Fantasy & Horror
Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 2/2) - Der Fall Fiondrals

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"Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 2/2) - Der Fall Fiondrals"
Veröffentlicht am 03. August 2012, 4 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 2/2) - Der Fall Fiondrals

Die Gebrochene Welt I (Kapitel 2 Teil 2/2) - Der Fall Fiondrals

Einleitung

Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze) Titelbild: "Einsturzgefahr" by "Paulo Claro" Some rights reserved. Quelle: www.piqs.de

Kapitel 2: Verschwörung (Teil II)

Tatsächlich wartete Lucian nicht allzu lange auf die Prinzessin, die er im Beratungssaal zu empfangen gedachte.
Etwa eine halbe Stunde, nachdem er den Herzog verlassen hatte, schwebte sie in ihrem langen, königsblauen Kleid geradezu in den Saal. Im leichten Wind, der durch die Halle wehte, umspielte der seidige Stoff jede Kurve der gerade neunzehnjährigen Hochadligen wie fließendes Wasser. Ihrer hellen, zarten Haut war die Sanftheit förmlich anzusehen, viel mehr noch schien sie aus sich selbst heraus zu strahlen, und ein jedes ihrer kupferroten Haare glänzte im Licht der einfallenden Sonne.
De Nord blinzelte.
Das einzige, was sie mit ihm gemeinsam hatte, war die grüne Farbe ihrer Augen, doch während seine wie immer zu sichelförmigen Schlitzen verengt waren, hatten ihre eine klare, mandelartige Form. Als sie ihn erkannt hatte, weiteten sich diese überrascht.
„Seid gegrüßt…Marquis“, sagte sie, während er sich vom Tisch erhob, um sie zu begrüßen.
„Ihr ebenfalls, Eure Hoheit“, gab er unter einer angedeuteten Verbeugung zurück, „Ich nehme an, Ihr hattet den Herzog erwartet?“
„Ich muss wohl gestehen, dass dem so ist“, erklärte sie, während sie auf einem der bequem gepolsterten Stühle Platz nahm. De Nord setzte sich auf die ihr gegenüberliegende Seite.
„Ihr könnt versichert sein, dass ich die Interessen des Herzogs in seinem Willen vertrete“, versicherte er.
„Ja…ja, das glaube ich Euch aufs Wort“, sie lächelte.
„Oh, ich fühle mich geehrt“, gab Lucian zurück, während er eine Zigarette entzündete und sich anschließend ein Glas roten Weins aus einer Kristallkaraffe einschenkte, „Ich scheine wahrlich meine Manieren vergessen zu haben. Verzeiht, ich hätte Euch natürlich zuerst fragen sollen, ob ich Euch etwas anbieten...darf.“
„Nein, danke, für mich nichts, Marquis.“
„Dann ist meine Ehre ja gerettet“, lachte de Nord, worauf er einen Schluck von seinem Wein nahm, „Nun, ich nehme an, Ihr seid nicht grundlos hier?“
„Ja, das ist wahr…“, begann Filiana langsam, „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ihr habt den Hafen besetzt. Ist das wahr? Und Farruk droht mit einem Gegenschlag?“
„Nun, das trifft die Lage in der Tat ziemlich gut“, bestätigte Lucian gelassen.
„Es ist…soweit hätte es gar nicht…“, stotterte sie und der Marquis glaubte, eine Träne über ihre Wange fließen zu sehen, „Verzeiht, das ist alles ein wenig viel für mich.“
„Verständlich, Eure Hoheit. Der Krieg setzt den meisten ziemlich zu.“
„Es ist nur; ich hatte immer gedacht, der Feind wäre da draußen, aber jetzt fangen wir hier schon fast an, uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.“
„Ich schätze, wenn es Farruks Kopf ist, der dabei eingeschlagen wird, sind wir danach besser dran“, scherzte de Nord.
„Dazu darf es nicht kommen. Ich will nur nicht, dass wegen einer so banalen Sache ein Krieg innerhalb unserer eigenen Mauern ausbricht“, schluchzte Filiana.
