~*~ EPILOG ~*~
Alessandra Larissa Lornton, geb. Havensteen mit Vorfahren aus altem russischem Adel, schaute immer wieder nervös auf die Uhr. Das Kind würde noch zu spät zur letzten Anprobe kommen! Sicher wieder ein unerwartetes Problem mit dem Restaurant!
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In einem plötzlichen Moment der Selbsterkenntnis wurde ihr klar, dass sie noch vor einem Jahr die Verspätung auf die Herkunft ihrer Schwiegertochter in Spe geschoben hätte. Wie blind und ignorant sie doch gewesen war. Sie war sich zwar immer noch sicher, dass Disziplin tatsächlich nicht jedermanns Sache aus Cassies Herkunftskreis war, aber sie war von den Qualitäten der jungen Frau absolut überzeugt.
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Und dazu gehörten neben einer gehörigen Portion Charme, der manche Ungeübtheit auf dem gesellschaftlichen Parkett spielend wieder wett machte, eine enorme Disziplin, Intelligenz sowie einem gewissen Ehrgeiz eben auch eine große Liebenswürdigkeit, mit der die junge Frau ihr auf Anhieb sympathisch war.
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Was allerdings endgültig ihr Herz erobert hatte, war die tief empfundene Liebe für ihren Sohn, welche in jeder Faser ihres Wesens, in jeder Geste in seine Richtung so überaus deutlich spürbar war. Und welche von ihrem Sohn rückhaltlos erwidert wurde. Da konnte Alessandra gar nicht mehr anders, als die Beiden zu unterstützen! Eine Frau, die ihren Sohn so glücklich machte, dass er sogar fröhlich pfeifend seine Mutter zur Begrüßung im Kreis umher schwang, eine solche Frau musste einfach die Richtige für ihn sein.
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Deswegen stand sie jetzt hier beim Schneider und wartete darauf, dass Cassie ihr Hochzeitskleid noch einmal anprobierte, bevor morgen die Hochzeit stattfinden würde. Zu diesem Ereignis waren auch deren Eltern in die Stadt gekommen. Das Zusammentreffen der beiden Elternpaare, von den Kindern mit angehaltenem Atem verfolgt, war besser verlaufen, als gedacht.
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Gab es doch ein gemeinsames Thema: Kinder, die nicht so spurten, wie sie eigentlich sollten! Endlich ging die Tür auf und Giulia Zanzini schob ihre Tochter durch die Tür. „Es tut mir leid, Alessandra”, meinte sie, „aber natürlich musste noch irgend ein Tisch gedeckt und irgend ein Stuhl zurecht gerückt werden...”
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„Mum!”, protestierte Cassie genervt. Damit hatte ja nun auch keiner rechnen können, dass diese beiden so unterschiedlichen Frauen sich ausgerechnet in der Beurteilung ihrer Arbeit so einig sein würden. Ein Restaurant zu leiten sahen Beide immer noch nicht als anspruchsvolle Aufgabe an!
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Aber im Grunde war das egal, Hauptsache, sie vertrugen sich! Und so überstand Cassie auch diese Anprobe geduldig. Sie hatte sich für ein schlichtes, aber perfekt auf ihre Figur geschnittenes Kleid entschieden, das sogar den Müttern, als sie es erst einmal an Cassie sahen, sehr gut gefiel. Ray würde es hoffentlich auch umhauen. Nun ja, wenigstens nur sinnbildlich!
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Vom anschließenden Mittagessen verabschiedete sie sich dann auch rasch wieder. Es war Hochsaison und die Läden waren brechend voll. Aus diesem Grund würde die Trauung auch an einem Montag statt finden, an dem im Sommer zwar nicht geschlossen, aber weniger Betrieb war.
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Die Angestellten im Sunset und im Sandcastle waren inzwischen so gut ausgebildet, dass sie es auch mal ohne die Chefs schafften. Und das würden sie auch müssen, denn nach der Hochzeitsfeier morgen im Sunset würden Cassie und Ray auf eine längere Hochzeitsreise gehen.
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Sie würden einfach Cassies Trailer an ihr Auto hängen, einsteigen und drauf los fahren!
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Entsprechend war aber noch einiges vorzubereiten. Erst spät in der Nacht war endlich Zeit zum Durchatmen. Einer spontanen Eingebung folgend machte Cassie auf dem Heimweg einen Umweg zu ihrem Trailer. Täuschte sie sich, oder hatte sie dort … Tatsächlich, hier verbreitete die kleine Lampe ihr trübes Licht, illuminierte nur zaghaft die Sitzgruppe.
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Doch der Schatten dort konnte nur Ray sein. Zielstrebig lief sie auf ihn zu.
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„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“, schallte es ihr plötzlich entgegen und sie musste schmunzeln.
