Ein grausamer Killer hat in Recklinghausen sein Unwesen getrieben. Jahre nach der ersten Tat kehrt er zurück. Ein Polizist, bis dahin machtlos, sieht nun seine Chance.
Das Ruhrgebiet. Eine graue Betonwüste mit nur wenigen, idyllischen grünen Inseln. War es einmal. Heute ist es ein grün-grauer Erlebnispark mit Kultur, Industrie und besonderen Menschen. Und mit einzelnen, kleinen Wäldern, die für die gestressten Städter ein Erholungsort sind. Eine Metropole wie sie im Reisekatalog steht. Man sollte meinen, wo es so viele Menschen gibt wie im Ruhrgebiet kann nichts passieren. Dort ist alles sicher, abgesehen von den üblichen Kleinkriminellen. Alle Orte sind bekannt, überblickt. Falsch!
Was ich euch jetzt erzähle ist wirklich so geschehen, ob es mir glaubt oder nicht. Dies ist die pure, haarsträubende Wahrheit und ich wünsche jedem einzelnen von euch, dass ihr nicht in die gleiche Situation kommt wie ich.
Es war das Jahr 2002. Ich war damals 8 Jahre alt. Mit meinem damaligen besten Freund bin ich oft in der Nähe unserer Wohnungen spazieren gegangen um aufregende Orte zu finden. Wir lebten nämlich in einem Teil vom Ruhrgebiet, in dem nicht so viel los war. Außer ein paar alten Bergbausiedlungen gab es nicht mehr viel. Das meiste, was von der damaligen Kohlezeit zeugte, wurde abgerissen. Die Zechentürme, die Zechenbahnen und natürlich auch die alten Zechengebäude, sofern sie nicht als Einkaufzentrum dienen.
Jedenfalls gingen wir auf das Gelände der ehemaligen Zeche König-Ludwig. Dort, wo früher die Zechenbahn fuhr, war heute ein Radweg gebaut. Und wie für Kinder üblich, haben wir unseren Eltern nicht gesagt, wo wir hinwollten.
Wir gingen also den Radweg entlang. Es war nichts besonderes dort zu finden, nur ein Weg, den eine Mauer von den Geländen verschiedener Firmen trennte. Auf der linken Seite, gegenüber der Mauer, befand sich noch ein kleiner, junger Birkenwald, der erst nach dem Schließen der Zeche gewachsen ist.
Da uns langweilig war und es erst 4 Uhr Nachmittags war, gingen wir in den Wald hinein. Hier war es schon aufregender. Es gab Kletterbäume, dichtes Unterholz zum Verstecken und sogar einen Bach, der allerdings einbetoniert war, weil er früher die Abwässer der Zeche in die Emscher geleitet hat. Aber er war zugänglich, also gingen wir dort auch hin. Das „Eltern haften für ihre Kinder“-Schild hat uns wenig gestört.
Dieser Wald war wie ein Abenteuerspielplatz für uns.
Als es Abend wurde und wir nach Hause mussten, beschlossen wir am nächsten Tag erneut diesen Wald aufzusuchen, diesmal aber wollten wir noch ein paar Freunde mitbringen.
Gesagt, getan. Neuer Tag, altes Vorhaben.
Wir haben in der Schule einigen von dem Wald erzählt, und so passierte es, dass wir nach dem Mittagessen zu siebt losgegangen sind, um in den Wald zu gehen.
Es war noch besser als am Tag vorher, da wir jetzt eine größere Gruppe waren. Wir wollten ein Indianerzelt aus Stöcken bauen, die wir tipiförmig in den Boden steckten, und mit Laub bedeckten, um dort eine Art eigenes Haus zu haben. Es sollte aber noch größer werden, als ein normales Tipi.
Es war eine dieser typischen Kinderfantasien. Ein eigenes Haus, oder eine eigene Höhle bauen, abseits des Elternhauses, wo man seine eigenen Regeln hatte und viel Zeit mit Freunden verbringen konnte.
Das Bauen des Tipis hat einiges an Zeit in Anspruch genommen. Wir hatten keine Säge dabei um Äste abzusägen, also konnten wir nur welche verwenden, die auf dem Boden lagen. Es war eine mühsame Arbeit so viele zusammenzusuchen. Aber solange wir mit Freunden zusammen waren, war uns dies egal. Wir wollten nur unser Tipi haben.
Als es halb 7 war, beschlossen wir nach Hause zu gehen, damit unsere Eltern nicht anfangen zu schimpfen. Das Tipi war noch lange nicht fertig, wir hatten erst die Hälfte der Äste zusammen. Also wollten wir am nächsten Tag weiter machen.
Wir gingen nach Hause und brachten jeden einzelnen bis zur Haustür. Am Ende waren nur noch mein bester Freund und ich übrig. Mein Haus war näher als seines, also gingen wir zuerst zu mir. Ich verabschiedete mich von ihm und ging in die Wohnung. Er ging weiter. Es waren noch etwa 150 Meter bis zu seiner Wohnung.
30 Minuten später: Ich war bereits im Schlafanzug und aß gerade zum Abend, da klingelte das Telefon. Meine Mutter ging ran. Am anderen Ende war die Mutter meines besten Freundes, sie wollte wissen, ob ich weiß wo er ist. Ich nahm das Telefon von meiner Mutter und sagte seiner Mutter, dass er vor einer halben Stunde nach Hause gegangen ist. Von dem, was wir am Tag erlebt haben, habe ich nichts gesagt.
Sie legte schließlich auf, und ihr „tschüss“ klang so, als würde sie anfangen zu weinen.
Ich machte mir keine Sorgen, ich war ja erst 8, da denkt man nicht, dass was passieren könnte.
