Romane & Erzählungen
Lisa´s Fantasiefreunde

Lisa.

Lisa ist eigentlich ganz gewöhnlich. Genau wie du und ich. Ein Mädchen aus Berlin. Naja, mit ihren 21  Jahren inzwischen vielleicht doch eher eine junge Frau.  Und ganz so normal ist sie auch nicht.
Sie leidet unter ADS,  einer Krankheit, die lange Zeit gar nicht ernst genommen wurde. Eine richtige Krankheit ist es auch nicht. Mal eine Plage, aber oft auch ein Segen. Und so wirklich leidet Lisa auch nicht, sie lebt damit.  Ja klar, es hat einen Grund wieso die Lehrer nicht mit ihr zurecht kamen und wieso sie von Allen als Zappelphilipp abgestempelt wird.
Unkonzentriert, verträumt, abwesend. Alles Adjektive, die sich in Lisa´s Zeugnissen wiederfinden.
Sie mache ihre Mitschüler verrückt, weil sie nicht still sitzen könne, kümmere sich aber gleichzeitig liebevoll um die Schwächsten aus ihrer Klasse. Einer I-Klasse. Integrationsklasse.
Außer Lisa waren also noch andere seltsame Kinder dort, die ihren Lehrern das Leben nicht leicht machten.

Lisa selbst war immer ein sehr aufgeschlossener und fröhlicher Mensch, der sich nichts mehr wünschte als
gute Freunde zu haben.
In der Grundschule lief das auch alles noch gut, doch als Lisa in die Oberschule kam, spürte sie schnell,
dass man sie und ihre Art hier nicht verstand. Sie schrieb Gedichte, ging nie gerne auf Partys, trank fast nie Alkohol und ließ sich nicht vom Mainstream der Pupertierenden Teenies mitreißen. Sie war eine Außenseiterin. Schon immer. Ihr Leben lang.  Einsam.  Und so tat sie das Einzige, was sie wirklich sehr gut konnte.
Sie gab sich ihrer Fantasie hin und schrieb. Gedichte über Gedichte. Und sie fand Anschluss in der Dichterszene.  Allerdings nur online.

Heute ist Lisa auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Ihre Zeit verbringt sie hauptsächlich im Internet
und wenn man sie dort nicht findet, dann ist sie höchstwahrscheinlich draußen, spaziert und
führt wunderbare, ernste Gespräche mit Personen, die nur in ihrem Kopf existieren.  Es fällt keinem auf, darauf achtet sie immer. Sie weiß, dass diese Menschen nicht existieren, dennoch spürt sie ihre Anwesenheit, ist ihnen sehr verbunden, liebt sie sie teilweise, wie eigene Geschwister. Alles im Geheimen
versteht sich. Lisa weiß sehr wohl, dass die Leute sie für verrückt halten würden. Vielleicht würden sie sie sogar in eine psychatrische Klinik bringen. Doch das war gar nicht nötig.  Seit ihrer Kindheit begleiten immer wieder andere Fantasiefreunde sie durch ihr Leben und es half ihr schon oft, mit ihrer Einsamkeit
und anderen Problemen besser zurecht zu kommen. Es hilft ihr beim Einschlafen, sich ihrem Kopfkino hinzugeben. Dem Film, in dem alle ihre Freunde, ihre so sehr gewünschte große Schwester und andere bei ihr sind, und in dem sie die Hauptrolle spielt.  Ein Tagtraum, der nahtlos in den Schlaf übergeht. Ein
Film, der die ganze Zeit parallel zu ihrem realen Leben läuft . Und keiner weiß davon. Keiner wird je davon erfahren.

Lisa´s wichtigster Fantasiefreund ist ihre große Schwester, Jennifer.  Die Person existiert wirklich,
ist aber weder Lisa´s Schwester, noch weiß sie überhaupt, dass es Lisa gibt.
Trotzdem weiß Lisa eine Menge über diese Person und fühlt sich dieser auch so verbunden, als wäre es
ihre Schwester. So enstand der Film in Lisas Kopf, in dem Jennifer bei ihr ist, mit ihr über ihre Probleme sprechen kann, sie umarmt, wenn Sie eine Umarmung braucht. Es  gibt auch mal Streit zwischen den beiden, das ist zwischen Schwestern nunmal so.  
Es ist nicht so als würde Lisa kontrollieren, was ihre Charaktere sagen oder tun. Sie gibt ihnen zwar die Richtung vor, aber oft ist es so, dass sich die Situation verselbstständigt und dann Dinge gesagt werden, Dinge "geschehen", die Lisa nicht erahnt hätte.

Ja, Es ist seltsam. Lisa scheint doch nicht so normal zu sein, wie ich anfangs gedacht hatte. Ist sie verrückt?
Ich meine, sie spricht mit Menschen, die nicht bei ihr sind, fühlt sich ihnen verbunden, liebt sie, und spürt sogar ihre Anwesenheit. Sie kann mit ihnen kuscheln, sich mit ihnen streiten oder einfach nur mit ihnen reden.
Sie weiß, dass diese Menschen nicht da sind, obwohl sie sie klar sehen kann und ihre Nähe spürt.
Genau das ist der Grund, weshalb Lisa das alles nur offen zeigt, wenn sie alleine ist.
Sie ist nicht verrückt. Sie weiß es. Aber was ist das mit ihr dann?