„Die Ehre ist keinesfalls banal, Eure Hoheit“, entgegnete de Nord, „Sie ließ uns, auch wenn wir es nicht gerne taten, keine andere Wahl, als den Weg der Konfrontation zu gehen, und sie bedingt auch, dass unser Standpunkt nicht verhandelbar ist.“
„Ist es Euer Standpunkt, der nicht verhandelbar ist, oder auch der des Herzogs?“, erkundigte sich die Prinzessin.
„Meine Worte wären auch die des Herzogs“, versicherte de Nord.
„Das Problem ist, eigentlich teile ich Eure Ansichten. Farruks Feigheit ist widerlich, und selbst wenn ich sterben müsste, ich bliebe hier, um die Wehrlosen zu retten“, beteuerte Filiana, bevor ihre Stimme in eine leidliche, nicht anklagende Tonlage rutschte, „Aber ihr nutzt Wege, die ich für…für ebenso falsch halte. Wir dürfen es nicht zum Kampf unter den acht Nationen kommen lassen, selbst wenn wir Farruk und alle Feiglinge dafür gehen lassen müssen. Es ist doch unsere Pflicht, diese Stadt gemeinsam zu verteidigen, oder?“
„Ja, das ist wahr, Eure Hoheit“, bestätigte de Nord, „Doch ich fürchte, uns würden wenige folgen, wenn sie den gleichen Ausweg hätten wie Farruk, zumal nach dem Fall Galors niemand mehr von ihrer Ehrlosigkeit berichten könnte.“
„Ihr glaubt also, dass Galor fallen wird?“
„Seht sie Euch doch an, die ehrlosen, stinkenden Narren, voller Schwäche, welche lieber räudig davonlaufen, als stolz zu sterben“, fluchte Lucian, „Mit ihnen kann man keine Stadt verteidigen.“
„Dann lasst sie gehen und wir verteidigen diese Stadt ohne sie!“, schlug die Prinzessin vor.
„Tut mir leid, Eure Hoheit, doch wir sind nicht bereit, eine solche Ungerechtigkeit walten zu lassen. Wir sind nicht bereit, diese ruchlosen Hunde gewähren lassen. Unsere Ehre werden wir bewahren.“
„Ihr…Ihr wollt Euch also lieber mit Farruks Männern bekriegen, als sie gehen zu lassen.“
„Eure Hoheit, hört mir zu: Kein Ledrianer oder Serpendrianer in Galor will gegen seine eigenen Verbündeten kämpfen. Aber wir werden bis zum Äußersten gehen, um Farruk dazu zu zwingen, seine verabscheuungswürdigen Pläne zu Gunsten der Ehre beizulegen.“
„Und Farruk würde genauso weit gehen, um sein Leben zu retten, fürchte ich. Seht doch nur: Ihr alle steuert geradewegs auf das Verderben zu!“, warnte Filiana.
„Das Verderben?“, Lucian lachte hoch, nachdem er einen weiteren Schluck Wein genommen hatte, „Einige versuchen immer noch, davor wegzulaufen, andere verzweifeln, manche wollen es nicht wahr haben, viele ertränken es im Alkohol oder lassen es im Rauch des Tabaks verblassen, wenige kümmern sich darum, Dinge zu retten, die wichtiger sind als das Leben selbst, aber letztlich wissen sie es alle: Ihr Tod ist schon beschlossen.“
„Ihr sagt es so ruhig, als würde es Euch gar nicht kümmern.“
„Auf mich wartete nie verwelkender Ruhm“, prophezeite de Nord.
„Ihr wollt also der Ehre wegen untergehen?“, fragte Filiana mit geweiteten Augen.
„Nicht wegen ihr, aber mit ihr“, versicherte Lucian.
„Und damit Ihr sie vor Eurem Tod nicht verliert, werdet Ihr Farruk nicht gewähren lassen?“
„Ich sehe, Ihr habt es begriffen“, lobte der Marquis.