Am nächsten Tag in der Schule blieb sein Platz leer. Meine anderen 5 Freunde waren da. Wir dachten einfach nur, dass er krank ist. Nach der Schule wollten wir bei ihm vorbei, gucken wie es ihm geht.
In der dritten Stunde, wir hatten gerade Sachkunde, kam die Polizei in die Klasse.
In dem Moment dachte ich sofort, dass sie wegen ihm hier sind.
Sie sagten, dass er verschwunden ist und sie ihn suchen und sie fragten uns, ob wir nicht irgend eine Idee haben, wo er sein könnte. Ich wollte den Polizisten gerade sagen, dass wir gestern dort im Wald waren und ein Tipi bauten, aber einer der 5 anderen hielt mein Arm fest und flüsterte mir ins Ohr, dass es besser wäre wenn wir nach der Schule selbst nach ihm suchen. Sonst würden unsere Eltern uns noch verbieten wieder in den Wald zu gehen.
Als die Schule endlich aus war, gingen wir, ohne vorher nach Hause zu gehen, zum Zechengelände und weiter in den Wald. Dort, wo unser Tipi stand, stand nun ein normales Zelt, wie es sicher jeder von euch schon mal beim Camping benutzt hat. Wir liefen sofort dahin, vielleicht saß er ja darin. Ich schaute rein, aber es war leer, fast leer. Es waren nur eine Luftmatratze, eine Decke und, ich erschrak, die Mütze von ihm im Zelt. Ich hob die Mütze hoch. Sie war schwer. In ihr war ein Stück Metall. Ein rotes Metall... Ich schaute genauer hin. Es war eine kleine Säge. Blutverschmiert, wie die ganze Innenseite der Mütze.
Ich schrie und sprang aus dem Zelt, die Säge und die Mütze gegen den nächsten Baum schleudernd. Die andern schauten auf die Säge, und sie sahen sofort das Blut. Entsetzen lag in ihren Augen. In meinen wahrscheinlich auch.
Dann hörten wir die Stimme von ihm, wie sie aus dem Wald kam. Sie rief meinen Namen, immer wieder.
Ohne groß zu zögern folgten wir der Stimme tiefer in den Wald. Aber sie wurde nicht lauter. Wir kamen nicht näher. Wir liefen eine ganze Weile, bis wir den Bach überquerten. Dort wurde die Stimme plötzlich laut, und aus ihr wurde ein Mark erschütternder Schrei, als wenn man ihm mit einer Säge... Nein, nicht das Schlimmste vorstellen! Wir riefen ihn, fragten wo er denn sei, aber es kam nur ein weiterer Schrei zurück. Wir rannten weiter in den Wald. Dann plötzlich stürtzte der Boden unter uns ein. Wir fielen in einen unterirdischen Hohlraum. Wir fielen etwa 3 bis 4 Meter tief und schlugen auf einen harten Betonboden auf. Ich blieb unverletzt, aber ich war natürlich geschockt. Ich erkundigte mich bei den anderen wie es ihnen geht. Auch sie blieben unverletzt, auch wenn ein schwerer Schock in ihrer Stimme lag. Wir schauten uns um. Es war ein Hohlraum, so groß wie eine Sporthalle, soweit wir sehen konnten. Die einzige Lichtquelle war das Loch, durch das wir gefallen sind.
Es roch nach Benzin. Im nachhinein habe ich erfahren, dass dies ein altes Benzinlager der Zeche war.
Wir hatten alle Panik. Wir waren eingeschlossen, konnten so gut wie nichts sehen, und hörten immer noch seine Schreie, und sie wurden immer lauter. Wir suchten, aber er war nicht hier unten. Seine Stimme kam von oben.
Ich versuchte, die anderen zur Ruhe zu bringen. Wir mussten einen Weg raus finden. Zum Glück waren wir alle recht sportlich. Wir kletterten jeweils auf die Schulter des anderen und bildeten so einen Turm nach oben. Ich war der leichteste, also ging ich nach ganz oben. Es war sehr wackelig aber der Turm hat gehalten, bis ich an die Öffnung kam. Ich kletterte raus. In dem Augenblick hörte ich unter mir den Turm einstürzen. Einer der 5 unter mir hatte sich dabei den Arm gebrochen, er weinte. Ich schrie runter, dass ich Hilfe holen gehe und wiederkomme. Auf jeden Fall. Ich rannte los, nach Hause, zu meinen Eltern, zur Polizei?Hauptsache Hilfe holen. Nach 10 Metern blieb ich stehen. Ich hörte Schreie. Nicht den meines besten Freundes, sondern Schreie der Anderen. Außerdem noch das Klirren von Metall. Ich lief zurück zum Loch und fragte, was los sei. Keine Antwort.
Ich fragte nochmal.
Keine Antwort.
Ich rief ihre Namen und merkte, wie ich anfing zu heulen.
Stille, nur ein seltsames, schleifendes Geräusch.
Ich rannte, rannte so schnell ich konnte. Sofort zur Polizei. Die Wache war näher als mein Haus.
Ich erzählte den Polizisten die Geschichte. Jedes Detail. Und ich merkte, wie seltsam die Geschichte war. Überraschenderweise glaubten sie mir und sie riefen die Feuerwehr und den Notarzt und wir fuhren zusammen zurück. Dort trafen wir auf die Rettungskräfte. Ich zeigte ihnen den Weg zum Loch.
Auf dem Weg dahin sah ich, dass Zelt und Säge mit Mütze verschwunden waren aber das war im Moment nur Nebensache.
Als wir das Loch erreichten stieg die Feuerwehr mit Seil und Taschenlampe hinab.
