Warum ich dieses Buch schreibe? Nun, ich möchte hier und jetzt und völlig anonym ein Geständnis ablegen. Ich habe getötet. Ich habe viele Menschen getötet. Ich bin ein Mörder, der nichts anderes verdient, als weggesperrt zu werden. Sicher verwahrt vor der Menschheit. Damit niemand mehr zu Schaden kommt.
Doch vielleicht ist es ja kein Geständnis. Vielleicht ist es nur eine Fiktion. Ein Streich meines Unterbewusstseins. Ein Traum, der mir nachjagt, ohne zu wissen, ob er jemals Wirklichkeit geworden ist. Und trotzdem ist alles so real, so echt und wirklich, dass ich zerrissen bin zwischen Schein und Wirklichkeit.
Vielleicht werde ich nie die Wahrheit erfahren. Oder doch?
So lange ich denken kann, war ich schon immer ein Einzelgänger. Egal ob in der Schule, während der Ausbildung oder im Job. Meine Mitmenschen mieden mich. Für sie war ich seltsam. Ich war der der Streber, der Schüchterne, der Eigenbrötler. Dabei wollte ich doch nur gut sein. Gut, in dem was ich tat. Ich wollte gute Noten haben, deshalb lernte ich. Jeden Tag. Ich wollte etwas aus meiner Zukunft machen. Und nicht darauf warten, dass die Zukunft etwas mit mir machte.
Doch scheinbar kam das in der Gesellschaft nicht besonderlich gut an. Ich hing nicht mit den „Coolen“ in der Ecke rum, um mit ihnen heimlich auf dem Schulhof eine zu rauchen. Ich ging nicht am Wochenende in diverse Clubs um Mädchen abzuschleppen und mich sinnlos zu besaufen. Nein, ich saß zu Hause über meinen Büchern.
„Spießer“, sagten sie zu mir. „Du Weichei, du Pissnelke“, bekam ich zu hören, wenn ich wie jeden Tag vor diversen Büchern saß, anstatt wie ein richtiger Mann in die Kneipe zu gehen.
Dieses Szenario verfolgte mich schon seit Jahren. Im Laufe der Zeit nahm es allerdings ab, da sich niemand mehr darum scherte, was oder ob ich überhaupt etwas tat.
Doch es kam der Tag, an dem sich das ändern sollte.
Schon wieder hatte er zugeschlagen. Dieser kranke Mensch, der immer nur nachts kam und seine Opfer im Schlaf tötete. Acht mal hatte er es bisher getan. Er wählte sie offenbar mit Bedacht aus. Denn er suchte stets nach alleinstehenden Menschen. Hatte er diese gefunden, erschlug er sie auf brutalste Weise. Die Medien überschlugen sich täglich mit neuen Schlagzeilen. Sie gaben ihm den Namen „Single-Mörder“.
Egal welche Zeitung man aufschlug, welchen Radiosender man hörte oder welchen Fernsehsender man sah, es gab keine Chance dem „Single-Mörder“ zu entkommen. Ständig und überall wurde nach ihm gefahndet. Allerdings gab es wenig Anhaltspunkte. Niemand hatte ihn bisher gesehen oder irgendetwas über ihn gehört. Die Polizei tappte im Dunkeln. Er war wie ein Geist, der still und leise hier und dort mal auftauchte und seine grausame Blutspur hinterließ.
Natürlich puschten die Medien den Fall noch weiter auf. Sie warfen der Polizei versagen auf ganzer Linie vor und rieten der Bevölkerung sich selbst zu schützen. „Gitter vor den Fenstern“ oder Überwachungskameras“ waren da noch die harmloseren Tipps. Selbst vor illegalem Waffengebrauch machten sie nicht halt. Die Leute waren verängstigt und Unsicher. Und nicht wenige befolgten ihren Rat.
Kopfschüttelnd legte ich die Zeitung beiseite. Ich konnte es einfach nicht mehr lesen, hören oder sehen. Die Welt war voll von Grausamkeiten und schlechten Menschen. Ich wollte sie aber nicht bei mir haben. Und schon gar nicht morgens zum Frühstück. Ich stand auf tauschte meinen mittlerweile kalt gewordenen Kaffee gegen einen frischen. Doch gleich der erste Schluck landete zur Hälfte auf meinem Hemd.
„So ein Scheiß!“ Fluchend ging ich ins Schlafzimmer und zog mich um. Am liebsten hätte ich mich ins Bett gelegt und geschlafen. Ich war müde. In den letzten Wochen schlief ich nicht besonders gut. Ich fühlte mich morgens erschöpft und übermüdet. Ich fühlte mich wie ein körperliches Wrack. Mit Sicherheit lag es am Stress in der Werbeagentur. In den vergangen Wochen liefen dort alle zur Hochform auf. Der Chef hatte vor vier Monaten einen großen Auftrag an Land gezogen. Der Kunde war sehr bekannt in der Werbebranche und daher auch sehr penibel und mit hohen Erwartungen. Alles musste perfekt sein. Zweimal schon hatte er ein vorläufiges Ergebnis zu Nichte gemacht. Die Uhr tickte, wir hatten nicht mehr viel Zeit. Schon in einer Woche sollte der Spot fertig sein. Und er musste tausendprozentig sein. Es ging dabei um Geld, um sehr viel Geld. Aber auch um unser Ansehen in der Branche. Wenn wir diesen Auftrag nicht vermasselten, würden uns andere Kunden die Bude einrennen. Unser Chef erwartete, nein, forderte von uns daher höchsten Einsatz, wenn nötig rund um die Uhr. Und den gaben wir. Schließlich hing auch für uns eine dicke Provision mit dran. Aber es war hart, sehr hart.
Nachdem ich umgezogen war versuchte ich mit dem Kaffe erneut mein Glück. Dann sah ich auf die Uhr. Eine halbe Stunde blieb mir noch bevor ich los musste. Mein Schädel brummte. Ich nahm mir für diesen Abend vor, früh schlafen zu gehen. Vielleicht wäre ich dann wenigstens einmal etwas ausgeschlafener.
Ich war Schlafwandler. Eigentlich schon immer. Aber in den letzten Wochen bemerkte ich seltsame Veränderungen. Es kam schon mal vor, dass ich morgens nicht in meinem Bett sondern auf dem Sofa oder auf dem Fußboden aufwachte. Allerdings stellte ich fest, dass ich in der letzten Zeit einen Hang zur Veränderung haben musste. Bücher standen nicht mehr am selben Ort, wie am Abend davor. Bilder hingen nicht mehr an der gewohnten Stelle. Das war mir anfangs unheimlich. Dennoch gewöhnte ich mich langsam an diesen „Tick“. Irgendwie war jeder morgen auf seine Weise auch ein kleines Abenteuer. Nie wusste ich, was mich erwartete.
Fortsetzung folgt...
