Safe?
Der Optimist erklärt, dass wir in der besten aller Welten leben, und der Pessimist fürchtet, dass dies wahr ist.
James Branch Cabell
„Komm schon, Mei! Hier lang!“, Kanami zerrte mich an der Hand hinter sich her durch das enge Labyrinth aus Straßen und Gassen.
„Wie weit ist es noch?“, fragte ich leicht nervös und vergewisserte mich mit einem kurzen Schulterblick, dass uns der Beater, der uns zuvor angegriffen hatte, nicht folgte.
Das weißhaarige Mädchen, das sich meine beste Freundin nannte, zögerte etwas: „Wenn wir durchlaufen knapp 30 Minuten.“
Ich verstand sofort, warum Kanami mit ihrer Antwort gezögert hatte. Wissend und leicht abschätzend begutachtete ich mein Bein, das bei der Attacke vorhin verletzt worden war und blutete, als gäbe es keinen Morgen.
„Das schaffe ich nicht!“, stellte ich dann fest und stolperte wie aufs Stichwort.
Ein besorgter Blick seitens Kanami heftete sich auf mich, doch ich biss die Zähne zusammen und lief weiter. Allerdings kam ich nur noch drei Schritte weiter.
Wieder ein besorgter Blick, dann verformte sich Kanamis schlanker Körper, bis ein breitschultriger junger Mann vor mir stand.
Ich muss zugeben, dass Rei, Kanamis Morph, wirklich gut aussah, wie er da so stand und mich von oben herab anschaute. Das Mondlicht brachte seine blasse Haut zum strahlen und seine quecksilberfarbenen Augen zum glänzen.
„Geht es dir gut?“, fragte er.
Ich höre ihm gerne zu, da seine Stimme dunkel, aber dennoch samtweich ist und Rei stets sehr ruhig und deutlich spricht.
„Mein Bein...“, murmelte ich und deutete auf das mit Blutfäden gestreifte Bein.
„Verstehe.“, nickte Rei und hob mich an, „Kanami-Chan meint, wir müssten zum Haus Yominuma. Ich werde dich sicher dorthin bringen, Mei-Chan.“
Ein leichtes Lächeln zuckte über meinen Lippen: „Danke, sag aber Bescheid, wenn ich zu schwer werde.“
„Du bist nicht schwer, Mei-Chan.“, schmunzelte Rei.
Diese Diskussion führen wir immer, wenn er mich tragen muss.
Mit zügigen Schritten setzte der Riese in Bewegung und schon bald erblickte ich ein riesiges Anwesen, das mächtig auf einer Anhöhe über der Stadt ruhte.
„Ist es das, Rei?“, fragte ich staunend
Der Mann mit den Quecksilberaugen nickte: „Ja, das ist es.“
Er trug mich bis vor das riesige Tor der Festung, die meine letzte Hoffnung darstellte.
„Endlich mal ein Haus nach meinem Geschmack!“, ertönte Chis Stimme in meinen Gedanken und ich musste schmunzeln.
Rei wurde derweil wieder zu Kanami, welche an das Tor klopfte.
Es dauerte etwas, aber schließlich öffnete ein Junge von knapp 13 Jahren die Tür: „Willkommen. Wen darf ich ankündigen?“
„Ich bin Mei Akatsuki und dies ist meine Freundin Kanami Nutsuke.“, erklärte ich.
Der Junge nickte: „Tretet ein. Kotaro-Dono wird sich sofort um Euch kümmern.“
Er führte uns in eine Art Bibliothek und verschwand dann.
Ich schaute mich in dem riesigen Raum um.
Deckenhohe Regale erhoben sich an drei der vier Wände und waren vollgestopft mit Büchern.
„Wie es scheint, liest der Hausherr sehr viel...“, meldete sich Rin, mein anderer Morph, nach langem Schweigen mal wieder zu Wort, „Hier werde ich meine Freude haben.“
„Streber!“, lachte Chi und ich bereitete mich mental schon wieder auf einen Zickenkrieg vom Feinsten vor.
Doch die Tür ging auf und ein Mann von etwa 25 Jahren betrat den Raum. Seiner Kleidung nach zu urteilen war es der Fürst höchstpersönlich.
„Guten Abend, werte Damen. Hikaru meinte, ihr wolltet mit mir sprechen. Mein Name ist Kotaro Yominuma.“, stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an.
Ich nickte und lächelte leicht: „Ja, wir sind hier, weil wir Asyl suchen.“
„Darf ich fragen, welcher Rasse ihr angehört?“, fuhr der Fürst fort.
Ich tauschte Blicke mit Kanami, ehe ich antwortete: „Wir sind Switcher und die letzten Überlebenden. Es ist von größter Wichtigkeit, dass Ihr uns Asyl gewährt, Kotaro-Dono..“
„Es ist wirklich lange her, dass ich Switcher gesehen habe..“, nickte der Fürst mit den langen, fliederfarbenen Haaren nachdenklich, „Das wird Hajime gar nicht gefallen...“
„Verzeihung, aber wer ist Hajime?“, fragte Kanami.