Als sie wieder hochkamen, sagten sie, sie hätten niemanden gefunden. Der Tank hatte keine weitere Öffnung, also konnten sie keinen anderen Weg hinaus genommen haben. Das Einzige, was die Feuerwehr mit nach oben brachte, war eine kleine, blutverschmierte Säge.
Die Polizei suchte noch wochenlang nach meinen Freunden. Ohne Erfolg. Keine Leiche, keinen Leichenrest. Nichts.
Es konnte nie geklärt werden, was passiert ist.
Ich wollte es auch gar nicht wissen.
Nach dieser Geschichte begab ich mich für zwei Jahre in psychologische Behandlung um dieses Schockerlebnis zu verarbeiten. Aber die Alpträume plagen mich immer noch. Ich höre ihre Schreie aus einem dunklen Loch kommen. Wie sie meinen Namen rufen.
Ein Jahr nach dem Vorfall zogen wir ins Münsterland, weit weg vom Ort des Geschehens. Ich bin auf eine andere Schule gegangen und dann auf ein Gymnasium. Jetzt mache ich mein Abitur. Eins habe ich in der Zeit gelernt: Ich werde nie wieder in diesen Wald zurückkehren.
Es ist knapp zehn Jahre her. Es stand überall in den Zeitungen, auch in den bundesweiten Nachrichten wurde ein Bericht gebracht. Dies war wohl das schrecklichste Ereignis, welches Recklinghausen seit dem 2. Weltkrieg erlebt hat. Die ganze Stadt war geschockt. Niemand hätte auch nur ansatzweise damit gerechnet, dass so ein schreckliches Verbrechen hier in unserer sonst so verschlafenen Stadt überhaupt möglich ist. Oder, dass so etwas allgemein möglich ist.
Aber am schlimmsten war es wohl für den Überlebenden und für die Eltern der Opfer. Ich denke kein Mensch der Welt wünscht sich, oder seinen schlimmsten Feind, ein ähnliches Schicksal.
Ihr wisst nicht welches Ereignis ich meine? Ihr kennt nicht die schreckliche Geschichte, die später als der Mord, der unsichtbaren Schreie in die Polizeiakten und in die Liste der schrecklichsten Verbrechen einging?
Dann werde ich euch mal ein wenig auf die Sprünge helfen:
Wie ich bereits sagte, ereignete sich dies vor etwa 10 Jahren. Damals ging eine Gruppe aus sieben Grundschulkindern, alle damals etwa acht oder neun Jahre alt, in einen Wald auf dem Gelände einer ehemaligen Zeche. Diesen hatten sie als Abenteuerspielplatz für sich entdeckt. Sie erzählten keinen Menschen davon, nicht mal ihren Eltern da sie sich fürchteten, dass ihnen ihre Freude genommen wird. Doch ihre Freude währte trotzdem nur kurz. Eines Tages verschwand einer von ihnen auf dem Weg nach Hause. Seine Eltern alarmierten noch am selben Abend die Polizei. Diese befragte auch die sechs Freunde, aber diese gaben keine Auskunft über deren Aufenthaltsort am Tag des Verschwindens. Stattdessen machten sie sich selbst auf die Suche nach ihm. Sie gingen in den Wald zurück. Dort entdeckten sie angeblich ein Zelt, welches aber später verschwunden war. Dort fanden sie auch eine blutverschmierte Säge, welche von der Polizei als Tatwaffe vermutet wird. Aber das Geheimnisvolle an dem Fall ist, dass sie kurz darauf die Schreie des Verschwundenen hörten. Sie rannten in die Richtung, von wo die Schreie kamen. Aber sie schienen aus dem nichts zu kommen. Die Kinder rannten so lange durch den Wald, bis sie in einen alten, unterirdischen Benzintank einbrachen. Dabei blieben sie unverletzt, aber sie waren gefangen. Einer von ihnen konnte mit Hilfe der anderen entkommen. Er alamierte die Polizei und die Feuerwehr, welche die anderen retten sollten, doch als sie den Tank erreichten waren alle Kinder verschwunden. Stattdessen fanden sie nur die Säge, die auf dem Boden lag.
Bis vor ein paar Wochen hatte keiner eine Erklärung für diese Ereignisse. Es wurden keine Leichen und keine Hinweise auf einen Täter gefunden. Keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren, nichts! Aber dann, zwei Wochen nachdem das bis dahin gesperrte Zechengelände wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, fand ein Spaziergänger in dem Wald eine Säge. Diese übergab er sofort der Polizei, da er als eingefleischter Recklinghäuser mit dem Fall bestens vertraut war. Wie sich herausstellte war es die richtige Entscheidung. Eine Gruppe Polizisten durchsuchte daraufhin erneut das Waldstück und fand, nur wenige Meter neben dem alten Benzintank, ein Zelt. In dem Zelt lagen Fotos von einem achtjährigen Jungen. Dieser lag auf dem Boden in einem Raum, der aussah wie ein Keller. Man konnte dem Jungen seine Angst ansehen. Er weinte vor lauter Todesangst. Die Polizisten erkannten sofort, dass es sich bei dem Jungen um eines der Opfer von vor zehn Jahren handelte.
Dieser Fund war eine Sensation. Es bedeutete, dass der Täter zum Ort des Verbrechens zurückgekehrt ist, und eventuell Jagd auf sein nächstes Opfer macht. Der Hauptkommissar, der mit dem Fall beauftragt war, wusste, dass er ein weiteres Verbrechen verhindern kann. Er beschloss dem Täter eine Falle zu stellen.
