Zum Vulkanausbruch
In drei Akten
(Für alle nicht 'Das erste Mal'-Leser: Unser Propagonist erlebt bereits seinen 78. Frühling und hat wohl einiges nachzuholen.)
Erster Akt
Lange hatte er überlegt, ob er seinen einzig freien Tag in der Woche für derartige Aktivitäten hergeben sollte. Aber was soll's. Man lebt schließlich nur einmal.
Es ist Sonntag. Alle anderen Tage sind bereits verbucht.
Jeden Montag versucht er sich in illegalen Straßenkämpfen gegen japanische Gegner zu behaupten, da sie seit der Verfilmung von Godzilla 1954 sein psychisches Leben bis heute auf den Kopf stellen und er so jeden Dienstag vorstellig bei Professor Doktor Heiermann wird, von dem er
seiner Mutter gegenüber behauptet, die jeden Mittwoch zum Saubermachen kommt, dass er selbst sein bester Patient ist.
Also beinah. Denn sein allerbester Patient ist und bleibt Harry, der Dirigent seiner Orchestergruppe 'Oldplay', mit der er jeden Donnerstag übt.
Seit Harry Potter seinen Zauberstab schwingt, setzen ihm die Bandmitglieder ordentlich zu, was seinen Stab und das damit verbundene, praktisch nicht vorhandene Talent angeht.
Freitags bestehen Henri, sein bester Freund und er darauf, volle fünf Stunden unauffällig am Küchenfenster zu verharren, da sich an eben diesem
Tag regelmäßig die Damen vom Old-school-ballett treffen. Einige von ihnen sind nicht mehr ganz so fesch, doch fesch genug, um bei Henri und Hartmut noch so viel Dopamin auszuschütten, dass selbst ein Zuchthengst neidisch wird. Und ein Pferd ist immerhin das sexuell aktivste Individuum in unseren Sphären.
Den Samstag verbringt er meist mit der Aktivistengruppe des Schnellbügelvereins Ü 60.
Über zehn Jahre zählte der Verein 8 vollwertige Mitglieder. Doch vorgestern verstarb Fred Gubertus im Alter von 81 Jahren bei dem Versuch, seinen alten
John Deere - Traktor zu reparieren. Aus unersichtlichen Gründen löste sich die Handbremse und so wurde der arme Fred von seinem Lieblingstraktor überrollt. Tragisch!
'Aber scheiß der Hund drauf! Ich lebe noch', denkt Hartmut, als er die Schwelle zum Sündenparadies betritt.
Noch nicht ganz im Foyer angelangt, überkommt ihm plötzlich ein Zucken in der künstlichen Hüftgegend.
Der imaginäre Tom Jones trällert 'She's a Lady' in sein verknorpeltes Ohr und verpasst ihm einen inneren Tritt in die Lendengegend, so dass er schließlich mit den singenden Worten 'I am a sexbomb' vor den Damen der Begierde
zum Stehen (!) kommt.
Zum Anlass des Tages hat er sich eine Darron 8Qu von Diesel über seinen, wie er findet, Knackpo gezogen. Im oberen Bereich schmückt eine Punk Biker Rockabilly Emo seinen Adonis Body, womit er sich gute zwanzig Jahre jünger fühlt. Sein halbzerrissenes T-Shirt (volle Absicht) ziert die Aufschrift:
BORN TO BE WILD
NOT TO BE ALT
Da steht er nun, hüftschwingend, augenzwinkernd und gichtgeplagt.
Die Damen schauen amüsiert und mit dem üblich erforderlichem Interesse auf die greise, sexy Gestalt.
„Ich kenne Sie, nicht wahr? Letzte
Woche in der 'Bild'. Der Marathon-Opi", bemerkt die Bardame.
Stolz nickt Hartmut und geht dann weiter, um sich die Gemälde im Foyer anzuschauen.
Die Blicke der Damen folgen ihm unauffällig, als spielten sie: Dreh dich nicht um, der Plumpsack geht um.
Direkt neben Zimmer Eins (so steht es geschrieben) bleibt er stehen und liest die Bildaufschrift:
DER EROTISCHE BAUM von Charles Bruckel.
Beinah zehn Minuten verharrt er, taucht ein und rückt dabei immer näher an das Gemälde heran.
Näher, näher, noch näher.
„Lisa?", flüstert Hartmut, so als könne die Gestalt auf dem Bild ihn hören.
„Herrjemine! Lisa Blauhüpfer."
(Zur Erklärung für alle, die 'Das erste Mal' also nicht gelesen haben: Lisa war seine erste große Liebe)
In dem Moment, da ihm bewusst wird, dass alle Blicke der hiesigen Weiblichkeit auf ihn gerichtet sind, errötet er, kann aber nicht davon ablassen, die Vagina seiner Ex ausgiebig zu studieren.
'Wie weit mag der Ast des Baumes da drin stecken? Und wer kommt nur auf so etwas? Charles Bruckel. Hat sie Modell gestanden? Natürlich hat sie
Model gestanden. Und die Äste? Hat sie sich einen Ast in ihre...rein anatomisches Interesse natürlich.' entschuldigt er sich bei sich selbst.
Doch je länger er den Körper seiner Ex und die sie umschlingenden Weidenäste betrachtet, desto geiler wird er. Schließlich überkommt ihm ein beengendes Gefühl in der Schrittgegend.
Abrupt dreht er sich um und klatscht einmal auffordernd in die Hände.