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„Guten Abend, Mr. Lornton. Wir kennen uns noch nicht, aber ich bin Miss Zanzini.“
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„Ah”, machte die Stimme, „die Zirkusprinzessin, die sich morgen die Ehre gibt, mich zu heiraten?!”
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„So ist es, du verrückter Kerl!”, erwiderte sie und beide lachten. Cassie hockte sich auf seinen Schoß und küsste Ray zur Begrüßung, dann griff sie nach seinem Glas und schnupperte daran. „Hm. Aquavit?!“
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„Er ist einen weiten Weg gereist”, zitierte Ray wieder. „Es gibt kaum etwas Besseres, um den Beginn einer neuen Ära zu besiegeln und Mut für einen neuen Aufbruch zu gewinnen.“
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Nachdenklich spielte sie in seinen Haaren. „Brauchst du denn Mut?”
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Entschlossen schüttelte er den Kopf. „Nein, ich bin schließlich im Begriff, das Schönste zu tun, was mir je im Leben passiert ist, nämlich dich zu heiraten! Ach ja, darf ich dir mein Geschenk jetzt schon geben?”
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„Wie, was, Geschenk? Ich dachte, wir-”
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Jetzt kicherte Ray wie ein ertapptes Kind. „Ach du weißt doch, wir Leute vom snobistischen Bostoner Adel sind bei sowas sehr unzuverlässig! Hier!” Damit drückte er ihr ein Stück Papier in die Hand, das sie mühsam im spärlichen Licht entzifferte.
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„Was?!”, keuchte sie dann, „Du schenkst mir das Sandcastle? Bist du verrückt? Was werden-”
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Spontan verschloss Ray ihren Mund mit einem Kuss. „Nanana, ich dachte wir wären uns einig, auf so etwas gar nicht zu achten! Es war schon immer dein Lokal und soll es künftig auch ganz offiziell sein. Dass ich es gekauft habe, war ja nur Helenas Idee, damit ich dich wieder hier her locken konnte...”
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Glücklich schmiegte sich Cassie in seine Halsbeuge. Es war gut, dass ihre kleine Schwester ein bisschen Schicksal gespielt hatte. Schon seit Tagen verdrehte ihre hübsche Trauzeugin nun schon den Männern der Stadt den Kopf.
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Und wenn Ray ihr das Lokal übereignen wollte, würde sie sich nicht dagegen wehren. Sie beide wussten, was sie aneinander hatten, da konnte alles Gerede von außen egal sein.
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Cassie griff in seine blonden Haare und zog ihn noch näher an sich heran. Sie fühlte seine Lippen auf ihren, fühlte seine Zunge, wie sie ihren Mund erkundete und tausend wunderschöne Gefühle auslöste...
Gierig küssten sie sich, die Arme eng um den jeweils anderen geschlungen.
Von Weitem erklang plötzlich ein Stimme. „Miss Zanzini? Sind Sie da? Hallo?“
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Wie ertappte kleine Kinder zuckten die beiden Verliebten zusammen und mussten ein Kichern unterdrücken.
Cassie sah Ray aus nächster Nähe ins Gesicht und verzog das ihre zu einer Grimasse. Dann rief sie, mit scheinbar missgelaunter Stimme: „Was ist denn, Pedro? Ich hab Feierabend – ugh“
Der letzte Teil rutschte ihr heraus, weil Ray plötzlich der Schalk gepackt hatte und er sich äußerst aufreizend mit Mund und Zunge an ihrem Hals zu schaffen machte.
„Miss Zanzini, das weiß ich doch“, kam Pedros Stimme näher.
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„Dann ist es ja gut. Was immer es auch ist, das werdet ihr alleine lösen müssen!”, rief Cassie bestimmt zurück. Die Arbeit sollte nicht ihr Leben dominieren und am Funkeln in Rays grauen Augen konnte sie sehen, dass er ganz ihrer Meinung war.
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Pedro schien zu resignieren, entschuldigte sich und verschwand.
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Mit einem kleinen Seufzer wandte sich Cassie wieder ihrem Verlobten zu. Der genoss es gerade, wie sie unter seinen Berührungen erschauerte und nach Atem rang.
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„Ich wette, den haben unsere Mütter geschickt, damit wir die Nacht nicht zusammen verbringen”, wisperte sie ihm zu und er nickte.
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„Aber da haben sie Pech gehabt, hm?!”, sagte er, während er verführerisch an ihrem Ohrläppchen knabberte.
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„Oh ja”, konnte sie noch hauchen, bevor Ray sie in seine Arme hob und die Stufen des Trailers mit ihr erklomm. Dass sie beide sich nicht um Traditionen scherten, hatten sie ja eh schon zur Genüge bewiesen.
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Diese wunderschöne Nacht würden sie sich jedenfalls davon nicht kaputt machen lassen!
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