Am nächsten Tag ging er in den Birkenwald, der absichtlich nicht abgesperrt wurde, und stelle sein Zelt auf halben Weg zwischen Tank und den Ort, wo das Zelt des Täters gefunden wurde, auf. Dieses wurde übrigens im Zuge des Planes von der Polizei nicht beschlagnahmt. Es blieb dort stehen. Zumindest bis zum nächsten Morgen. Dort war es erneut verschwunden.
Der Hauptkommissar weihte nur wenige Kollegen in den Plan ein, da er befürchtete, dass man ihn davon abhalten wollen würde. Auch die Presse wurde nicht informiert, da der Täter nichts ahnen sollte. Er sagte seinen Kollegen, dass sie ihm dort zwei Tage alleine lassen sollen. Er nahm nur Schlafsack, Dosennahrung, seine Dienstwaffe, Handschellen und ein Funkgerät mit, mit dem er im Notfall seine Kollegen hätte rufen können. Außerdem führte er ein Tagebuch, in dem er alle Ereignisse notierte.
„Freitag, 14.30 Uhr:
Ich möchte den Mörder finden. Dafür bleibe ich zwei Tage in dem Wald der unsichtbaren Schreie. Gestern wurde nach zehn Jahren des Rätselratens das Zelt des Mörders hier im Wald entdeckt. Daraufhin beschloss ich mich für 48 Stunden hier aufzuhalten, da ich hoffe, dass sich der Psychopath zeigt, und ich endlich diesen Fall lösen kann.
Mein Zelt steht in einem Dicht bewachsenen Teil des Waldes, nahe dem Fundort und dem Tatort. Hier dürfte mich kein Spaziergänger entdecken. Nach dem Verbrechen trauen sich sowieso nur noch die mutigsten in den Wald.
Ich habe ausreichend Wasser, Nahrung und die wichtigste Ausrüstung dabei. Da es Sommer ist, dürfte die Kälte kein Problem werden. Ich bin zuversichtlich, dass der Täter bald hinter Gittern sitzt.
Freitag, 18.30 Uhr: Es ist jetzt Halb 7. Um diese Zeit hat sich der Täter damals sein erstes Opfer geschnappt. Ich sitze jetzt draußen vor meinem Zelt und schaue mir die friedliche Natur an. Kaum zu glauben, dass in diesem schönen Wald so etwas passieren konnte.
Vom Täter war noch nichts zu sehen. Die einzigen Menschen die ich sah waren ein Pilzsammler mit seinem Hund und zwei Jungen, die hier vorbei liefen. Keiner von ihnen erkannte mein gut getarntes Zelt. Aber für die Kinder gab ich meine Tarnung auf. Ich sagte ihnen, dass es gefährlich ist, wenn sie hier alleine rumlaufen und dass sie besser woanders spielen gehen sollten. Sie waren ziemlich erschrocken, als ich aus dem Gebüsch kam und gehorchten mir sofort.
Es ist Abend und ich habe Hunger. Ich werde jetzt eine Portion Ravioli essen, um meine Sinne zu schärfen.
Freitag, 22.00 Uhr: Die Sonne ist untergegangen. Ich sitze im Licht der Taschenlampe in meinem Zelt. Aber an Schlafen ist nicht zu denken. Ich bin hier um Tag und Nacht zu suchen. Wenn der Täter heute Nacht hier vorbei schleicht, werde ich ihn stellen.
Samstag, 06.00 Uhr: Ich habe verschlafen! Kurz nach drei konnte ich meine Augen nicht mehr offen halten. Ich weiß nicht warum, normalerweise passiert mir dies nicht. Gerade eben bin ich aufgewacht, weil die Vögel draußen mit den ersten Sonnenstrahlen ihr Lied beginnen. Ich ging vor das Zelt und traute meinen Augen nicht: Dort lag eine Säge. Das heißt, der Täter ist heute Nacht an meinem Zelt vorbeigeschlichen und ich habe ihn verpasst. Aber was hat die Säge zu bedeuten? Will er mich warnen? Will er mich verscheuchen? Was denkt dieser Irre?
Ich werde mich nicht davon abbringen lassen, ich werde hier bleiben. Vielleicht weiß er es nicht, aber ich habe auch eine Waffe. Pistole gegen Säge, der Sieger dürfte klar sein. Wenn er hier reinschaut und mein Schuss ihn nicht umbringt, darf er sich auf ein Leben hinter Gittern freuen. Aber es darf nicht noch einmal passieren, dass ich einschlafe, daher werde ich mein Zelt kurz verlassen, um mich mit Koffein einzudecken. Zum Glück ist Lidl gleich nebenan. Damit nichts geklaut wird, werde ich meine Sachen mitnehmen. Aber vorher gönne ich mir noch ein kleines Frühstück.
Samstag, 14.00 Uhr: Der rote Stier wirkt. Ich bin hellwach, obwohl ich in der Mittagshitze normalerweise immer ein wenig träge bin. Aber meine Sinne sind hellwach.
Heute ist noch mehr los. Das Wetter ist perfekt für einen Waldspaziergang. Scheinbar ignorieren diese Menschen die Gefahr, die hier immernoch vorhanden ist. Oder es sind Touristen, die den Wald nicht kennen. Oder Touristen, die den Wald sehr wohl kennen.
Auf jeden Fall wurde mein Zelt entdeckt. Es war eine Frau, Mitte 40, mit ihren Kindern. Sie hielt mich erst für einen Penner, aber ich erklärte ihr, dass ich hier Ermittlungsarbeit leiste. Aber Details habe ich ihr natürlich nicht genannt. Ich bin gespannt wen ich heute noch treffe. Hoffentlich ist es der Mörder.