„Das kann ich nicht zulassen“, sagte die Prinzessin langsam, wobei sie den Kopf schüttelte, „Sagt dem Herzog, dass ich im Rat für Farruks Position stimmen werde. Wenn das die einzige Möglichkeit ist, ein Blutvergießen zu vermeiden, dann…dann muss ich ihn gehen lassen.“
„Verzeiht, Prinzessin, aber ich fürchte, Eure Wahl wird nichts verändern“, entgegnete Lucian höflich, „Wir werden Farruk gegen kein Urteil der Welt gehen lassen, weshalb auch das Wort des Rates in diesem Fall kein Gewicht mehr hat.“
„Dann…habe ich hier nichts mehr zu sagen“, schluchzte Filiana, bevor sie sich erhob, „Ich danke Euch für das Gespräch, Marquis de Nord, möge Iurion über Euch wachen.“
„Der Herr schert sich nicht um die Angelegenheiten des Diesseits. Doch ich bete dafür, dass er auch Eurer Seele im Jenseits gnädig ist“, verabschiedete de Nord.
„Freut mich, dass ich helfen konnte“, fügte er unhörbar hinzu, als die Prinzessin bereits den Raum verließ.

Ariona sah sich um, während sie dem Gebrüll des Hauptmanns schon gar nicht mehr zuhörte.
Sie befand sich in einer tristen Kerkerzelle unterhalb eines delionischen Wachturms, in der es so feucht war, dass das Wasser mit der Monotonie eines Uhrwerks auf den Boden tropfte. Die Wände in ihrem modrigen, dunklen Blaugrau hatten, wie es ihr vorkam, die unschöne Angewohnheit, jedes Mal ein Stück näher zu rücken, wenn sie gerade nicht hin sah. Unweigerlich fragte sie ich, ob dies noch dieselbe Zelle war, in die man sie vor über einer Stunde gesteckt hatte.
„Woher hattet Ihr den Schwarzsaft?“, bellte der Hauptmann sie an.
„Das sagte ich doch bereits“, murmelte sie, wobei sie versuchte, energisch zu klingen, was ihr aber nicht gelang. Entgegen ihrer Hoffnungen hatte sie sich nämlich in der vergangenen Stunde kein bisschen von den Strapazen der Kämpfe erholt, die hinter ihr lagen, „Mein Zimmergenosse Pegry fand sie, als er die Schlafnische seines Mitbewohners Ysil durchsuchte.“
„Euer Freund stöbert also in den Sachen anderer Leute rum?“, erkundigte sich ihr Gegenüber.
„Seit er vor den Orks fliehen musste, ist er ein wenig paranoid.“
„So, so“, der Befrager lachte spöttisch, „Und dann seid Ihr mit dem Schwarzsaft zunächst ins delionische Viertel gerannt, anstatt ihn gleich der Wache im iskatischen Distrikt zu übergeben.“
„Ich kenne jemanden bei der delionischen Wache. Leutnant Ferren, wie ich es Euch schon drei Mal gesagt habe. Ich würde gerne mit ihm sprechen.“
„Seht, Leutnant Ferren ist ein anständiger delionischer Staatsbürger. Er lässt sich nicht mit Todesanbetern ein.“
„Ich bin kein Todesanbeter!“, fauchte Ariona.
„Natürlich nicht“, der Hauptmann grinste schelmisch, was auf seinem altersfaltigen Gesicht einen allzu merkwürdigen Ausdruck verlieh, „Ich frage Euch noch einmal: Was wolltet Ihr mit dem Schwarzsaft im delionischen Viertel?“
„Wollt Ihr mir eigentlich nicht zuhören? Ich wollte ihn bei Leutnant Ferren abliefern, verdammt!“
„Abliefern? Wollt Ihr etwa behaupten, der Leutnant sei, Euer Komplize?“
„Das habe ich nicht…Ihr seid doch…das ist absurd!“, schrie sie.
„Das ist es wirklich“, pflichtete jemand von außerhalb der Zelle bei, worauf sie sofort einen Blick auf die rostbraune Gittertür warf.
Im gedämpften Licht des Kerkers brauchte sie mehr als einen Blick, um zu erkennen, dass es sich bei der Gestalt hinter den korrodierten Stäben um Ferren handelte.
