Romane & Erzählungen
Zirkusprinzessin Teil 53

In den folgenden Tagen war das aber tatsächlich die letzte Schwimmrunde. Statt dessen bürgerte es sich ein, dass sie sich Morgens, seltener auch Abends, auf den Treppen von Cassies Trailer trafen, heißen Tee tranken und den kommenden Tag besprachen.

 

Denn neben den Plänen für das Sandcastle half Cassie nun auch wieder fest im Sunset mit, das sich mehr und mehr zu einem In-Lokal entwickelte. Vor allem am Wochenende legte der Besucherstrom zu und den Mitarbeitern gefiel, wie Cassie das Reservierungssystem perfektionierte und immer wieder neue Wege zum Arrangieren der Tische fand.

 

Aus diesem Grund war Ray auch nicht böse, wenn sein zweites Lokal demnächst erst mal ruhen würde. So hatte er Cassie öfter näher bei sich. Mit am schönsten aber waren diese Treppengespräche, in denen sie sich Tag für Tag näher kamen. Es war wunderbar, sich auszutauschen und dabei viele Gemeinsamkeiten zu entdecken. Oder eben auch ganz unterschiedliche Meinungen, die dann kontrovers diskutiert wurden!

 

Keinem fiel dabei so richtig auf, dass mehr und mehr die Restaurants kaum noch eine große Rolle in diesen Gesprächen spielten. Ab und zu wagte es Ray auch, Cassie ein wenig anzuflirten, neckte sie, berührte sie wie zufällig.

 

Doch obwohl auch sie manchmal wie selbstvergessen die Hand auf sein Knie legte, war da doch so etwas wie eine kleine, unscheinbare Mauer, die keiner zu übersteigen wagte. Aus Angst, die neu gewonnene Freundschaft endgültig aufs Spiel zu setzen.

 

So erzählten sie sich gegenseitig viel aus ihrem Leben, über ihre gemeinsame Alma mater und über ihre Kindheit, aus der sogar Ray Schönes zu berichten hatte. Da er Cassie schon im Zirkus gesehen hatte, wollte er auch mehr über dieses Leben erfahren und sie erzählte ihm einige Anekdoten.

 

Bei dieser Gelegenheit fragte Cassie ihn eines Abends auch über Helenas Anruf aus. „Ich weiß gar nicht, was meine Kleine da geritten hat! Ruft einfach einen wildfremden Mann an... Ich hoffe, sie hat dich nicht belästigt!?”

 

Ray schnaubte und zum ersten Mal in diesem Jahr sah man dabei eine Atemfahne aufsteigen.

„Quatsch! Ich war natürlich total überrascht von ihrem Anruf, aber auch sehr froh, dass sie mir, hm, den entscheidenden Tipp gab. Sie war wirklich sehr reizend, keine Sorge.”

Er stockte, erzählte dann weiter. „Im ersten Moment dachte ich sogar, DU wärst es! Eure Stimmen kann man auf Anhieb direkt mal verwechseln. Aber kein Wunder, sie sieht dir ja auch äußerlich ähnlich.”

 

Cassie zuckte zusammen. Er hatte Helena gesehen? „Ähnlich? Aber an jenem Tag im Zirkus war sie doch noch im Krankenhaus?!”

Wenn er sie gesehen hatte konnte das eigentlich nur bedeuten, dass auch er ihr verfallen war. Vielleicht diente diese neue Freundschaft nur dem Zweck, sie persönlich kennen zu lernen? Über diese Gedanken vergaß sie sogar, ihn nach der Natur des Tipps zu fragen.

 

Ray zuckte die Achseln und schlürfte einen Schluck Tee, eine Angewohnheit, bei der Cassie immer lachen musste. Heute allerdings nicht. „Ach, bevor ich zu euch flog, hatte ich sogar ein paar Bilder von euch im Internet gefunden. Nicht viel, aber du und deine Schwester habt die Leute wohl sehr beeindruckt.”

 

Das konnte Cassie sich gut vorstellen. Helena war einfach zu und zu reizend und auch wenn sie ihre kleine Schwester abgöttisch liebte und verehrte, ein bisschen gesunder Neid war immer mit dabei. „Und?”, rutschte es ihr heraus.

 

„Was und?”

 

„Und du? Helena ist mit Abstand die schönste Frau, die ich kenne! Deswegen nehme ich an, dir hat sie auch gefallen...”

 

Am Geländer lehnend sah Ray Cassie an. Klar, ihre Schwester war hübsch, aber die mit noch viel größerem Abstand schönste Frau, die ER je gesehen hatte, saß ihm gerade gegenüber!

 

„Cassie! Bist du etwa eifersüchtig auf Helena?”, platzte er heraus und ihre Wangen wurden, sofern er das im trüben Licht sehen konnte, tatsächlich noch ein wenig rosiger. Ein Welle der Liebe durchströmte ihn spontan.

 

Er umfasste sanft ihr Kinn, das sie gesenkt hatte, und hob es in seine Richtung. „Cassie, sieh mich an. Also, egal was du dir im Lauf der Zeit eingeredet hast, es stimmt nicht! Sicher, deine Schwester sieht gut aus, ihr habt nun mal dieselben Gene. Aber glaub mir, für mich bist du wesentlich hübscher als sie!! Und von dir kenne ich auch einige innere Werte, und die machen dich noch begehrenswerter!”

 

„Was?!”

 

„Ich meine, welche Frau sollte dir das Wasser reichen? Wunderhübsch UND intelligent, was für eine Kombination...”

 

Jetzt lächelte Cassie wieder. Er kannte ihre Schwester und zog doch sie, Cassie, dieser vor? „Danke”, murmelte sie.

 

„So ungefähr habe ich das auch meinen Eltern gesagt.”

 

Jetzt zuckte Cassie wieder zusammen, diesmal nicht nur innerlich.