Samstag, 20.00 Uhr: ER WAR DA! Ich hätte ihn fast erwischt. Er stand knapp 20 Meter vor mir. Er war etwa 1.85m groß, hatte schwarze Haare, rotes T-Shirt und schwarze Hose an. Er lachte mich durch seine Sonnenbrille an und deutete mit einer Säge auf mich. Als ich meine Waffe zog rannte er weg. Ich lief hinterher, schoss ein paar Mal, verfehlte ihn aber immer. Er war wesentlich schneller als ich, so dass ich ihn nach einer Minute verloren habe.
Es ist scheiße. Ich hätte meine Waffe immer in Griffweite lassen sollen. Dann wäre dieses Schwein erledigt.
Ich hoffe, dass ich durch meine Schüsse keine ungebetenen Gäste angelockt habe. Aber meine Waffe ist zum Glück nicht so laut.
Es war auf jeden Fall ein erstes Erfolgserlebnis. Der Killer ist hier, und ich bin ihm auf den Fersen. Wenn er heute Nacht zurückkommt, dann ist er dran. Das schwöre ich!
Sonntag, 03.00 Uhr: Was ist passiert? Wo bin ich? Wie komme ich hier her?
Ich bin gegen Mitternacht ganz überraschend eingeschlafen und gerade eben hier aufgewacht. Es sieht auf wie ein Keller. Es ist eng hier und die Tür ist verschlossen. Fenster gibt es nicht. Hier in dem Keller liegt die Leiche eines Mädchens. Etwa 8 Jahre alt. Ihre Arme und Beine wurden abgesägt. Überall um sie herum klebt ihr vertrocknetes Blut und es liegen überall Knochen herum. Wahrscheinlich Knochen von früheren Opfern. Ich bin kein Mediziner, aber ich denke es sind mehr als die Knochen von sechs Menschen.
Ich habe Angst. Ich habe nur meine Taschenlampe, dieses Buch und den Stift mit dem Ich schreibe! War er es? Wo hat er mich hingebracht? Wieso hat er mir das Buch gelassen?
Ich denke er will dass ich dies hier schreibe.
Was hat er mit mir vor? Werde ich auch einen Tod wie die anderen armen Menschen erleiden?
Um 12 Uhr kommen meine Kollegen in den Wald und werden erkennen, dass ich nicht da bin. Ich bete zu Gott, dass sie mich hier finden, wo auch immer ich gerade bin.
Sonntag, 12.30 Uhr: Wieso das alles? Wieso habe ich das gemacht. Gerade hat mein Entführer einen Zettel unter der Tür durchgeschoben. Dort steht, dass ich 30 Minuten Zeit habe eine Abschiedsbrief zu schreiben.
Ich habe schreckliche Angst. Ich kann nicht klar denken. Was wird er mit mir machen? Wieso musste das passieren. Und was hat er danach vor?
An meine Kollegen: Solltet ihr diese Nachricht irgendwann lesen, möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich so... so verrückt war zu denken, ich könne ihn alleine fassen. Ich war dumm und muss diese Dummheit wahrscheinlich mit meinem Leben bezahlen. Bitte! Macht nicht den gleichen Fehler wie ich. Sperrt alles ab, wo diese Morde passieren, sonst kommt er wieder. Er wird noch mehr...“
„Sonntag, 13.30 Uhr:
An die Polizei: Euer Kollege war stark. Er hat ganze 20 Minute überlebt. Aber dann musste auch er dran glauben. Seit so schlau und geht mir in Zukunft aus dem Weg. Nehmt den Fehler eures dummen Kollegen als Warnung.
Mich kriegt ihr nicht! Ich bin der Meister, und ihr seid meine Marionetten!
Die sieben Teile, die von eurem Kommissar noch übrig sind, werden es euch sagen können, wenn sie nicht tot wären.“
Dieses Tagebuch kam drei Tage später mit einem Paket im Polizeirevier Recklinghausen an. Mit dabei: Die Säge und ein Finger.
Die Polizei sperrte den Wald daraufhin weiträumig ab. Es sollte eine weitere Tragödie vermieden werden. Das Opfer des tapferen Hauptkommissars hat nicht nicht gelohnt. Mehr als die Größe und die Haarfarbe des Täters kennt keiner. Es gab keine Zeugen und keine Spuren. Das Zelt und alle anderen Sachen des Kommissars wurden nie gefunden.
In den Zeitungen wurde nach dem Täter erneut gefahndet. Erfolglos.
In den Monaten danach wurden an weiteren Orten in Recklinghausen Sägen entdeckt. Alle etwa zwei Tage nachdem eine Person vermisst gemeldet wurde.
Der Killer ist weiterhin unterwegs. Die Polizei tappt weiter im dunkeln. Wahrscheinlich auch, weil sie Angst haben das Licht anzumachen.
Polizist auf der Jagd nach dem Verbrecher brutal ermordet.
Vor 10 Jahren wurde eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt, als ein Unbekannter eine Gruppe Grundschulkinder in eine Falle lockte und wahrscheinlich auf grausame Weise mit einer Säge tötete. Die genauen Umstände konnten bis heute nicht geklärt werden. Nur eines der Kinder überlebte diesen Tag, muss aber den Rest seines Lebens mit den mentalen Folgen leben.
Vor ein paar Tagen wurde der Wald, in dem das Verbrechen geschah wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht(wir berichteten). Auch der Täter kam zurück. Im Waldstück wurden Hinweise gefunden, dass dieser ein neues Opfer sucht. Daraufhin hat sich ein Polizist alleine auf die Lauer gelegt, um den Mörder am Tatort zu stellen. Für seinen Alleingang musste der Recklinghäuser mit dem Tode bezahlen. Der Mörder hat ihn entführt und umgebracht.