„Leutnant!“, blaffte der Hauptmann, „Warum unterbrecht Ihr mich bei einem Verhör?“
„Ich hörte, dass sie wegen Verdacht auf Anwendung von Schwarzmagie gefangen genommen wurde, und dachte, sie könnte vielleicht meine Hilfe brauchen.“
„Was macht dich so sicher, dass sie keine Nekromantin ist?“
„Ich kenne sie, Blaek. Hab sie vor zwei Monaten zum ersten Mal am Strand getroffen“, log Ferren.
„So…“, murmelte der Hauptmann, „Trotzdem, so lange es keine Beweise gibt, bleibt sie hier. Es gibt mehrere Zeugen, die gesehen haben, wie sie einen Bürger Galors mit einer Flasche Schwarzsaft attackiert hat.“
„Dieser Bürger trug einen Tarnanzug und hat versucht, mich umzubringen, um an die Flasche zu kommen!“, maulte Ariona.
„Ruhe, Gefangene!“, bellte Blaek, „Schön, Ferren, du bist über den Fall informiert?“
„Ja.“
„Gut, wenn du deiner Freundin also helfen willst, dann such diesen Pegry! Wir brauchen seine Aussage.“
„Klar, mach ich“, gab der Leutnant zurück, worauf er sich bereits zum Gehen wandte.
„Halt nicht so schnell“, unterbrach der Hauptmann, „Du bist in dieser Sache befangen. Nimm also Raham mit. Der kann auf dich aufpassen.“
Ferren nickte, bevor er endgültig abzog.
Ariona blickte ihm mit müden, aber weit aufgerissenen Augen hinterher.
Im Hauptraum des Wachturms oberhalb des Kerkers traf Ferren auf Leutnant Raham, der die Statur einer Vogelscheuche besaß, zu der die schulterlangen, blonden Haare, welche schwarze Strähnen durchsetzten, jedoch vollkommen unpassend wirkten. Mit wenigen Worten besprachen sie, was nun zu tun war, bevor sie sich beide in Bewegung setzten.
Während sie auf dem Weg zu der Kellerwohnung waren, fragte Ferren sich, wieso er Ariona überhaupt half. Auch kam es ihm plötzlich enorm merkwürdig vor, dass er Blaek einfach so belogen hatte, dass er sich nun für jemanden einsetzte, den er erst seit einem Tag kannte. Er erinnerte sich daran, dass sein Handeln eher einem Instinkt entsprungen war. Es war nicht bewusst gewesen, viel mehr hatte er geradezu mechanisch reagiert, ohne dass sein eigener Wille überhaupt Spielraum gehabt hätte.
Mit einem leichten Zähneknirschen hob er seinen Blick auf den blauen Himmel und beschleunigte seine Schritte.
Die Uferstraße war lang.

Pegry hockte im Halbdunkeln des Kellers verborgen hinter dem Vorhang einer Schlafnische, von wo aus er durch ein kleines Loch im Stoff in den Hauptraum spähte. Dort stritten gerade zwei seiner Mitbewohner, die Zicke und der Choleriker, lauthals am Feuer, ohne zu wissen, dass er überhaupt anwesend war.
Dass Ariona seit über zwei Stunden nicht zurückgekehrt war, hatte ein ungutes Gefühl in ihm aufkommen lassen, dass ihn geradezu gezwungen hatte, sich in einer der Schlafnischen zu verstecken.
„Schwachsinn, Ilar!“, kreischte die Frau, „Ich habe den Ofen nicht über die Nacht angelassen.“
„Schnauze, Zoe!“, blaffte ihr Gegenüber, „So dumm ist hier doch sonst keiner.“
„Du kannst mich mal, Ilar!“
„Im Leben nicht! Ich sag dir was: Wenn der Ofen bei dieser Affenhitze noch einmal nachts an sein sollte, verfeuere ich deinen Arm, um mir mein nächstes Frühstück zu kochen!“
„Ich verfeuere gleich…“, begann Zoe, bevor laute Schritte auf der steinernen Treppe ertönten, deren Frequenz auf das Eintreffen mehrerer Personen schließen ließ. Pegry hielt den Atem an, während vier Männer den Keller betraten.
Als er ihren Vorsteher erkannte, wurde aus der bösen Vorahnung bittere Gewissheit. Der grobschlächtige, breitschultrige Rohling war zweifelsohne Ysil, dessen verfinsterter Gesichtsausdruck nichts Gutes verhieß.