„Meine Damen! Welche wagt es, welche fühlt sich mir gewachsen?"
Ein Kichern geht um.
„Wie heißt du, Süßer!?" fragt eine kecke Blondine.
„Hartmut, Hartmut Schnüfler mit lang
gesprochenem Ü bitte."
Ein weiteres Kichern.
Zweiter Akt
„Komm, mein Hengst. Oben ist noch ein Zimmer frei. Aber nicht, dass du mir schlapp machst. Hatte diese Woche schon zwei Notfälle."
Die adrette Frau im viel zu engen roten Cocktailkleid hakt sich bei Hartmut ein und führt ihn die Treppe hinauf.
Von dieser Sekunde an verstummt Tom Jones, als hätte jemand den Aus-Knopf gedrückt.
Nervosität macht sich breit, und etwas anderes macht sich sehr, sehr klein.
Nicht dass die Bordellmieze nicht attraktiv wäre. Sie hatt Rundungen...scheiß die Wand an...das
sind Rundungen. Wenn Henri nur hier wäre.
Verbissen versucht Hartmut, sich den Song 'Kiss' ins Gedächtnis zu rufen. Bei dem Rhythmus geht immer was. Naja ging immer was. Ist schon etwas her. So mit länger sprechen wir von zwanzig Jahren oder so. Da kann man schon mal 'n bisschen nervös werden.
Da ist man ja praktisch wieder jungfräulich.
„You don't have to be rich to be my girl
You don't have to be cool to rule my world...
I just want your extra time and your kiss", summte, bzw. nuschelte Hartmut in seinen nicht vorhandenen Bart.
„Bist du das erste Mal hier?" ,fragte die Lady in red.
„Das allererste Mal."
„Ich bin übrigens Leila. Keine Sorge. Bei mir kommen sie alle."
„Na dann iss ja man gut", beruhigte er sich.
Doch dann beunruhigt:"Was kostet das eigentlich?"
Im Zimmer, auf dem Bett sitzend kaute Leila die Preisliste runter:
(Da der Text nicht in die Kategorie 'ab 18' fallen soll, begnügen wir uns hier mal mit den Abkürzungen.)
„Eine Stunde 50 Euro, zwei Stunden
90 Euro, die komplette Nacht 250 Euro,
anal f..., bl...,le....Tittenf...je 30 Euro,
Rektale Stimulation mit oder ohne Hilfsmittel je nochmal 20 Euro,..."
(Und auch Näheres ersparen wir uns hier aus Solidarität gegenüber den jüngeren Lesern)
„Das wär's?" , stotterte Hartmut, sichtlich eingeschüchtert.
„Ach eines noch: 'Mit oder ohne Küssen? Das ist diese Woche im Angebot, allerdings ohne Zunge. Mit gehen noch mal 10 Euro drauf."
Leila fing an, ihr Kleid auszupellen, während sie auf die Wunschäußerung ihres betagten Kunden wartete.
„Ich hab...,warten Sie!...45...äh 50...äh 78,30 Euro. was bekommt man dafür?"
„Ne Stunde normaler F...plus küssen...",
bestimmte Leila, als sie auf die dritten oder wer weiß wievielten Zähne ihres senilen Kunden schaute und verbesserte sogleich:"...ohne küssen, dafür 'ne Stimu, dass du die Engel singen hörst."
„Einverstanden."
„Abgemacht! Aber erst die Kohle, dann das Vergnügen!"
Dritter Akt
Es dauert keine fünf Minuten, bis beide in vollkommender Nacktheit sich gegenüber stehen und betrachten.
„Nicht übel!" , bemerkt die vollbusige Blondine.
„Ja, nicht übel! Meine Lisa hatte nicht so riesige Brüste. Und auch ihre Mu...Verzeihung! Vagina war...irgendwie...buschiger. Darf man das sagen?"
„Klar, Alter. Ich mag diese Zotteln da unten nicht. Ist das ok. für dich?"
„Hätte ich mich auch rasieren müssen?" , fragte er nun unsicherer denn je.
„Nee! Bei Männern hat das was
Animalisches. Da steh ich drauf. Zeig mal!"
„Na viel gibt es da nicht. Die Zeit fordert ihren Tribut."
„Laß uns anfangen! Soll ja keine Lehrstunde werden. Los, kannst mich anpacken! Ich lauf nicht weg."
(Überspringen wir diesen Teil. Er dauerte eh nur wenige Minuten.)
Wenig später also:
Ein Blick der Zufriedenheit, der für einen Moment bei Leila die Überlegung aufkommen lässt, ob der Mann noch lebt oder in die ewigen Jagdgründe übergegangen ist.
Kurz schnippt sie mit dem Finger und wird erleichtert mit einemAugenzwinkern
belohnt.
„Das war...fantastisch", schwärmt er.
„Es war ok", gibt sie zu.
„Ich bedauere sehr, dies nicht schon viel früher erlebt zu haben."
„Ich versichere dir, du bist hier zu jeder Zeit willkommen", haucht sie, während sie ihr Kleid wieder überstreift.
Drei Wochen später
"Guten Tag, meine Damen!"
Eine Sekunden später
Mittelalterliche Damen verfallen in ein Teeniegekreische, als würde Steven
Tylor persönlich im Türrahmen stehen und sich mit der Zunge über die Brustwarzen lecken...hust und ENDE.
(c) Shirley
08/2012