Vor zwei Tagen erreichte die Polizeizentrale ein Paket vom Mörder, das Leichenteile und das Tagebuch des Polizisten enthielt, in dem der Ablauf des Verbrechens dokumentiert.
Die Polizei sucht nun mit Hochdruck nach dem Mörder. Eltern wird geraten ihre Kinder abends nicht mehr alleine auf die Straßen gehen zu lassen, da zu erwarten ist, dass er erneut zuschlägt.
„Wir tun alles was in unserer Macht steht um den Menschen ihre Sicherheit zurückzugeben!“, sagte ein Polizeisprecher im Interview mit dieser Zeitung.
Matthias schloss die Zeitung, legte sie zur Seite und wendete seinen nachdenklichen Blick aus dem Fenster.
Zur Zeit des ersten Mordes war Matthias gerade auch acht Jahre alt. Mit einem der Opfer war er sogar zusammen im Kindergarten, daher hat er natürlich den Trubel in den Medien und bei den Menschen mitbekommen. Seine Eltern ließen ihn und seinen zwei Jahre älterer Bruder für Monate nicht mal alleine zur Schule gehen, so besorgt waren sie. So ging es vielen Eltern, und auch Lehrer waren in den Pausen besonders aufmerksam, da ja niemand wusste, wie der Mörder das angestellt hat und ob sich das nicht jederzeit wiederholen kann.
Und nun hat es sich wiederholt. Nur, dass diesmal ein Erwachsener das Opfer war.
Matthias' Vater betrat die Küche und setzte sich neben ihn an den Frühstückstisch.
„Guten Morgen, Junge.“
„Morgen Papa. Hast du das mit dem Polizisten gehört?“
„Welcher Polizist?“
„Der, der hier an der Zeche ermordet wurde. Es soll der Täter gewesen sein, der vor 10 Jahren die Kinder abgeschlachtet hat.“
Der Vater füllte seine Tasse mit Kaffee und trank einen Schluck.
„Wähle bitte einen anderen Ausdruck als 'abgeschlachtet'. Ein bisschen Respekt sollte schon sein. Aber ja, ich habe davon gehört. Haben die gestern in den Nachrichten gebracht.“
„Und was hältst du davon?“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es der gleiche Täter ist, wie beim letzten Mal. Das ist 10 Jahre her, wie du schon sagtest. In dem Zeitraum hätte es andere Opfer gegeben, wenn es ein Wiederholungstäter ist.“
„Kann doch sein, dass es welche gab. Es werden doch immer wieder Menschen vermisst gemeldet und nicht wieder gefunden. Er muss ja nicht in Recklinghausen geblieben sein, so dass kein Zusammenhang zu damals hergestellt wurde.
„Kann ich mir aber eigentlich nicht vorstellen. Dann hätte man doch diese Sägen gefunden, die doch angeblich sein Markenzeichen sein sollen.“
„Vielleicht hat er diese Säge nur einmal verwendet, und hat dies nun wiederholt, weil das Verbrechen am gleichen Ort geschehen ist?“
„Glaube ich nicht. Das war sicherlich ein Trittbrettfahrer, der eine Hysterie wie damals auslösen wollte, was er anscheinend auch geschafft hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass es diese 'Los Kanakos1'-Typen waren. Die haben in letzter Zeit so viel angestellt.“
„Aber ermordet haben sie noch niemanden.“
„Das muss doch nichts heißen.“
„Ja, aber ich denke das ist der gleiche Täter. Und er wird wieder zuschlagen.“
„Wann? In 10 Jahren? Nein, ich lass mich nicht wieder verrückt machen so wie damals. Wenn du das willst, von mir aus, aber für mich ist das Thema gegessen.
Ist deine Mutter schon bei der Arbeit?“
Matthias war ein wenig verärgert, dass sein Vater die Situation nicht ernst nahm. Aber er wollte sich nicht mit ihm streiten, da er wusste, dass sein Vater sich nicht von ihm beirren lässt.
„Ja, sie hat nur eben schnell Frühstück gemacht und ist dann vor etwa 30 Minuten aus dem Haus gegangen.“, antwortete Matthias.
„Okay. Und was hast du heute vor? Gehst du deinen Bruder besuchen?“
„Nein, ich muss zur Schule.“
„An einem Samstag?“, fragte der Vater verwirrt.
„Ja, ich bin doch in dieser Projektgruppe, mit der wir an diesem Wettbewerb teilnehmen, und da wollen wir uns heute treffen um weiterzuarbeiten.“
„Ist zwar seltsam so kurz vor den Sommerferien aber na gut. Kann sicher nicht schaden. Wann musst du denn da sein?“
Matthias schaute auf seine Armbanduhr und entschied, dass er weiteren Gesprächen mit seinem Vater aus dem Weg gehen wollte.
„Ich muss jetzt los.“, antwortete er, trank seinen Kaffee aus, stand auf und verließ den Raum. Dabei rief er seinem Vater noch zu: „Bin zum Mittagessen wieder hier.“ Und kurz darauf hat er das Haus verlassen.
Auf dem Weg zur Schule beobachtete er die Menschen. Sie gingen alle schneller als sonst und allgemein waren weniger Menschen auf den Straßen als an einem normalen Samstag Vormittag. Vor allem Kinder waren kaum zu sehen. Die Spielplätze waren verweist, nur ein kleines, türkisches Mädchen saß auf der Schaukel, während ihre Mutter auf der Bank wie ein Erdmännchen die Umgebung scannte.
Polizisten gingen zu zweit Streife und hielten jeden an, der verdächtig wirkte. Ein Bauarbeiter, der eine Säge mit roten Farbspritzern bei sich trug wurde gleich von insgesamt fünf Polizisten umringt und versuchte fast schon panisch die Polizisten von seiner Unschuld zu überzeugen.
