zu tun ist. Sie muss essen, trinken vor allem. Doch solange sie nicht wach ist, kann ich auch sitzen bleiben und sie einfach nur betrachten. Wer sie wohl ist, frage ich mich und wie sie auf die Gleise gekommen ist. Der nächste Bahnhof ist von meinem Haus kilometerweit entfernt. Ob sie aus dem Zug gefallen ist? Endlich kommt mir der Einfall, dass sie vielleicht Papiere bei sich trägt. Ich durchsuche ihre Sachen. Nichts. Frustriert nehme ich wieder auf dem Stuhl Platz, doch ich bin rastlos und schon nach wenigen Augenblicken erhebe ich mich wieder um in der Küche Tee aufzusetzen.
Ich benetze ihre Lippen, doch sie will auch davon nicht erwachen. Während ich so sitze und sie betrachte, frage ich mich wie lange es her ist, dass ich zuletzt mit einem Menschen gesprochen habe. Der Junge, der mir einmal wöchentlich Essen bringt, ist froh wenn er nicht mit mir reden muss – zumindest hatte ich immer diesen Eindruck – deshalb lege ich ihm Geld vor die Haustür und er lässt den Korb mit den Waren einfach stehen; gesehen hab ich ihn schon lange nicht mehr. Anna hätte gelacht, wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich eines Tages wie ein Einsiedler leben werde.
Ich merke es erst nicht, doch meine Lippen bewegen sich wohl schon seit einiger Zeit und ich erzähle der schlafenden Fremden mein Leben. Seltsam wie nahe man sich einem Menschen fühlt, sobald man ihm die eigene Geschichte erzählt, selbst wenn derjenige einen nicht versteht, oder vielleicht gerade deshalb. Ich denke es ist diese Stunde, in der ich der Fremden mehr von mir preisgebe, als irgendjemandem sonst nach Annas Tod, in der ich anfange mich an sie zu gewöhnen. Sie ist eine angenehme und gute Zuhörerin, die den Strom meiner Gedanken nicht ein einziges Mal unterbricht. Ich glaube, bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht verstanden wie einsam ich tatsächlich bin.
Später mache ich Suppe. Als ich zurückkomme sitzt sie im Bett und blickt mir aus wachsamen, sehr hellen, blauen Augen entgegen. Nun da sie wach ist, bin ich verlegen. Sie hat Angst, ich kann es deutlich sehen. „Ich habe etwas zu essen gebracht“, meine ich beim Näher kommen. „Sie müssen essen, bestimmt sind sie hungrig.“ Ich bin nicht sicher, ob sie mich versteht, doch dann nickt sie und ich stelle das Tablett mit dem Suppenteller auf den Stuhl. „Ich habe sie gefunden… auf den Gleisen… gestern Nacht.“ Sie blinzelt verwirrt, scheint nicht zu begreifen wo sie ist und was ich sage. „Erinnern sie sich?“
Als hätte ich eine Tür in einen hell erleuchteten Raum aufgestoßen schließt sie die Augen, wie von Licht geblendet und beginnt zu schluchzen. Hilflos stehe ich in meinem Gemach und weiß nicht was ich tun soll, mit der weinenden Frau, die in meinem Bett sitzt, die mir fremd ist und deren Schmerz mir dennoch nahe geht.
„Esst.“ Mein Ton ist barsch und sie blickt erschrocken auf. Ich deute mit dem Kinn auf den Teller und sie nickt. Ich beobachte wie sie mit zitternden Fingern zu essen beginnt. Sie bewegt sich anmutig, denke ich, als sie langsam Löffel um Löffel an die Lippen führt. Ich schweige bis sie fertig gegessen und den Teller zurück auf den Stuhl gestellt hat. „Wie ist Euer Name?“
Sie setzt zu einer Antwort an, bricht dann jedoch ab und schüttelt den Kopf. Ratlos kratze ich mich am Kinn. Ich sollte sie drängen, sie dazu bringen mir ihren Namen zu sagen, in die Stadt gehen und melden, dass sie hier bei mir ist. Irgendjemand vermisst sie sicherlich und macht sich Sorgen. Doch ich frage nicht weiter. Ich will nicht in die Kälte hinaus, sage ich mir, nicht den weiten Weg gehen. Ich mache mir etwas vor.