Nachdem er sich kurz unter hektischen Kopfbewegungen umgesehen hatte, wandte er sich an die beiden Streithähne, die mit seinem Eintreffen völlig verstummt waren.
„Habt ihr Pegry gesehen?“
„Verpiss dich!“, blaffte Ilar, „Und geh jemand anderem auf die Nerven!“
„Du hast echt ein Problem, Ilar“, stichelte Zoe, bevor sie sich an Ysil wandte, „Pegry? Ne, den hab ich nicht gesehen. Komisch eigentlich, der ist doch sonst immer hier.“
„Das ist wahr“, brummte Ysil, dessen Blick mittlerweile auf seine Schlafnische gefallen war, aus der immer noch die verwüsteten Schubladen herausquollen.
„War einer von euch an meinen Sachen?“, fragte er mit dunkler Stimme.
„Ich pack deinen stinkenden Scheiß nicht an!“, Pegry musste nicht einmal hinsehen, um zu wissen, wer soeben gesprochen hatte.
„Ich garantiert auch nicht“, versicherte Zoe, „Vielleicht war’s Peg. Hat dir nicht getraut, oder so.“
„Ja, Peg, diese kleine Ratte“, zischte Ysil diabolisch, bevor er mit einem gewaltigen Satz auf Pegrys Schlafnische zustürmte und deren Vorhang zur Seite riss.
Doch die Nische war leer.
„Wo versteckt sich dieser Hund?“, murmelte er, wobei er sich erneut umsah, während seine drei Schergen sich den übrigen Schlafnischen näherten.
„Ich versteh ja, dass du sauer bist, wegen dem da“, Zoe deutete auf Ysils verwüstete Schlafnische, „Aber kein Grund hier so die Welle zu machen.“
„Ihr geht mir alle gewaltig auf die Nerven, nogronisches Gaunerpack! Ich hau ab“, zischte Ilar, bevor er sich zur Treppe begab, wobei Ysil ihm finster hinterher blickte.
„Durchsucht die restlichen Nischen, los!“, befahl er, worauf seine Untergebenen sofort gehorchten.
„Hey!“, protestierte Zoe, als einer der drei den Vorhang vor ihrem Bett beinah abriss, „Lasst mein Zeug in Ruhe!“
„Klappe halten!“, schnauzte Ysil.
Pegry hatte das Glück gehabt, sich in der Nische zu befinden, in der Ysils Lakaien noch nicht nachgesehen hatten. Glück konnte man es jedoch auf den zweiten Blick nicht mehr nennen, da sie nun gemeinsam auf sein Versteck zukamen, um ihn zu enttarnen.
Bevor sie den Vorhang jedoch erreicht hatten, sprang er selbst heraus, was zur Folge hatte, dass die drei Männer erst einmal stehen blieben.
„Da kommt die Ratte aus ihrem Loch“, lachte Ysil, der immer noch neben Zoe stand.
„Ah, Ysil“, fiepte Pegry leise, um anschließend die Lautstärke seiner Stimme zu vervierfachen: „Nekromant!“
„Was soll das, Peg?“, bellte sein Gegenüber, worauf er sich an Zoe wandte.
„Du musst mir glauben, glauben, ja. Er ist ein Nekromant, Hexer, dunkler! Da sieh in die Schublade! Unheiliges Werk da drin, ja“, er deutete auf eine der herausgerissenen Schubladen.
„Ysil…“, begann Zoe, die jedoch nicht weiter kam, da sich ein kräftiges Paar Hände um ihren zierlichen Hals geschlossen hatte und ihr Genick wie eine Scheibe Zwieback brach.
„Und nun zu dir…“, flüsterte Ysil mit einem breiten Grinsen auf den dicken Lippen, während Zoes lebloser Körper vor seinen Füßen zu Boden sank.
„Ich werde dir gar nichts sagen, nichts, nein!“, schrie Pegry, während er sich in eine Art Abwehrhaltung brachte. Ysil jedoch lachte nur höhnisch, worauf er seinen Lakaien mit einem Handwink befahl, Pegry zu packen. Das brachte den paranoiden Novizen jedoch dazu, vollkommen, die Kontrolle zu verlieren.