'Wenn es nur ein Trittbrettfahrer war und es keine weiteren Überfälle gibt', dachte Matthias, 'warum sind dann alle Menschen so besorgt?'
Auf den letzten Metern zur Schule dachte er weiter über den Mord nach. Seit dem letzten Abend wollte ihm diese Geschichte nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Als er an der Schule ankam, sah er auch schon das Auto von seinem Lehrer Herr Wisniewski, sowie das Auto von Heiko und das Fahrrad von Lukas. Sonst war niemand in der Schule.
'Zum Glück sind die immer so früh dran, sonst dürfte ich draußen stehen und warten.' dachte er und ging zum Haupteingang im Nordosten der Schule.
Die Schule war quadratisch aufgebaut und bestand aus vier Stockwerken. Die Flure waren außen an den Seiten, während die Klassenzimmer nach innen zum Innenhof der Schule angebracht waren. Die Treppenhäuser waren in den vier Ecken des Quadrates.
Der Raum, wo sich die Projektgruppe traf, war im 3. Stockwerk an der Nordseite.
Matthias betrat die Schule. Der Haupteingang war der einzige, der geöffnet war. Wie immer, wenn es außerschulische Veranstaltungen gab.
Er ging, noch immer in seinen Gedanken bei dem Verbrechen, die Treppen nach oben und hörte hinter sich die Tür ins Schloss fallen.
Als er den ersten Stock erreichte hörte er von rechts plötzlich einen Schrei.
Er fuhr zusammen und wäre vor Schreck fast die Treppen runtergefallen, aber er konnte sich gerade noch am Geländer festhalten.
Der Schrei war nicht laut, aber in einer hohen Tonlage, wie ein kreischendes Kind. Er riss Matthias aus seinen Gedanken in die Realität.
Matthias' Herz raste. Mit zitternden Schritten ging er auf den Gang zu, aus dem der Schrei kam.
„I-Ist da jemand?“, rief er zögernd.
Es kam keine Antwort und es war niemand zu sehen. Die Räume waren alle verschlossen, ebenso die Tür, die den Ost- vom Südflügel trennt.
Er blieb eine Minute stehen, aber es rührte sich nichts.
Unsicher was er wahrgenommen hat, setzte er, immer noch mit erhöhtem Puls, seinen Weg nach oben fort. Diesmal allerdings deutlich schneller als zu Beginn.
Als er den Raum erreichte, wurde er freundlich empfangen:
„Grüß dich, Matthias!“, sagte Herr Wisniewski und musterte ihn. „Was ist los, du bist so blass?“
„Er hat letzte Nacht zu lange gezockt.“, scherzte Lukas.
„Nein,“, sagte Matthias, „ich hab nur vorhin... ich hab mich erschreckt.“
„Vor was?“
„Da war etwas im ersten Stock. Es hat geschrien. Aber ich hab niemanden gesehen.“
Wisniewski runzelte die Stirn und schaute ihn an. Lukas saß neben Heiko in der anderen Ecke des Raumes und spottete weiter gegen Matthias: „Von zu viel World of Warcraft bekommt man Halluzinationen, weißt du doch.“
„Ich denke auch, dass du dir das eingebildet hast.“, sagte Wisniewski. „In der Schule ist niemand.“
Matthias war sich selbst nicht mehr sicher, was er denken sollte. War es real oder hat er sich so viele Gedanken über den Mord gemacht, dass er schon davon halluziniert? Er wusste es nicht, aber er beschloss die Sache zu vergessen und fing an den anderen bei der Arbeit am Pendel zu helfen.
„Wer kommt denn noch alles?“, fragte er später als Herr Wisniewski zum Baumarkt gefahren ist.
„So viel ich weiß nur noch Benny, wenn er aus Essen zurückkommt.“, antwortete Heiko und schaute kurz auf die Uhr. „Eigentlich müsste er gleich kommen. Gut so, vier Leute sind zu wenig um das Ding zusammenzubauen.“
Fünf Minuten später, Herr Wisniewski war noch nicht zurückgekehrt, klopfte es an der Tür.
„Tür ist offen, komm rein.“, rief Heiko, der gerade die Bauanleitung studierte.
Die Tür blieb geschlossen und es klopfte erneut.
„IST OFFEN!“, schrie Heiko diesmal, aber wieder betrat keiner den Raum und es klopfte erneut.
„Will Benny mich verarschen?“ Heiko legte die Anleitung zur Seite, ging zur Tür und trat hinaus. „Wieso klopfst du dauernd und kommst nicht einfach...“
Er schaute auf den Flur, aber es war niemand zu sehen.
„Benny?“ Er trat auf den Flur und ging ein paar Meter in jede Richtung.
Als er zum Physik-Raum zurückkehrte, fragte Matthias:
„Was war da los, wer hat geklopft?“
„Anscheinend Niemand. Zumindest ist keiner auf dem Flur.“
„Vielleicht wollte uns jemand ärgern.“, warf Lukas ein.
„Wer denn?“, fragte Heiko.
„Irgendeine AG oder so.“
„An einem Samstag? Außerdem weiß doch keiner, außer Herr Wisniewski und Benny, dass wir hier sind.“
„Doch, der Sohn von Herr Wisniewski.“
„Glaubst du im ernst, dass er extra hierhin kommt, um seinen Vater zu ärgern? Außerdem war keiner auf dem Flur.“
„Komisch. Erst der Schrei, jetzt das...“, murmelte Matthias mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Sie machten sich schweigend wieder an die Arbeit. Bei der Sache waren sie aber nicht, da jeder eine Antwort auf diese Frage suchte. Bis Herr Wisniewski durch die Tür kam.