Wir sitzen beieinander. Trinken Tee. Ich rede manchmal, sie schweigt, fängt an mir zu vertrauen. Ich kann es an ihren Augen erkennen, die nicht mehr wie gehetzte Tieraugen wirken. Am Abend lasse ich sie alleine. Immerhin habe ich eine Aufgabe, die ich gestern, ihretwegen, schon vernachlässigt habe.
Mein Besen liegt dort wo ich sie gestern gefunden habe unter einer Schneedecke. Es könnte sie sein, die hier liegt, denke ich, wenn ich sie nicht gefunden hätte. Dann wäre sie bestimmt tot. Dem Holz hat die Nacht im Freien nichts anhaben können. Ich tue meine Pflicht, auch wenn ich nicht mit demselben Eifer die Weichen fege, wie sonst. Meine Gedanken sind von der Fremden erfüllt und als ich schließlich wieder das Haus betrete, bin ich froh, dass jemand hier ist. Ich umsorge sie, koche. Sie lächelt dankbar. Isst.
„Ich muss gehen.“
Ich gestehe, dass ich enttäuscht bin. Ich hatte gehofft, dass ihre ersten Worte, Worte des Dankes sind, Worte der Zuneigung vielleicht oder Worte der Hoffnung, nicht Abschiedsworte. Sie muss meinen verletzten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn ihre Stimme ist weich, fast flehendlich als sie fort fährt. „Wenn ich bleibe, bringe ich Euch in Gefahr. Man wird nach mir suchen und wenn er sieht, dass…“
Erschrocken bricht sie ab. Ich trete näher, streiche mit der Hand über ihr Haar, das sich weich und glatte unter meinen alten Fingern anfühlt. Sie hebt den Kopf. Ihre Augen sind feucht. Ich begreife, dass sie nicht weiß wo sie hin soll und lächle. Wir sind mitten im Wald, niemand wird Sie hier vermuten.“ Ich spreche mir selbst Mut zu und ihr auch, wie ich an ihrem Blick erkenne. Ich rede von anderen Dingen. Dem Wald, den Tieren und den Gleisen, die das Einzige sind, auf das ich mich verstehe. Sie ist immer noch eine gute Zuhörerin.Und so bleibt sie.
Manchmal hat sie Angst. Sie spricht von einem Mann und ich weiß nicht ob er ein Vater oder ein Ehemann ist, ich weiß nur, ich will nicht, dass sie von ihm redet, will nicht, dass sie Angst hat und nicht, dass jemand unsere Zweisamkeit stört. Ich habe auch Anna und das Mädchen aus meinen Gedanken verbannt. Einmal fragt sie nach meiner Familie, doch ich habe ihr ja schon alles erzählt und so schüttle ich nur wortlos den Kopf.
Sie geht nicht aus dem Haus. Aus Angst, sagt sie. Was wenn sie jemand sieht? Ich begreife, dass jemand ihren Tod möchte. Ich weiß nicht warum. In jener Nacht ist den Gleisen gefolgt bis sie die Kraft verlassen hat. Wenn sie weint halte ich sie. Wie ein Vater, denke ich. Doch sie riecht nicht wie unser Mädchen, nicht wie irgendein Mädchen. Wie eine Frau. Ich habe seit Jahren nicht mehr über meine Gefühle nachgedacht.