„Er ist einer der Bewohner hier und ein Beater...“, gab Kotaro ehrlich zu, „Hajime nimmt die Gesetze und Auffassungen der Beater sehr ernst und lebt streng danach.“
Die Beater und Switcher leben schon seit Jahrhunderten in einem ewigen Krieg, welcher dadurch begann, dass die Switcher die Dämonen, welche Beater in einer kleinen Phiole mit sich führen und mit denen sie kämpfen, befreien wollten. Mein Volk hat damals die Stärke der Beater unterschätzt und als die Clairifire, ein Volk das Geister beschwören kann, sich dann ebenfalls auf die Seite der Beater stellten, war mein Volk verloren.
„Er wird uns aber doch nichts tun. Dafür werdet ihr doch sorgen,oder, Kotaro-Dono?“, fragte ich leise.
Er nickte und lächelte mich aufbauend an: „Wie könnte ich zwei Wandelnden den Einlass verwehren?! Nun kommt. Es gibt Abendessen. Dort kann ich euch den Anderen vorstellen.“
Ich blickte Kanami unsicher an, doch sie stand bereits auf und folgte dem Fürsten.
Ich humpelte den beiden bis in einen großen Saal hinterher, wo ein langer Tisch aufgebaut war, an dem schon einige der Bewohner auf Sitzkissen saßen und sich unterhielten.
Die Gespräche verebbten sofort, als Kotaro den Saal betrat, aber die Blicke wurden etwas skeptisch, als Kanami und ich hinter dem Fürsten hervortraten.
Kotaro nickte den Anwesenden zu, begab sich dann zur Stirnseite des Tisches und bedeutete Kanami und mir, sich zur seiner Rechten und Linken zu setzten.
Wir taten, wie uns geheißen. Ich saß rechts, Kanami links.
„Meine Lieben, ich freue mich sehr zwei Neuzugänge bei uns begrüßen zu dürfen. Diese Damen hören auf die Namen Kanami Nutsuke und Mei Akatsuki. Ich bitte euch, freundlich zu ihnen zu sein, da sie die Letzten ihrer Art sind. Vor Allem dich, Hajime-Kun.“, fing der Fürst an.
Ein schwarzhaariger junger Mann mit leichter Brille und silberner Phiole um den Hals schaute auf: „Warum sollte ich nicht freundlich zu ihnen sein, Dono? Sind die Beiden etwa...“
Bevor der Typ, der wohl Hajime war, aussprechen konnte, nickte Kotaro und fuhr fort: „Wer von euch ist bereit, die Beiden einzuweisen und ihnen alles zu zeigen?“
Ein hochgewachsener Mann mit dunkelbraunen Haaren hob die Hand: „Ich machs.“
„Ich danke dir, Akira-Kun.“, lächelte der Dono, setzte sich und eröffnete damit das Essen.
Während des Essens bekam ich kaum etwas herunter, da Hajime mich die ganze Zeit anstarrte, als wolle er über den Tisch springen und mir die Eingeweide herausreißen.
Nach dem Essen kam dann Akira zu mir und Kanami.
„ Ich bin Akira Tsunagi. Willkommen im Haus Yominuma.“, stellte er sich vor und verbeugte sich.
„Ich bin Kanami und dies ist Mei. Sehr erfreut.“, Kanami verbeugte sich ebenfalls.
Ich schaute die beiden kurz an, lächelte, ehe ich Akira fragte: „Gibt es hier irgendwo einen Verbandskasten? Ich spüre mein Bein nicht mehr...“
Eifrig nickte der Braunhaarige: „Klar, warte mal.“, er drehte sich um, „Hajime! Zeig der Dame doch einmal bitte das Krankenzimmer!“
„Wieso ich?!“, fragte der schwarzhaarige Brillenträger gereizt, „Du hast dich doch dafür gemeldet, die Zwei einzuweisen!“
„Ja, und die Eine ist verletzt. Also ist es effektiver, wenn du sie ins Krankenzimmer bringst und ich Nutsuke-San derweil einweise. Durch Nachdenken zum Erfolg, lieber Hajime!“, meinte Akira in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Hajime knurrte einen unverständlichen Fluch und zerrte mich am Handgelenk hinter sich her.
„Hajime-Kun, du tust mir weh...“, murmelte ich leise
„Für dich heiße ich Watamoto-Sama!“, zischte der Beater nur.
Chis Stimme erklang laut in meinen Gedanken: „Was erlaubt sich dieser Arsch eigentlich?! Lass mich raus, Mei! Ich will ihm eine reinhauen!!“
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, da ich am ersten Tag noch keine Prügelei gebrauchen konnte.
„Können wir nicht versuchen, miteinander auszukommen, Hajime-Kun?“, fragte ich und hoffte auf ein "ja"
„Wo lebst du eigentlich?! Unsere Völker leben schon seit Jahrhunderten im Krieg!“, lachte Hajime mich aus, „Du bist ja vielleicht naiv!“
„Lieber naiv als hasserfüllt und verklemmt!“, grummelte ich leise.
Wieder wurden Hajimes Züge hasserfüllt: „Und du hältst jetzt besser das Maul, sonst bist du dran!“
Ich zischte leise, als er seine Schritte beschleunigte und mich zum stärkeren Auftreten mit meinem verwundeten Bein zwang.
Er zerrte mich noch zwei Gänge weiter und schubste mich dann in einen Raum: „Verbände anlegen kannst du ja wohl.“
Das Knallen der Tür ließ mich zusammenzucken, aber es war besser, dass er weg war. Ich hasse solche Menschen einfach!