„Na, Benny immer noch nicht da?“
„Anscheinend nicht.“, sagte Matthias nach kurzem zögern.
„Er kommt sicher gleich, steht im Stau oder so. Kommt einer von euch mit runter zum Auto, um den Sand hochzutragen?“
„Mach ich.“, sagte Lukas und verließ mit Herr Wisniewski den Raum.
Kurz darauf fragte Heiko: „Wollen wir Herr Wisniewski nicht von dem Klopfen erzählen? Vielleicht hat er jemanden gesehen.“
„Ich denke das hätte er uns gesagt, wenn jemand in der Schule rumläuft. Und nein, das mit dem Schrei hat er mir ja auch nicht geglaubt.“
„Stimmt, du hast ja einen Schrei gehört, ganz vergessen. Hängt das vielleicht zusammen?“
„Wie denn?“
„Wie Lukas schon sagte, vielleicht will uns jemand ärgern. Oder uns Angst machen. Jetzt wo der Killer....“
Ein weiterer Schrei, der diesmal vom Flur vor dem Physikraum kam, ließ ihn verstummen. Ein Schrei einer bekannten Stimmt.
„Lukas!“
Heiko rannte raus und sah vor der Tür den verstümmelten Körper von Lukas liegen. Der rechte Arm fehlte und überall war Blut. Weiter den Flur entlang lag Herr Wisniewski, ebenfalls in einer Blutlache.
„Scheiße.“
Er rannte zu ihm hin und brauchte nicht lange um die Situation zu erkennen. Er riss das Schlüsselbund aus der leblosen Hand, rannte zurück zum Physikraum und schloss Matthias und sich ein. Schwer atmend, fast schon keuchend setzte er sich auf den nächsten Stuhl und Matthias brauchte nicht lange, um an seinem Gesichtsausdruck die Situation zu erkennen. Ein fragender Blick und Heikos entsetztes Nicken bestätigten seine Vermutung. Er holte sofort sein Handy raus und wählte die Nummer der Polizei. Doch ein Blick auf das Display verhinderte es.
„Kein Empfang.“
Angst verhinderte weitere Gespräche. Sie wussten, sie waren gefangen. Im Flur lief der Mörder herum und wenn sie durch das Fenster gingen, würden sie nach drei Stockwerken schutzlos und immer noch gefangen im Innenhof landen. Die einzige Möglichkeit war, dass sie dort warten, bis jemand vorbei kommt.
„Benny!“, brach es nach langem Schweigen aus Matthias heraus. „Wenn er kommt, läuft er dem Mörder in die Arme.“
Heiko schaute ihn mit unverändertem Gesichtsausdruck an.
„Und was willst du dagegen machen? Wenn du rausgehst, um ihn zu warnen, bist du genauso tot.“
Er hatte leider Recht. Entweder Benny oder alle. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Oder?
Ein Kratzen an der Tür unterbrach seine Gedanken.
„Er steht vor der Tür.“, flüsterte Heiko. In seiner Stimme lag deutlich die Todesangst.
„Aber er kann nicht rein. Das ist eine Sicherheitstür und er hat ja nur.... eine Säge.“, stammelte Matthias und versuchte vergeblich dabei beruhigend zu klingen.
Das Kratzen hielt an. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Fünfzehn ohne Unterbrechung. Im Raum saßen Matthias und Heiko in der hintersten Ecke unter einem Tisch. Ohne zu reden, ohne irgendein Geräusch zu machen.
Halbe Stunde. Immer noch das Kratzen. Zwischendurch hörte es immer wieder für einige Sekunden auf, aber gerade als sie sich Hoffnungen machte, setzte es wieder ein.
Eine Stunde. Das Kratzen ist verstummt. Schon seit einigen Minuten. Aber sie saßen in der gleichen kauernden Position auf dem Boden, als es plötzlich klopfte.
Sie zuckten zusammen. Matthias entfuhr ein kleiner Schrei. Die Tür öffnete sich und Benny betrat den Raum. Er sah die Gesichter von Matthias und Heiko und fragte:
„Was ist denn hier los?“
Nach kurzem Schweigen antwortete Heiko.
„Wie bist du hier rein gekommen? Wo ist Er?“
„Durch die Tür! Meinst du Wisniewski?“
„Hast du ihn draußen nicht gesehen? Mit Lukas?“, fragte Heiko verwundert.
„Was, nein, wieso? Sind die eben rausgegangen?“
Heiko stand verwundert auf und ging mit zitternden Knien auf den Flur hinaus.
Tatsächlich. Nichts. Keine Leiche, kein Blut. Kein Killer.
Keine Kratzer an der Tür.
Er schaute auf sein Handy. Empfang.
„Was ist hier passiert?“, fragte Benny, als er Heikos Gesicht nach der Inspektion gesehen hatte.
Heiko erzählte ihm die Ereignisse der letzten Stunden, während Matthias die Polizei rief. Als diese eintraf, wiederholten sie die Geschichte.
Nachbarn sagten später aus, dass sie Niemanden die Schule betreten oder verlassen sahen. Daraufhin durchsuchte die Polizei das Gebäude und fand im ersten Stock auf der Ostseite die Leiche eines kleinen, türkischen Mädchens, dass erst vor wenigen Minuten als vermisst gemeldet wurde. Neben dem Körper lag die Säge.
Lukas und Herr Wisniewski blieben verschwunden.
Heiko und Matthias haben daraufhin die Schule gewechselt, ebenso wie Benny und viele weitere Schüler, vor allem jüngere. Das Ende der Schule ist nahe.
1Jugendgruppe aus Recklinghausen und Herne, die für eine Vielzahl an Straftaten im Jahr 2012 in der Region verantwortlich ist.