Einmal sehe ich nachts ein Gesicht hinter den Scheiben. Das Gesicht eines Mannes, doch als ich gehe um nachzusehen ist niemand dort, auch keine Spuren sind zu sehen und ich erzähle es ihr nicht, aus Angst sie zu beunruhigen. In den folgenden Nächten habe ich Albträume. Ich erlebe den Sturz unseres Mädchens noch einmal und noch viele Male darauf. Ich strecke meine Hand nach ihr aus, versuche sie zu erreichen. Ich sehe den Vorwurf in Annas Gesicht. Meine Brust schmerzt. Der Husten wird immer schlimmer. Die Fremde hat Erinnerungen geweckt, doch ich zürne ihr nicht. Ich liebe sie zärtlich, wie einen Vogel, der aus dem Nest gefallen ist, und den man groß zieht. Wir reden nie darüber was sein wird, wenn sie weg geht. Ich kann es mir auch gar nicht vorstellen. Es scheint, als würde sie sich eingewöhnen. Ich bin glücklich.
Ich erwache weil mir kalt ist. Es ist mitten in der Nacht. Schläfrig strecke ich mich, mein Rücken hat sich an die Nächte auf dem Diwan noch nicht gewöhnt. Aus ihrem Zimmer, dessen Tür immer einen Spalt offen steht, weil sie sich sonst fürchtet, dringt Kälte. Ich mache Licht und gehe zu ihr hinüber. Als ich die Tür öffne weht mir eiskalter Wind entgegen. Die Scheibe ist eingeschlagen. Ein sternförmiges Muster ist zu erkennen. Ich verstehe nicht…
Dann blicke ich zum Bett und dort sehe ich sie. Anna liegt in ihrem Blut. Der Brief, an mich adressiert, unter ihrem rechten Arm ist so von Blut besudelt, dass ich ihn kaum lesen kann.
Ich blinzle. Ihr blondes Haar ist von Blut rot gefärbt und verklebt, neben ihrem Hals liegt ein Messer. Hier ist kein Brief. Ich muss nicht näher kommen, um zu wissen, dass sie tot ist. Ihr Vater? Ihr Ehemann? Ich hätte ihr zurören sollen, begreife ich, hätte sie fortbringen sollen. Mir fällt das Atmen schwer als ich mich schließlich dazu zwinge zum Bett zu gehen und ihren leblosen Körper in meine Arme zu ziehen. Ich weine. Zum ersten Mal seit Annas Tod, weine ich.
In der Ferne höre ich ein Geräusch, das nicht den gewohnten Klängen entspricht – das Rauschen des Windes in den Bäumen, das Schreien eines Käuzchens oder das Pfeifen eines vorbeifahrenden Zuges – doch ich achte nicht darauf; erst als es näher kommt höre ich, dass es sich um Sirenen handelt. Immer noch halte ich das Mädchen – die Fremde, in meinen Armen. Ich kann nicht begreifen, dass sie tot ist.
Die Männer stehen in meinem Zimmer, sehen sich um. Wann sind sie gekommen? Ich sollte mit ihnen reden, denke ich, doch ich rühre mich nicht. Ich habe sie in den Tod getrieben, denke ich immer wieder. Wenn ich sie hätte gehen lassen, hätte sie sich verstecken können, hätte man sie nie gefunden... Ich weiß ich habe das Messer nicht geführt, doch es macht keinen Unterschied. Macht es einen Unterschied?
„Sie müssen uns sagen was geschehen ist. Man hat das Verbrechen bei der Polizei gemeldet. Seltsam genug, dass jemand in dieser Einöde zufällig hier gewesen sein soll, doch die eingeschlagene Scheibe… Das alles passt nicht zusammen.“
Meine Hände sind voll Blut.
„Wenn Sie uns nicht erklären, was hier vor sich gegangen ist, müssen wir davon ausgehen, dass Sie der Täter sind.“
Die Worte dringen wie von weit her an mein Ohr. Endlich blicke ich auf. Das Gesicht des Polizisten ist freundlich. Er glaubt nicht, dass ich es getan habe, begreife ich. Ich bin dankbar, doch er versteht ja nicht, versteht nicht…
Und langsam senke ich den Blick.