Ohne irgendein Ziel zu haben, feuerte er in atemberaubender Geschwindigkeit diverse Zauber in den Raum, welche in einem wahren Feuerwerk von Lichtstrahlen explodierten. Obwohl er gar nicht bewusst zielen konnte, wurden seine Feinde zunächst von der schieren Flut der Magie überwältigt. Einer der Schergen wurde gar gänzlich erledigt, da ihn zuerst ein Stoßzauber gegen die nächste Wand und anschließend ein Feuerball ins Jenseits befördert hatte. Die anderen kamen mit einigen Blessuren davon, was hauptsächlich daran lag, dass der magische Sturm nicht allzu lange anhielt, da Pegry bald zu erschöpft war, um weitere Zauber zu wirken.
Nachdem sich Ysil und seine zwei verbleibenden Begleiter wieder erholt hatte, wurde er an beiden Armen gepackt und wehrlos an die Wand gedrückt, wo Ysil sich vor ihm aufbäumte.
„So, das war ja ganz lustig“, knurrte er, der selbst eine Platzwunde auf der massigen Stirn hatte, „Aber jetzt wird es ernst.“
Auf diese Worte packten die beiden Lakaien fester und nur einen Augenblick später schmetterte Ysil seine Faust in die Magengegend des Novizen. Dieser wollte sich nach vorne beugen, doch die Hände seiner Peiniger hielten ihn in eisernem Griff. Sein ganzer Körper krümmte sich vor Schmerz und Galle stieg in seinen Rachen hinauf.
„Sag mir, wer weiß noch davon!“, blaffte Ysil.
„Wovon?“, ächzte Pegry.
Ein weiterer Schlag erschütterte seine Nierengegend, doch dieser schien seinem Peiniger nicht zu reichen, denn die Linke traf ihn ein zweites Mal in den Magen. Galle und Blut sprudelten in seinen Mund. Er versuchte, sich aus dem Griff zu reißen, aber seine Bemühungen waren fruchtlos.
„Nein, nein!“, fiepte er.
„Ich frage noch einmal“, Ysil klang geradezu gelassen, „Wer weiß noch davon?“
„Diese Novizin…Ariona“, heulte Pegry.
„Und sonst?“
„Niemand.“
Und erneut prügelten die massigen Fäuste auf ihn ein, brachen seine Rippen, ließen seine Organe zerreißen. Der Schmerz war unerträglich, aber er war nicht fähig sich einen Zentimeter zu rühren, nicht einmal Schreien konnte, da das Blut seine Kehle füllte.
Als Ysil seinen Schlaghagel beendet hatte, gab er seinen Lakaien mit einem Handwink, das Zeichen Pegry loszulassen, worauf dieser wie ein Sandsack auf den Boden klatschte. Der Thanatoiker beugte sich über ihn und zog den schlaffen Kopf des Gepeinigten an dessen Haaren zu seinem Gesicht heran.
„Sonst weiß also wirklich niemand davon?“
„Nei…Nein“, ächzte Pegry, während das Blut weiter aus seinem Mund sickerte.
„Schade“, lachte sein Peiniger, worauf er den Novizen mit einem Tritt auf den Rücken gänzlich zu Boden schmetterte.
„Na los!“, rief er seinen Schergen zu, „Zieht in wieder hoch!“
Und als man Pegry, der nicht einmal mehr selbstständig stehen konnte, wieder an die Wand gepresst hatte, lachte Ysil diabolisch und zischte: „So mal sehen, wie lange du durchhältst.“
„Nein…bitte, nein, ich…“, heulte der Novize, bevor er in einem Hagel aus Tritten und Schlägen erstickte, bis er letztlich nur noch ein matschiges, lebloses Stück Fleisch war.
„Lasst diesen Fleischsack und euren Kumpel verschwinden“, wies Ysil seine Untergebenen an, während er selbst mit einem genüsslichen Lächeln seine blutigen Fäuste betrachteten.
Ohne mit der Wimper zu zucken, zerlegte einer der Schergen die Leichen Pegrys und seines Kameraden mit einem Messer in ihre Einzelteile, die er anschließend im Ofen verfeuerte, während der andere das Blut mit einem Lappen aufwischte.
Als damit fertig waren, konnte man tatsächlich nicht mehr allzu viel von dem Unheil sehen, das dort geschehen war, sofern man von Zoes Leiche absah. Ysil wies seine Lakaien an, den Keller zu verlassen, sodass er alleine dort war, als Ferren und Raham eintrafen.
Diesen bot sich ein etwas verstörender Anblick. Eine zierliche Frau, die tot auf dem Boden lag, und ein grobschlächtiger Hüne, der mit einer Platzwunde am Kopf daneben saß. Obwohl Ysil keine Anstalten machte, sich ihnen zu nähern, sondern sie nur mit schmerzverzerrtem Gesicht anstarrte, zog zumindest Ferren sofort seine Klinge.
„Auf den Boden!“, blaffte er, worauf sein Gegenüber zunächst überrascht die Augenbrauen hoben, dann aber Folge leistete.
„Bist du Ysil?“
„Ja…ja“, keuchte dieser vom Boden, wobei er Anstalten machte, sich wieder zu erheben.
„Liegen bleiben!“, fauchte Ferren.
„Ich weiß nicht. Ist das wirklich nötig?“, wandte Raham ein.
„Solange nicht geklärt ist, was hier vorgefallen ist, ist das allerdings nötig!“, entgegnete sein Kamerad, bevor sich dieser an den Hünen wandte, „Also, was weißt du über den Tod dieser Frau?“
„Pegry hat sie umgebracht. Dieser Wahnsinnige“, rief Ysil, „Zoe, so heißt sie, hat seinen Schrank durchsucht und dabei diese Schlange gefunden“, er deutete auf die Schubladen, die aus seinem eigenen Schrank gerissen worden waren, worauf Ferren Raham anwies, nachzusehen.
„Verdammt“, keuchte dieser, „Das ist eine untote Natter.“
„Ja, wirklich pervers“, kommentierte der Hüne.
„Aber diese Schlange wird sie wohl kaum umgebracht haben“, erwiderte Ferren, der die Spitze seines Schwertes beständig auf den Nacken seines Gegenübers hielt.
„Nein, natürlich nicht“, gab der Befragte zurück, „Pegry kam plötzlich rein und hat sie…hat uns erwischt. Der kannte keine Gnade. Hat ihr einen Stoßzauber direkt ins Gesicht geknallt. Ich habe noch nie gesehen, dass man einen Hals so verdrehen kann. Sie muss sofort tot gewesen sein. Mir hat er auch einen verpasst, aber ich bin, Iurion sei Dank, mit dieser Wunde davon gekommen. Ich war ohnmächtig. Der Kerl hat wahrscheinlich gedacht, ich sei auch tot. Wenn nicht, hätte er mich sicher erledigt. Der ist eiskalt.“
„Klingt nach einem fanatischen Todesanbeter, wenn du mich fragst“, wandte Raham ein, „Mit einem normalen Stoßzauber kann man kein Genick brechen. Das muss Schwarze Magie gewesen sein.“
„Möglich“, murmelte Ferren, bevor er sich wieder an Ysil wandte, „Eine Novizin namens Ariona gab an, dies sei dein Schrank und Pegry und sie hätten die Schlange darin gefunden. Was sagst du dazu?“
„Ich…Ariona?“, stotterte der Rohling, „Die ist doch genauso gefährlich, wie Pegry. Würde mich nicht wundern, wenn sie mit dem gemeinsame Sache macht. Die hängen meistens zusammen rum. Ich habe mal gesehen, wie ihr ein anderer Novize quer kam. Sie hat ihm direkt einen Feuerball auf den Hals gesetzt. Das könnt Ihr mir glauben!“
„Du willst also behaupten, Ariona sei auch eine Nekromantin?“
„Nun ja, ich kann’s nicht mit Sicherheit sagen, aber sie‘s eine verdammt gute Magierin. Und Ihr wisst ja, was man sagt: Je mächtiger der Zauberer, umso größer die Versuchung, nach der Schwarzen Macht zu greifen.“
„Ich habe mit ihr gesprochen, sie kam mir nicht wie jemand vor, dessen Geist und Körper von der Schwarzen Verderbnis belastet ist.“
„Ich sagte ja, dass sie gut ist. Sie sieht harmlos aus, ist nett. Der perfekte Schwarzmagier.“
„Recht hat er“, merkte Raham an, „Ich würde ein blondes Mädchen auch nicht für eine Hexe halten. Da wir sie allerdings mit einer Flasche Schwarzsaft erwischt haben, spricht doch alles für die Aussage dieses Mannes hier.“
„Schwarzsaft!“, rief Ysil, „Ich hab’s doch gewusst!“
„Nicht so schnell“, winkte Ferren ab, „Hast du eine Ahnung, wo Pegry jetzt sein könnte?“
„Na ja, weg auf jeden Fall“, antwortete Ysil, „Ich würde ja ins ledrianische oder serpendrianische Viertel gehen, wenn ich hier was verbrochen hätte. Oder in den Hafen.“
„In den Hafen kommt zurzeit niemand“, entgegnete Ferren, „Wir nehmen dich trotzdem mit auf die Wache, bis die Unstimmigkeiten geklärt sind.“
„Was? Aber ich habe doch gar nichts getan“, keuchte Ysil.
„Nennt uns einfach die Namen Eurer restlichen Mitbewohner“, sagte Raham ruhig, „Wir können dann ihre Aussagen aufnehmen und die Missverständnisse möglichst schnell aus der Welt schaffen.“
„Schön“, knurrte Ysil, „Ein gewisser Novize Ilar und ein Kerl namens Umbro.“
„Wo finden wir die?“, wollte Ferren wissen.
„Keine Ahnung. Umbro, den alten Schmuggler, wahrscheinlich überall, wo man verbotene Waren kaufen kann. Ilars Flüche hört man ohnehin durch die ganze Stadt.“
„Gut“, murmelte Ferren, der sich anschließend an seinen Kamerad wandte, „Du bringst den Kerl hier zu Blaek und ich warte hier, bis Ilar und Umbro zurückkommen.“
„Wie du willst. Aber Blaek wird nicht erfreut sein. Er meinte, ich soll dich nicht aus den Augen lassen.“
„Scheiß drauf!“

Was Raham widerfuhr, als er Ysil bei Blaek ablieferte, hatte er im Grunde bereits erwartet. Nachdem Blaek ihn angeschnauzt hatte, warum er denn jemanden aufgrund derart schwacher Beweislage direkt verhafte, durfte er den Gefangenen auch schon wieder freilassen.
Ziemlich genervt trat er den Rückweg an und seine Laune besserte sich kaum, als er Ferren von den Ereignissen berichtete, der ohnehin schon gereizt war, da bisher weder Ilar noch Umbro im Keller aufgetaucht waren.
„Also schön“, fluchte Ferren schließlich, „Du bleibst hier und wartest und ich hänge mich an die Spur von diesem Ysil.“
„Aber Hauptmann Blaek sagte…“, begann Raham, bevor er lautstark unterbrochen wurde:
„Blaek ist heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden! Dieser Ysil steckt da mit drin, das weiß ich.“
„Ferren“, sagte Raham ruhig, „meinst du nicht, du steigerst dich da in etwas rein? Du denkst doch gar nicht daran, dass diese Ariona eine Nekromantin sein könnte, oder?“
„Sie ist keine Nekromantin!“, blaffte der Leutnant.
„Schön…ich will ja gar nicht wissen, was da zwischen euch gelaufen ist, aber ich finde, dass Blaek schon Recht hatte: Du bist befangen.“
„Ich wette, dass ist er auch! Ich werde jetzt diesen Ysil finden und ihn mir noch mal richtig vorknöpfen“, zischte Ferren, bevor er aus dem Keller stürmte.
„Was war das denn schon wieder?“, murmelte Raham, während er sich auf einer kniehohen Steinmauer neben dem Ofen niederließ und ein arg mitgenommenes Buch über ledrianische Rittersagen aus seinem ledernen Ranzen zog.

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Crawley
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